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  • · Fachbeitrag · Verfahrensrecht

    Aussetzung der Vollziehung nach § 361 AO: So ziehen Sie alle Register

    von Dipl.-Finw. (FH) Karl-Heinz Günther, Übach-Palenberg

    | Wer gegen einen Steuerbescheid Einspruch einlegt, muss beachten, dass die Vollziehung des angefochtenen Bescheids nicht gehemmt wird. Das heißt, auch derjenige muss den vom FA geforderten Betrag zunächst zahlen, der unstreitig im Recht ist. Dies kann jedoch vermieden werden, wenn die Vollziehung ausgesetzt wird (§ 361 Abs. 2 AO). Eine solche ist zwar auch von Amts wegen möglich, der Steuerpflichtige sollte sie jedoch grundsätzlich beantragen. Was es hierbei zu beachten gilt, zeigt der folgende Beitrag. |

    1. Allgemeines

    Eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) setzt grundsätzlich einen zulässigen Einspruch voraus. Bei Änderungsanträgen findet § 361 AO weder direkt noch analog Anwendung. Hier kann allenfalls ein Antrag auf Stundung (§ 222 AO) gestellt werden.

     

    Die AdV dokumentiert zwar Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, sie darf jedoch keinesfalls als Präjudiz in der Hauptsache gesehen werden, da sie allein auf einer begrenzten Überprüfung im Rahmen eines summarischen Verfahrens basiert. Trotz gewährter AdV müssen Steuerpflichtige demzufolge damit rechnen, dass das FA ihr Einspruchsbegehren gleichwohl in der Hauptsache durch Einspruchsentscheidung zurückweist.

     

    Kommt der Steuerpflichtige seinen Abgabepflichten nicht nach, erlässt das FA oftmals einen Schätzungsbescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) ergeht. Da ein unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehender Bescheid bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist in vollem Umfang änderbar bleibt, kann der Steuerpflichtige jederzeit, d.h. auch nach Ablauf der Einspruchsfrist einen Änderungsantrag stellen und seine Einkommensteuererklärung nachreichen. Stellt er den Antrag nach Ablauf der Änderungsfrist, kommt eine AdV der Nachzahlungsbeträge jedoch nicht in Betracht und er muss die aufgrund der Schätzung regelmäßig überhöhte Steuerforderung des FA begleichen.

     

    PRAXISHINWEIS | In derartigen Fällen ist es daher grundsätzlich empfehlenswert, Einspruch einzulegen, um die AdV der Beträge erreichen zu können.

     

    2. Ernstliche Zweifel

    Das FA soll dem Antrag des Steuerpflichtigen auf AdV entsprechen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids bestehen (§ 361 Abs. 2 S. 2 AO).

     

    Bei der Frage, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, soll die Finanzverwaltung im Interesse der Steuerpflichtigen und zur Entlastung der Finanzgerichte den gesetzlichen Ermessensspielraum voll ausschöpfen.

     

    Ernstliche Zweifel liegen nach der Nr. 2.5.2 AEAO zu § 361 AO beispielsweise in folgenden Fällen vor:

     

    • Das FA ist (bewusst oder unbewusst) von einer für den Steuerpflichtigen günstigen Rechtsprechung des BFH abgewichen.
    • Eine Rechtsfrage ist höchstrichterlich noch nicht entschieden und wird von der FG-Rechtsprechung unterschiedlich gelöst.
    • Eine Rechtsfrage wird von der Rechtsprechung des BFH unterschiedlich oder widersprüchlich behandelt.

     

    Beachten Sie | In Ausnahmefällen kann auch bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer steuergesetzlichen Regelung eine AdV abgelehnt werden, weil das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung höher zu bewerten ist, als das Interesse des Antragstellers an der Gewährung eines vorläufigen Rechtsschutzes (BFH 1.4.10, II B 168/09).

