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  • · Fachbeitrag · Mietwagen

    Überblick behalten im Mietwagen-Chaos: Das sagen die Gerichte

    | Die Mietwagenkosten dominieren das Regulierungsgeschehen. Dabei ist die Frage aller Fragen „Was dürfen wir für den Mietwagen berechnen?“. Zu dieser Tariffrage gesellen sich weitere Themen. Zum Beispiel die Mietpreisvorgaben der Versicherer oder die Frage, was passiert, wenn ein Mietwagen nicht als Mietwagen zugelassen ist. Anlass für Streit bieten auch oft die Dauer der Mietwagenanmietung, deren generelle Notwendigkeit oder die Vorfinanzierung durch den Geschädigten. Erfahren Sie, wie die Gerichte die einzelnen Fragen beurteilen. |

    Der Mietwagentarif

    Die Frage aller Fragen, Was dürfen wir für den Mietwagen berechnen?, kann niemand exakt beantworten. Fast jedes Gericht kocht sein eigenes Süppchen, das entweder mit Schwacke oder mit Fraunhofer oder mit einer Mischung aus beidem oder gar mit Eigenkreationen gewürzt ist. Da hilft nur eines: sich einen Überblick zu verschaffen über die örtliche Rechtsprechung und die Mietwagenpreise daran anpassen.

     

    PRAXISHINWEIS | Die Rechtsprechung zum Mietwagentarif von rund einem Drittel aller deutschen Zivilgerichte finden Sie in der Übersicht „Grundlage der Erstattung von Mietwagenkosten bei Unfallschäden an den deutschen Zivilgerichten“. Mehr dazu am Ende des Beitrags unter „Weiterführender Hinweis“.

     

    Grundsätze zur Tariffrage

    Die BGH-Rechtsprechung zum Tarif lässt sich wie folgt zusammenfassen:

     

    • In den seltenen Situationen der sofortigen Fahrzeuganmietung nach dem Unfall („Not- und Eilsituation“) hat der Geschädigte keine Preisvergleichspflicht. Fällt der Preis nicht völlig aus dem Rahmen, muss der Versicherer die Kosten erstatten. Im Einzelfall kann es erforderlich sein, dass der Geschädigte ein zu teures Mietfahrzeug - sobald möglich - umtauscht. Maßgebend dafür sind die Umstände des Falles.

     

    • Liegt auch nur ein Tag zwischen Unfall und Anmietung, muss der Geschädigte vor der Anmietung die Preise vergleichen. Tut er das - wie üblich - nicht, bekommt er nur den üblichen Betrag erstattet. Wie „das Übliche“ ermittelt wird, überlässt der BGH den jeweiligen Gerichten. Das führt zum derzeitigen Chaos. Die einen sagen so, die anderen sagen so …

     

    Mietwagenpreisvorgaben des Versicherers

    Im Grundsatz ist es möglich, dass der Versicherer den Geschädigten eine Möglichkeit zur günstigen Anmietung nachweist. Das allerdings muss geschehen, bevor der Geschädigte einen Mietwagen genommen hat.

     

    Die benannten Angebote müssen aber allgemein zugängliche Preise enthalten. Versicherungssonderpreise sind schadenrechtlich nie relevant (BGH, Urteil vom 22.6.2010, Az. VI ZR 337/09, Abruf-Nr. 102168).

     

    • Das Schreiben eines großen Versicherers, das lediglich Nettopreise benennt, halten viele Gerichte bereits wegen der darin liegenden Irreführung für bedeutungslos (zum Beispiel: AG Bonn, Urteil vom 29.11.2012, Az. 111 C 152/12, Abruf-Nr. 123747).

     

    • Allgemeine Hinweise nach dem Motto „Mietwagen kosten üblicherweise nicht mehr als ...“ sind nach überwiegender Auffassung der Gerichte per se nicht beachtlich. Das AG Potsdam hält ein solches Schreiben für „inhaltsleer“ (Urteil vom 1.11.2011, Az. 21 C 206/11, Abruf-Nr. 113910). Das LG Halle/Saale meint sogar: Der Versicherer müsse ein so konkretes Angebot eines von ihm bevorzugten Vermieters vorlegen, dass der Geschädigte dazu nur noch „Ja“ sagen brauche. Das Angebot müsse nicht vom Vermieter selbst formuliert sein. Es würde auch genügen, dass der Versicherer aufgrund eines Rahmenvertrages mit dem Vermieter berechtigt sei, selbst rechtsverbindliche Erklärungen für ihn abzugeben. Jedenfalls müsse klar sein, welches Auto wann und wo konkret für welche Konditionen für den noch unbestimmten erforderlichen Zeitraum angemietet werden könne (LG Halle/Saale, Urteil vom 3.3.2011, Az. 1 S 34/10, Abruf-Nr. 110980).

