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  • · Fachbeitrag · Grenzüberschreitende Arbeitnehmertätigkeit

    Anwendungsfragen zum Auslandstätigkeitserlass

    von StB Dr. Oliver Schmidt, Hamburg

    | Der sogenannte Auslandstätigkeitserlass (BMF 31.10.83, IV B 6 - S 2293 - 50/83, BStBl I 83, 470) gewährt im Ausland tätigen Arbeitnehmern unter bestimmten Voraussetzungen eine Befreiung von der deutschen Einkommensteuer. Im Folgenden soll der Anwendungsbereich des Auslandstätigkeitserlasses dargestellt und auf praktisch bedeutsame Anwendungsfragen eingegangen werden. Zwei dieser Anwendungsfragen werden in Kürze durch den BFH in zwei anhängigen Revisionsverfahren geklärt. |

    1. Anwendungsbereich des Auslandstätigkeitserlasses

    Eine Steuerbefreiung wird nach dem Auslandstätigkeitserlass (ATE) gewährt, wenn ein Arbeitnehmer für einen inländischen Arbeitgeber für einen Zeitraum von mindestens drei Monaten (zeitliche Voraussetzung) in einem Land tätig wird, mit dem kein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen wurde. Der Arbeitnehmer muss im Ausland außerdem einer begünstigten Tätigkeit nachgehen.

     

    Der ATE findet keine Anwendung, wenn der Arbeitslohn aus inländischen öffentlichen Kassen gezahlt wird. Die Anwendung des ATE ist somit auch ausgeschlossen, wenn die auszahlende Stelle zwar eine juristische Person des Privatrechts ist, diese aber hinsichtlich ihres Finanzgebarens der Aufsicht oder Prüfung durch die öffentliche Hand unterliegt und die gezahlte Vergütung überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert wird (BMF 13.11.19, IV C 5 - S 2300/19/10009). Daher fallen z. B. Auslandstätigkeiten für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (GIZ) in der Regel nicht in den Anwendungsbereich des ATE. Denn die GIZ ist zwar privatrechtlich organisiert, alleinige Gesellschafterin ist aber die Bundesrepublik Deutschland.

     

    1.1 Inländischer Arbeitgeber

    Begünstigt sind nur Tätigkeiten für einen inländischen Arbeitgeber. Der Ausschluss von Tätigkeiten für ausländische Arbeitgeber erklärt sich durch den Zweck des ATE: Durch die Steuerfreistellung soll die deutsche Exportwirtschaft gefördert werden. Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage des ATE (§ 34c Abs. 5 EStG) macht deshalb die Steuerfreistellung des ATE davon abhängig, dass dies aus „volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig ist“.

     

    Aufgrund eines EuGH-Urteils (28.2.13, C-544/11 Petersen, BStBl II 13 II, 847) wird der Anwendungsbereich aber auch auf ausländische Arbeitgeber ausgedehnt, wenn diese ihren Sitz in einem EU-Land haben. Die Gewährung der Steuerbegünstigung nur für Arbeitnehmer inländischer Arbeitgeber stellt nach diesem Urteil nämlich einen Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit dar. Die Finanzverwaltung wendet mit Rücksicht auf dieses Urteil den ATE auch dann an, wenn der Arbeitgeber seinen Sitz in einem EU- oder EWR-Land hat (OFD NRW 5.12.13, S 2293 ‒ St 152).

     

    PRAXISTIPP | Da die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch nach dem zwischen der Schweiz und der EU und ihren Mitgliedstaaten getroffenen sog. Freizügigkeitsabkommen geschützt wird, ist der ATE m. E. auch in den Fällen anwendbar, in denen ein in Deutschland wohnender Arbeitnehmer für einen Schweizer Arbeitgeber tätig ist.

     

    1.2 Zeitliche Voraussetzung

    Die Tätigkeit muss mindestens drei Monate im Ausland ausgeübt werden. Eine vorübergehende Rückkehr nach Deutschland, z. B. für eine Projektbesprechung, gilt bis zu einer Dauer von zehn Tagen nicht als Unterbrechung, wenn sie zur weiteren Durchführung der begünstigten Auslandstätigkeit notwendig ist. Auch eine Unterbrechung der Auslandstätigkeit wegen eines Urlaubs oder einer Krankheit ist unschädlich. Allerdings verlängert sich dann der Mindestzeitraum von drei Monaten um die Anzahl der Tage, an denen der Arbeitnehmer urlaubs- oder krankheitsbedingt nicht im Ausland tätig gewesen ist.

