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  • · Fachbeitrag · Ausfallschaden

    Reparaturdauer: Hat der Geschädigte die Pflicht zur Beschleunigung, wenn ja, in welchem Umfang?

    | Die Reparatur hat länger gedauert, als vom Gutachter prognostiziert. Der Versicherer wendet ein, dann habe der Geschädigte eben seine Pflicht verletzt, die Reparatur zu beschleunigen. Das veranlasst uns, die Thematik der Beschleunigungspflichten des Geschädigten im Hinblick auf den Ablauf der Schadenbeseitigung einmal näher und umfassend zu beleuchten. |

    Chapeau! Besser kann man es nicht formulieren.

    Großartig ist, wie ein Amtsrichter aus Chemnitz auf den Punkt kommt. „Bedauerlicherweise hat die Beklagte nicht aktenkundig gemacht, auf welche Weise ein Kunde ‒ der Kläger ‒ in der Lage sein soll, ‚bei einer verzögerten Reparatur … diese voranzutreiben‘. Ein derartiges und womöglich allgemein gültiges Beschleunigungs- bzw. Durchsetzungsinstrument hätte das Gericht wahrhaftig gern selbst zur Hand. Indes: Es ist, wie es ist; es ist nicht so, wie es sein sollte, und erst recht nicht, wie es die Beklagte gern hätte.“ (AG Chemnitz, Urteil vom 13.02.2019, Az. 21 C 2120/18, Abruf-Nr. 207292, eingesandt von Rechtsanwältin Susann Hüttinger, Hohenfichte).

     

    Das veranlasst uns, die Thematik der Beschleunigungspflichten des Geschädigten im Hinblick auf den Ablauf der Schadenbeseitigung einmal näher und umfassend zu beleuchten.

     

    Das Grundproblem: Der Unfall trifft den Geschädigten völlig überraschend. Er hat in seinem Terminkalender keine Zeit für „Unfallabwicklung“ reserviert. Er kann seinen normalen Tagesablauf am Unfalltag und an den Tagen danach nicht einstellen, um sich vollzeitig um die nun nötigen Schritte kümmern zu können. Und so kommt es nun ganz auf seine individuelle Situation an.

     

    Der Rentner mit einem Unfall im heimischen Umfeld kann sich womöglich sofort kümmern. Wer den Unfall beim Start zu einer Geschäftsreise oder auf einer solchen Reise unterwegs hat, kann zweifellos noch seine Termine zu Ende bringen.

    Im Vorfeld der Reparatur

    Das verunfallte Fahrzeug ist noch fahrfähig und verkehrssicher

    Ist das beschädigte Fahrzeug noch fahrfähig und verkehrssicher, ist es gleichgültig, wann der Geschädigte was veranlasst. Ob er das Gutachten heute, morgen oder nächsten Monat einholt, ist ohne Bedeutung. Denn Verzögerungen führen ja nicht zu Schadenerweiterungen. Der einzige Grund, das Gutachten schnell zu veranlassen, ist: An jedem weiteren Tag könnte ein weiteres Schadenereignis eintreten, das die Abgrenzung von Schaden alt zu Schaden neu erschwert oder unmöglich macht.

     

    Das verunfallte Fahrzeug ist unfallbedingt nicht mehr nutzbar

    Ist das verunfallte Fahrzeug unfallbedingt nicht mehr nutzbar und auch nicht durch eine Notreparatur wieder nutzbar zu machen, führen vermeidbare Verzögerungen zu vermeidbaren Schadenerweiterungen im Hinblick auf den Ausfallschaden und das Standgeld. Der berechtigte Vorwurf eines Verstoßes gegen die Schadenminderungspflicht liegt dann nahe.

     

    Der Geschädigte muss so schnell wie möglich die Begutachtung veranlassen. Das geht auch von unterwegs telefonisch. Nach Erhalt des Gutachtens hat er zwei bis drei Tage Überlegungszeit, um zu entscheiden, was er nun tut.

    Im Zuge der Reparatur

    Entscheidet der Geschädigte sich für die Reparatur, ist wieder zu unterscheiden zwischen einem unfallbedingt noch nutzbaren und einem nicht mehr nutzbaren Fahrzeug.

     

    Das verunfallte Fahrzeug ist noch fahrfähig und verkehrssicher

    Ist das beschädigte Fahrzeug noch fahrfähig und verkehrssicher, kann der Geschädigte die Reparatur insoweit planen, dass er mit der Werkstatt einen Termin abspricht, zu dem es zu keinen weiteren Verzögerungen kommt. Der Termin kann also an die Werkstattauslastung angepasst werden.

