Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 01.05.2007 | Autokauf

    Rücktritt unter erschwerten Bedingungen

    von VRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf

    Zu den aus Sicht der Praxis unerfreulichsten Kapiteln der Schuldrechtsmodernisierung gehört das Thema, das in Rücktrittsfällen unter dem Schlagwort „Bagatellgrenze“ diskutiert wird. Auch mehr als fünf Jahre nach In-Kraft-Treten der Reform herrscht enorme Verunsicherung – bei den Kaufvertragspartnern und ihren Anwälten ebenso wie bei den Gerichten. Über den aktuellen Stand der Dinge informieren die nachfolgenden Checklisten.  

     

    I. Checkliste: Das Wichtigste auf einen Blick
    1.Grundsätzlich hat der Verkäufer für jeden Sachmangel einzustehen, egal, ob er erheblich oder unerheblich ist. Nur diejenigen Rechte, die auf eine Vertragsauflösung zielen, also Rücktritt und „großer“ Schadensersatz, sind bei einer nur unerheblichen Pflichtverletzung ausgeschlossen (§§ 323 Abs. 5 S. 2, 281 Abs. 1 S. 3 BGB).

     

    2. Pflichtverletzung: Rücktritt wie „großer“ Schadensersatz knüpfen in erster Linie an die Pflichtverletzung an, die in der Lieferung der mangelhaften Sache liegt (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB). Als Pflichtverletzung und damit als Bezugspunkt der Erheblichkeitsprüfung kann aber auch das Fehlschlagen der Nacherfüllung in Betracht kommen (ungeklärt). Selbst eine vorvertragliche Pflichtwidrigkeit wie die Verletzung einer Aufklärungspflicht (z.B. arglistiges Verschweigen) ist nach BGH NJW 06, 1960, in die Wertung einzubeziehen.

     

    3.Keine Legaldefinition: Was im Sinne der §§ 323 Abs. 5 S. 2, 281 Abs. 1 S. 3 BGB „unerheblich“ ist, sagt das Gesetz nicht einmal andeutungsweise. Nach der amtlichen Begründung (BT-Drucks. 14/6040, S. 222, 223) ist der Rücktritt bei einer „unerheblichen Minderung des Wertes oder der Tauglichkeit“ i.S.d. § 459 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. bzw. bei einer „geringfügigen Vertragswidrigkeit“ i.S.v. Art. 3 Abs. 6 EU-Richtlinie ausgeschlossen. Ob an die Kasuistik zu § 459 BGB a.F. anzuknüpfen ist oder ob, wie überwiegend vertreten wird (OLG Düsseldorf 8.1.07, I-1 U 177/06, Abruf-Nr. 071254 m.w.N.), ein höherer Schwellenwert gilt, bleibt offen. Es heißt lediglich, dass beim Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft (heute: Beschaffenheitsgarantie) der Rücktritt nicht ausgeschlossen sei.

     

    4.Einfluss der EU-Kaufrechtsrichtlinie: Nach Art. 3 Abs. 6 hat der Verbraucher bei einer geringfügigen Vertragswidrigkeit keinen Anspruch auf Vertragsauflösung. Die geringfügige („minor“) Vertragswidrigkeit gilt als Alternative zum wesentlichen („fundamental“) Vertragsbruch i.S.d. Art. 49 CISG.

     

    5.Darlegungs- und Beweislast: Diejenigen Tatsachen, welche die „Unerheblichkeit“ begründen, muss der Verkäufer darlegen und beweisen (allg. M., z.B. OLG Köln 12.12.06, 3 U 70/06, Abruf-Nr. 071598).

     

    6.Aktueller Stand der Rechtsprechung: Erst in einer einzigen Entscheidung hat der BGH zur Bagatellklausel in § 323 Abs. 5 S. 2 BGB grundsätzlich Stellung genommen (arglistige Täuschung über einen geringfügigen Mangel beim Immobilienkauf, siehe BGH VA 06, 115, Abruf-Nr. 061349 = NJW 06, 1960). Nur ein Randthema ist die Erheblichkeitsfrage in BGH VA 05, 185, Abruf-Nr. 052887 = NJW 05, 3490 (Blechschäden), und in BGH VA 07, 62, Abruf-Nr. 070704 (Krad mit vertragswidriger Laufleistung). Dass die Instanzgerichte mangels konkreter Vorgaben jahrelang „schwimmen“ werden, war zu erwarten. Bei behebbaren Mängeln setzt sich allmählich die Lösung durch, die den Reparaturkostenaufwand in ein Verhältnis zum Kaufpreis setzt. Die Bagatellgrenze liegt zwischen 3 und 10 % (siehe die nachfolgende Kasuistik).

     

    7.Ungeklärte Probleme: Noch nicht geklärt sind folgende Fragen:
    • Ist bei behebbaren Mängeln stets nur auf die Höhe der Mängelbeseitigungskosten im Verhältnis zum Kaufpreis bzw. Wert des Fahrzeugs abzustellen?
    • Welcher Maßstab gilt bei einem unbehebbaren Mangel?
    • Wie ist die Rücktrittsschwelle bei einer Häufung von geringfügigen Mängeln zu ermitteln, wie bei einer Mischung aus behebbaren und unbehebbaren?
    • Beurteilt sich die Erheblichkeit allein nach den Umständen im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung? Oder müssen auch nachträgliche Geschehnisse wie z.B. ein selbsttätiges Verschwinden der Störung oder eine Mängelbeseitigung durch den Sachverständigen einbezogen werden.
    • Welche Reaktionsmöglichkeiten hat ein Käufer materiellrechtlich wie prozessual, wenn ein für erheblich gehaltener Mangel – nach bereits erklärtem Rücktritt – infolge neuer Erkenntnisse (z.B. Gutachten, Gericht) an der Rücktrittsschwelle hängen zu bleiben droht?

