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  • · Fachbeitrag · Der praktische Fall

    Geschäftsveräußerung im Ganzen: Die Gefahr der zurückbehaltenen Betriebsgrundlage

    von Dipl.-Finw. (FH) Rabea Schwarz, LL.M., Waltrop/Münster und Dipl.-Finw. (FH) Tobias Selting, Münster

    | Wird eine Betriebsgrundlage ‒ regelmäßig in Form des Betriebsgrundstücks ‒ zurückbehalten, führt dies im Zusammenhang mit einer Geschäftsveräußerung im Ganzen (§ 1 Abs. 1a UStG, kurz: GiG) regelmäßig zu Konflikten zwischen der Finanzverwaltung und dem steuerlichen Berater. Der praktische Fall stellt die aktuelle Rechts- und Verwaltungsauffassung dar und zeigt Risikoaspekte auf. |

    1. Sachverhalt

    Einzelunternehmer W betrieb seit Jahrzehnten eine Weberei auf seinem im Alleineigentum stehenden Betriebsgrundstück in Münster. Neben der Produktion von Krawatten und Socken bedruckte W unter der Marke „Tiemo“ Duschvorhänge mit individuellen Bildern seiner Kunden. Im November 2012 veräußerte er zunächst den Geschäftsbereich der Krawatten- und Sockenproduktion.

     

    Nachdem W mit notariellem Vertrag aus Juni 2013 das Betriebsgrundstück an einen Investor umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 9a UStG veräußerte, übereignete er im Februar 2014 das Markenrecht „Tiemo“ einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Wirtschaftsgüter an die neugegründete Tiemo-GmbH aus Berlin. Zu den Wirtschaftsgütern gehörten u. a. Maschinen, Hardware, Software, Domains, Kundenstamm sowie Material. Laut Übertragungsvertrag zwischen W und der Tiemo-GmbH beabsichtigte die Erwerberin die Marke „Tiemo“ in eigener Produktion fortzuführen.

     

    Frage: Im Übertragungsvertrag wurde der Vorgang als nicht steuerbare GiG nach § 1 Abs. 1a UStG behandelt. Ist diese Beurteilung richtig?

    2. Lösung

    Nach einigen allgemeinen Ausführungen zur GiG wird insbesondere thematisiert, ob das übertragene Unternehmensvermögen (Markenrecht und in diesem Zusammenhang stehende Wirtschaftsgüter) ein hinreichendes Ganzes i. S. des § 1 Abs. 1a UStG bildet, um dem Erwerber die Fortführung der bisher durch den Veräußerer ausgeübten unternehmerischen Tätigkeit zu ermöglichen.

     

    2.1 Allgemeines zur GiG

    Die Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG setzt voraus, dass ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen ‒ mit den wesentlichen Grundlagen ‒ entgeltlich oder unentgeltlich an einen Unternehmer für dessen Unternehmen übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird. Beim Erwerber muss eine Fortführung der selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit möglich sein.

     

    Beachten Sie | Dies ist auch gegeben, wenn einzelne Wirtschaftsgüter zwar nicht übertragen, aber zur längerfristigen Nutzung überlassen werden. Maßgebend ist die dauerhafte Unternehmensfortführung durch den Erwerber.

     

    Entscheidend ist, dass die übertragenen Vermögensgegenstände ein hinreichendes Ganzes bilden, um dem Erwerber die Fortsetzung einer bisher durch den Veräußerer ausgeübten unternehmerischen Tätigkeit zu ermöglichen, und der Erwerber dies auch tatsächlich tut (BFH 18.9.08, V R 21/07). Um zu ermitteln, ob dies der Fall ist, sind der Vorgang und seine Begleitumstände einer Gesamtbewertung zu unterziehen, bei der insbesondere die Art der übertragenen Vermögensgegenstände und der Grad der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit zwischen den vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten zu berücksichtigen sind (BFH 28.11.02, V R 3/01).

     

    Beachten Sie | Unerheblich ist, dass der Erwerber nicht den Namen des übernommenen Unternehmens fortführt (BFH 29.8.12, XI R 1/11).

     

    2.2 Beurteilung des übertragenen Unternehmensvermögens

    Nach den obigen Grundsätzen ist die Veräußerung des Markenrechts ‒ und der in diesem Zusammenhang stehenden Wirtschaftsgüter ‒ ohne Übertragung bzw. Überlassung des Grundstücks keine GiG. Denn bei isolierter Betrachtung ist das Grundstück für die Fortführung der bisherigen Geschäftstätigkeit wesentlich. Dies ist auch dem Anwendungserlass (A 1.5 Abs. 4 S. 4 UStAE) zu entnehmen, der das Betriebsgrundstück bei Herstellungsunternehmen regelmäßig als wesentliche Grundlage des Unternehmens qualifiziert.

     

    Beachten Sie | Da eine abweichende Beurteilung derzeit nicht vorgesehen ist, wird das zuständige FA eine GiG ablehnen.