     

    Kommt es dann dennoch zu für den Geschädigten im Vorfeld nicht erkennbaren Verzögerungen, kann dem Geschädigten jedoch kein Vorwurf gemacht werden.

     

    Wichtig | Es gibt Rechtsprechung, der Geschädigte müsse erst sicherstellen, dass die Ersatzteile da sind. Lasse er das Fahrzeug zerlegen und könne es wegen Ersatzteilrückstands dann nicht fertiggestellt werden, sei das eine vorwerfbar vermeidbare Verzögerung (AG Paderborn, Urteil vom 14.11.2014, Az. 50 C 169/14, Abruf-Nr. 143779; AG Bautzen, Urteil vom 14.01.2015, Az. 20 C 347/14, Abruf-Nr. 143778; AG Köln, Urteil vom 29.06.2016, Az. 276 C 39/16, Abruf-Nr. 188476). Hier ist also Vorsicht geboten, auch wenn die gegenteilige Rechtsprechung (LG Frankenthal/Pfalz, Urteil vom 01.02.2012, Az. 3a C 49/11, Abruf-Nr. 207352) richtiger erscheint.

     

    Das verunfallte Fahrzeug ist unfallbedingt nicht mehr nutzbar

    Ist das verunfallte Fahrzeug unfallbedingt nicht mehr nutzbar, muss sich der Geschädigte um eine baldige Reparatur bemühen, wenn er sich nach Erhalt des Gutachtens und der Überlegungszeit für eine Reparatur entschieden hat.

     

    Nun hat seine Stammwerkstatt ja zumeist nicht mit leeren Hallen auf diesen Kunden und seinen Unfall gewartet. Einen gewissen Zeitpuffer bis zum Reparaturbeginn wird der Schädiger hinnehmen müssen. Denn alternative Bemühungen, eine qualifizierte Werkstatt zu finden, die „morgen“ anfängt, dürfte auch ein paar Tage dauern. Das hebt sich auf.

     

    Wichtig | Teilt die Stammwerkstatt aber schon im Vorfeld mit, wegen wie auch immer begründeten Kapazitätsengpässen erst nach längerer Zeit anfangen zu können, kann der Geschädigte nicht einfach untätig auf den Reparaturbeginn am Sankt Nimmerleinstag warten. Er wird Alternativen prüfen müssen.

     

    Am Ende ist das eine Frage des Einzelfalls und der Umstände, wie viele Tage er warten durfte und ab wann es ihm zumutbar ist, Alternativen zu suchen. Kann er davon ausgehen, dass die Werkstatt alsbald mit der Reparatur beginnt, hat er also ohne Auswahlverschulden eine grundsätzlich leistungsfähige Werkstatt ausgewählt, gibt er sein Fahrzeug dort zur Reparatur. Und damit enden seine Einflussmöglichkeiten.

     

    Der BGH ist da seit Jahrzehnten sehr lebensnah unterwegs, wenn er sagt: „Die Schadenbetrachtung hat sich in diesen Fällen nicht nur an objektiven Kriterien zu orientieren, sondern ist auch subjektbezogen. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass den Kenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, vor allem, sobald er einen Reparaturauftrag erteilt hat und das zu reparierende Fahrzeug in die Hände von Werkstätten gibt.“ (BGH, Urteil vom 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73).

     

    Der BGH betont in derselben Entscheidung dann auch noch, dass die Schadenbeseitigung in einer fremdem und damit vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Sphäre stattfindet.

     

    Er darf also zunächst einmal darauf vertrauen, dass nun alles seinen Gang geht.

    Nachfrage zum prognostizierten Reparaturende

    Zum prognostizierten Reparaturende muss der Geschädigte nachhaken, wie weit die Reparatur denn ist. Bekommt er dann den Hinweis, dass sich die Reparatur verzögert, wird er das in den meisten Fällen nur hinnehmen können. Denn die Reparatur dort abzubrechen und die Fertigstellung in einer anderen Werkstatt vornehmen zu lassen, wird wohl selten zu einer Beschleunigung führen. Eher ist das Gegenteil der Fall.

     

    Nur in extremen Fällen kann ein Werkstattwechsel während der Reparatur zumutbar und sinnvoll sein. Insolvenz der Werkstatt könnte so ein Grund sein. Im ersten Schritt ist jedoch sogar so ein Risiko vom Schädiger zu tragen (OLG Köln, Urteil vom 19.07.2005, Az. 4 U 35/04, Abruf-Nr. 061120). Ist dann aber absehbar, dass es in der gewählten Werkstatt kurzfristig nicht mehr weitergeht, muss der Geschädigte ggf. reagieren.

     

    Weiterführende Hinweise

    Quelle: Ausgabe 03 / 2019 | Seite 7 | ID 45763698