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  • 25.09.2013

    Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 23.05.2013 – 2 K 50/12

    Die Anwendung des Zinssatzes von 6 % per anno gem. § 238
    Abs. 1 AO auf ausgesetzte Steuerbeträge gem. § 237
    AO verstößt trotz kontinuierlich gesunkenen Zinsniveaus
    jedenfalls für einen Zinslauf von 2004 bis 2011 nicht gegen
    die Verfassung.


    Tatbestand

    Streitig ist die Festsetzung von Aussetzungszinsen.

    Die Kläger sind Eheleute, die im Veranlagungszeitraum
    2002 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie hatten am
    ... 1996 eine Eigentumswohnung erworben, die sie am ... 2002 wieder
    veräußerten. Mit Bescheid vom 08.10.2004 setzte
    der Beklagte die Einkommensteuer für 2002 insoweit unter Berücksichtigung
    eines Veräußerungsgewinns von 61.539 € als
    Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft
    i. S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes
    (EStG) fest. Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 14.10.2004,
    mit dem sich die Kläger auf die Verfassungswidrigkeit der
    rückwirkenden Verlängerung der Spekulationsfrist
    beriefen. Auf den am selben Tag gestellten Antrag auf Gewährung
    vorläufigen Rechtsschutzes gewährte der Beklagte
    am 26.10.2004 Aussetzung der Vollziehung in Höhe der auf
    den Veräußerungsgewinn entfallenden Steuer von
    29.632 €. Am 28.10.2004 ordnete der Beklagte das Ruhen
    des Verfahrens gem. § 363 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO)
    bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in der Sache IX
    R 46/02 an. Dieses Verfahren hatte der BFH mit Beschluss
    vom 16.12.2003 ausgesetzt und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
    angerufen zu der Frage, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz
    1 EStG i. V. m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung
    des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 mit
    dem Grundgesetz (GG) insoweit unvereinbar ist, als danach auch private
    Grundstücksveräußerungsgeschäfte nach dem 31.12.1998,
    bei denen zu diesem Stichtag die zuvor geltende Spekulationsfrist
    von zwei Jahren (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG
    a. F.) bereits abgelaufen war, übergangslos der Einkommensbesteuerung
    unterworfen werden.


    Nachdem das BVerfG am 07.07.2010 entschieden hatte (2
    BvL 2/04), behandelte der Beklagte nur noch einen
    Betrag von 34.078 € als steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn
    und setzte mit geändertem Einkommensteuerbescheid für
    2002 vom 15.02.2011 die Einkommensteuer entsprechend niedriger fest.
    Zugleich wurde die gewährte Aussetzung der Vollziehung
    aufgehoben. Mit Bescheid vom 30.03.2011 setzte der Beklagte auf
    den ausgesetzten Betrag gem. § 237 Abs. 1 Satz 1 AO i.
    V. m. § 238 AO Aussetzungszinsen für die Zeit vom 11.11.2004 bis zum 21.03.2011,
    mithin für 76 Monate, in Höhe von 6.023,00 € fest.
    Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 14.04.2011, mit dem sich
    die Kläger darauf beriefen, dass die Festsetzung der Zinsen
    wegen der extrem langen Verfahrensdauer von 6 Jahren und vier Monaten
    nicht nur überraschend, sondern auch willkürlich
    und verfassungswidrig sei. Im Einklang mit der Verfassung könne
    allenfalls eine Verzinsung für die Dauer eines Jahres sein.
    Mit Entscheidung vom 02.12.2011 wies der Beklagte den Einspruch
    zurück. Die Zinsfestsetzung sei nach Maßgabe der
    gesetzlichen Regelung erfolgt.


    Am 04.01.2012 haben die Kläger Klage erhoben. Sie berufen
    sich weiterhin darauf, dass die Zinsfestsetzung wegen der überlangen
    Verfahrensdauer verfassungs- und menschenrechtswidrig sei. § 237
    AO müsse verfassungskonform dahin ausgelegt werden, dass
    er bei überlanger Verfahrensdauer nicht anzuwenden sei
    und schon gar nicht Zinsen in Höhe von 6 Prozent per anno
    festgesetzt werden dürften. Sie, die Kläger, dürften
    auch nicht gezwungen werden, zur Vermeidung der Zinslast den streitigen
    Steuerbetrag erst einmal zu zahlen.


