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  • · Fachbeitrag · Der praktische Fall

    Deutsche Verhandlungsgrundlage für DBA - Musterfälle zur Auslegung (Teil 1)

    von StB Prof. Dr. Dieter Endres und StB Dr. Carla Freiling, beide PwC Frankfurt

    | Mitte April 2013 hat das BMF eine erste Version der deutschen „Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen“ veröffentlicht. Seit dem 22.8.13 liegt eine überarbeitete Version des Abkommensmusters in deutscher und englischer Sprache vor. Zwar hat dieser vielgelobte „Meilenstein der Abkommenspolitik“ keinen grundsätzlichen Wechsel deutscher DBA-Politik eingeleitet, es wird aber dadurch u.a. transparent, wo deutsche abkommensrechtliche Vorstellungen den traditionellen OECD-Empfehlungen nicht folgen. Der Beitrag hebt anhand von einigen Musterfällen die wesentlichen Abweichungen hervor. |

    1. Einführung: Relevanz eines eigenständigen deutschen Abkommensmusters

    Die Forderung nach einem vom BMF erarbeiteten deutschen Abkommensmuster ist in jüngerer Zeit vermehrt erhoben worden (vgl. u.a. Brunsbach/Endres/Lüdicke/Schnitger, ifst-Schrift Nr. 480, S. 119). Der Wunsch nach einer Illustration deutscher Abkommenspositionen resultiert nicht zuletzt aus der Vielzahl der in der Praxis vorzufindenden DBA-Klauseln, die sich teilweise untereinander nicht nur im Wortlaut unterscheiden, sondern auch materiell abweichende Ergebnisse produzieren und sich auch in Widerspruch zu OECD-Empfehlungen setzen. Mit der Veröffentlichung der „Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen“ wurde diesem Wunsch im Jahr 2013 entsprochen. Die Reaktionen auf die Vorlage der Verhandlungsgrundlage waren durchgehend positiv, auch wenn die fachliche Auseinandersetzung mit einzelnen im neuen deutschen Modell eingeschlagenen Positionen jetzt erst richtig in Schwung kommen wird. Bei nahezu 100 bilateralen DBA, über die Deutschland als einer der Vorreiter im internationalen DBA-Netzwerk verfügt, ist Transparenz über die grundsätzlichen Abkommensvorstellungen sicherlich nicht nur hilfreich, sondern für das Abkommensverständnis unerlässlich.

     

    Die neue deutsche Verhandlungsgrundlage basiert auf dem OECD-Musterabkommen 2010, ohne alle diesbezüglichen Abkommensklauseln im Detail zu übernehmen (vgl. für eine detaillierte Gegenüberstellung von deutscher Verhandlungsgrundlage und OECD-Musterabkommen Brunsbach/Endres/Lüdicke/Schnitger, ifst-Schrift Nr. 492, Anlagen 4 und 5, 182 ff.). Modifikationen des UN-Musterabkommens, die sich durchaus in einzelnen deutschen Abkommen mit Entwicklungs- und Schwellenländern finden, haben keinen Eingang in die Verhandlungsgrundlage gefunden, werden aber dennoch bei Verhandlungen mit solchen Staaten Berücksichtigung finden (vgl. Valta, ISR 13, 186 ff.).

     

    Die nachfolgenden Musterfälle erläutern die unterschiedlichen Besteuerungskonsequenzen, die sich aus abweichenden Regelungen im OECD-Musterabkommen und im deutschen Abkommensmodell ergeben. Einige Musterfälle zeigen auch die neuere Abkommenspraxis anhand des relativ neuen DBA mit Liechtenstein auf, um deutlich zu machen, dass konkrete Abkommensregelungen immer das Ergebnis bilateraler Verhandlungen darstellen und nicht einseitig eine Abkommensposition widerspiegeln.