     

    1.3 Begünstigte Tätigkeit

    Begünstigt ist die Auslandstätigkeit für einen inländischen Lieferanten, Hersteller, Auftragnehmer oder Inhaber ausländischer Mineralaufsuchungs- oder -gewinnungsrechte im Zusammenhang mit

     

    • 1. der Planung, Errichtung, Einrichtung, Inbetriebnahme, Erweiterung, Instandsetzung, Modernisierung, Überwachung oder Wartung von Fabriken, Bauwerken, ortsgebundenen großen Maschinen oder ähnlichen Anlagen sowie dem Einbau, der Aufstellung oder Instandsetzung sonstiger Wirtschaftsgüter; außerdem ist das Betreiben der Anlagen bis zur Übergabe an den Auftraggeber begünstigt,

     

    • 2. dem Aufsuchen oder der Gewinnung von Bodenschätzen,

     

    • 3. der Beratung (Consulting) ausländischer Auftraggeber oder Organisationen im Hinblick auf Vorhaben i. S. d. Nrn. 1 oder 2 oder

     

    • 4. der deutschen öffentlichen Entwicklungshilfe im Rahmen der technischen oder finanziellen Zusammenarbeit.

     

    In der Praxis sind am häufigsten Tätigkeiten der Nrn. 1 und 4 anzutreffen, also dem (exportorientierten) Anlagenbau und der deutschen öffentlichen Entwicklungshilfe.

     

    Unsicherheiten bestehen immer wieder zu der Frage, in welchen Fällen es sich um deutsche öffentliche Entwicklungshilfe handelt. Unklar ist insbesondere,

     

    • ob eine lediglich teilweise Finanzierung der Entwicklungshilfe aus Mitteln der Bundesrepublik Deutschland genügt, um „deutsche öffentliche“ Entwicklungshilfe annehmen zu können oder

     

    • ob eine vollständige Finanzierung der Projektförderung aus deutschen Mitteln gewährleistet sein muss oder

     

    • ob es erforderlich ist, dass der Arbeitslohn mindestens zu 75 % durch den deutschen Staat, nämlich durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung oder eine (bundeseigene) private Gesellschaft (z. B. die GIZ) getragen wird.

     

    Die Finanzverwaltung vertritt in der Praxis im Regelfall letztere Auffassung. Höchstrichterliche Rechtsprechung gibt es zu dieser Frage ‒ soweit ersichtlich ‒ noch nicht.

     

    Beachten Sie | Nach dem Sinn und Zweck der Regelung (Förderung der deutschen Volkswirtschaft und Entwicklungshilfe) wäre es m. E. sachgerecht, deutsche öffentliche Entwicklungshilfe bereits dann anzunehmen, wenn die Projektmittel lediglich teilweise ‒ also entgegen der Praxis der Finanzverwaltung auch unter 75 % ‒ aus Mitteln der Bundesrepublik Deutschland stammen. Denn es wäre doch realitätsfern anzunehmen, dass der Staat sich ‒ in welchem Umfang auch immer ‒ an Entwicklungshilfeprojekten beteiligen würde, wenn das Projekt aus deutscher Sicht nicht förderungswürdig wäre.

     

    Vom Wortlaut der Vorschrift eindeutig nicht erfasst sind Entwicklungshilfeprojekte, die (ausschließlich) aus EU-Mitteln finanziert werden. Nach einem Urteil des FG Köln (22.3.18, 7 K 585/15) gebietet auch das Europarecht keine erweiterte Anwendung des ATE auf Fälle, in denen die Projektfinanzierung aus EU-Mitteln stammt. Das bereits oben zitierte Urteil des EuGH (28.2.13, C-544/11 Petersen, BStBl II 13 II, 847) sei nicht so zu verstehen, dass jede Entwicklungshilfe mit wie auch immer geartetem europäischen Bezug den Anwendungsbereich des ATE eröffnen müsse.