    3. Unbillige Härte

    Darüber hinaus ist in § 361 Abs. 2 S. 2 AO eine für den Steuerpflichtigen positive Regelung enthalten, wonach eine AdV auch dann in Betracht kommen kann, wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

     

    Dies ist der Fall, wenn bei sofortiger Vollziehung Nachteile drohen würden, die über die eigentliche Realisierung des Verwaltungsaktes hinausgehen, indem sie vom Betroffenen ein Tun, Dulden oder Unterlassen fordern, dessen nachteilige Folgen nicht mehr oder nur schwer rückgängig gemacht werden können oder existenzbedrohend sind (Nr. 2.6 AEAO zu § 361 AO). Allerdings kommt auch in derartigen Fällen eine AdV dann nicht in Betracht, wenn der Einspruch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.

    4. Besonderheiten bei Grundlagenbescheiden

    Bei Grundlagenbescheiden (z.B. Gewinnfeststellungsbescheiden) besteht die Besonderheit, dass Einwendungen z.B. gegen die Höhe des festgestellten Gewinns nur im Einspruchsverfahren gegen den Grundlagenbescheid geltend gemacht werden können (§ 351 Abs. 2 AO). Entsprechendes gilt für die AdV, d.h. im Einspruchsverfahren gegen den Grundlagenbescheid muss auch die AdV des Grundlagenbescheids beantragt werden. Dessen Aussetzung bewirkt dann die automatische Aussetzung des Folgebescheids von Amts wegen - und zwar auch dann, wenn der Folgebescheid nicht angefochten wurde (§ 361 Abs. 3 S. 1 AO).

     

    Von dem Grundsatz, dass die AdV des Grundlagenbescheids beantragt werden muss, gibt es jedoch Ausnahmen (vgl. Nr. 6 AEAO zu § 361 AO):

     

    • Hat das FA den Folgebescheid (z.B. Einkommensteuerbescheid) vor dem Grundlagenbescheid (z.B. Gewinnfeststellungsbescheid) erlassen und die gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen nicht oder in unzutreffender Höhe berücksichtigt, kann der Folgebescheid mit Einwendungen gegen die gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen angefochten und AdV beantragt werden.

     

    • Ebenfalls zulässig ist ein Antrag auf Vollziehungsaussetzung eines Folgebescheids, der mit ernstlichen Zweifeln an der wirksamen Bekanntgabe des Grundlagenbescheids begründet wird (BFH 15.4.88, III R 26/85).

    5. Umfang der Aussetzung

    Nach § 361 Abs. 2 S. 4 AO ist die AdV bei Steuerbescheiden auf die festgesetzte Steuer - vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, anzurechnende Körperschaftsteuer und die festgesetzten Vorauszahlungen - beschränkt.Die Beschränkung auf den Unterschiedsbetrag zwischen festgesetzter Steuer und Vorleistungen gilt indes nicht, wenn die AdV zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 361 Abs. 2 S. 4 letzter HS AO).

     

    • Wesentliche Nachteile liegen vor, wenn durch die Versagung der AdV die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen unmittelbar und ausschließlich bedroht würde (BFH 12.4.84, VIII B 115/82). Eine AdV zur Abwendung wesentlicher Nachteile kommt auch dann in Betracht, wenn das zuständige Gericht von der Verfassungswidrigkeit einer streitentscheidenden Vorschrift überzeugt ist und diese Norm deshalb gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG zur Prüfung vorgelegt hat (BFH 22.12.03, IX B 177/02).

     

    • Keine wesentlichen Nachteile sind z.B. eine zur Steuerbegleichung notwendige Kreditaufnahme oder ein Zurückstellen betrieblicher Investitionen bzw. eine Einschränkung des Lebensstandards (Nr. 4.6.1 AEAO zu § 361 AO).

    6. Dauer der AdV

    Die AdV wird in aller Regel ab Fälligkeit der strittigen Steuerbeträge verfügt, wenn der Antrag vor der Fälligkeit eingereicht und begründet wird. Wird der Antrag jedoch erst nach der Fälligkeit begründet oder erst nach der Fälligkeit gestellt, kommt auch ein späterer Zeitpunkt in Betracht. In der Praxis ist dies z.B. in Schätzungsfällen häufig der Fall, wenn der Steuerpflichtige gegen den Schätzungsbescheid Einspruch einlegt und AdV beantragt, die Steuererklärung jedoch erst nach der Fälligkeit nachreicht.