    2. Korrespondierende Änderungen bei Gewinnberichtigungen (Art. 7 Abs. 3)

    • Musterfall 1

    Josef Fischer betreibt seit Jahrzehnten sein erfolgreiches Unternehmen in Oberbayern. An drei im Ausland befindlichen Standorten (Länder O, V, Liechtenstein) unterhält er Produktionsbetriebsstätten. Mit Land O hat Deutschland ein dem OECD-Musterabkommen entsprechendes DBA vereinbart. Mit Land V liegt ein DBA nach deutscher Verhandlungsgrundlage vor. Mit Liechtenstein ist ein neues Abkommen am 19.12.12 in Kraft getreten. Im Rahmen der Ermittlung des Dotationskapitals der Betriebsstätten wendet Deutschland eine andere Methodik an als in jedem der drei Betriebsstättenstaaten. Dadurch kommt es zu unterschiedlichen Gewinnzurechnungen zu den Betriebsstätten durch die Vertragsstaaten. Die Betriebsstättenstaaten nehmen daher in Übereinstimmung mit Art. 7 Abs. 3 der jeweiligen DBA Änderungen der Gewinnzurechnungen vor und erhöhen den Betriebsstättengewinn. Wie reagiert die deutsche Finanzverwaltung auf diese Berichtigung? Wie wird die drohende Doppelbesteuerung vermieden?

     

    Lösungshinweise: Eine der wichtigsten Regelungen eines DBA ist die Besteuerungsabgrenzung im Unternehmensbereich. Art. 7 verankert diesbezüglich entsprechend allgemeiner internationaler Abkommenspraxis das Betriebsstättenprinzip. Danach dürfen die Unternehmen eines Vertragsstaats im anderen Staat nur besteuert werden, wenn sie dort eine Betriebsstätte unterhalten. Die Besteuerungszuordnung zum Quellenstaat gilt dabei für den Gewinn, der der Betriebsstätte zuzurechnen ist. Zu seiner Ermittlung folgen OECD-Musterabkommen und deutsche Verhandlungsgrundlage mittlerweile dem Authorised OECD Approach (AOA), der in Art. 7 Abs. 2 präzisiert ist.

     

    MERKE | Nach dem AOA wird die Betriebsstätte im Hinblick auf ihre wirtschaftlichen Beziehungen mit anderen Unternehmensteilen einem selbstständigen Unternehmen gleichgesetzt. Diese Grundsätze zur Anwendung des Fremdvergleichs auf alle grenzüberschreitenden Investitionsalternativen sind durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz - AmtshilfeRLUmsG) vom 26.6.13 in § 1 Abs. 5 AStG auch im nationalen deutschen Recht umgesetzt worden.

     

    Art. 7 Abs. 3 der Verhandlungsgrundlage behandelt die Gegenberichtigung zur Beseitigung einer drohenden Doppelbesteuerung, wenn beide Staaten bei der Anwendung der Zurechnungsregeln nach dem AOA zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Bereits im Eingangssatz von Abs. 3 weichen der Wortlaut von Verhandlungsgrundlage und OECD-Modell voneinander ab, was auch inhaltlich zu einem anderen Regelungsinhalt führt. Während die OECD-Basis von „adjusts“ (ändern) spricht, verwendet die deutsche Verhandlungsgrundlage „berichtigt“, was eine zuvor fehlerhafte Gewinnzurechnung impliziert. Wie Kaeser aber zu Recht feststellt, ist eine falsche Gewinnzurechnung bereits nach Art. 7 Abs. 2 zu korrigieren. Der Regelungsinhalt von Art. 7 Abs. 3 umfasst vielmehr alle Änderungen, somit auch jene, die durch bestehende Auslegungsspielräume entstehen können (vgl. Kaeser, in: Wassermeyer, DBA, 124. Aufl. 2013, Art. 7 DE-VG, Rn. 811).

