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  • · Fachbeitrag · Gutachten

    Die Pflichten des Schadengutachters: eine Gesamtschau angesichts der BGH-Rechtsprechung

    | Ständige Angriffe der Versicherungswirtschaft auf das Schadengutachten bis hin zu vereinzelten Regressforderungen der Versicherer gegen den Gutachter fallen auf. Manchmal berechtigt. Denn es gibt vereinzelt Gutachter, die mit minimalem Aufwand maximales Honorar anstreben und nur Standard abliefern, der bei Licht besehen oft den Qualitätsansprüchen nicht genügt. Das hat uns veranlasst, die jüngere Rechtsprechung des Schadenrechtssenats des BGH durchzusehen. Lesen Sie, was der BGH zu den Anforderungen an das Gutachten und zu den Pflichten des Gutachters gesagt hat. |

    Das Schadengutachten hat eine herausragende Bedeutung

    Das Schadengutachten hat für den Geschädigten eine herausragende Bedeutung. Der Geschädigte darf sich auf das Gutachten verlassen. Denn dessen Sinn liegt ja gerade darin, dem Geschädigten fachmännisch zum Schaden und zur Reparatur zu sagen, was er als Laie selbst nicht weiß. Deshalb muss alles darangesetzt werden, dass der Wert des Schadengutachtens erhalten bleibt. Denn einerseits schützt das hochwertige und von den Gerichten anerkannte Schadengutachten den Geschädigten und in dessen Windschatten auch die Werkstatt. Andererseits ist es die Lebensgrundlage des Schadengutachters.

    Der Grundsatz

    Den Obersatz für den Normalfall eines Gutachtenauftrags ohne Sonderwünsche hat der BGH in einem Regressprozess gegen einen Schadengutachter aufgestellt: „Beauftragt der Geschädigte ‒ wie im Streitfall ‒ den Gutachter mit der Schadensschätzung zum Zwecke der Schadensregulierung, hat der Sachverständige das Gutachten unter Berücksichtigung der geltenden Rechtsprechung zum Schadensersatz bei KFZ-Unfällen zu erstellen.“ (BGH, Urteil vom 13.01.2009, Az. VI ZR 205/08, Rz. 8, Abruf-Nr. 090691).

     

    Daraus folgt, dass sich der qualifizierte Schadengutachter stets und ständig informieren muss, wie die aktuelle Rechtsprechung zu den einzelnen Schadenpositionen ist. Und daraus folgt auch, dass der Schadengutachter nicht nur Standards abarbeiten darf. Wenn es Besonderheiten gibt, z. B. im Hinblick auf die Marktpositionierung, müssen diese Besonderheiten auch beachtet und in das Gutachten eingearbeitet werden.

    Besonderheiten berücksichtigen

    Dass die Besonderheiten berücksichtigt werden müssen, zeigt ein aktueller Fall des BGH, in dem er sich zu den Anforderungen an ein Schadengutachten geäußert hat. Das war der Fall mit dem Großkundenrabatt, der angerechnet werden muss. Der Schadengutachter hatte mit den nicht rabattierten Normalpreisen kalkuliert. Dieses Gutachten schied damit als brauchbare Rechtsgrundlage für eine Schätzung der Schadenhöhe durch das Gericht aus, denn:

     

    „Das Gutachten stellt allerdings nur dann eine sachgerechte Grundlage für die gemäß § 287 ZPO vom Tatrichter vorzunehmende Schadensschätzung dar, wenn es hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden.“ (BGH, Urteil vom 29.10.2019, Az. VI ZR 45/19, Rz. 13, Abruf-Nr. 212615).

     

    Jetzt hören wir schon manchen Schadengutachter empört rufen, er wisse doch gar nicht, ob der Geschädigte einen Großkundennachlass eingeräumt bekomme und wenn ja, in welcher Höhe. Und wer sich dabei heimlich denkt, er wolle es auch gar nicht wissen, denn das mache ja Arbeit, gefährdet auf lange Sicht die Bedeutung des Gutachtens.

     

    Denn laut BGH geht es um den „konkreten Schadenfall“ und nicht um den standardisierten. Wer es nicht weiß, muss jedenfalls dann fragen, wenn es Anhaltspunkte gibt. Wenn der Geschädigte wie im BGH-Fall ein Unternehmen mit einer hohen vierstelligen oder gar fünfstelligen Anzahl von Fahrzeugen ist, fällt er wohl in die Gruppe der Kunden, die Anlass zum Fragen gibt.

     

    PRAXISTIPP | Da so eine Flotte in der Regel dauerhaft betreut wird, muss man ja auch nicht jedes Mal aufs Neue fragen. Ein halbjährlicher oder jährlicher Abgleich, ob die bisherige Liste über die verschiedenen Marken hinweg noch richtig ist, genügt da wohl.

