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  • · Fachbeitrag · Internationale Unternehmensbesteuerung

    Der EU-Richtlinienentwurf zur Mindestbesteuerung als Paradigmenwechsel (Teil 1)

    von StB Dr. Christian Kahlenberg, M. Sc., LL. M., FBIStR und Rebekka Rein, M. Sc., beide Flick Gocke Schaumburg, Berlin

    | Am 20.12.21 hatte die OECD detaillierte Model Rules zur globalen Mindestbesteuerung (sog. Pillar 2) veröffentlicht, die von den beteiligten Staaten bis voraussichtlich zum 31.12.23 umgesetzt werden sollen. Unmittelbar im Anschluss veröffentlichte die EU-Kommission am 22.12.21 einen Richtlinienentwurf zur Umsetzung dieser sog. Global Anti-Base-Erosion Rules (kurz „GloBE-Rules“). Das EU-Parlament hat am 19.5.22 dem Vorschlag der EU-Kommission zur Umsetzung eines weltweiten Mindestkörperschaftsteuersatzes für global agierende Unternehmensgruppen von 15 % zugestimmt. Eine Einigung der europäischen Finanzminister konnte jedoch bislang nicht erzielt werden; Ungarn stimmte auf der ECOFIN-Sitzung am 18.6.22 gegen den Richtlinienvorschlag. Nachfolgend werden die Hintergründe und der Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags erläutert. |

    1. Hintergrund und Entwicklung der Reformpläne

    Seit der Veröffentlichung des finalen OECD-Reports zu BEPS-Aktionspunkt 1 im Oktober 2015 beschäftigt sich das sog. OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS intensiv mit den Herausforderungen der Besteuerung der Digitalwirtschaft. Ergebnis ist ein neues globales Besteuerungssystem bestehend aus zwei Säulen:

     

    • Die erste Säule (sog. Pillar One) beschäftigt sich mit dem Anknüpfungspunkt für Besteuerungsrechte und einer formelbasierten weltweiten Gewinnverteilung für bestimmte Geschäftstätigkeiten.

     

    • Die zweite Säule (sog. Pillar Two) sieht eine globale effektive Mindestbesteuerung vor. Diese soll die verbliebenen BEPS-Risiken adressieren, aggressiven Steuergestaltungen entgegenwirken und den staatlichen Unterbietungswettlauf bei den Unternehmenssteuersätzen mittels einer Untergrenze von 15 % stoppen.

     

    Der Zwei-Säulen-Ansatz wurde erstmals im Mai 2019 vorgeschlagen. Nach mehreren öffentlichen Konsultationsrunden stimmten diesem im Oktober 2021 insgesamt 137 Länder im Rahmen des OECD/G20-Rahmens zu.

     

    Am 20.12.21 veröffentlichte die OECD finale Mustervorschriften der zweiten Säule zur nationalen Umsetzung der Mindestbesteuerung. Die EU-Kommission legte getreu ihrer Zusage unverzüglich einen Richtlinienvorschlag vor (nachfolgend: RL-E), der eine effektive und einheitliche Umsetzung der OECD-Mustervorschriften in der EU gewährleisten soll und während der französischen Ratspräsidentschaft noch einmal überarbeitet wurde (zuletzt Kompromissvorschlag des Rats der EU vom 28.3.22, abrufbar unter: www.iww.de/s6537).

    2. Das Rahmenkonzept der OECD

    Nach den Mustervorschriften der OECD sollen sich die nationalen Gesetzgeber bei der Implementierung der effektiven Mindestbesteuerung letztlich dreier Instrumente bedienen, namentlich der Income Inclusion Rule, der Undertaxed Payment Rule sowie der Subject to Tax Rule.

     

    • Die Income Inclusion Rule (IIR) dient als primärer Mechanismus zur Sicherstellung einer Mindestbesteuerung. Sie ähnelt strukturell der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung in den §§ 7 ff. AStG, ohne jedoch (sachlich) auf passive Einkünfte abzustellen: Wird eine Konzerngesellschaft oder -betriebsstätte niedrig besteuert, wird die Steuerlast dieser Einheit auf Ebene der Konzernmuttergesellschaft bis zur Höhe des effektiven Mindestkörperschaftsteuersatzes von 15 % aufgestockt (sog. Top-up Tax).