     

    Abweichend von der Regelung im OECD-MA sieht die deutsche Verhandlungsgrundlage darüber hinaus vor, dass der zur Gegenberichtigung berufene Staat der Gewinnberichtigung zustimmen muss (vgl. Lüdicke, ifst-Schrift Nr. 492, S. 108). Somit wird ein Vertragsstaat nur dann zur Gegenberichtigung verpflichtet, wenn er den im anderen Vertragsstaat vorgenommenen Gewinnansatz als dem Maßstab des Drittvergleichs entsprechend anerkennt. Genau dies ist jedoch in der Regel der Streitpunkt zwischen den Vertragsstaaten. Somit wirkt die Klausel in der deutschen Verhandlungsgrundlage lediglich als Aufforderung an die Vertragsstaaten, sich um eine gegenseitige Verständigung im Sinne der Zielsetzung des Artikels zu bemühen (ggfs. über die Einleitung eines Verständigungsverfahrens). Dagegen ist im OECD-Musterkommentar ein Einigungszwang vorgesehen, wobei allerdings Art. 7 Nr. 68 des Musterkommentars auch die jetzt von deutscher Seite eingeschlagene Alternativregelung offen lässt. Der Grund für den im deutschen Modell vorgenommenen Verzicht auf die obligatorische Folgeänderung oder - als Mittellösung - wenigstens auf die Einberufung eines obligatorischen Verständigungsverfahrens bleibt unklar. Konfliktfälle erscheinen vorprogrammiert. Für den Musterfall ergeben sich in Bezug auf die drei Betriebsstättenstaaten folgende Lösungen:

     

    • Im Fall der Betriebsstätte im Land O, mit dem Deutschland ein Abkommen auf OECD-Basis abgeschlossen hat, muss Deutschland bei einer Gewinnkorrektur in Übereinstimmung mit Abs. 2 eine Folgeänderung vornehmen. Bei dieser Änderung werden die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten einander erforderlichenfalls konsultieren.

     

    • Mit Land V wurde ein DBA auf Basis der neuen Verhandlungsgrundlage geschlossen. Stimmt Deutschland der ausländischen Gewinnberechtigung nicht zu, müssen sich die beiden Vertragsstaaten lediglich bemühen, eine Doppelbesteuerung durch Verständigung zu vermeiden - mangels Einigungszwang alles andere als ein befriedigendes Ergebnis.

     

    • Im neuen DBA mit Liechtenstein wird in Art. 7 Abs. 3 geregelt, dass eine Doppelbesteuerung verbindlich durch Verständigung beseitigt wird. Insoweit sieht dieses Abkommen zwar auch das Zustimmungserfordernis des zur Gegenberechtigung aufgeforderten Staates (hier: Deutschland) vor, für das sich anschließende Verständigungsverfahren ist aber Einigungszwang vorgeschrieben.

     

    Josef Fischer droht also mit seinen Aktivitäten in Land V eine Doppelbesteuerung, während die Einheitlichkeit der Betriebsstättenabgrenzung mit den Ländern O und Liechtenstein (ggf. nach unterschiedlichen Verfahrensschritten) gewährleistet ist.

    3. Vorliegen einer Schachtelbeteiligung (Art. 10)

    • Musterfall 2

    Die in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Safety First GmbH ist an mehreren Gesellschaften im Ausland beteiligt. Die risikoaverse Unternehmensleitung strebt bei den Auslandsinvestments aber eher Diversifikation der Investitionen als strategische Allianzen an. Daher entsprechen die Beteiligungen jeweils lediglich 15 % des Kapitals an den Auslandsgesellschaften. Seit dem Jahr 2010 bestehen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften im Nicht-EU-Land O, im Nicht EU-Land V und in Liechtenstein. Aus allen Beteiligungen sind im Kalenderjahr 2013 Dividenden von 100.000 EUR an die deutsche GmbH ausgeschüttet worden. Wie im vorangehenden Fall hat Deutschland mit Land O ein dem OECD-Musterabkommen entsprechendes DBA vereinbart, während mit Land V ein DBA nach deutschem Verhandlungsmuster abgeschlossen wurde. Mit Liechtenstein ist seit 2013 ein neues DBA anzuwenden. Welche Quellensteuern fallen auf die jeweiligen Dividendenzahlungen an?