     

    Es gibt Hersteller, die Rabattprogramme für Taxiunternehmen oder Fahrschulen eingerichtet haben. Also ist auch so etwas Anlass zum Fragen. Dasselbe gilt für Leasingfahrzeuge.

     

    Wichtig | Wir behaupten hier nicht, dass es da immer einen Großkundennachlass gebe. Wir sagen nur, dass es Anlass zum Fragen gibt.

    Das Fragen ist auch zumutbar

    Es gibt Fragen, an die hat man sich gewöhnt. Der Klassiker „Sind Sie vorsteuerabzugsberechtigt?“ Niemand regt sich auf, diese Frage stellen zu müssen, schon weil es um die Art und Weise der Bezahlung der Rechnung geht. Jetzt sind es eben zwei Fragen mehr (Auch wenn man „gestern“ noch nicht gefragt hat, „heute“ muss man es.):

     

    • 1. Ist das ein Leasingfahrzeug? Marktkenner wissen, wann es Anlass zu der Frage gibt. Beim sieben Jahre alten Gebrauchtwagen sicher nicht, bei Fahrzeugen bis zum Alter von vier Jahren schon, bei den typischen Firmenfahrzeugen erst recht.
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    • 2. Bekommen Sie auf Reparaturkosten einen Nachlass? Und auch diese Frage drängt sich erst dann auf, wenn die Flotte groß oder in irgendeiner Weise Sonderrabattprogramm-verdächtig ist. Im Übrigen ist der Ansprechpartner häufig ohnehin der Serviceberater der Werkstatt.

    Konsequenzen des fehlerhaften Gutachtens

    Hinsichtlich der Verlässlichkeit

    Der Geschädigte weiß in den Rabattfällen, dass er einen Nachlass bekommt. Und er sieht auf einen Blick, dass der Gutachter den Großkundenrabatt nicht berücksichtigt hat.

     

    Er sieht sogleich, dass das Gutachten nicht „... hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden.“ Also ist es für ihn auch keine zuverlässige Grundlage. Selbst, wenn der Geschädigte in Erwartung der ermittelten Schadensumme bereits Dispositionen getroffen hat, ist er nicht schützenswert.

     

    Hinsichtlich Honorarerstattung

    Im Grundsatz gilt: Der Schädiger muss auch die Kosten für ein fehlerhaftes Schadengutachten erstatten, denn der Geschädigte hat im Regelfall keinen Einfluss darauf, ob der Schadengutachter seine Arbeit richtig oder fehlerbehaftet abliefert. Und er kann es auch nicht erkennen. Selbst der Versicherer, so schrieb süffisant das AG Wesel, müsse dafür ja erst einen externen Dienstleister beauftragen (AG Wesel, Urteil vom 21.11.2019, Az. 26 C 90/19, Abruf-Nr. 213268).

     

    Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Schädiger/Versicherer auch die Kosten von fehlerhaften Schadengutachten übernehmen müsse, liegt jedoch vor, wenn der Geschädigte für die Fehlerhaftigkeit der Expertise selbst verantwortlich ist.

     

    Hat der Geschädigte also die Frage des Gutachters unzutreffend oder mit einem „Das geht Sie nichts an“ beantwortet, hat er die auf den konkreten Fall (s. o., BGH) bezogene Fehlerhaftigkeit des Schadengutachtens selbst zu verantworten. Dann muss der Versicherer die Kosten nicht erstatten. Der Schadengutachter hat aber Anspruch auf sein Honorar gegenüber dem Geschädigten. Inwieweit ihm das unter geschäftspolitischen Gesichtspunkten hilft, muss er dann selbst entscheiden.

     

    Doch unabhängig davon, ob der Gutachter gefragt hat, liegt es ziemlich offen auf der Hand, dass der Geschädigte den Gutachter auch ungefragt über solche Sonderumstände informieren muss. Er kann sich dann auch nicht damit aus der Affäre ziehen, er habe doch gar nicht selbst mit dem Gutachter gesprochen, das habe doch der Werkstattmitarbeiter erledigt. Wer einen solchen Boten einschaltet, muss einen solchen Boten informieren.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Beitrag „Wenn der Regress an die Tür klopft: Ein Alarmplan für Werkstätten und Schadengutachter“, UE 7/2018, Seite 12 → Abruf-Nr. 45362037
    • Beitrag „Fehlerhaftes Gutachten aufgrund verschwiegenen Vorschadens“, UE 3/2019, Seite 5 → Abruf-Nr. 45725082
    Quelle: Ausgabe 02 / 2020 | Seite 15 | ID 46296612