    Die Kläger beantragen sinngemäß,

    den Bescheid über Aussetzungszinsen vom 30.03.2011 und
    die Einspruchsentscheidung vom 06.12.2011 aufzuheben.


    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte weist darauf hin, dass die Zinsfestsetzung dem geltenden
    Recht ebenso entspreche wie dem Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht,
    die den Nutzungsvorteil abschöpfen solle, den der Steuerpflichtige
    durch die Aussetzung der Vollziehung derjenigen Steuerbeträge
    erlange, die im Ergebnis dem Fiskus zustünden.


    Die die Kläger betreffende Einkommensteuerakte nebst
    Beiakten zur Steuernummer .../.../... hat vorgelegen.


    Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung
    einer mündlichen Verhandlung verzichtet.


    Gründe

    Das Gericht entscheidet gem. § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung
    (FGO) im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
    Verhandlung.


    I. Die zulässige
    Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Festsetzung der Zinsen
    entspricht der geltenden Rechtslage (dazu 1.), durchgreifende verfassungsrechtliche
    Zweifel an der Zinshöhe bestehen für den streitigen Zeitraum
    nicht (dazu 2.).


    1. Nach § 237 Abs. 1 Satz
    1 AO ist, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen
    einen Steuerbescheid, eine Steueranmeldung oder einen Verwaltungsakt,
    der einen Steuervergütungsbescheid aufhebt und ändert, oder
    gegen eine Einspruchsentscheidung über einen dieser Verwaltungsakte
    endgültig keinen Erfolg gehabt hat, der geschuldete Betrag,
    hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt
    wurde, zu verzinsen. Zinsen werden nach Absatz 2 dieser Vorschrift
    erhoben vom Tag des Eingangs des außergerichtlichen Rechtsbehelfs
    bei der Behörde, deren Verwaltungsakt angefochten wird,
    oder vom Tag der Rechtshängigkeit beim Gericht an bis zum
    Tag, an dem die Aussetzung der Vollziehung endet. Die Zinsen betragen
    nach § 238 Abs. 1 AO für jeden Monat einhalb Prozent.
    Sie sind von dem Tag an, an dem der Zinslauf beginnt, nur für
    volle Monate zu zahlen; angefangene Monate bleiben außer
    Ansatz.


    Der Beklagte hat
    am 26.10.2004 Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer
    2002 in Höhe von 29.632,00 € gewährt.
    Der Einspruch hatte endgültig keinen Erfolg in Höhe
    eines Steuerbetrages von 15.850 €. Für die Verzinsung
    dieses Betrages begann der Zinslauf mit der Fälligkeit
    der Steuer am 11.11.2004 und endete am 21.03.2011. Die hierauf entfallenden,
    mit dem angegriffenen Zinsbescheid festgesetzten Zinsen betragen
    6.023,00 €. Die Zinsfestsetzung entspricht der geltenden
    Rechtslage.


    Die Frage eines eventuellen Zinsverzichts als Billigkeitserweis
    gem. § 237 Abs. 4 AO i. V. m. § 234 Abs. 2 AO,
    der für die Kläger wirtschaftlich auf dasselbe
    Ergebnis hinausliefe, kann nicht in diesem Anfechtungsverfahren
    geltend gemacht werden, sondern wäre in einem gesonderten
    Verfahren zu klären.


    2. Das Gericht ist nicht gehalten, das Verfahren
    gem. Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG
    zu der Frage einzuholen, ob die Festsetzung von Aussetzungszinsen
    entsprechend § 238 AO i. V. m. § 237 Abs. 1 AO
    verfassungswidrig ist, weil die vorhandenen verfassungsrechtlichen
    Zweifel gegenwärtig für eine Vorlage nicht ausreichen.


