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  • · Fachbeitrag · Der praktische Fall

    Reine Fehlerkorrektur oder Selbstanzeige: So ist hier abzugrenzen!

    | Vor Erstellung einer Korrekturerklärung ist mitunter ungewiss, ob eine „bloße“ Berichtigung nach § 153 AO genügt oder ob eine Selbstanzeige nach § 371 AO erforderlich ist. Der praktische Fall zeigt, wie hier abzugrenzen ist und dass der Implementierung eines Compliance Management Systems hierbei eine besondere Bedeutung zukommen kann. |

    1. Sachverhalt

    P. Müller ist Geschäftsführer der mittelständischen Müller GmbH, die einen Papiergroßhandel in Dortmund betreibt. Die Rechnungsstellung erfolgt standardisiert durch das Sales-Department unter Einsatz eines geprüften ERP-Systems. Die Vertriebsmitarbeiter sind ausreichend umsatzsteuerlich qualifiziert und werden laufend über Änderungen des Umsatzsteuerrechts informiert.

     

    Seit Herbst 2016 erfolgen Papierlieferungen an einen niederländischen Kunden nicht mehr nach Nijmegen, sondern in ein neues Lager in Kleve. Wegen eines technischen Fehlers bei den Einstellungen im ERP-System erfolgte die Rechnungsstellung jedoch weiterhin ohne deutsche Umsatzsteuer (deklariert als innergemeinschaftliche Lieferung). Bei einer routinemäßigen Kontrolle im Frühjahr 2017 und nach Abgabe der Umsatzsteuererklärung für 2016 fällt P. Müller auf, dass durch den technischen Fehler in 2016 rund 300 TEUR Umsatzsteuer zu wenig berechnet und angemeldet wurden.

     

    Er fragt seinen Steuerberater, wie dieser Vorgang zu würdigen ist und welche Maßnahmen er nun ergreifen muss.

    2. Lösung

    Der Steuerberater stellt zunächst die wichtigsten rechtlichen Grundlagen bei Fehlerkorrekturen vor und gibt anschließend konkrete Handlungsempfehlungen für die Müller GmbH.

     

    2.1 Berichtigung von Erklärungen (§ 153 AO)

    Die Verpflichtung eines Steuerpflichtigen, eine fehlerhafte (d. h. unrichtige oder unvollständige) Steuererklärung zu berichtigen, ist in § 153 AO verankert. Die Verpflichtung betrifft ausdrücklich (§ 153 Abs. 1 S. 2 AO) auch die nach § 34 AO für den Steuerpflichtigen handelnden Personen; vorliegend also P. Müller, der als Geschäftsführer der Müller GmbH bestellt ist.

     

    Beachten Sie | Der Steuerpflichtige ist nur verpflichtet, seine Fehler zu berichtigen. Fehler, die der Finanzverwaltung unterlaufen sind, muss er hingegen nicht anzeigen (BFH 4.12.12, VIII R 50/10).

     

    2.2 Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung (§ 371 AO)

    Wer gegenüber der Finanzbehörde in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 AO (Steuerhinterziehung) bestraft (§ 371 AO). Die Selbstanzeige soll dem Steuerpflichtigen eine straffreie Rückkehr zur Steuerehrlichkeit ermöglichen und dem Staat zusätzliche Steuereinnahmen erschließen. Voraussetzung für eine wirksame Selbstanzeige ist u. a., dass „der Täter“ die hinterzogene Steuer entrichtet und dass kein Sperrgrund gemäß § 371 Abs. 2 AO (z. B. der Beginn einer Außenprüfung) eingetreten ist.

     

    Durch das „Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung“ (BGBl I 14, 2415) wurden die Anforderungen an eine strafbefreiende Selbstanzeige weiter verschärft. Insbesondere ist seit dem 1.1.15 eine sanktionsfreie Selbstanzeige nur noch möglich, wenn der Steuervorteil nicht mehr als 25 TEUR betragen hat (§ 371 Abs. 2 Nr. 3 AO). Überschreitet der Steuervorteil diese Grenze, wird von einer Verfolgung der Steuerstraftat nur noch abgesehen, wenn der Steuerpflichtige einen Strafzuschlag entrichtet (zur gestaffelten Höhe vgl. § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO).

     

    2.3 Abgrenzung zwischen § 153 AO und § 371 AO

    Mit Schreiben vom 23.5.16 (BStBl I 16, 490) hat das BMF den AEAO zu § 153 AO neu gefasst. Dabei soll die neue Regelung insbesondere bei der Abgrenzung zwischen § 153 AO und der Selbstanzeigeregelung nach § 371 AO helfen.

     

    Im AEAO zu § 153, Nr. 2.2 heißt es: „Erkennt der Steuerpflichtige erst im Nachhinein die Fehlerhaftigkeit der von ihm abgegebenen Erklärung und kommt er seiner Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO unverzüglich nach, liegt weder eine Steuerhinterziehung noch eine leichtfertige Steuerverkürzung vor, wenn es sowohl am Vorsatz als auch an der Leicht-fertigkeit fehlt.“

     

     

    Das Erfordernis, dass die Anzeige und die Berichtigung unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, erfolgen muss, wird in Nr. 5.1 relativiert. So kann die Berichtigung nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO ggf. auch später erfolgen, wenn bei komplexen Sachverhalten eine gewisse Zeit zur Aufbereitung der Unterlagen erforderlich ist. In einem solchen Fall sollte ggf. die erforderliche Zeitdauer gegenüber dem FA begründet werden.