     

    Lösungshinweise: Art. 10 regelt die Besteuerung der Dividenden im Quellenstaat. Im Artikel kommt dies weniger klar zum Ausdruck, da sein Abs. 1 die Regel in den Vordergrund stellt, dass Dividenden in dem Vertragsstaat besteuert werden können, in dem der Empfänger ansässig ist. Aber diese Aussage ist im Zusammenhang mit Abs. 2 zu lesen, der das Entscheidende festlegt, nämlich dass die Dividenden auch im Quellenstaat besteuert werden können. Dabei sehen die Abkommen bezüglich der Höhe der Quellenbesteuerung eine Abstufung vor, die sich wiederum an der Höhe der Beteiligung orientiert. Für sog. Schachtelbeteiligungen sehen die DBA einen deutlich reduzierten Quellensteuersatz vor, der insbesondere in internationalen Konzernen eine Mehrfachbesteuerung vermeiden soll (vgl. Kaeser/Wassermeyer, in: Wassermeyer, DBA, OECD-MA, Art. 10, Rn. 9).

     

    Sowohl bezüglich des Beteiligungsumfangs, um das „Schachtelbeteiligungsprivileg“ beanspruchen zu können, als auch bezüglich der Höhe der vereinbarten maximalen Quellensteuersätze bestehen von Abkommen zu Abkommen Unterschiede. Für den Beispielsfall gilt Folgendes:

     

    • Das OECD-Musterabkommen sieht ein Schachtelprivileg erst ab einer Beteiligung an dem Kapital der ausschüttenden Gesellschaft von mindestens 25 % vor. Für die Investition der Safety First GmbH im Land O greift aufgrund der lediglich 15 %igen Beteiligung das Schachtelprivileg nicht. Insofern kann das Land O den in Art. 10 Abs. 2 ansonsten vorgesehenen Quellensteuersatz von 15 % anwenden. Die Quellensteuer beträgt 15.000 EUR.

     

    • Mit Land V liegt dagegen ein DBA nach dem Vorbild des deutschen Verhandlungsmusters vor. Einer langen Tradition folgend sieht das deutsche Verhandlungsmuster eine Schachtelprivilegierung bereits ab einer Beteiligung von mindestens 10 % am Kapital der ausschüttenden Gesellschaft vor. Dadurch ist der Kreis der Anspruchsberechtigten größer als nach dem OECD-Musterabkommen, was grundsätzlich positiv zu werten ist. Die Quellensteuer des Staates V ist auf 5 % (5.000 EUR) begrenzt.

     

    • Das Abkommen mit Liechtenstein sieht in Art. 10 Abs. 2 ebenfalls das Schachtelprivileg für Beteiligungen von mindestens 10 % der stimmberechtigten Anteile an der die Dividenden zahlenden Gesellschaft vor. Liegt eine qualifizierende Schachtelbeteiligung vor, d.h. die Beteiligung besteht zum Zeitpunkt des Dividendenzuflusses seit mindestens 12 Monaten, so entfällt das Recht des Quellenstaats für die Dividendenbesteuerung gänzlich. Die Voraussetzung der qualifizierenden Beteiligung liegt im Sachverhalt vor. Liechtenstein darf auf die Dividendenzahlungen an die Security First GmbH keine Quellensteuern erheben.

     

    Aufgrund unterschiedlicher DBA-Regelungen fallen für die drei Auslandsinvestitionen der Safety First GmbH jeweils unterschiedliche Quellensteuern an (15 %, 5 %, 0 %). Bei Investitionen innerhalb der EU wäre allerdings durch die Mutter-Tochter-Richtlinie insoweit einheitlich der Quellenbesteuerungsverzicht gewährleistet.