    a) Aussetzungszinsen sind erstmals durch das Steueränderungsgesetz vom
    13.07.1961 (BGBl
    I 1961, 981) eingeführt worden. Seit Inkrafttreten
    der Abgabenordnung am 01.01.1977 regelt § 237 AO die Verzinsung
    im Falle der Aussetzung der Vollziehung. Der gesetzliche Zinssatz
    entspricht der bereits zuvor bestehenden Rechtslage nach § 5
    Steuersäumnisgesetz. Danach betrugen die Zinsen für
    jeden Monat einhalb vom Hundert. Sie waren von dem Tag an, an dem
    der Zinslauf begann, nur für volle Monate zu zahlen; angefangene Monate
    blieben außer Ansatz. Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht gem. § 237
    AO ist es, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen,
    den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während
    der Dauer der Aussetzung über eine Geldsumme verfügen
    kann, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid konkretisierten
    materiellen Recht „an sich” dem Steuergläubiger
    zusteht (vgl. z. B. BFH vom 24.07.1979 VII R 67/76, BStBl II 1979,
    712; vom 20.09.1995 X R 86/94, BStBl II 1996,
    53). Aussetzungszinsen sind das Gegenstück zu
    den Prozesszinsen. Wenn von Beginn der Rechtshängigkeit Überzahlungen
    verzinst werden, soll das Gleiche auch für Nachzahlungen
    gelten, zumal durch die Einführung von Zinsen für
    die Aussetzung der Vollziehung erreicht werde sollte, unnötige
    Steuerprozesse zu vermeiden (so bereits BT-Drucks III/2573 <S. 37> zum
    Entwurf des Steueränderungsgesetzes 1961 betreffend § 251a RAO
    1931 n. F., auf den § 237 AO zurückgeht). Das
    Gesetz zielt insoweit auf einen gerechten Ausgleich zwischen den
    Zinsvorteilen des Steuerpflichtigen und dem Zinsverlust des Steuergläubigers
    ab; die Aussetzungszinsen haben den Zweck, dem Steuergläubiger
    den Nutzungsvorteil zuzuwenden, der ihm für einen nach
    dem materiellen Steuergesetz geschuldeten Betrag gebührt
    (vgl. BFH vom 31.03.2010 II
    R 2/09, BFH/NV 2010, 1602). Der Gedanke
    des angemessenen Ausgleichs für die erlangten Liquiditätsvorteile
    durchzieht auch die übrigen Verzinsungsvorschriften, sei
    es nach der Abgabenordnung (insbesondere § 233a AO) oder
    anderer Verfahrensordnungen wie der Zivilprozessordnung. Vor diesem
    Hintergrund bestehen dem Grunde nach keine verfassungsrechtlichen
    Bedenken gegen eine Verzinsung des im Fall eines späteren endgültigen
    Unterliegens zu zahlenden und von der Vollziehung zunächst ausgesetzten
    Betrages.


    b) Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf
    den typisierten Zinssatz von 6 Prozent per anno bestehen für
    den hier streitigen Verzinsungszeitraum November 2004 bis März
    2011 im Ergebnis nicht.


    In der Rechtsprechung ist die Verzinsungsregelung der AO bislang
    nicht als verfassungswidrig angesehen worden. Das BVerfG hat mit
    Kammerbeschluss vom 03.09.2009 (1 BvR 2539/07, BFH/NV
    2009, 2115) im Zusammenhang mit der Beurteilung der Verfassungswidrigkeit
    von Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO, betreffend den Zeitraum
    2001 bis 2006, erkannt, dass ein Zinssatz von einhalb Prozent pro
    Monat nicht wegen Verstoßes gegen das Übermaßverbot
    zu einer Verletzung des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 3
    GG führe. Bei der Verzinsung handele es sich nicht um eine
    steuerliche Sanktion. Vielmehr solle nur der potentielle Liquiditätsvorteil
    des Steuerpflichtigen abgeschöpft werden. Zwar ermögliche
    der aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG folgende Anspruch
    des Steuerpflichtigen, nur im Rahmen der verfassungsmäßigen
    Ordnung zur Leistung von Steuern und steuerlichen Nebenleistungen
    (wie Zinsen) herangezogen zu werden, es ihm auch, hierbei die Berücksichtigung
    des Verhältnismäßigkeitsprinzips einzufordern.
    Der Steuerpflichtige dürfe nicht zu einer unverhältnismäßigen Abgabe
    herangezogen werden. In der Verzinsung mit 6 Prozent pro Jahr liege
    indes keine Verletzung des Übermaßverbots.