     

    Wichtig | Einzelne Gerichte (insbesondere in Coburg und Nürnberg) halten solche Informationsschreiben doch für beachtlich.

    Die Tummelplätze neben dem Tarif

    Neben der Tariffrage gibt es eine ganze Reihe weiterer Tummelplätze, auf denen sich mit den Versicherern trefflich streiten lässt:

     

    Mietwagen nicht als Mietwagen zugelassen

    Nicht selten fordern die eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherer eine Kopie der Zulassungsbescheinigung an, um zu prüfen, ob das vermietete Fahrzeug als „Vermietfahrzeug für Selbstfahrer“ zugelassen ist.

     

    Schadenrechtlich, also im Verhältnis zum gegnerischen Versicherer kommt es darauf nicht an (AG Bielefeld, Urteil vom 12.1.2010, Az. 42 C 777/09, Abruf-Nr. 100339; AG Duderstadt, Urteil vom 9.2.2011, Az. 11 C 311/10, Abruf-Nr. 120366; AG Villingen-Schwenningen, Urteil vom 25.5.2011, Az. 6 C 49/11, Abruf-Nr. 111948; AG Landshut, Urteil vom 13.12.2013, Az. 10 C 1632/13, Abruf. Nr. 142219; AG Olpe, Urteil vom 23.4.2014, Az. 25 C 835/12, Abruf-Nr. 141301).

     

    Dennoch: Nicht als Vermietfahrzeug für Selbstfahrer zugelassene Fahrzeuge als Mietwagen einzusetzen, birgt Risiken. Einerseits ist das eine abmahnungsfähige Verhaltensweise. Andererseits kann es existenzbedrohende Schwierigkeiten mit der eigenen Versicherung geben. Und zwar dann, wenn die mit einer Vermietung nicht ausdrücklich einverstanden ist. In den vielfach verwendeten Multi-Risk-Policen finden sich oft Hinweise dazu. Letztlich sind Schwierigkeiten mit der Zulassungsstelle zu befürchten.

     

    Dauer der Mietwagennutzung

    Der Geschädigte darf den Mietwagen so lange nutzen, wie ihm nicht der Vorwurf der Trödelei gemacht werden kann. Unterstellt, sein Fahrzeug ist ab dem Unfall nicht mehr nutzbar, gehören dazu die Wartezeit auf das Gutachten und eine angemessene bis zu dreitägige Überlegungszeit, ob repariert oder ersatzbeschafft werden soll (BGH, Urteil vom 5.2.2013, Az. VI ZR 363/11, Abruf-Nr. 130595). Verlängern Feiertage oder lokal arbeitsfreie Tage den Gesamtzeitraum, ist das das Risiko des Schädigers (BGH, Urteil vom 5.2.2013, Az. VI ZR 363/11, Abruf-Nr. 130595).

     

    Ersatzeilrückstände, erkrankte Mitarbeiter etc. sind vom Geschädigten nicht zu beeinflussen. Verzögerungen dadurch fallen als sogenanntes Werkstattrisiko auch dem Schädiger zur Last (BGH, Urteil vom 15.10.1991, Az. VI ZR 314/90, Abruf-Nr. 092354).

     

    Ein unfallbedingt fahrfähiges und verkehrssicheres Fahrzeug darf der Geschädigte für eine zwei- oder dreitägige Reparatur nicht über das Wochenende in die Werkstatt geben. Gerichte haben auch schon entschieden, dass der Geschädigte ein fahrfähiges Fahrzeug erst zur Reparatur geben dürfe, wenn die benötigten Ersatzteile bei der Werkstatt eingetroffen sind (AG Paderborn, Urteil vom 14.11.2014, Az. 50 C 169/14, Abruf-Nr. 143779, AG Bautzen, Urteil vom 14.1.2015, Az. 20 C 347/14, Abruf-Nr. 143778).

     

    Hier ist also Vorsicht geboten, auch wenn die gegenteilige Rechtsprechung richtiger erscheint (LG Frankenthal/Pfalz, Urteil vom 1.2.2012, Az. 2 S 280/11, Abruf-Nr. 120943). Der Geschädigte darf darauf vertrauen, dass die Werkstatt - erst recht die der Marke - die Ersatzteile wird beschaffen können.