     

    • Flankiert wird die IIR durch die Undertaxed Payment Rule (UTPR), die als Auffang- und Ergänzungsregelung (sog. Backstop) subsidiär dort eine effektive Mindestbesteuerung sicherstellt, wo dies nicht bereits durch die IIR gewährleistet wird. D. h. insbesondere in Konstellationen, in denen der Ansässigkeitsstaat der Konzernmuttergesellschaft keine IIR implementiert hat bzw. anwendet, etwa weil die Konzernmuttergesellschaft in einem Nicht-EU-Mitgliedstaat ansässig ist und dort keine entsprechende Regelung vorgesehen ist, kommt die Unterbesteuerungsregelung (UTPR) zur Anwendung. Nach der UTPR wird die Aufstockungssteuer auf Ebene anderer, in einem EU-Mitgliedstaat ansässiger Konzerngesellschaften anhand eines zweifaktoriellen Verteilungsschlüssels ermittelt und erhoben (s. Abschnitt 3.3.2).

     

    • Die Subject to Tax Rule (STTR) betrifft das DBA-Recht. Sie beabsichtigt, bestimmte Abkommensvorteile im Quellenstaat, wie etwa die Reduzierung von Quellensteuern auf Zins- oder Lizenzzahlungen, zu suspendieren, wenn die Einkünfte im Ansässigkeitsstaat des Zahlungsempfängers nicht mindestens mit 15 % Körperschaftsteuer besteuert werden. Die Klausel kommt den Entwicklungsländern entgegen, da in diesen in weit geringerem Maße oberste Muttergesellschaften i. S. d. IIR ansässig sind.

     

    Beachten Sie | Der von der EU-Kommission veröffentlichte Richtlinienentwurf orientiert sich sehr eng an den OECD-Mustervorschriften. Er verankert die ineinandergreifenden IIR und UTPR, die zusammen auch als sog. GloBE-Regelungen bezeichnet werden. Zur STTR enthält der Vorschlag hingegen keine weiteren Vorgaben. Letztere sollen eigenständig von den Mitgliedstaaten in ihre jeweiligen DBA integriert werden.

    3. Der Richtlinienvorschlag

    3.1 Persönlicher Anwendungsbereich (Kap. 1 und 2 RL-E)

    Die Mindestbesteuerung soll vornehmlich nur große, global agierende Konzerne treffen, weil diese einerseits von der Globalisierung profitieren, andererseits aber auch großes Potenzial zur internationalen Steuersatzarbitrage haben. Konkret sind in der EU ansässige Unternehmensgruppen angesprochen, bestehend aus der Konzernmutter (sog. Ultimate Parent Entity, kurz: UPE) und mindestens einer Tochtergesellschaft oder Betriebsstätte (sog. Constituent Entities, kurz: CE), die in mindestens zwei der letzten vier vorangegangenen Steuerjahre einen weltweiten Jahresumsatz von 750 Mio. EUR erwirtschaftet haben. Nach Schätzungen der OECD soll dies weltweit etwa 8.000 Konzerne betreffen.

     

    Maßgeblich ist der Konzernabschluss der Konzernobergesellschaft nach IFRS, d. h., es wird auf den Konzernumsatz nach Eliminierung von konzerninternen Zwischenumsätzen Bezug genommen. Die Rechnungslegungsstandards der jeweiligen EU-/EWR-Mitgliedstaaten (z. B. HGB) oder bestimmter in Art. 3 Nr. 22 der Richtlinie aufgelisteten Länder (z. B. China, Singapur, Schweiz und USA) werden aber äquivalent anerkannt.

     

    Abweichend von den OECD-Mustervorschriften erfasst der Richtlinienvorschlag neben multinationalen Unternehmensgruppen auch rein national tätige Konzerne (sog. Large-scale Domestic Groups). Damit soll ein Gleichlauf zwischen Inlands- und Auslandssachverhalten sichergestellt werden. Hintergrund ist die Gewährleistung des Primärrechts der Union ‒ insbesondere der Niederlassungsfreiheit (RL-E, 6).

     

    Ferner sind bestimmte Unternehmen wie staatliche Einrichtungen, Non-Profit-Organisationen, Pensionsfonds, Investmentgesellschaften sowie Real Estate Vehicles von den Vorschriften ausgenommen. Auch nicht erfasst werden Konzerneinheiten, die

    • zu mindestens 95 % im Besitz von entlasteten Unternehmen sind (sog. Eigentumstest),
    • ausschließlich für entlastete Unternehmen Hilfs- und Nebentätigkeiten erbringen (sog. Aktivitätstest) sowie
    • den Eigentumstest mit 85 % erfüllen würden und hauptsächlich freigestellte Dividenden sowie Veräußerungsgewinne oder -verluste erzielen (sog. Einkünftetest).

     

    Hinsichtlich der genannten Konzerneinheiten wird unterstellt, dass sie nicht steuerlich motiviert handeln.