    Indem der Gesetzgeber im Interesse der Praktikabilität
    und der Verwaltungsvereinfachung den auszugleichenden Zinsvorteil
    und -nachteil typisierend auf einhalb Prozent pro Monat festgesetzt
    habe, sei dies jedenfalls rechtsstaatlich unbedenklich und stelle
    insbesondere keinen Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip
    folgende Übermaßverbot dar. Nach der Absicht des
    Gesetzgebers solle der konkrete Zinsvorteil- oder -nachteil für
    den Einzelfall nicht ermittelt werden müssen. Eine Anpassung
    an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz nach § 247
    des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) würde wegen
    dessen Schwankungen auch zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten
    führen, da im Einzelnen für die Vergangenheit
    festgestellt werden müsste, welche Zinssätze für
    den jeweiligen Zinszeitraum zugrunde zu legen wären (so BTDrucks
    8/1410, S. 13 zur Einführung der Vollverzinsung).
    In vielen Fällen sei eine solche Ermittlung gar nicht möglich,
    weil es von subjektiven Entscheidungen des Steuerpflichtigen abhänge,
    in welcher Weise er Steuernachzahlungen finanziere oder das noch
    nicht zu Steuerzahlungen benötigte Kapital verwende. Zudem
    sei auch bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung
    zu berücksichtigen, dass der hohe Zinssatz des § 233a
    AO i. V. m. § 238 AO gleichermaßen zugunsten wie
    zulasten des Steuerpflichtigen wirke.


    Im Hinblick auf diese Entscheidung hat der BFH mit Urteil vom 20.04.2011
    (I R 80/10, BFH/NV
    2011, 1654) für den dortigen Streitzeitraum 1998
    bis 2005 keine Veranlassung gesehen, die Höhe des Zinssatzes
    (für Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO) in Zweifel
    zu ziehen. Das BVerfG sei insbesondere auf die Argumentation eingegangen,
    dass am Kapitalmarkt in den Jahren 2001 bis 2006 mit einer üblichen
    Anlageform eine Verzinsung von 6 Prozent per anno am deutschen Kapitalmarkt
    nicht hätte erreicht werden können.


    Die maßgeblichen Grundannahmen des Kammerbeschlusses
    des BVerfG dürften allerdings z. T gegenwärtig
    nicht mehr zutreffen. Insbesondere bestehen Zweifel, ob die „erheblichen
    praktischen Schwierigkeiten” bei einer Anpassung des Zinssatzes
    an den jeweiligen Marktzinssatz oder den Basiszinssatz nach § 247
    BGB angesichts der Einsatzmöglichkeiten moderner EDV noch
    bestehen. Zudem ist fraglich, ob die im Einzelnen nicht ausdifferenzierte Überlegung,
    dass der typisierende Zinssatz von 6 Prozent per anno nicht unverhältnismäßig
    sei, gegenwärtig noch aufrecht zu halten ist. Gestützt
    hat sich das BVerfG hierbei einerseits auf die Annahme, dass es
    von den subjektiven Entscheidungen des Steuerpflichtigen abhänge,
    in welcher Weise er Steuernachzahlungen finanziere oder das für
    Steuerzahlungen benötigte Kapital verwende und andererseits
    zu berücksichtigen sei, dass der hohe Zinssatz von 6 Prozent
    gleichermaßen zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen
    wirke.


    In diesem Zusammenhang ist aber zu beachten, dass sich das Zinnsatzniveau
    im letzten Jahrzehnt kontinuierlich nach unten bewegt hat, und zwar gilt
    dies sowohl für Haben- wie für Sollzinsen. Beispielsweise
    hat der Basiszinssatz gem. § 247 Abs. 2 BGB, der seit Übergang
    der Geldpolitik auf die Europäische Zentralbank den Diskontsatz
    abgelöst hat und jeweils zum 01.01. und zum 01.07. von
    der Deutschen Bundesbank bekannt gemacht wird, seit 2002 folgenden
    Verlauf genommen und bewegt sich aktuell im negativen Bereich:



    -0,13 %

    01.01.2013

    0,12 %

    01.07.2012

    0,12 %

    01.01.2012

    0,37 %

    01.07.2011

    0,12 %

    01.01.2011

    0,12 %

    01.07.2010

    0,12 %

    01.01.2010

    0,12 %

    01.07.2009

    1,62 %

    01.01.2009

    3,19 %

    01.07.2008

    3,32 %

    01.01.2008

    3,19 %

    01.07.2007

    2,70 %

    01.01.2007

    1,95 %

    01.07.2006

    1,37 %

    01.01.2006

    1,17 %

    01.07.2005

    1,21 %

    01.01.2005

    1,13 %

    01.07.2004

    1,14 %

    01.01.2004

    1,22 %

    01.07.2003

    1,97 %

    01.01.2003

    2,47 %

    01.07.2002


    Auch Festgeldanlagen mit einer Dauer beispielsweise von 5 Jahren
    erzielen gegenwärtig Zinssätze zwischen 1,3 Prozent
    und 2,4 Prozent[1], der Sparbuchindex fiel beispielsweise
    zwischen Mai 2009 und Mai 2013 von 1,116 auf 0,386.