    4. Quellenbesteuerung auf Zinsen (Art. 11)

    • Musterfall 3

    Gesa Zweier aus Frankfurt hält festverzinsliche Unternehmensanleihen von zwei Auslandsgesellschaften. Sowohl von der Take it easy Inc. aus Land O als auch von der Trust me Corp. aus Land V erhält sie im Jahr 2013 Zinszahlungen in Höhe von 100.000 EUR. Die Länder O, mit denen Deutschland ein DBA nach OECD-Standards abgeschlossen hat, und V, hier stand bereits die neue Verhandlungsgrundlage bei dem Abkommensschluss Pate, erheben nach nationalem Recht Quellensteuern auf Zinsen in Höhe von 30 %. Ist der Steuerabzug an der Quelle in dieser Höhe zulässig?

     

    Lösungshinweise: Art. 11 der Abkommen regelt die Besteuerungszuordnung für Zinsen:

     

    • Art. 11 Abs. 2 des OECD-Musterabkommens hält dabei an einem Quellenbesteuerungsrecht von 10 % für den Staat fest, aus dem die Zinsen stammen. Das Land O kann deshalb nur einen Quellensteuerabzug von 10.000 EUR auf die an Gesa Zweier gezahlten Zinsen vornehmen.

     

    • Mit Land V ist ein DBA anwendbar, das der deutschen Verhandlungsgrundlage entspricht. Art. 11 der deutschen Verhandlungsgrundlage bestimmt, dass Zinsen nur in dem Vertragsstaat besteuert werden dürfen, in dem der Empfänger (als Nutzungsberechtigter) ansässig ist. Aus der Zuordnung des ausschließlichen Besteuerungsrechts an den Wohnsitzstaat folgt, dass die an Gesa Zweier gezahlten Zinsen im Land V steuerfrei zu lassen sind.

     

    • Das DBA-Liechtenstein sieht wie die deutsche Verhandlungsgrundlage kein Quellensteuerrecht vor. Deshalb ist in diesem Beispiel keine gesonderte Alternative für Liechtenstein dargestellt.

     

    Beachten Sie | Auch bei der Definition des Begriffs Zinsen bestehen zwischen dem Wortlaut des OECD-Modells und der deutschen Verhandlungsgrundlage Divergenzen. So betont die deutsche Verhandlungsgrundlage - dem Wortlaut des deutschen DBA mit den USA folgend - in einer im OECD-Modell nicht vorgesehenen Negativabgrenzung die Subsidiarität der Einordnung als Zinsen gegenüber den in Art. 10 geregelten Dividenden (zu Einzelheiten vgl. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA Deutschland/USA, Art. 11, Rn. 49).

    5. Uneingeschränktes Besteuerungsrecht bei gewinnabhängigen Vergütungen (Prot. Nr. 1)

    • Musterfall 4

    Pedro Rodriguez ist im Ausland (Land O, alternativ Land V oder Liechtenstein) ansässig und erhält Zinsen auf ein partiarisches Darlehen aus Deutschland von 100.000 EUR. Mit Land O besteht ein dem OECD-Musterabkommen nachgebildetes DBA, während das DBA mit Land V der Verhandlungsgrundlage entspricht.

     

    Lösungshinweise: Im OECD-Abkommen ist der Quellensteuerabzug für Zinsen ausschließlich in Art. 11 geregelt und es besteht ein Quellenbesteuerungsrecht, das auf 10 % begrenzt ist. Die deutsche Verhandlungsgrundlage enthält in ihren Protokollbestimmungen zum Teil von den Regelungen der Verteilungsartikel abweichende Besteuerungsfolgen. Art. 11 der Verhandlungsgrundlage sieht grundsätzlich einen Ausschluss des Quellenbesteuerungsrechts auf Zinsen vor. Protokoll Nr. 1 der Verhandlungsgrundlage bestimmt demgegenüber, dass „ungeachtet der Artikel 10 und 11“ Dividenden und Zinsen im Quellenstaat nach dessen Recht besteuert werden können, wenn sie auf bestimmten gewinnabhängigen Vergütungen (v.a. Einkünfte eines stillen Gesellschafters aus seiner Beteiligung als stiller Gesellschafter oder Einkünfte aus partiarischen Darlehen oder Gewinnobligationen i.S. des deutschen Steuerrechts) beruhen und beim Schuldner abzugsfähig sind. Ob die Protokollregelung im Zusammenhang mit der Dividendenregelung des Art. 10 einen Anwendungsbereich hat, wird in der Literatur bezweifelt (vgl. Lüdicke, Beihefter zu IStR 13, 26). Die Protokollregelung entspricht langjähriger deutscher Abkommenspolitik. In den seit 2009 unterzeichneten oder neu anzuwendenden DBA fehlt nur im DBA Zypern eine entsprechende Regelung. Mit der Protokollregelung soll (vor allem das deutsche) uneingeschränkte Quellenbesteuerungsrecht für gewinnabhängige Vergütungen aufrecht erhalten werden. Für das Beispiel ergeben sich folgende Lösungen.

