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  • · Fachbeitrag · Grenzüberschreitende Verlustverrechnung

    Abzugsfähigkeit finaler Verluste einer aufgegebenen EU-Betriebsstätte

    Dr. Tobias Hagemann, M.Sc., LL.M., StB & Laura Reschke, B.Sc.

    | Sog. „finale Verluste“ einer ausländischen EU-Betriebsstätte können durch den unbeschränkt Steuerpflichtigen im Inland für Zwecke der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer berücksichtigt werden. Dies gilt nach Auffassung des Hessischen FG (4.9.18, 4 K 385/17, Revision beim BFH unter I R 32/18 ) auch nach der sog. „Timac Agro“-Entscheidung ( EuGH 17.12.15, C-388/14, „Timac Agro Deutschland“, PIStB 17, 243 ). |

     

    Sachverhalt

    Ein Kreditinstitut (KI) mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland unterhielt in den Jahren 2004 bis 2007 eine britische Betriebsstätte. Aus der Betriebsstätte wurden keine Gewinne erzielt, weswegen diese im Jahr 2007 durch das KI aufgelöst wurde. Dabei wurden sowohl die Mitarbeiter als auch die Mieträume gekündigt und die Beendigung der Zweigniederlassung im englischen Handelsregister eingetragen. Im Rahmen der Gewinnermittlung errechnete das KI einen auf die Betriebsstätte im (abweichenden) Wirtschaftsjahr 2006/07 entfallenen Verlust von 3.488.238 EUR. Das KI vertrat die Auffassung, dieser ausländische Verlust sei für den VZ 2007 nicht nach Art. 18 Abs. 2 Buchst. a) i. V. m. Art. 3 Abs. 1 S. 2 DBA-Großbritannien 1964/70 durch Freistellung zu berücksichtigen, sondern in voller Höhe im Inland abzugsfähig. Dies begründete das KI mit der Auflösung der Betriebsstätte, deren Verlust im Quellenstaat anderweitig nicht mehr verwertbar war. Das FA folgte dem nicht und wies auch den Einspruch mit Verweis auf das Urteil Timac Agro (EuGH 17.12.15, C-388/14, „Timac Agro Deutschland“, PIStB 17, 243) zurück. Demzufolge sei die Nichtabzugsfähigkeit der Betriebsstättenverluste mit dem Unionsrecht vereinbar. Hiergegen erhob das KI mit Begründung durch das Urteil Bevola (EuGH 12.6.18, C-650/16) Klage.

     

    Anmerkungen

    Die Klage war begründet. Aus dem Urteil in der Rs. Bevola ergebe sich mit hinreichender Klarheit, dass es der Grundsatz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gebiete, Verluste aus dem EU-Ausland im Inland abzuziehen, wenn diese Verluste im Ausland aufgrund der dortigen Einstellung der Tätigkeit dauerhaft nicht mehr abgezogen werden können. Die Situation einer inländischen Betriebsstätte sei mit der Situation einer ausländischen EU-Betriebsstätte vergleichbar. Die Ungleichbehandlung, die sich ergebe, wenn nur die inländischen Verluste im Inland abgezogen werden könnten, verstoße daher gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV).

     

    Zwar seien grundsätzlich Gewinne und Verluste jeweils am Ort ihrer Entstehung miteinander zu verrechnen, weshalb auch die Nichtberücksichtigung von Verlusten einer ausländischen EU-Betriebsstätte während des Bestehens dieser Betriebsstätte zur Verhinderung doppelter Verlustnutzung gerechtfertigt sei. Hingegen gelte die Nichtberücksichtigung als unverhältnismäßig, sofern die Verluste im Ausland nicht (mehr) mit bestehenden oder künftigen Gewinnen verrechnet werden können (sog. finale Verluste). Folglich seien die seit der Gründung der Betriebsstätte angefallenen ausländischen Verluste, welche zunächst nach Abkommensrecht freigestellt waren, sowohl von dem zu versteuernden Einkommen als auch dem Gewerbeertrag im Inland voll abzugsfähig.