    [Die grafische Darstellung Sparbuchindex (Berechnung)
    entfällt hier]


    Auch Sollzinsen sind stetig gefallen, beispielsweise betrugen
    die Refinanzierungszinsen für mittelgroße und
    große Industrieunternehmen im Mai 2013 durchschnittlich
    zwischen 1,25 Prozent und 1,9 Prozent[2]. Auch
    private Konsumentenkredite sind -abhängig von Bonität,
    Laufzeit, Höhe des Darlehens und dergl.- gegenwärtig
    bereits zu Zinssätzen unter 4 Prozent zu erlangen.


    In Konstellationen wie denen des Streitfalls ist zudem zu beachten,
    dass es --anders als in dem Kammerbeschluss des BVerfG vom 03.09.2009
    (a. a. O.) zugrunde liegenden Verfahren wegen Nachzahlungszinsen
    gem. § 333a AO-- um die Festsetzung von Aussetzungszinsen
    geht. Der durch Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete
    Anspruch auf effektiven Rechtsschutz und damit auch auf vorläufigen
    Rechtsschutz (z. B. BVerfG vom 18.07.1973 1 BvR 23/73, 1 BvR 155/73, BVerfGE 35,
    382 Rz. 54 zu § 80 Abs. 1 VwGO; BVerfG vom 25.10.1988 2 BvR 745/88,
    BVerGE 79, 69) gerät in Gefahr, wenn im Falle eines späteren
    endgültigen Unterliegens --oder Teilunterliegens wie im
    Streitfall- eine übermäßige Belastung
    mit Zinsen auf den ausgesetzten Steuerbetrag droht. Dabei ist auch einzubeziehen,
    dass die Festsetzung von Aussetzungszinsen nicht nur in den Fällen
    der vom Steuerpflichtigen beantragten Aussetzung der Vollziehung
    zum Tragen kommen kann, sondern auch dann, wenn die Finanzbehörde
    von Amts wegen Aussetzung der Vollziehung gem. § 361 Abs.
    2 Satz 1 AO gewährt, obwohl der Steuerpflichtige dies weder
    beantragt hat noch wünscht, um aus haushalterischen Erwägungen
    dem Risiko der hohen Verzinsung zu entgehen, sog. aufgedrängte
    Aussetzung der Vollziehung (vgl. z. B. BFH vom 09.05.2012 I R 91/10, BFH/NV
    2012, 2004, vorgehend FG Köln vom 08.09.2010 13 K 960/08, EFG 2011, 105 mit
    Anm. Neu). Inwieweit der Steuerpflichtige letztendlich erfolgreich
    gegen einen späteren Bescheid über Aussetzungszinsen
    für einen „zwangsausgesetzten” Betrag
    wird vorgehen können, ist derzeit ungewiss und umstritten. Höchstrichterlich
    ist die Frage bislang nicht geklärt (s. a. Seer in Tipke/Kruse,
    AO, § 361 Rz.5; ders. Ubg 2008, 249).


    c) Ungeachtet dessen sieht der Senat aber für den streitigen
    Zinszeitraum 2004 bis 2011 die Grenze zum verfassungswidrigen Übermaßverbot
    noch nicht als überschritten an.


    Der typisierende Zinssatz von 6 Prozent per anno gem. § 258
    AO gilt bereits seit über 50 Jahren (s. oben unter a))
    und damit über einen Zeitraum, in dem erhebliche Zinsschwankungen
    nach oben und unten auftraten. Beispielsweise lag der Zinssatz von
    6 Prozent per anno 1978 erheblich über dem seinerzeit vorgesehenen
    Zinssatz für Sparguthaben, sodass im Vorfeld der Einführung
    der Vollverzinsung befürchtet wurde, Steuerpflichtige könnten
    durch Gestaltungen eine zinsgünstige Anlage beim Finanzamt
    erreichen (vgl. BT-Drs. 8/1410, S. 12, 13, Bericht der Bundesregierung über
    die Möglichkeit der Einführung einer Vollverzinsung
    vom 06.01.1978). Der Diskontsatz als Orientierungsgröße
    unterlag seit den 50er Jahren regelmäßigen Schwankungen
    zwischen Unterwerten von 2,75 Prozent (1959) oder 2,5 Prozent (1988)
    und Spitzen von 7,5 Prozent (1970), 7,5 Prozent (1980/1981)
    und 8,75 Prozent (1992). Seit Beginn des neuen Jahrhunderts hat
    sich der Zinssatz dann kontinuierlich nach unten bewegt, lediglich
    zwischen 2007 und 2009 ist es zu einem Anstieg von 1,95 Prozent
    per 01.07.2006 über 2,70 Prozent per 01.01.2007 auf 3,32
    Prozent per 01.01.2008 gekommen, um sodann ab Mitte 2009 unter die
    Ein-Prozent-Grenze zu fallen (0,12 Prozent per 01.07.2009, siehe
    im Übrigen oben Basiszinstabelle). Ab dem zweiten Halbjahr
    2008 hat sich damit gezeigt, dass sich der Trend der sinkenden Zinsen
    nicht umgekehrt hatte, sondern nach einem kurzen „Zwischenhoch” fortsetzte.