     

    • Bei Ansässigkeit im Land O ist das Quellenbesteuerungsrecht Deutschlands nach Art. 11 Abs. 2 OECD-MA auf 10 % begrenzt.

     

    • Ist Pedro Rodriguez im Land V ansässig, kann Deutschland demgegenüber sein Quellensteuerrecht unter der Voraussetzung uneingeschränkt ausüben, dass die Vergütungen beim deutschen Schuldner abzugsfähig sind. Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a) i.V.m. § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG beträgt die deutsche Kapitalertragsteuer 25 %. Die Kapitalertragsteuer hat Abgeltungswirkung (§ 50 Abs. 2 EStG)

     

    • Unter dem DBA Liechtenstein ergeben sich grundsätzlich die gleichen Rechtsfolgen wie unter dem DBA mit Land V, allerdings resultiert das uneingeschränkte Quellensteuerrecht Deutschlands direkt aus Art. 11 Abs. 2 DBA Deutschland-Liechtenstein.

    6. Regelungen zur Wegzugsbesteuerung (Art. 13 Abs. 6)

    • Musterfall 5

    Die Schwestern Olga und Verena Kunterbunt halten jeweils 50 % der Anteile an der durch ihren Vater gegründeten Kunterbunt GmbH im steuerlichen Privatvermögen. Sie sind beide seit ihrer Geburt in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Die historischen Anschaffungskosten für die Anteile betragen jeweils 100.000 EUR, die gemeinen Werte jeweils 1.000.000 EUR. Olga beendet ihre unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland durch Wegzug in Land O, während Verena ebenfalls einen Wegzug - allerdings in Land V - vollzieht. Die Anteile an der Kunterbunt GmbH werden nicht veräußert. Sind die stillen Reserven in den Anteilen an der Kunterbunt GmbH im Zeitpunkt des Wegzugs zu besteuern?

     

    Lösungshinweise: Mit ihrem Wegzug verwirklichen beide Schwestern die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 AStG hinsichtlich der sog. Wegzugsbesteuerung. Danach wird der Vermögenszuwachs in Anteilen im Sinne des § 17 Abs. 1 EStG auch ohne Veräußerung durch Aufgabe des inländischen Wohnsitzes ausgelöst, wenn eine unbeschränkte Steuerpflicht seit mindestens zehn Jahren bestand. § 6 sichert Deutschland die Besteuerung der stillen Reserven in Beteiligungen durch Gleichstellung der Wohnsitzverlegung mit einer Veräußerung (vgl. Kraft, Außensteuergesetz, 1. Aufl. 2009, § 6, Rn. 15; Endres/Freiling, PIStB 09, 72 ff.). Auf Abkommensebene gilt Folgendes:

     