     

    PRAXISTIPP | Gegen das Urteil des FG Köln wurde Revision eingelegt (I R 20/18). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es in dem vom EuGH entschiedenen Fall Petersen ebenfalls nicht um deutsche öffentliche Entwicklungshilfe ging, sondern um dänische. Die Entscheidungsgründe des Vorlagebeschlusses in der Rechtssache Petersen deuten darauf hin, dass das FG (Rheinland-Pfalz 18.3.11, 4 K 2249/08) einen Unionsrechtsverstoß auch hinsichtlich der Beschränkung auf deutsche öffentliche Entwicklungshilfe gesehen hat. Der EuGH hat aber nur über die konkrete Vorlagefrage entschieden, und die betraf in der Rechtssache Petersen nur die Ansässigkeit des Arbeitgebers im EU-Ausland. Der Ausgang dieses für die Praxis sehr bedeutsamen Revisionsverfahrens I R 20/18 darf also mit Spannung erwartet werden.

     

    2. Ermittlung der steuerfreien Vergütung

    Der in einem Kalenderjahr gezahlte Arbeitslohn ist in einen steuerfreien Teil, der der begünstigten Auslandstätigkeit zuzuordnen ist, und in einen steuerpflichtigen Teil, der nicht der Auslandstätigkeit zuzuordnen ist, aufzuteilen. Dabei sind zunächst jene Vergütungsbestandteile, die direkt der Auslandstätigkeit zugeordnet werden können (z. B. Auslandszulage, Gestellung einer Unterkunft im Ausland), dem steuerfreien Teil der Vergütung zuzurechnen. Vergütungsbestandteile, die weder der inländischen noch der ausländischen Tätigkeit direkt zugeordnet werden können, sind nach den im Inland und Ausland verbrachten tatsächlichen Arbeitstagen innerhalb eines Kalenderjahres aufzuteilen (BMF 14.3.17, IV C 5 - S 2369/10/10002, BStBl I 17, 473). Bis zum Veranlagungszeitraum 2018 wurde bei Anwendung des ATE noch nach den vereinbarten Arbeitstagen aufgeteilt. Dadurch, dass nunmehr auf die tatsächlichen Arbeitstage abgestellt wird, wird im Bereich des ATE nach den gleichen Grundsätzen aufgeteilt wie bei Anwendung eines Doppelbesteuerungsabkommens.

    3. Verfahrensrechtliches

    Die Steuerbefreiung kann entweder vom Arbeitgeber im Lohnsteuerabzugsverfahren oder vom Arbeitnehmer bei seinem Wohnsitzfinanzamt geltend gemacht werden. In keinem der beiden Verfahren muss nachgewiesen werden, dass der steuerbefreite Arbeitslohn im Tätigkeitsstaat einer Einkommensteuer unterliegt. Bei einer Steuerfreistellung nach dem ATE ist es also möglich, dass die Vergütung für die Auslandstätigkeit überhaupt nicht besteuert wird.

     

    Die Vergütung unterliegt bei unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern dem Progressionsvorbehalt. Deshalb ist ein Arbeitnehmer bei einer Steuerfreistellung nach dem ATE auch verpflichtet, eine Einkommensteuererklärung abzugeben.

     

    3.1 Freistellung im Lohnsteuerabzugsverfahren

    Soll die Freistellung bereits im Lohnsteuerabzugsverfahren geltend gemacht werden, so hat der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer beim Finanzamt des Arbeitgebers einen Freistellungsantrag zu stellen. Die Freistellungsbescheinigung wird für einen Zeitraum von längstens drei Jahren erteilt. Nach Ablauf der drei Jahre muss ein neuer Antrag gestellt werden.

     

    Die Freistellungsbescheinigung kann erteilt werden, solange dem Arbeitgeber noch eine Änderung des Lohnsteuerabzugs möglich ist, also in der Regel bis zur Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung im Folgejahr.

