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  • · Fachbeitrag · Schweiz

    EuGH: Personenfreizügigkeit erfasst auch Steuerverhältnis zum Drittstaat Schweiz

    von Heiko Kubaile, Partner, MBA (Int. Taxation), Leiter German Tax & Legal Center, KPMG AG Zürich

    | Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz gebietet es, Eheleuten, die ihren privaten Wohnsitz in die Schweiz verlegt haben, weiterhin eine Zusammenveranlagung unter Anwendung des Splitting-Tarifs zu gewähren. Diese Entscheidung traf der EuGH Anfang 2013 in der Rs. Ettwein ( EuGH 28.2.13, C-425/11, Ettwein, DStR 13, 514). Das BMF hat überraschend schnell zu diesem Urteil Stellung genommen ( BMF 16.9.13, IV C 3 - S 1325/11/10014 , BStBl I 13, 1325). Die Verwaltungsanweisung ist auf alle noch nicht bestandskräftigen Fälle anwendbar. |

    1. Hintergrund

    Am 1.6.02 ist das Freizügigkeitsabkommen (FZA) als eines der Unterabkommen der sog. Bilateralen Verträge I zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz in Kraft getreten. Hierdurch wird natürlichen Personen unter anderem das Recht auf Einreise, Aufenthalt und Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien eingeräumt, d.h. eine Niederlassung wurde faktisch im selben Umfang wie in Art. 43 EG-Vertrag (heute Art. 49 AEUV) gewährt bzw. zugestanden. Faktisch wurde hierdurch die Personenfreizügigkeit auch auf den Drittstaat Schweiz ausgedehnt.

     

    Bisher war strittig, ob dies auch auf die steuerlichen Regelungen Auswirkungen hat. Die deutsche Finanzverwaltung sah dies bisher nicht so. Durch das EuGH-Urteil in der Rechtssache Ettwein wurde die vielbeachtete Schumacker-Rechtsprechung des EuGHs auf die Schweiz übertragen (EuGH 28.2.13, C-425/11, DStR 13, 514). Grundlage waren die o.g. Regelungen im FZA. Das Schumacker Urteil selbst mündete in Deutschland in die Regelung des § 1a EStG, die bisher nur für in der EU-/EWR Ansässige, nicht aber bei Ansässigkeit in der Schweiz Anwendung fand.

    2. Der Fall Ettwein

    Die Eheleute Ettwein, deutsche Staatsangehörige, waren seit dem 1.8.07 in der Schweiz ansässig. Die gesamten steuerpflichtigen Einkünfte wurden aber weiterhin in Deutschland erwirtschaftet. Die Ehefrau war selbstständige Unternehmensberaterin und der Ehemann selbstständiger Kunstmaler. Im entschiedenen Fall beantragten die Eheleute Ettwein mit der Einkommensteuererklärung 2008 die Zusammenveranlagung unter Anwendung des steuerlich günstigen Splittingtarifs (§ 1a EStG).

     

    MERKE | Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG können nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten auf Antrag gemäß § 26 Abs. 1 S. 1 EStG - unter Anwendung des Splittingverfahrens - zusammenveranlagt werden, wenn nur einer von ihnen die Voraussetzungen der fiktiven unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG erfüllt. Jedoch setzt dieses Verfahren nach dieser Regelung voraus, dass die Eheleute ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt entweder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union haben oder in einem anderen Staat, auf den das EWR-Abkommen Anwendung findet. Das EWR-Abkommen ist auf die Schweizerische Eidgenossenschaft nicht anwendbar.

     

    Der Antrag der Eheleute wurde letztendlich mit der Begründung abgelehnt, dass die Schweiz nicht zum EU-/EWR-Raum gehöre und damit die Voraussetzungen des § 1a EStG nicht erfüllt sind. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wurde Klage beim FG Baden-Württemberg erhoben.

