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  • · Fachbeitrag · Freizügigkeitsabkommen

    Splittingtarif auch für in der Schweiz lebende Ehegatten

    von RA Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg

    Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz gebietet es, Eheleuten, die ihren privaten Wohnsitz in die Schweiz verlegt haben, weiterhin eine Zusammenveranlagung unter Anwendung des Splitting-Tarifs zu gewähren. Diese Entscheidung traf der EuGH in einem aktuellen Urteil (EuGH 28.2.13, C-425/11, Etwein, DStR 13, 514, Abruf-Nr. 131776).

     

    Sachverhalt

    Eine deutsche Staatsangehörige erzielte mit ihrem Ehemann ihre gesamten Einkünfte in Deutschland. 2007 verlegte das Ehepaar seinen Wohnsitz und seinen Lebensmittelpunkt in die Schweiz. Bei der Einkommensteuerveranlagung 2008 beantragten die Ehegatten die Zusammenveranlagung und Anwendung des Splitting-Tarifs (§ 32a Abs. 5 EStG). Die Ehefrau wies dabei darauf hin, dass sie in der Schweiz kein zu versteuerndes Einkommen erzielt habe. Ferner beantragten die Eheleute, gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt zu werden.

     

    Das FA lehnte dies ab: Der Splittingtarif könne nicht zur Anwendung kommen, da sich der Wohnsitz weder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union noch im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats des EWR-Abkommens befinde. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wurde Klage eingereicht. Das FG Baden-Württemberg (7.7.11, 3 K 3752/10) setzte das Verfahren aus (§ 74 FGO) und holte eine Vorabentscheidung des EuGH über die Auslegung des Freizügigkeitsabkommens ein. Nach der jetzt vom EuGH beantworteten Frage muss das FG in der Sache abschließend entscheiden.

     

    Anmerkungen

    Das Streitverfahren betrifft im Kern die Frage, ob die Eheleute unter Berücksichtigung des Splittingverfahrens (§ 32a Abs. 5 EStG 08) bei der Einkommensteuer zusammen veranlagt werden können. Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG 
können nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten auf Antrag gemäß § 26 Abs. 1 S. 1 EStG zusammen veranlagt werden (Splitting-Verfahren), wenn nur einer von ihnen die Voraussetzungen der sogenannten „fiktiven unbeschränkten Einkommensteuerpflicht“ nach § 1 Abs. 3 EStG erfüllt. Voraussetzung ist nach deutscher Gesetzeslage dabei,

     

    • dass der eine (steuerpflichtige) Ehegatte Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union (EU) oder eines Staates ist, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) anwendbar ist und auf Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG hin als unbeschränkt steuerpflichtig zu behandeln ist,

     

    • der andere Ehegatte seinen Wohnsitz in einem EU- oder EWR-Staat hat und

     

    • beide Ehegatten die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 3 S. 2 - 4 EStG erfüllen und die Ehegatten einen entsprechenden Antrag gestellt haben.

     

    Eine Zusammenveranlagung scheiterte im Streitfall zunächst daran, dass die Eheleute ihren Wohnsitz nicht in einem EU-oder EWR-Staat haben, sondern in der Schweiz, auf die das EWR-Abkommen jedoch nicht anwendbar ist.

     

    MERKE | Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft - FZA - (BGBl II 01, Nr. 811), das am 1.6.02 in Kraft getreten ist, erweitert allerdings grundsätzlich die allgemeine Freizügigkeit sowie die Arbeitnehmerfreizügigkeit natürlicher Personen auf das Verhältnis zwischen der EU und der Schweiz.

     

    Der EuGH hat jetzt klargestellt, dass das Freizügigkeitsabkommen auf einen Sachverhalt Anwendung findet, in dem der Wohnsitz aus dem Herkunfts- bzw. Tätigkeitsstaat in einen anderen Staat verlegt wird. Die Freizügigkeit würde beeinträchtigt, wenn ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei in seinem Herkunftsland einen Nachteil allein deshalb erleidet, weil er sein Freizügigkeitsrecht ausgeübt hat. Da die Eheleute im Streitfall ausschließlich Einkünfte erzielt haben, die im Inland besteuert wurden, müssen bei einer Einkommensteuerfestsetzung im Inland folglich nach der EuGH-Entscheidung auch die persönlichen Lebensumstände steuerlich berücksichtigt werden. Das FG Baden-Württemberg wird deshalb in seiner abschließenden Entscheidung die Zusammenveranlagung unter Anwendung des Splitting-Tarifs gewähren.

     

    PRAXISHINWEISE |

    Die wichtige Erkenntnis aus der EuGH-Entscheidung lautet: Das Ehegattensplitting ist nicht auf Ehegattengrenzgänger aus der EU und dem EWR-Gebiet beschränkt; vielmehr findet es wegen des Gleichbehandlungsgebots in Art. 15 Abs. 1 Anhang I Freizügigkeitsabkommen auch bei Wohnsitznahme in der Schweiz Anwendung. Hierauf sollten sich Steuerpflichtige in Vergleichsfällen berufen.

     

    Eine Zusammenveranlagung deutscher Ehegatten mit Wohnsitz innerhalb der EU, die der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen (§ 1 Abs. 3 EStG) kommt nur in Betracht, wenn der „wesentliche Teil der Einkünfte“ in Deutschland steuerpflichtig ist (§ 1 Abs. 3 EStG). Diese „Wesentlichkeitsgrenze“ erfordert, dass entweder die Einkünfte beider Ehegatten im Kalenderjahr mindestens zu 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die ausländischen Einkünfte den Grundfreibetrag nicht überschreiten (FG Köln 11.12.12, 1 K 4165/09, 
StE 13, 245). Das FG Köln hat hierbei die Revision beim BFH zugelassen, da grundsätzlich bedeutsam ist, ob in den Niederlanden bezogenes Arbeitslosengeld bei der Einkünfteermittlung und die tatsächliche Besteuerung der Einkünfte in den Niederlanden maßgeblich ist.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zu den möglichen Auswirkungen des EuGH-Urteils auf das Zinsbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und der EU (29.4.04, EU ABl L 385, 30) s. von Brocke, IWB 12, 925.
    Quelle: Ausgabe 07 / 2013 | Seite 176 | ID 38653310

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