     

    Beachten Sie | Eine vom Finanzamt des Arbeitgebers erteilte Freistellungsbescheinigung hat für das Wohnsitzfinanzamt des Arbeitnehmers keine Bedeutung. Das Wohnsitzfinanzamt kann also erneut prüfen, ob die Voraussetzungen des ATE vorgelegen haben und ggf. auch die Freistellung verweigern. Die Steuer wird dann im Rahmen des Einkommensteuerfestsetzungsverfahrens nacherhoben.

     

    3.2 Freistellung beim Wohnsitzfinanzamt

    Die Steuerfreistellung nach ATE kann beim Wohnsitzfinanzamt auch erstmalig geltend gemacht werden, also auch ohne eine vorherige Freistellung im Lohnsteuerabzugsverfahren durch den Arbeitgeber. In der Regel wird dann der Antrag auf Freistellung nach dem ATE mit Abgabe der Einkommensteuererklärung, aber jedenfalls im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung, also bis zur Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids; beantragt.

     

    Nach einer Entscheidung des FG Hessen (5.12.17, 1 K 501/16) ist ein erstmaliger Antrag auf Steuerfreistellung nach dem ATE auch dann noch zulässig, wenn der Einkommensteuerbescheid des betreffenden Veranlagungszeitraums bereits bestandskräftig ist. Lediglich die Festsetzungsfrist darf für den Veranlagungszeitraum noch nicht abgelaufen sein.

     

    Im Sachverhalt zum Urteil beantragten die zusammenveranlagten Eheleute die Änderung ihres bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides 2010 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dahin gehend, dass der ATE zur Anwendung komme. Sie begründeten dies damit, dass die Voraussetzungen dafür wie bereits in den Vorjahren erfüllt seien, nur der Arbeitgeber ab dem Jahr 2010 den ATE nicht mehr im Rahmen des Lohnsteuerabzugs umgesetzt habe. Da dem Ehemann nicht bewusst gewesen sei, dass es sich bei seinem Auslandsabordnungsvertrag sowie bei weiteren Unterlagen um steuerlich relevante Beweismittel gehandelt habe, treffe ihn kein grobes Verschulden daran, dies in der Steuererklärung nicht geltend gemacht zu haben. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab.

     

    Das FG hat dazu wie folgt Stellung genommen:

     

    • Bei der Freistellung des Arbeitslohns nach dem ATE handelt es sich verfahrensrechtlich um eine auf § 34c Abs. 5 EStG (i. V. m. dem ATE) gestützte Billigkeitsmaßnahme, über die nicht im Steuerfestsetzungsverfahren, sondern durch einen eigenen Bescheid zu entscheiden ist. Dieser eigenständige Bescheid stellt dann einen Grundlagenbescheid dar, der eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung nach § 175 AO ermöglicht bzw. erzwingt.

     

    • Es ist nicht so, dass der Antrag auf diese Billigkeitsmaßnahme nur bis zu dem Zeitpunkt gestellt werden kann, in dem der Einkommensteuerbescheid bestandskräftig wird. Denn aus dem Wortlaut des ATE ergibt sich keine solche zeitliche Beschränkung. Vielmehr heißt es in dem ATE unter „VI. Verfahrensvorschriften“ lediglich, dass der Arbeitnehmer den Verzicht auf die Besteuerung zu beantragen habe.

     

    • Dagegen wird in dem ebenfalls auf § 34c Abs. 5 EStG beruhenden sog. Pauschalierungserlass (BMF 10.4.84, IV C 6 - S 2293 - 50/83) geregelt, dass der Antrag gestellt werden kann, solange die Steuerfestsetzung noch nicht unanfechtbar ist. Entgegen der vom beklagten Finanzamt vertretenen Auffassung kann ein Erfordernis, das in einem Erlass normiert ist, nicht auf einen anderen Erlass übertragen und in dessen Tatbestandsvoraussetzungen hineingelesen werden. Vielmehr kann gerade deshalb davon ausgegangen werden, dass für die Anwendung des ATE dieses zeitliche Erfordernis nicht entscheidend ist.

     

    Beachten Sie | Das Finanzamt hat gegen das Urteil des FG Revision eingelegt, die beim BFH anhängig ist (I R 7/18).

    Quelle: Ausgabe 10 / 2020 | Seite 284 | ID 46845951

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