     

    Beachten Sie | Die Anteile von Minderheitsgesellschaften werden bei der Berechnung der Umsatzschwelle nicht rausgerechnet. Es werden demnach auch dann 100 % der Umsätze einer Konzerneinheit bei der Berechnung mit einbezogen, wenn an dieser Konzerneinheit z. B. 10 % von konzernexternen Dritten gehalten werden. Zudem werden auch ausgenommene Einheiten bei der Berechnung der Umsatzschwelle berücksichtigt.

     

    • Beispiel 1

    Der nachstehend abgebildete Konzern erzielte im Jahr 2020 einen Umsatz von 800 Mio. EUR, im Jahr 2021 von 790 Mio. EUR und im Jahr 2022 von 650 Mio. EUR. Da der Konzern in mindestens zwei Jahren innerhalb der letzten vier Jahre mehr als 750 Mio. EUR erwirtschaftete, ist der Anwendungsbereich des RL-E im Jahr 2023 eröffnet. Aufgrund der Vollkonsolidierung werden der Umsatz der CE IV sowie der ausgenommenen Einheit zu 100 % bei der Berechnung des Schwellenwerts berücksichtigt.

     

     

     

    Beachten Sie | Es ist nicht entscheidend, ob der Konzern bereits vier Jahre besteht. Es kommt lediglich darauf an, ob in diesem Zeitraum die Umsatzschwelle zweimal überschritten worden ist, was für die Jahre 2020 und 2021 vorliegend gegeben ist.

     

    3.2 Sachlicher Anwendungsbereich

    3.2.1 Qualifiziertes Einkommen (Kap. 3 RL-E)

    Wurde eine in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallende Unternehmensgruppe identifiziert, haben die jeweiligen Konzerneinheiten ihr qualifiziertes Einkommen oder den qualifizierten Verlust nach den Vorschriften der Richtlinie zu ermitteln. Es ist also eine gesonderte Bemessungsgrundlage (Qualifying Income) zu ermitteln:

     

    Ausgangspunkt der Ermittlung ist das Nettoeinkommen (oder der Verlust) nach den unter 3.1 genannten Rechnungslegungsstandards der jeweiligen Konzerngesellschaften (z. B. IFRS). Wie auch in den OECD-Mustervorschriften vorgesehen soll das Nettoeinkommen bzw. der Verlust durch Kürzungen und Hinzurechnungen angepasst werden. Damit soll das Nettoeinkommen einer (vereinheitlichten) steuerlichen Bemessungsgrundlage angenähert werden, da dieses bei der Ermittlung der effektiven Steuerlast den zu berücksichtigenden Steuern gegenübergestellt wird (vgl. 3.2.3). So sind beispielsweise Schachteldividenden und Veräußerungsgewinne von Schachtelbeteiligungen zu kürzen, Währungs- und Marktbewertungseffekte zu berücksichtigen sowie Fehler aus früheren Perioden zu bereinigen (Art. 15 RL-E). Zudem werden Einkünfte aus der internationalen Schifffahrt vollständig ausgenommen.

     

    PRAXISTIPP | Handelt es sich bei der Konzerngesellschaft um eine transparente Einheit, wird das nach den Vorschriften ermittelte qualifizierte Einkommen anteilig den jeweiligen Gesellschaftern zugerechnet (Transparenzprinzip). Für Konzernbetriebsstätten wird das qualifizierte Einkommen grundsätzlich entsprechend ermittelt. Hat die Betriebsstätte keine eigene Handelsbilanz erstellt, ist eine Schattenrechnung anzufertigen. Hierbei sind die Grundsätze des AOA (Selbstständigkeitsfiktion von Betriebsstätten) zu beachten.

     

    3.2.2 Erfasste Steuern (Kap. 4 RL-E)

    In einem zweiten Schritt ermitteln die Konzerneinheiten ihre auf das qualifizierte Einkommen entfallenden Steuern. Der RL-E gibt vor, welche Steuern zu erfassen sind (sog. Covered Taxes). Abgestellt wird zunächst auf den laufenden Steueraufwand des laufenden Geschäftsjahres, der für den Nettogewinn oder -verlust der Finanzbuchhaltung zurückgestellt wurde, wobei sämtliche Steuern, die im Rahmen der IIR oder einer UTPR gezahlt wurden, nicht als erfasste Steuern gelten.

