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  • · Fachbeitrag · Aktuelle Rechtsprechung

    Behandlung für 100.000 Euro, 57 Formulare, 2 Tage Bedenkzeit: Zahnarzt verletzt Aufklärungspflicht

    von Rechtsanwältin Doris Mücke, Bad Homburg

    | Mit Urteil vom 30.01.2017 (Az. 1 U 15/16, Abruf-Nr. 192278 ) hat sich das Oberlandesgericht (OLG) Celle insbesondere mit der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht des Zahnarztes bei der extrem kostenintensiven Behandlung eines GKV-Patienten befasst. Die Konsequenzen für die wirtschaftliche Aufklärungspflicht werden in diesem Beitrag aufgezeigt. |

    Der Fall

    Der Zahnarzt hatte dem Patienten 57 Formulare über die von ihm geplante Behandlung über insgesamt 103.000 Euro zur Unterschrift vorgelegt und nur zwei Tage nach der Erstvorstellung des Patienten mit der umfangreichen Behandlung begonnen. Der Patient hatte die Aufstellung der Gesamtkosten, die Einverständniserklärungen und die Vielzahl der Leistungs- und Kostenaufstellungen zwar zuvor unterschrieben. Er brach aber die Behandlung aus Kostengründen ab, nachdem ihm von der Factoring-Gesellschaft Leistungen in Höhe von rund 35.000 Euro in Rechnung gestellt worden waren.

     

    Da der Patient die Rechnungen nicht zahlte, wurde er von der Factoring-Gesellschaft, an die der Zahnarzt seine Forderungen mit Einverständnis des Patienten abgetreten hatte, auf Zahlung verklagt. Das Landgericht Hannover verurteilte den Patienten, rund 16.000 Euro zu zahlen, und wies die Klage im Übrigen ab. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Factoring-Gesellschaft und des Zahnarztes verurteilte das OLG Celle den Patienten, weitere 1.700 Euro zu zahlen, und wies die Klage im Übrigen ab.

    Das Urteil

    Das von der Factoring-Gesellschaft geltend gemachte Honorar oberhalb des 2,3-fachen Gebührensatzes sprach das Gericht ihr nicht zu. Hierzu führte es aus, der Patient habe einen Schadenersatzanspruch gemäß § 280 BGB, den er dem Honoraranspruch der Gesellschaft entgegenhalten könne. Begründung: Der Zahnarzt sei seinen Informationspflichten zu den finanziellen Folgen der Behandlung nicht nachgekommen. Auch schon vor dem Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes sei der Zahnarzt verpflichtet gewesen, den Patienten über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung zu informieren. Dies gilt vor allem dann, wenn dem Zahnarzt bekannt ist, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist.

     

    Bei einem GKV-Patienten seien - wenn die Gesamtkosten einer Privatbehandlung in ganz erheblicher Weise von denen einer Standardkassenbehandlung abwichen - strenge Anforderungen an die wirtschaftliche Aufklärung zu stellen. Je weiter sich die tatsächliche Kostenforderung von den Kosten einer Grundversorgung entferne, desto gravierender seien - für den Zahnarzt erkennbar - die wirtschaftlichen Folgen für den Patienten. In einem solchen Fall müsse der Zahnarzt eine vernünftige Aufklärung gewährleisten. Hierzu gehöre zum einen die Aufklärung über ggf. kostengünstigere Behandlungsalternativen. Zum anderen müsse dem Patienten ausreichend Zeit eingeräumt werden, den Behandlungsvorgang und die zu erwartenden Kosten zu durchschauen und abzuwägen. Beides sah das OLG Celle im betreffenden Fall als nicht erfüllt an. Die Vorlage von 57 Formularen mit umfangreichen Behandlungsschritten und Kostenaufstellungen innerhalb von zwei Tagen zur Unterschrift würden eine hinreichende Aufklärung nicht gewährleisten.

    Welche Vorgehensweise ist bei GKV-Patienten zu empfehlen?

    Das Urteil behandelt einen besonderen Fall, nämlich eine sehr kostenintensive Privatbehandlung bei einem GKV-Patienten. Dieser hatte zudem nur sehr wenig Zeit, sich mit der Behandlungsplanung und den Kosten zu befassen.

     

    Normalerweise werden einem PKV-Patienten nach Aufklärung über Behandlungsalternativen für umfangreichere Behandlungen schriftliche Heil- und Kostenpläne (HKP) erstellt. Sie enthalten den Hinweis, dass eine Erstattung durch Erstattungsstellen möglicherweise nicht in vollem Umfang gewährleistet ist. Damit wäre die Vorgabe des § 630c Abs. 3 BGB erfüllt. Der Patient reicht den schriftlichen HKP in aller Regel dem Krankenversicherer ein. Dessen Reaktion erfolgt innerhalb von drei Wochen. Somit hat der Patient genug Zeit, die Behandlung zu überdenken und die Kostenbelastung zu klären.

     

    Beim GKV-Patienten wäre das Vorgehen entsprechend: Man sollte ihm Behandlungsalternativen aufzeigen, einen HKP erstellen und ihm eine angemessene Überlegens- und Prüfungsfrist von zwei bis drei Wochen einräumen. Der Vertragszahnarzt hat zudem die Vorgaben zu beachten, dass er nach dem Bundesmantelvertrag-Zahnärzte eine Privatbehandlung vereinbaren muss. Unter folgenden Voraussetzungen ist dies erforderlich:

     

    • Die Leistung ist kein Bestandteil der vertragszahnärztlichen Versorgung (z. B. funktionsanalytische Leistungen, KFO-Behandlung von Erwachsenen, implantologische Leistungen).
    • Die Behandlung ist nicht im BEMA-Leistungskatalog enthalten (z. B. elektrometrische Längenbestimmung, professionelle Zahnreinigung)
    • Sie geht über das Maß der ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung hinaus (z. B. Wurzelkanalbehandlungen, die nicht im Rahmen der Richtlinien zu behandeln sind).
    • Es handelt sich um eine medizinisch nicht notwendige Leistung.

     

    In diesen Fällen soll er sich den Wunsch des Versicherten, die Behandlung als Privatbehandlung auf eigene Kosten durchführen zu lassen, schriftlich bestätigen lassen. Zwar handelt es sich hierbei nicht um eine zwingende Formvorschrift. Dennoch sollte aus Rechtssicherheits- und Beweisgründen unbedingt eine schriftliche Vereinbarung nach der Vorgabe der §§ 4 Abs. 5 BMV-Z bzw. 7 Abs. 7 EKV-Z erfolgen. Diese sollte auch den Hinweis enthalten, dass eine Erstattung oder Bezuschussung durch die gesetzliche Krankenkasse oder andere Erstattungsstellen nicht gewährleistet ist.

    Quelle: Ausgabe 04 / 2017 | Seite 2 | ID 44578636