    Gleichwohl sieht der erkennende Senat den Gesetzgeber von Verfassungs wegen
    noch nicht als verpflichtet an, bereits für den hier in
    Rede stehenden Verzinsungszeitraum von Ende 2004 bis Anfang 2011
    eine Anpassung des typisierenden Zinssatzes von 6 Prozent per anno
    an das gesunkene Zinsniveau vorzunehmen. Zwar bedarf eine typisierende Regelung
    der Korrektur, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse,
    die Grundlage einer zulässigen Typisierung waren, durchgreifend ändern
    (z. B. BVerfG vom 26.03.1980 1 BvR 121/76, 1 BvR 122/76, BStBl II 1980,
    545 zur Rentenbesteuerung; vom 28.11.1984 1 BvR 1157/82, BStBl II 1985,
    181 zur Anhebung des Rechnungszinsfußes bei Pensionsrückstellungen).
    Anders als in den letzten vier Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts
    mit erheblichen Zinsschwankungen hat sich nunmehr ersichtlich ein
    Niedrigzinsniveau stabilisiert und haben sich damit die tatsächlichen
    Verhältnisse gegenüber den Gegebenheiten bei Einführung
    des Zinssatzes von 6 Prozent per anno entscheidend verändert.


    Allerdings führen nach der vornehmlich zu Art. 3 GG
    entwickelten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung vorhandene
    Ungleichheiten nicht in jedem Fall zur sofortigen Verfassungswidrigkeit
    und werden dem Gesetzgeber zur Beseitigung solcher Ungleichheiten
    in bestimmten Fällen Fristen eingeräumt. Das ist
    einmal dann der Fall, wenn der Gesetzgeber sich bei Neuregelung
    eines komplexen Sachverhaltes zunächst mit einer gröber
    typisierenden und generalisierenden Regelung begnügt, um diese
    nach hinreichender Sammlung von Erfahrungen allmählich
    durch eine entsprechend fortschreitende Differenzierung zu verbessern.
    Zum anderen gilt dies auch dann, wenn die tatsächlichen
    Verhältnisse sich im Rahmen einer langfristigen Entwicklung
    in einer Weise verändert haben, dass die Beseitigung der
    Unstimmigkeiten durch eine einfache und daher schnell zu verwirklichende
    Anpassung nicht möglich ist (BVerfG vom 26.03.1980 1 BvR 121/76, 1 BvR 122/76, BStBl II 1980,
    545 m. w. N.).


    Vor dem Hintergrund, dass Zinssätze mit Rücksicht
    auf wirtschaftliche und politische Implikationen Schwankungen unterliegen,
    wie sie sich in der Vergangenheit stets abgebildet haben, ist dem
    Gesetzgeber danach eine gewisse Beobachtungszeit zuzubilligen, bevor
    eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse
    unumgänglich wird. Besonders gilt dies mit Blick darauf,
    dass es -wie zuvor dargestellt- Anfang 2007 bis Mitte 2008 zu einem
    nennenswerten Anstieg des Basiszinssatzes gekommen ist. Deshalb
    war auch zum Ende des hier streitgegenständlichen Verzinsungszeitraums
    noch keine Zinsanpassung geboten.


    II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135
    Abs. 1 FGO. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung
    gem. § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen.


    [1] Zahlen lt. Internet

    [2] Lt. Reuter Nachrichtendienst vom 16.05.2013

    VorschriftenAO § 237, AO § 238, GG Art. 19 Abs. 4, GG Art. 20 Abs. 3

    Karrierechancen

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