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  • · Patientenaufklärung

    BGH: Honoraranspruch trotz Verletzung der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht

    Bild: ©Studio_East - stock.adobe.com

    von Anja Mehling, RAin und FAin für MedR, Hamburg

    | § 630c Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) regelt die wirtschaftlichen Informationspflichten des Behandelnden im Zusammenhang mit den finanziellen Folgen der Behandlung. Verletzt der Behandelnde diese Informationspflicht, behält er trotzdem seinen Honoraranspruch ‒ es sei denn, der Patient kann beweisen, dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung gegen die angebotene Behandlung entschieden hätte (Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 28.01.2020, Az. VI ZR 92/19, Abruf-Nr. 214363 ). Obwohl es in dem Urteil um eine ärztliche Behandlung geht, sind die Feststellungen aufgrund der vergleichbaren Sachlage auf die zahnärztliche Behandlung übertragbar und ebenso für Zahnärzte relevant. |

    Sachverhalt

    Gegenstand der Entscheidung war die von der Patientenseite geforderte vollständige Rückzahlung der Kosten für die Behandlung eines Venenleidens. Der beklagte Chirurg hatte die Behandlung nach einer neu entwickelten Methode durchgeführt, nachdem die Patientin das nachfolgende Formular unterzeichnet hatte.

     

    • Einverständniserklärung, Behandlungsvertrag für neue Therapieverfahren (Auszug)

    „Ich erkläre, zahlungswillig und zahlungsfähig zu sein. Ich wurde darüber aufgeklärt, dass die genannten Therapieverfahren in der gegenwärtig gültigen Fassung der GOÄ nicht gelistet sind und deshalb eine sogenannte Analogabrechnung, angelehnt an die GOÄ-Ziffern, durchgeführt wird. Ich wurde darüber aufgeklärt, dass die PKV unter Umständen nicht alle Gebührenziffern der analogen GOÄ-Rechnung anerkennen wird […] Ich wurde darüber informiert, dass die Rechnungslegung […] sich eng an die GOÄ anlehnt, damit weitgehend ein Zahlungsausgleich durch die PKV erfolgen kann.“

     

    Die voraussichtlichen Behandlungskosten wurden nicht genannt. Auch fehlte ein allgemeiner Hinweis darauf, dass die Kostenerstattung insgesamt fraglich sei bzw. dass damit gerechnet werden müsse, dass ein Kostenträger die Übernahme der Kosten ganz oder teilweise ablehnen könnte. Für die Behandlung zahlte die Patientin einen Betrag i. H. v. 3.517,50 Euro und reichte die Rechnung bei ihrer privaten Krankenversicherung (PKV) ein. Die PKV lehnte die Erstattung der Kosten ab. Die Rückforderungsklage der Patientin gegen den Arzt hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg. Der BGH hingegen wies die Klage ab und verwies den Rechtsstreit an die Vorinstanz (Landgericht Berlin) zurück.

    Entscheidungsgründe

    Im obigen Fall kam der BGH zunächst zu dem Ergebnis, dass der beklagte Chirurg seine Pflicht zur wirtschaftlichen Information verletzt hatte. Ein Arzt, der eine neue, noch nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode anwende, müsse wissen, dass die PKV die dafür erforderlichen Kosten nicht in vollem Umfang erstatte. Vor diesem Hintergrund hätte der Chirurg über die voraussichtliche Höhe der Kosten informieren müssen. Der BGH sah den Schaden der Patientin darin, dass sie die Kosten trotz bestehender Versicherung selbst tragen musste. Dennoch hielt das Gericht die Sache nicht für entscheidungsreif und sah keinen Rückforderungsanspruch der Patientin.

     

    Nicht jede Pflichtverletzung begründet einen Rückforderungsanspruch

    Der BGH hielt es für notwendig, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Unklar bleibe, ob sich die Patientin bei ordnungsgemäßer Information gegen die Behandlung entschieden hätte, womit ihr keine Kosten entstanden wären. Der BGH sieht, anders als die Vorinstanzen, ‒ zutreffend ‒ die Darlegungs- und Beweislast beim Patienten. Die vom Behandelnden geschuldete Information über die finanziellen Folgen der Behandlung sei nicht auf ein bestimmtes Verhalten gerichtet (z. B. eine angebotene Behandlung in Anspruch zu nehmen oder abzulehnen). Sie solle dem Patienten lediglich die wirtschaftliche Tragweite seiner Entscheidung verdeutlichen (s. Urteilsgründe, Randnummer 28).

     

    MERKE | Nach Ansicht der Autorin stellt der BGH das erste Mal in dieser Form klar, dass die Verletzung der wirtschaftlichen Informationspflicht nicht automatisch einen Schadenersatzanspruch begründet, der dem (zahn-)ärztlichen Honoraranspruch entgegengehalten werden kann.

     

    Der Patient entscheidet i. d. R. nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen

    Ähnlich wie bei der medizinischen Aufklärung, bei der auch die Frage aufgeworfen wird, ob sich ein Aufklärungsfehler ausgewirkt hat, hinterfragt der BGH die Motivlage des Patienten.