     

    Relevanz für die Praxis

    Das FA hat Revision eingelegt (BFH I R 32/18). Darüber hinaus sind weitere Verfahren zur Berücksichtigung finaler Verluste beim BFH anhängig (I R 17/16, I R 48/17 und I R 49/17), die es zu beobachten gilt. Die Bedeutung dieser Entscheidung ist zuallererst darin zu sehen, dass das Hessische FG als erstes deutsches FG eine Entscheidung fällt, die die unionsrechtliche Rechtslage nach der Rs. Bevola betrifft. Denn wenngleich der Abzug finaler Verluste sich seit der „Marks & Spencer“-Entscheidung des EuGH (13.12.05, C-446/03, „Marks & Spencer plc“, PIStB 06, 4) als ständige Rechtsprechung etablieren konnte (s. jüngst EuGH 12.6.18, C-650/16 „A/S Bevola und Jens W, Trock Aps“), geriet diese Rechtsprechung durch die Entscheidung in Timac Agro (EuGH 17.12.15, C-388/14 „Timac Agro Deutschland“) ins Wanken:

     

    • Namentlich schien der EuGH die Vergleichbarkeit der Situationen einer inländischen und einer ausländischen EU-Betriebsstätte negieren zu wollen.

     

    • Der BFH (22.2.17, I R 2/15, DStR 17, 1145) gab daraufhin seine Rechtsprechung zur Berücksichtigung finaler Verluste im Inland auf. Dies stellte einen bedeutenden Einschnitt dar.

     

    • Für (positive) Überraschung sorgte dann wiederum die Entscheidung des EuGH in Bevola (12.6.18, C-650/16), in der der Gerichtshof von einer fehlenden Vergleichbarkeit nichts mehr wissen wollte und finale Verluste wieder zum Leben erweckte.

     

    • Rechtsunsicherheit bestand dennoch fort: Vertreter der Finanzverwaltung stellen sich weiterhin auf den Standpunkt, eine Vergleichbarkeit sei grundsätzlich nicht gegeben, da die Entscheidung in der Rs. Bevola sich auf Besonderheiten des dänischen Steuerrechts bezog (Wahlrecht zur internationalen Besteuerung), die nicht verallgemeinerungsfähig seien.

     

    Das FG Hessen war jedoch der Auffassung, wenn trotz eines nationalen Wahlrechts die Berücksichtigung finaler Verluste geboten war, dann müsse dies erst recht gelten, wenn ‒ wie im deutschen Recht ‒ ein Wahlrecht fehle.

     

    PRAXISTIPP | Soweit die Abziehbarkeit ausländischer Verluste streitig ist, sind Verfahren offenzuhalten. Der BFH hat jüngst Obiter Dictum die Auffassung des FG Hessen durchblicken lassen, d. h., eine unionsrechtliche Verpflichtung zum Abzug finaler Verluste dürfte auch dem höchstrichterlichen Verständnis entsprechen (BFH 11.7.18, I R 52/16, DStR 18, 2686).

     

    Sieht man die Möglichkeit des Abzugs finaler Verluste im Inland nun wieder als gegeben an, so rückt die Frage in den Vordergrund, wann Verluste als „final“ gelten:

     

    • Im Besprechungsfall wurde die Finalität angenommen, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger im Inland nachweisen kann, alle Möglichkeiten des Abzugs der ausländischen Verluste der EU-Betriebsstätte nach dortigem ausländischen Recht ausgeschöpft zu haben, und keine Aussichten auf Einnahmen der ausländischen EU-Betriebsstätte bestehen (endgültige Auflösung der Betriebsstätte).

     

    • Solange der Steuerpflichtige im Ausland (wenn auch nur geringfügig) Einnahmen erzielt, ist eine Finalität nicht gegeben (EuGH 12.6.18, C-650/16 „A/S Bevola und Jens W, Trock Aps“).

     

     

    Keine Abzugspflicht besteht dagegen, wenn die Verluste im Ausland „rechtlich“ final werden, insbesondere weil der Verlustvortrag nur zeitlich begrenzt möglich ist; unter Umständen auch infolge eines eingeschränkten Rücktrags in Gewinnjahre (s. EFG 18, 1878, 1879).

     

    PRAXISTIPP | Aufgrund der Trennung zwischen „tatsächlicher“ und „rechtlicher“ Finalität, ist es vom Steuerpflichtigen und seinem Berater zu dokumentieren, dass ein tatsächlicher Verlustuntergang im Ausland gegeben ist, während rechtlich keine Einschränkungen bestanden. Auch steuerplanerische Überlegungen lassen sich insoweit anstellen: Der BFH erkannte z. B. die Veräußerung der Betriebsstätte an ein verbundenes Unternehmen als Finalitätsgrund an, ohne darin ein Missbrauchselement zu erkennen (BFH 5.2.14, I R 48/11, PIStB 14, 181).