     

    Das FG Baden-Württemberg legte dem EuGH die Frage vor, ob die Nichtgewährung der Zusammenveranlagung bzw. des Splittingtarifs gegen das FZA verstoße (FG Baden-Württemberg 7.7.11, 3 K 3752/10). Der EuGH bejahte dies und entschied erstmalig, entgegen der Auffassung der EU-Kommission und der deutschen Regierung, dass die Nichtgewährung gegen das FZA verstoße und die EU-Mitgliedstaaten in der Schweiz ansässigen selbstständigen Grenzgängern dieselben steuerlichen Vergünstigungen (hier Gewährung des Splittingtarifes) einzuräumen haben wie Inländern. Der EuGH verwies dabei neben der früheren Rs. Schumacker auch auf die Urteile in den Rs. Asscher und Wielockx (EuGH 27.6.96, C-107/94, Slg. 1996, I-3089; EuGH 11.8.95, C-80/94, Slg. 95, I-2493).

    3. Bundesfinanzministerium hat schnell reagiert

    Das BMF hat überraschend schnell zum o.g. EuGH-Urteil Stellung genommen (BMF 16.9.13, IV C 3 - S 1325/11/10014, BStBl I 13, 1325). Für die Anwendung von § 1a Abs. 1 EStG - d.h. u.a. Anwendung des Splittingtarifes - gilt danach im Hinblick auf die Auslegung des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit und nach Maßgabe des o.g. Urteils somit Folgendes:

     

    § 1a Abs. 1 EStG ist bei Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen auch anwendbar, wenn

     

    • 1. der Empfänger der Unterhalts-/Vorsorgeleistungen,
    • 2. die ausgleichsberechtigte Person oder
    • 3. der Ehegatte/Lebenspartner, welcher nicht dauernd getrennt lebt,

     

    seinen/ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz haben. Dies gilt für alle noch nicht bestandskräftigen Fälle.

    4. Empfehlungen für die Praxis

    Auch wenn es lediglich ein erstes Urteil ist, so könnte auf Basis des Ettwein-Urteils die EuGH-Rechtsprechung, die auf der Personenfreizügigkeit basiert, auch im Verhältnis zur Schweiz Anwendung finden. Aus der Urteilsbegründung des EuGH wird jedenfalls ersichtlich, dass er die Grundsätze der Personenfreizügigkeit uneingeschränkt anwenden möchte. Es erscheint daher so, dass das BMF mit dem sehr schnell verfassten BMF-Schreiben vom 16.9.13 versucht, etwaige Diskussionen von Beginn an zu vermeiden.

     

    Hiervon sollte man sich aber nicht beeindrucken lassen und den Rechtsweg suchen, wenn es zur Einschränkung der Personenfreizügigkeit im Verhältnis zur Schweiz kommt. Mögliche Bereiche, die hier betroffen sein könnten, sind u.a.:

     

    • 1. unselbstständige Grenzgänger,
    • 3. grundsätzlich alle Regelungen, die bisher nur für in der EU-/EWR-Ansässige Anwendung fanden.

     

    Auch wenn das Urteil in der Rs. Ettwein konkret Deutschland und die Schweiz betraf, sind hiervon grundsätzlich alle EU-/EWR-Mitgliedstaaten in ihrem Verhältnis zur Schweiz erfasst, also auch z.B. Frankreich, Österreich, Italien und Liechtenstein.

     

    FAZIT | Die Rs. Ettwein könnte ein Meilenstein sein wie einst das Schumacker-Urteil selbst - eines der ersten Urteile, die der EuGH zu einer Steuernorm gesprochen hat. Seither hat die EuGH-Rechtsprechung die nationalen Steuergesetze der Mitgliedstaaten maßgeblich beeinflusst und viele weitreichende Änderungen hervorgerufen. Allerdings ist davon auszugehen, dass die jeweiligen EU-/EWR-Mitgliedstaaten dieser Entwicklung nicht ohne Widerstand folgen werden, zumal die Schweiz ihrerseits Diskussionen zur Personenfreizügigkeit im Verhältnis zur EU führt (Referendum zur sog. „Masseneinwanderungsinitiative“ vom 9.2.14). Es wird daher ggf. der Rechtsweg notwendig sein. Die Rechtssache Ettwein zeigt aber, dass dieser erstrebenswert sein kann.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Zu den möglichen Auswirkungen des EuGH-Urteils auf das Zinsbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und der EU (29.4.04, EU ABl L 385, 30) s. von Brocke, IWB 12, 925.
    Quelle: Ausgabe 04 / 2014 | Seite 96 | ID 42567173

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