    • Da mit Land O ein dem OECD-Muster entsprechendes Abkommen vereinbart ist, ist der Besteuerungsanspruch Deutschlands auf Besteuerung der stillen Reserven im Zeitpunkt des Wegzugs von Olga Kunterbunt unter Anwendung des Art. 13 Abs. 5 OECD-MA zu überprüfen. Als Auffangnorm weist Art. 13 Abs. 5 OECD-MA für alle in den vorangehenden Vorschriften nicht genannten Vermögensbestandteile dem Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht für Veräußerungsgewinne zu. Da Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht in einem Betriebsvermögen gehalten werden, nicht explizit in Art. 13 Abs. 1 - 4 genannt werden, fallen typischerweise Veräußerungsgewinne i.S.d. § 17 EStG unter die Regelung des Art. 13 Abs. 5. Allerdings nennt Art. 13 OECD-MA die Wegzugsbesteuerung nicht ausdrücklich, sodass die abkommensrechtliche Zulässigkeit einer Wegzugsbesteuerung nur durch eine weite Auslegung des Begriffes „Veräußerung“ erreicht werden kann (vgl. Reimer, in: Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 5. Aufl. 2008, Art. 13, Rn. 204). Auch wenn gegenwärtig die überwiegenden Stimmen im Schrifttum die Subsumtion der Wegzugsbesteuerung unter Art. 13 Abs. 5 unterstützen, besteht bei engem Auslegungsverständnis hier Unsicherheit (vgl. Wassermeyer, in: Wassermeyer, DBA, Art. 13 OECD-MA, Rn. 31; Häck, in: Haase, Außensteuergesetz, Doppelbesteuerungsabkommen, § 6 AStG, Rn. 23 - 30).

     

    • Das deutsche Verhandlungsmuster sieht eine spezielle Wegzugsklausel in Art. 13 Abs. 6 vor. Diese Klausel soll Doppelbesteuerungen vermeiden und das Besteuerungsrecht interessengerecht zwischen dem Wegzugsstaat Deutschland und dem Zuzugsstaat V aufteilen. Regelungstechnisch erfolgt dies, indem dem Wegzugsstaat das Recht zur (fiktiven) Veräußerungsgewinnbesteuerung hinsichtlich der im Wegzugsstaat gebildeten stillen Reserven zugestanden wird und der Zuzugsstaat V bei der Ermittlung eines eventuellen späteren Veräußerungsgewinns als Anschaffungskosten den Wert im Zuzugszeitpunkt zugrunde legt, d.h. einen sog. step-up gewährt (vgl. Häck, a.a.O., Rn. 25; zur Wertverknüpfung bei Zuzug vgl. Jacob, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, Art. 13, Anm. 98).

     

    • Bei einem Wegzug nach Liechtenstein würden sich dieselben Rechtsfolgen wie bei einem Wegzug nach Land V ergeben.

     

    Im Ergebnis wird für die Schwestern Olga und Verena Kunterbunt die Wegzugsbesteuerung nach § 6 Abs. 1 AStG in Verbindung mit Art. 13 Abs. 5 bzw. 6 der einschlägigen DBA ausgelöst. Beide haben stille Reserven von jeweils 900.000 EUR zu versteuern. Bei Wegzug in einen Mitgliedstaat der EU sieht § 6 Abs. 5 AStG eine zinslose Stundung der Wegzugssteuer vor. Während für Olga Kunterbunt im Staat O die Höhe eines künftigen Veräußerungsgewinns offen ist (Berechnung des Veräußerungsgewinns auf Basis historischer Anschaffungskosten oder auf Basis des Wertes im Zuzugszeitpunkt), kann sich Verena Kunterbunt im Land V auf den partiellen Besteuerungsverzicht durch einen step-up im Zuzugszeitpunkt berufen.

    7. Besteuerung von Sozialversicherungsrenten (Art. 17 Abs. 2)

    • Musterfall 6

    Anna Feyerabend möchte nach jahrzehntelanger sozialversicherungspflichtiger Tätigkeit in Deutschland ihren wohlverdienten Ruhestand im Ausland genießen und wandert aus. Sie ist künftig entweder in Land O (das DBA entspricht dem OECD-MA), in Land V (das DBA entspricht der deutschen Verhandlungsgrundlage) oder in Liechtenstein ansässig. Sie erhält eine monatliche Rente aus der deutschen Sozialversicherung von 1.000 EUR.