     

    Beachten Sien | Enthält die Aussetzungsverfügung keine Aussage über den Beginn der Aussetzung, wirkt sie ab Bekanntgabe der Verfügung (§ 124 Abs. 1 S. 1 AO; Nr. 8.1.4 AEAO zu § 361 AO).

     

    AdV gewährt die Finanzverwaltung grundsätzlich nur für eine Rechtsbehelfsstufe. Erlässt das FA eine Einspruchsentscheidung und legt der Steuerpflichtige hiergegen Klage ein, muss er aufgrund der eingereichten Klage einen erneuten Aussetzungsantrag stellen, da die bislang gewährte AdV in der Regel einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung endet.

     

    • Beispiel

    Das FA hat in einem Einspruchsverfahren AdV gewährt, die mit Erlass der Einspruchsentscheidung endet. A erhebt gegen die Einspruchsentscheidung Klage und verbindet diese mit einem an das FG gerichteten Aussetzungsantrag.

     

    Ein an das FG gerichteter Aussetzungsantrag setzt grundsätzlich die vorherige Ablehnung des Antrags durch das FA voraus (§ 69 Abs. 4 FGO). Erst danach kann ein zulässiger Antrag bei dem Gericht gestellt werden. Vorliegend wird das Gericht den Antrag des A daher kostenpflichtig als unzulässig abweisen.

     

    7. Sicherheitsleistungen

    Das FA kann die AdV von einer Sicherheitsleistung abhängig machen (§ 361 Abs. 2 S. 5 AO). In der Praxis wird hiervon nur im Ausnahmefall, insbesondere bei höheren Aussetzungsbeträgen, Gebrauch gemacht. Die FÄ sind jedoch 
gehalten, Sicherheiten zu verlangen, wenn die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen die Steuerforderung als gefährdet erscheinen lässt. Eine Sicherheitsleistung ist dagegen unzumutbar, wenn die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes so bedeutsam sind, dass mit großer Wahrscheinlichkeit seine Aufhebung zu erwarten ist (Nr. 9.2.2 AEAO zu § 361 AO).

    8. Rechtsschutz bei Antragsablehnung

    Wird ein Antrag auf AdV vom FA ganz oder teilweise abgelehnt, bestehen für den Steuerpflichtigen folgende Möglichkeiten:

     

    • Einspruch einlegen (gegen eine ablehnende Einspruchsentscheidung besteht indes keine Klagemöglichkeit; § 361 Abs. 5 AO; § 69 Abs. 7 FGO).
    • AdV beim FG beantragen (schon vor Erhebung der Klage möglich).

     

    Beachten Sie | Nach § 69 Abs. 4 S. 2 FGO kann das FG (ausnahmsweise) unmittelbar angerufen werden, wenn die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder eine Vollstreckung droht.

    9. Aussetzungszinsen

    Setzt das FA Steuerbeträge aus und hat der Einspruch/die Klage keinen Erfolg, erfolgt hinsichtlich des ausgesetzten und jetzt nachzuzahlenden Betrags eine Verzinsung (0,5 % pro Monat) von Amts wegen (§ 237 AO). Angesichts des derzeit niedrigen Zinsniveaus sollte insbesondere bei unklaren Erfolgsaussichten überlegt werden, ob es nicht sinnvoller ist, den streitigen Steuerbetrag zunächst zu zahlen.

     

    PRAXISHINWEIS | Die aktuelle FG-Rechtsprechung hält die Verzinsung von 6 % per anno trotz des aktuell niedrigen Zinsniveaus für verfassungsgemäß (FG Hamburg 23.5.13, 2 K 50/12). Da gegen die Entscheidung Revision eingelegt wurde (BFH IX R 31/13), empfiehlt es sich, gegen entsprechende Zinsbescheide Einspruch einzulegen und das Ruhen des Einspruchsverfahrens zu beantragen.

    Quelle: Ausgabe 12 / 2013 | Seite 205 | ID 42323776

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