     

    PRAXISHINWEIS | Wird der Mietwagen länger genutzt, als vom Schädiger vorhersehbar, muss der Geschädigte den Versicherer im Sinne von § 254 Abs. 2 BGB warnen. Das sind vor allem die Fälle, bei denen der Kunde nicht in der Lage ist, den Schaden vorzufinanzieren und sich deshalb erst traut, den Auftrag zu erteilen, wenn der Versicherer zugesagt hat. Ferner sind es die Fälle, bei denen die Werkstatt vom Werkunternehmerpfandrecht Gebrauch macht. Der Sinn ist leicht zu erkennen: Wenn der Versicherer das weiß, kann er die Akte mit Priorität bearbeiten. Der Warnhinweis ist auch bei Ersatzteilrückständen sinnvoll.

     

    Keine Pflicht, Kredit aufzunehmen oder Vollkasko in Anspruch zu nehmen

    Um die beschriebenen Verzögerungen abzuwenden, ist der Geschädigte nicht verpflichtet, einen Kredit aufzunehmen oder seinen Dispokredit in Anspruch zu nehmen (LG Potsdam, Urteil vom 3.3.2015, Az. 11 O 166/14, Abruf-Nr. 144019). Er muss auch nicht zur Zwischenfinanzierung auf seine Vollkaskoversicherung zugreifen (zum Beispiel: OLG Schleswig, Urteil vom 30.8.2012, Az. 7 U 146/11, Abruf-Nr. 132194).

     

    Geschädigter hätte gar keinen Mietwagen in Anspruch nehmen dürfen

    Immer häufiger wenden Versicherer ein, der Geschädigte hätte gar keinen Mietwagen in Anspruch nehmen dürfen.

     

    • Häufigstes Argument: Der Geschädigte sei weniger als 20 km/Tag gefahren, Taxi, Bus und Bahn wären billiger gewesen. Der BGH hat entschieden: Für eine erste Überlegung mag die 20 km/Tag-Faustregel Bedeutung habe. Es sei aber immer auch auf den Einzelfall zu schauen. Denn es seien Fälle denkbar, bei denen es auf die pure Verfügbarkeit des Fahrzeugs ankomme (BGH, Urteil vom 5.2.2013, Az. VI ZR 290/11, Abruf-Nr. 130926). Beispiele aus der Rechtsprechung betreffen
      • Handwerker, die das Material auch auf kurzen Wegen nicht mit Bus oder Taxi transportieren können (AG Berlin-Mitte, Urteil vom 8.5.2012, Az. 102 C 3316/11, Abruf-Nr. 121818),
      • Geschädigte, die einen Notdienst versehen und deshalb nicht wissen, ob sie ein Fahrzeug brauchen werden oder nicht (AG Leipzig, Urteil vom 3.3.2010, Az. 113 C 2323/09, Abruf-Nr. 100974) oder
      • Geschädigte, die in Gegenden ohne Versorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln leben (zum Beispiel: AG Aachen, Urteil vom 21.1.2010, Az. 113 C 207/09, Abruf-Nr. 100812).

     

    • Beim Argument, dem Geschädigten stünde ein Zweitwagen zur Verfügung, kommt es darauf an, ob der Geschädigte jederzeit auf diesen zugreifen kann. Ist das der Fall, hat er keinen Anspruch auf einen Mietwagen (LG Düsseldorf, Urteil vom 3.3.2011, Az. 2 O 624/09, Abruf-Nr. 120251). Das muss aber ein zumutbar nutzbares Fahrzeug sein, was zum Beispiel bei einem Oldtimer oder einem Extremsportwagen nicht der Fall wäre. Und auch ein Zweitwagen, den ein Familienangehöriger regelmäßig nutzt, ist kein Hindernis für die Anmietung eines Mietwagens (AG Miesbach, Urteil vom 13.8.2009, Az. 1 C 1077/08, Abruf-Nr. 101653).

     

     

    Kosten versus Imageschaden und Kundenverlust

    Bei Kleingewerbetreibenden oder auch bei Fahrschulen kommt es nicht allein darauf an, ob der entgangene Gewinn niedriger wäre, als die Mietwagenkosten. Es muss abgewogen werden, ob ohne Mietwagen wegen der Unzuverlässigkeit den Kunden gegenüber ein Imageschaden und Kundenverlust drohen (BGH, Urteil vom 19.3.1993, Az. VI ZR 20/93, Abruf-Nr. 101687).

     

    Weiterführender Hinweis

    • Die Übersicht „Grundlage der Erstattung von Mietwagenkosten bei Unfallschäden an den deutschen Zivilgerichten“ steht Ihnen auf ue.iww.de unter Downloads → Arbeitshilfen zur Verfügung. Sie finden „Ihr“ Gericht in dem PDF-Dokument schnell, wenn Sie mit der Tastenkombination „Strg + F“ die Suchfunktion aktivieren und das entsprechende Gericht in den Suchschlitz eingeben.
    Quelle: Ausgabe 07 / 2015 | Seite 14 | ID 43485173