     

    Lösungshinweise: Seit 2005 greifen innerstaatlich die Regelungen zum Übergang auf die nachgelagerte Besteuerung, nach der Beiträge, die in die gesetzliche Rentenversicherung geleistet werden, in zunehmendem Maße als Sonderausgaben berücksichtigt werden können. Allerdings unterliegen die Renten in der Auszahlungsphase auch in zunehmenden Maße der Besteuerung. Ausgehend von der Berücksichtigung der Rentenbeiträge als Sonderausgaben hat Deutschland ein Interesse, auch in der Auszahlungsphase der Renten sein Besteuerungsrecht aufrecht zu erhalten. § 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG enthält die innerstaatliche Besteuerungsgrundlage für die im Ausland empfangenen Renten, wenn die Beiträge ganz oder teilweise als Sonderausgaben berücksichtigt wurden. Die ins Ausland verzogenen Rentner sind grundsätzlich verpflichtet, für ihre Renteneinkünfte in Deutschland eine Steuererklärung abzugeben (Loschelder in Schmidt: EStG-Kommentar, § 49 Rn. 119; vgl. zu dieser Thematik ausführlich Rochow, ISR 13, 181 ff.). Vermehrt wurden in den DBA der letzten Jahre diesbezüglich Regelungen aufgenommen, die im Einzelnen unterschiedlich ausgestaltet sind (z.B. ausschließliches Besteuerungsrecht des Quellenstaates oder ein auf 10 % begrenztes Besteuerungsrecht, ggf. auch Vereinbarung von Freibeträgen).

     

    Art. 17 Abs. 1 der Verhandlungsgrundlage weist - dem OECD-Musterabkommen folgend - das Besteuerungsrecht für Renten grundsätzlich dem Ansässigkeitsstaat zu. Abweichend hiervon wird dem Förderstaatsprinzip in Art. 17 Abs. 2 dadurch Rechnung getragen, dass Renten im Kassenstaat besteuert werden können, wenn sie aufgrund des Sozialversicherungsrechts des Kassenstaats gezahlt werden. Das OECD-Musterabkommen enthält keine vergleichbare Regelung. Für den Beispielsfall ergeben sich folgende Auswirkungen:

     

    • Verzieht Anna Feyerabend in das Land O, so hat der Ansässigkeitsstaat O das ausschließliche Besteuerungsrecht auf die Sozialversicherungsrenten. Deutschland ist durch das DBA an der Ausübung seines in § 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG geregelten Besteuerungsrechts gehindert.

     

    • Nach dem DBA mit Land V (Art. 17 Abs. 2 Verhandlungsgrundlage) hat Deutschland ein Quellenbesteuerungsrecht, das der Höhe nach nicht beschränkt ist. Allerdings ist diese Quellenbesteuerung nicht als ausschließliches Besteuerungsrecht konzipiert, denn das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates wird in der DBA-Kollisionsnorm nicht eingeschränkt. Der Ansässigkeitsstaat muss eine ggf. entstehende Doppelbesteuerung vermeiden.

     

    • Bei Ansässigkeit in Liechtenstein steht nach Art. 17 Abs. 2 des DBA Deutschland als Kassenstaat das ausschließliche Besteuerungsrecht zu, d.h. die Rente wird nur in Deutschland besteuert. Anna unterliegt weiterhin in Deutschland der Steuerveranlagung.

     

    Weiterführende Hinweise

    • In der nächsten Ausgabe werden in einem zweiten Teil weitere Musterfälle zu den Konsequenzen divergierender Abkommensregelungen vorgestellt. Dabei geht es um die Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. In einem abschließenden Resümee bewerten die Autoren die deutsche Verhandlungsgrundlage und nehmen zur praktischen Rechtsanwendung Stellung.
    • Siehe auch „Musterfälle zu aktuellen Tendenzen in der deutschen Abkommenspolitik“, Endres/Freiling, PIStB 12, 161 und 189
    Quelle: Ausgabe 02 / 2014 | Seite 40 | ID 42492473

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