     

    Im EuGH-Urteil vom 10.11.11 (C-444/10 „Schriever“, Rz. 29) heißt es: „Ebenso kann eine Vermögensübertragung auch stattfinden, wenn das Geschäftslokal dem Erwerber mittels eines Mietvertrags zur Verfügung gestellt wird oder wenn er selbst über eine geeignete Immobilie verfügt, in die er sämtliche übertragenen Sachen verbringen und in der er die betreffende wirtschaftliche Tätigkeit weiterhin ausüben kann.“ Das dem EuGH-Urteil nachfolgende Urteil des BFH (18.1.12, XI R 27/08) bietet auf die Frage der fehlenden Grundstücksübertragung bzw. -überlassung keine Antwort, da hier der Veräußerer das Betriebsgrundstück (ein Ladenlokal) an den Erwerber vermietet hatte.

     

    MERKE | Im Streitfall „Schriever“ sah der Mietvertrag eine Vereinbarung vor, nach der die Überlassung auf unbestimmte Zeit erfolgte und von beiden Vertragsparteien kurzfristig kündbar war. Diese Vertragsgestaltung ‒ insbesondere die kurzfristige Kündigungsmöglichkeit ‒ hielt der EuGH für unschädlich.

     

    Anders sieht es der EuGH in den Fällen, in denen die für die Fortführung der wirtschaftlichen Tätigkeit erforderlichen Gegenstände in Gänze nicht übertragen werden, sondern durch einen Miet- oder Pachtvertrag lediglich überlassen werden. In der Rechtssache „Mailat“ (EuGH 19.12.18, C-17/18) hat der EuGH festgehalten, dass eine solche Überlassung keine Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens darstellt.

     

    2.3 GiG versus steuerbarer Umsatz

    Das Spannungsverhältnis zwischen einer GiG und einem steuerbaren Umsatz führt regelmäßig zu unterschiedlichen Problemfeldern. Nahmen die Parteien zu Unrecht eine GiG an, trifft den Veräußerer die Nacherhebung von Umsatzsteuer, sofern kein Fall des § 13b UStG vorliegt. Darüber hinaus kommen Nachzahlungszinsen i. S. des § 233a AO in Betracht und es besteht für den Veräußerer das wirtschaftliche Risiko, dass er die vom Käufer nachzufordernde Umsatzsteuer ggf. nicht mehr durchsetzen kann. Umfasst das übertragende Vermögen auch das bisherige Betriebsgrundstück, besteht aufgrund der Steuerfreiheit für Immobilienumsätze nach § 4 Nr. 9a UStG ein zusätzlicher Risikoaspekt: Es drohen Vorsteuerberichtigungen nach § 15a UStG, wenn keine unbedingte Option nach § 9 Abs. 1 und 3 UStG vorsorglich im notariellen Kaufvertrag vereinbart wurde (vgl. A 9.1 Abs. 3 S. 3 UStAE).

     

    Andererseits kann aus der irrtümlichen Annahme eines steuerbaren Umsatzes für den Veräußerer eine Steuerschuld in Höhe der ausgewiesenen Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 1 UStG resultieren. Gleichzeitig steht dem Erwerber kein Vorsteuerabzug zu; zudem verbleibt das Risiko der Rückforderung der gezahlten Umsatzsteuer.

     

    Zumindest bei (nicht zweifelsfreien) großvolumigen Vorgängen sollten die Beteiligten beim FA des Veräußerers eine verbindliche Auskunft einholen. Darüber hinaus sind die Beteiligten gut beraten, im Übertragungsvertrag eine Umsatzsteuerklausel aufzunehmen. Diese könnte bei der einvernehmlichen Annahme einer GiG z. B. wie folgt lauten (vgl. Nieskoven in MBP 12, 120):

     

    Musterformulierung / Umsatzsteuerklausel

    Die Beteiligten gehen davon aus, dass die vorliegende Betriebsübertragung eine nicht umsatzsteuerbare „Geschäftsveräußerung im Ganzen“ (§ 1 Abs. 1a UStG) darstellt und der Veräußerer daher keine Umsatzsteuer in Rechnung stellt.

     

    Dem Erwerber ist bekannt, dass das Finanzamt bei späteren Nutzungsänderungen i. S. von § 15a UStG zur anteiligen Rückforderung jener Vorsteuerbeträge gegenüber dem Erwerber berechtigt sein kann, die der Veräußerer aus betriebsbezogenen Anschaffungs- oder Herstellungskosten seinerzeit geltend gemacht hat (§ 15a Abs. 10 UStG). Ein Rückgriffsanspruch gegenüber dem Verkäufer steht dem Käufer insofern nicht zu. Die gemäß § 15a Abs. 10 S. 2 UStG vom Veräußerer gegenüber dem Erwerber zu machenden Angaben ergeben sich aus der als Anlage zu diesem Vertrag genommenen Aufstellung.

     

    Sollte die Finanzverwaltung später die vorstehende Einordnung der Übertragung als Geschäftsveräußerung i. S. von § 1 Abs. 1a UStG nicht teilen, wird der Veräußerer die dann fällige Umsatzsteuer dem Erwerber unverzüglich durch Zuleitung einer ordnungsgemäßen Rechnung zusätzlich in Rechnung stellen. Der Erwerber sichert für diesen Fall schon jetzt eine Zahlung dieser zusätzlichen Umsatzsteuer innerhalb eines Monats nach Erhalt der Rechnung zu.

     
    Quelle: Ausgabe 01 / 2021 | Seite 12 | ID 46945710

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