     

    8.Praxistipps für den Käufer-Anwalt: Angesichts der desolaten Rechtslage sind Anwälte von Käufern gut beraten, vor Ausübung des Rücktrittsrechts eine sorgfältige Bestandsaufnahme zu machen, zumal bei behebbaren Mängeln. Was ist noch vorhanden, was ist im Zuge einer Nachbesserungsaktion eventuell beseitigt oder wenigstens „ausgebessert“ worden, ggf. mit Wertzuwachs? Sind sämtliche Mängel aus der Nachbesserungsstation heraus oder hat der Verkäufer punktuell noch das Recht zur zweiten Andienung? s. dazu BGH NJW 05, 3490. Im Zweifel ist von einem Rücktritt abzusehen und auf Minderung bzw. „kleiner“ Schadensersatz zu setzen. In beiden Fällen genügt ein geringfügiger Mangel. An den einmal erklärten Rücktritt ist der Käufer grundsätzlich gebunden. Er kann ihn nicht nach Belieben zurücknehmen und stattdessen z. B. Minderung verlangen. Anders ist es, wenn der Rücktritt wegen Unerheblichkeit der Pflichtverletzung ausgeschlossen ist. Für diesen Fall wird ein Übergang zur Minderung/“kleiner“ Schadensersatz anerkannt, auch während des Prozesses, was als Klageänderung anzusehen ist (wobei für den erledigten „Rücktrittsteil“, je nach Ziel des Käufers, die Klagerücknahme, der Klageverzicht oder die Teil-Erledigterklärung in Frage kommen, vgl. BGH NJW 94, 425). Zum Nebeneinander der einzelnen Rechtsbehelfe s. VA 06, 98 ff. Auch wenn die Darlegungs- und Beweislast nicht beim Käufer liegt: Spätestens nach Erhebung des Bagatelleinwands muss er seine gegenteilige Sicht darlegen. Hilfreich sind u.a. folgende Behauptungen: arglistige Täuschung, fahrlässiges Fehlverhalten, Beschaffenheitsgarantie nicht eingehalten, Bruch einer „schlichten“ Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB). Bei vorsätzlicher Täuschung (Arglist) kann der Käufer auch in einem „Bagatellfall“ eine Rückabwicklung über § 123 BGB erreichen (ggf. Umdeutung des Rücktritts).

     

    9.Praxistipps für den Verkäufer-Anwalt: Da der Verkäufer die Darlegungs- und Beweislast für den Ausschlussgrund der Unerheblichkeit trägt, ist es die Aufgabe seines Anwalts, umfassend zu diesem Thema vorzutragen und Beweis anzutreten. Herauszustellen ist, dass das Integritäts- und Nutzungsinteresse des Käufers, wenn überhaupt, nur geringfügig beeinträchtigt ist und eine Minderung des Kaufpreises voll genügt. Bei den klassischen Gebrauchtwagen-Mängeln „Unfallschaden“ und „überhöhte Laufleistung“ kann ggf. schon auf der Vorstufe mit der Bagatellisierung begonnen werden, d.h. geringfügige Abweichungen sind bereits im Wege der Vertragsauslegung herauszufiltern. Gleiches gilt für Abweichungen beim Alter bzw. dem EZ-Datum, auch für technische Defizite bei Neufahrzeugen wie z.B. Leistungseinbußen (z.B. OLG Düsseldorf NJW 05, 3504 – Höchstgeschwindigkeit) und Spritmehrverbrauch. Bei technischen Defekten an Gebrauchtfahrzeugen ist stets an den Verschleißeinwand zu denken. Bei „echten“ Mängeln, die sich beseitigen lassen, hat sich die Vorlage von Kostenvoranschlägen als nützlich erwiesen. Damit kann verdeutlicht werden, mit welch geringem Aufwand der Mangel zu beseitigen ist. Auch eine hohe km-Laufleistung bzw. lange Nutzungszeit beim Käufer kann den Bagatellcharakter belegen.

     

     

     

    II. Checkliste: Neuwagenkauf „Erheblichkeit bejaht“

    Sachverhalt  

    Entscheidung  

    Pkw unbekannten Typs, Vibrationsgeräusche am Lenkrad, Schwergängigkeit Tür hi. li., irregulärer Geradeauslauf  

    öster. OGH ZVR 06, 285, Abruf-Nr. 061668 

    Mercedes Benz CL 500 Coupe, Tageszulassung, Leasingwagen, wiederholter Ausfall der Elektronik, z.B. Komplettabstürze des Info-Systems  

    OLG Düsseldorf 10.2.06, 22 U 149/05, Abruf-Nr. 070166,  

    Citroen C 8 HDI, Einstufung als „Euro 2” statt – wie vereinbart – nach „Euro 3”  

    LG Münster 6.12.06, 8 O 320/06 (nrkr.), Abruf-Nr. 071255 

     

    VW Passat, mit Normalbenzin nicht fahrbar  

    LG Schwerin DAR 06, 512  

    Mercedes Benz, E 270 CDI, zahlreiche Elektronikmängel, isoliert betrachtet geringfügig, in der Summe aber erheblich  

    LG Zweibrücken SVR 05, 188