     

    Die Entscheidung des FG Hessen ist auch deshalb besonders, weil sie die Berücksichtigung finaler Verluste ebenfalls für den Gewerbeertrag bejaht. Diese Auffassung wird zwar von Vertretern der Finanzverwaltung scharf kritisiert (jüngst Mitschke, IStR 18, 923, 924), sie kann sich aber auf eine Entscheidung des BFH stützen (9.6.10, I R 107/09, DStR 10, 1611). Es lässt sich zwar durchaus hinterfragen, ob die starke Betonung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf die Gewerbesteuer durchschlägt. Denn aufgrund des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer sind nach Ansicht des BVerfG (15.2.16, 1 BvL 8/12, BStBl II 16, 557) Leistungsfähigkeitsaspekte für die Gewerbesteuer nur eingeschränkt heranzuziehen (s. Schober, EFG 18, 1878, 1879). Allerdings steht der Objektsteuercharakter in Zusammenhang mit dem Territorialitätsprinzip (struktureller Inlandsbezug der Gewerbesteuer) und der EuGH hat insoweit in der Rs. Bevola trotz Anwendung der dänischen nationalen Besteuerung, die sich symmetrisch nur auf inländische Betriebsstättengewinne und -verluste erstreckte, eine unionsrechtliche Notwendigkeit der Berücksichtigung finaler Verluste erkannt (im Ergebnis auch Heckerodt, IStR 18, 171, 175).

     

    MERKE | Auch wenn die Verrechnung von Auslandsverlusten sich regelmäßig auf Betriebsstättenverluste bezieht, dürften diese Grundsätze aufgrund der Konvergenz der Grundfreiheiten gleichermaßen auf andere Einkünfte, die nach deutschem Recht der Freistellungsmethode unterliegen, übertragbar sein. Dies betrifft z. B. ausländische Vermietungseinkünfte (s. auch BFH 22.9.15, I B 83/14, BFH/NV 16, 375).

     

    Liegen finale Auslandsverluste vor, werden diese im Finalitätsjahr, d. h. im Jahr der Schließung oder Übertragung der Betriebsstätte, berücksichtigt. Für den Steuerpflichtigen wäre eine frühere Berücksichtigung der Auslandsverluste im Inland dagegen regelmäßig von Vorteil.

     

    Beachten Sie | Die Frage der Verrechnung von Auslandsverlusten im Inland stellt sich nur im Rahmen der Freistellungsmethode, nicht aber im Anwendungsbereich der Anrechnungsmethode. Das deutsche Steuerrecht sieht jedoch diverse uni- und bilaterale Vorschriften in Form von Rückfall- oder Umschaltklauseln vor, die eine Versagung der Freistellungsmethode anordnen und damit einhergehend den Übergang zur Anrechnungsmethode. Der BFH (11.7.18, I R 52/16, DStR 18, 2686) hat jüngst entschieden, dass die Umschaltklausel in § 50d Abs. 9 S. 1 EStG auch auf ausländische Betriebsstättenverluste anwendbar ist. Es bleibt auch vor diesem Hintergrund zu prüfen, ob eine Berücksichtigung von Auslandsverlusten im Inland erreicht werden kann.

     

    Abschließend sei noch auf etwaige Konsequenzen des bevorstehenden Brexits hingewiesen, da es sich im Streitfall um eine Betriebsstätte in Großbritannien handelte. Mit dem Brexit entfallen weitere unionsrechtliche Vergünstigungen, u. a. die Niederlassungsfreiheit. Finale Auslandsverluste können gleichwohl auch nach dem Brexit im Inland berücksichtigt werden, sofern sie bis zum Zeitpunkt des Austritts ‒ also während der Geltung der Grundfreiheiten ‒ entstanden sind. Eine erst nach dem Brexit eintretende Finalität kann dem nicht entgegenstehen, weil anderenfalls nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit gewahrt wäre. Nach dem Brexit entstandene ausländische Betriebsstättenverluste sind dagegen nicht zu berücksichtigen, weil insoweit die Niederlassungsfreiheit keine Anwendung mehr findet.

     

    Beachten Sie | Sofern eine Beteiligung an einer britischen Personengesellschaft besteht, erscheint ein Abzug auch weiterhin nicht ausgeschlossen, weil die Beteiligung an Personengesellschaften in den Anwendungsbereich der ‒ auch gegenüber Drittstaaten geltenden ‒ Kapitalverkehrsfreiheit fallen kann (EuGH 23.1.14, C-164/12, „DMC Beteiligungsgesellschaft mbH“).

     

    Weiterführende Hinweise

    • Zur Frage „Finale Verluste ‒ ade?“ s. auch Kahlenberg, PIStB 17, 243
    • Zum EuGH 12.6.18, C-650/16 „Abzugsverbot der Betriebsstättenverluste verstößt gegen Unionsrecht“ s. auch Wilke, PIStB 18, 209
    Quelle: Ausgabe 07 / 2019 | Seite 197 | ID 45811881

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