     

    Für die gewünschte Klassifizierung als bloße Fehlerkorrektur ist somit die Wiederlegung des Vorsatzes und der Leichtfertigkeit entscheidend. In diesem Zusammenhang sind die Ausführungen im AEAO zu § 153, Nr. 2.5 zu begrüßen, wonach nicht jede objektive Unrichtigkeit den Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit nahelegt. Vielmehr bedarf es einer sorgfältigen Einzelfallprüfung der zuständigen Finanzbehörde, ob überhaupt ein Anfangsverdacht für eine Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit gegeben ist. Insbesondere kann nicht automatisch vom Vorliegen eines Anfangsverdachts wegen der Höhe der steuerlichen Auswirkung der Unrichtigkeit oder wegen der Anzahl der abgegebenen Berichtigungen ausgegangen werden.

     

    2.4 Handlungsempfehlung für die Müller GmbH

    Da es im Sachverhalt an einer vorsätzlich oder leichtfertig unrichtig abgegebenen Steuererklärung fehlt, liegt keine Steuerverkürzung vor (vgl. hierzu auch das Beispiel 3 in: „Vorläufiger Diskussionsentwurf AEAO zu § 153 AO ‒ Abgrenzung einer Berichtigung nach § 153 AO von einer strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO“ (Stand: 16.6.15)).

     

    Wichtige Argumente, die für eine bloße Fehlerkorrektur nach § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO sprechen, sind:

    • ausreichend geschulte Mitarbeiter
    • geprüfte ERP-Software
    • standardisierte Prozesse
    • funktionierendes internes Kontrollsystem
    • kein monetärer Vorteil für die Müller GmbH

     

    PRAXISHINWEIS | Der Fehler ist nach dessen Erkennen nach § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, anzuzeigen und zu korrigieren. Ferner ist sicherzustellen, dass sich ein solcher Fehler zukünftig nicht mehr wiederholt.

     

    Die obigen Ausführungen zeigen, wie schnell es zu einer unrichtigen Erklärung kommen kann. Besonders wichtig erscheint in diesem Zusammenhang der Hinweis im AEAO zu § 153, Nr. 2.6: „Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch befreit dies nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls.“

     

    Auch der BGH (9.5.17, 1 StR 265/16, Rz. 118) misst einem vorhandenen Compliance Management System eine besondere Bedeutung bei: „Für die Bemessung der Geldbuße ist zudem von Bedeutung, inwieweit die Nebenbeteiligte ihrer Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein effizientes Compliance-Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss.“

     

    2.5 Compliance Management System

    Wie ein solches System konkret auszusehen hat, lassen der AEAO und die Rechtsprechung allerdings offen. Hilfestellung liefert hier der IDW PS 980, der den Inhalt freiwilliger Prüfungen von Compliance Management Systemen durch Wirtschaftsprüfer regelt.

     

    Zu beachten ist hier insbesondere, dass viele Unternehmen zwar bereits diesbezügliche Regeln oder Abläufe implementiert haben, es jedoch vielfach an einer belastbaren, systematischen Dokumentation mangelt. Folgende Inhalte sollte die Dokumentation beispielsweise enthalten:

     

    • Ziele des Compliance Management Systems
    • Ersteller der Dokumentation (Geschäftsführung)
    • Empfänger der Dokumentation (betroffene Abteilungen)
    • Prozessbeschreibungen (ggf. getrennt nach Steuerarten)
    • Risikoanalyse und Risikobewertung
    • Konkrete Maßnahmen (4-Augenprinzip, Stichproben, Schulungen)
    • Erstellung von konkreten Arbeitsanweisungen
    • Festlegung der Verantwortlichkeiten und Vertretungsregeln
    • Vorgehensweise bei Fehlern (Informationspflichten, Optimierung)

     

    Nach Meinung des IDW (PS 980 Ziffer 4) sollte ein Compliance Management System zudem folgende Grundelemente umfassen, wobei die Ausgestaltung insbesondere von den festgelegten Compliance-Zielen, der Größe des Unternehmens sowie von Art und Umfang der Geschäftstätigkeit des Unternehmens abhängt:

     

    • Grundelemente eines Compliance Management Systems

    Die Elemente

    Darum geht es u. a.

    Compliance-Kultur

    Grundeinstellung des Managements

    Compliance-Ziele

    Festlegung der relevanten Teilbereiche und der einzuhaltenden Regeln

    Compliance-Risiken

    Risikoerkennung und Risikoanalyse

    Compliance-Programm

    Grundsätze und Maßnahmen zur Risikobegrenzung

    Compliance-Organisation

    Verteilung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten

    Compliance-Kommunikation

    Festlegung, wie Compliance-Risiken und festgestellte Regelverstöße an die zuständigen Stellen im Unternehmen berichtet werden

    Compliance-Überwachung und Verbesserung

    System wird laufend überwacht und optimiert

     

    Beachten Sie | Diese Grundelemente sollten sich auch in der Dokumentation des Compliance Management Systems wiederfinden lassen.

     

    PRAXISHINWEIS | Die Implementierung und Dokumentation eines Compliance Management Systems stellt ein interessantes und lukratives Beratungsfeld dar. Nicht zuletzt aus diesem Grund sollten die Mandanten auf die begrüßenswerte Indiz-Wirkung bei Fehlerkorrekturen hingewiesen werden.

     
    Quelle: Ausgabe 02 / 2018 | Seite 28 | ID 45011008

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