     

    MERKE | Bei der medizinischen Aufklärung wird vor allem geprüft, ob ein Einwand der hypothetischen Einwilligung beachtlich ist. Nach einer Nervverletzung mit Lähmungsfolgen durch eine Implantation könnte der Patient z. B. einwenden: „Hätte ich das (Nervverletzung mit Lähmungsfolgen) gewusst, hätte ich mich gegen die Implantation entschieden …, zumindest hätte ich mich in einem ernsthaften Entscheidungskonflikt befunden, ob nicht doch eine Brücke reicht.“

     

    Eine Beweislastumkehr zulasten des Arztes ‒ wie sie die Vorinstanz angenommen habe ‒ scheide hier aus. Denn die Entscheidung des Patienten ziele nicht auf die sachgerechte Investition verfügbarer Geldmittel ab, sondern beziehe sich auf die Inanspruchnahme einer medizinischen Behandlung. Dabei stehe „nicht die wirtschaftliche Disposition im Vordergrund, sondern die von einer Vielzahl von Faktoren abhängige und nur von jedem Patienten individuell unter Berücksichtigung seiner persönlichen Vorstellungen, Wünsche und Prioritäten zu beantwortende Frage, ob ihm die ins Auge gefasste Behandlung so viel wert sei, dass er sie trotz des Umstands in Anspruch nehmen möchte, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist“. Typischerweise würden medizinische Gesichtspunkte einfließen, „wie z. B. die Dauer und Intensität des Leidensdrucks, die Ausschöpfung anderer Behandlungsmöglichkeiten ebenso wie verfügbare Behandlungsalternativen und die mit ihnen verbundenen Nachteile“ (Rdnr. 32).

    Grundsätzliches zur Aufklärungspflicht des Zahnarztes

    Nach § 630c Abs. 3 BGB ist der Zahnarzt verpflichtet, den Patienten über die voraussichtliche Höhe der Behandlungskosten zu informieren. Das setzt voraus, dass der Behandelnde positive Kenntnis von der fehlenden (kompletten) Kostendeckung der Behandlung hat. Gleiches gilt, wenn sich aus den Umständen hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten ‒ i. d. R. Kostenträger wie private Kranken-(zusatz-)versicherung oder Beihilfe ‒ nicht gesichert ist, d. h. begründete Zweifel hieran bestehen.

     

    Eine Aufklärungspflicht kraft überlegenen Wissens besteht dagegen nicht, wenn dem Patienten bekannt ist, dass die Kosten vom Kostenträger nicht übernommen werden oder aber er dies selbst und in zumutbarer Weise klären kann. Davon ist dann auszugehen, wenn der Zahnarzt seine Patienten mit Heil- und Kostenplänen (HKP) bzw. Kostenvoranschlägen ausstattet. Hiermit versetzt er sie in die Lage, diese beim Kostenträger zur Prüfung und Klärung des Umfangs der Kostenerstattung einzureichen.

     

    MERKE | Verstößt der Zahnarzt pflichtwidrig gegen die wirtschaftliche Informationspflicht, kann dem Patienten ein Anspruch auf Schadenersatz in Höhe der bei ordnungsgemäßer Information vermeidbaren Mehrkosten zustehen, dem er dem Anspruch des Zahnarztes auf Zahlung des Honorars entgegenhalten kann. Die Darlegungs- und Beweislast dafür liegt indes beim Patienten.

     

     

    Folgen des Urteils für die zahnmedizinische Praxis

    Nach dem o. g. BGH-Urteil kann dem Patienten bei einem Verstoß des Zahnarztes gegen die Aufklärungspflicht gemäß § 630c Abs. 3 BGB ein Rückforderungsanspruch entstehen. Der Patient muss aber nachweisen können, dass er bei ordnungsgemäßer Information die Behandlung in der angebotenen Form oder überhaupt nicht in Anspruch genommen hätte. Um rechtlichen Auseinandersetzungen vorzubeugen, sind Verstöße gegen die Informationspflicht möglichst zu vermeiden.

     

    • Behandlungskosten: So informieren Sie Ihre Patienten rechtskonform
    • Geben Sie dem Patienten insbesondere bei Behandlungen ab einem Betrag von 1.000 Euro einen HKP/Kostenvoranschlag mit. Notieren Sie dies in der Dokumentation. Andernfalls kann der Patient zu Recht behaupten, er habe überhaupt keine Vorstellung von den auf ihn zukommenden Kosten gehabt.
    • Überhören Sie als Zahnarzt geflissentlich Einwände der Patienten, sie benötigten keinen HKP/Kostenvoranschlag ‒ vor allem nicht zur Vorlage bei ihrem Kostenträger. Grund ist häufig die von vornherein bekannte eingeschränkte Erstattung.
    • Wenn Ihnen bekannt ist, dass die Erstattung der Behandlungskosten unklar ist, weisen Sie den Patienten ausdrücklich darauf hin (PA 03/2019, Seite 3).
    • Sie müssen als Zahnarzt Ihren Patienten nicht selbst über die Kosten informieren. Anders als die medizinische Aufklärungspflicht kann die Informationspflicht über Behandlungskosten ohne Weiteres auf das Praxispersonal übertragen werden.
    • Die Information über die voraussichtlichen Kosten hat vor der Behandlung in Textform, mithin in der Form des § 126b BGB, zu geschehen. Das umfasst die klassische Papierform sowie ‒ unter Beachtung (datenschutz-)rechtlicher Bestimmungen ‒ Telefax, E-Mail oder auch SMS.
     
    Quelle: Ausgabe 05 / 2020 | Seite 2 | ID 46491976