     

    Die grundsätzlich erfassten Steuern werden anschließend angepasst (danach sog. Adjusted Covered Taxes). Beispielsweise werden (Quellen-)Steuern auf ausgeschüttete oder fiktive Gewinne, (Quellen-)Steuern auf nicht ausgeschüttete Gewinne und Eigenkapital sowie Steuerrückstellungen hinzugerechnet. Fällt auf Ebene der Gesellschafter einer Konzerngesellschaft eine Hinzurechnungssteuer (etwa gem. §§ 7 ff. AStG) an, wird diese Steuer der Konzerngesellschaft, die die Einkünfte erzielt hat, zugerechnet. Quellensteuern werden beim Vergütungsempfänger erfasst.

     

    Temporäre Differenzen, die sich aus einer unterschiedlichen zeitlichen Erfassung von Erlösen und Aufwendungen aus steuerrechtlicher Sicht ergeben, sollen im Rahmen einer latenten Steuerrechnung berücksichtigt werden, indem der tatsächliche Steueraufwand um latente Steuern zu erhöhen und um latente Steuerforderungen zu reduzieren ist. Naturgemäß sind temporäre Differenzen zeitlich begrenzt; daher werden latente Steuern, die nicht innerhalb von fünf Jahren entrichtet wurden, spätestens im fünften Jahr vom tatsächlichen Steueraufwand abgezogen.

     

    3.2.3 Effektive Steuerbelastung und Aufstockungssteuersatz (Kap. 5 RL-E)

    Anhand des qualifizierten Einkommens und der erfassten Steuern lässt sich sodann die effektive Steuerbelastung i. S. d. RL-E (Effective Tax Rate) ermitteln. Die Berechnung erfolgt staatenbezogen. Demnach werden alle Konzerneinheiten, die im gleichen Steuerhoheitsgebiet ansässig sind, konsolidiert betrachtet (Jurisdictional Blending). Für die Berechnung der länderbezogenen effektiven Steuerlast werden die in dem Jahr angefallenen, erfassten Steuern aller in einem Staat ansässigen Konzerneinheiten den entsprechenden Gewinnen und Verlusten gegenübergestellt. Resultiert daraus eine effektive (Körperschaft-)Steuerlast von weniger als 15 %, ist das betreffende Steuerhoheitsgebiet als Niedrigsteuerjurisdiktion (Low-tax Jurisdiction) anzusehen. Die Differenz zwischen dem Mindeststeuersatz von 15 % und dem effektiven Steuersatz der Jurisdiktion ergibt den konkreten Aufstockungssteuersatz (Top-up Tax Percentage).

     

    3.2.4 Ausnahmen bei Substanz im Niedrigsteuerland und „De-Minimis“-Befreiung

    Mit dem Aufstockungssteuersatz wird anschließend nur ein gewisser Teil des anfänglich ermittelten, qualifizierten Einkommens (s. Abschnitt 3.2.1) belastet, nämlich der sog. Übergewinn (Excess Profit). Dieser berechnet sich aus dem qualifizierten Einkommen abzüglich eines Betrags für substanzbasiertes Einkommen, d. h. Einkommen aus einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit (Substance-based Income Exclusion). Der Abzugsbetrag ist die Summe aus 5 % der länderspezifisch berechneten Lohnkosten sowie 5 % der Buchwerte beweglicher Wirtschaftsgüter. In einer zehnjährigen Übergangsphase soll der Abzugsbetrag von anfänglich 10 % bzw. 8 % auf die 5 %-Schwelle abgesenkt werden. Nur der diese Abzugsbeträge übersteigende Teil des qualifizierten Einkommens wird sodann mit dem Aufstockungssteuersatz belastet.

     

    Weiterhin soll eine antragsgebundene Ausnahme von der Mindestbesteuerung bestehen, sofern der Umsatz innerhalb einer Jurisdiktion weniger als 10 Mio. EUR beträgt und das qualifizierte Einkommen im Zweijahresdurchschnitt 1 Mio. EUR nicht überschreitet (De Minimis Exclusion).

     

    PRAXISTIPP | Kapitel 8 der OECD-Mustervorschriften enthält eine Safe-Harbour-Regelung. Auf Grundlage einer noch zu erstellenden „White List“ sollen bestimmte Jurisdiktionen mangels Risikos einer Niedrigbesteuerung per se von der Mindestbesteuerung ausgenommen werden. Eine solche Regelung findet sich im RL-E nicht wieder, sondern ist lediglich in einem den Rechtsnormen vorgeschalteten Prüfungsschema (vgl. RL-E, S. 12) erwähnt.

     

    Weiterführender Hinweis

    • In der nächsten Ausgabe werden die Rechtsfolgen des RL-E anhand von Beispielsfällen sowie die Erklärungspflichten und die zeitliche Anwendung erläutert.
    Quelle: Ausgabe 08 / 2022 | Seite 216 | ID 48417499

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