08.01.2010
Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 19.08.1999 – 4 K 3182/97
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand
Streitig ist, ob der einheitliche Gewerbesteuermessbetrag der … zutreffend auf die Städte … und … zerlegt wurde.
Die … die Beigeladene zu 3., betreibt auf ihrem Werksgelände eine Vielzahl chemischer Produktionsanlagen. Ursprünglich erstreckte sich das Werksgelände allein auf die Gemarkung der Stadt … der Beigeladenen zu 1., und zwar am … entlang. Westlich wird es von der … und der … Straße begrenzt. Ein Teil der Infrastruktur (…) liegt außerhalb des eingezäunten Werksgeländes. Die Innenstadt von … bzw. die Wohnbebauung beginnen unmittelbar in der Nachbarschaft des Werksgeländes.
Auf der Gemarkung der Stadt …, der Klägerin, befindet sich die …. Sie ist vom übrigen Stadtgebiet durch verschiedene Wasserwege, den Industriehafen, den Inselhafen und einen … getrennt. Auf der anderen Seite wird die … durch den … und den … begrenzt. Eine Verbindung zum Stadtgebiet … besteht über verschiedene Brücken. Ferner existiert eine Anbindung über den Inselhafen und das … (Ölhafen) an … und …. Unterhalb des … gibt es eine Verbindung durch zwei Düker. Düker I enthält 13 Rohrleitungen, die dem Transport von Rohstoffen und Zwischenprodukten dienen. Bei Düker II handelt es sich um einen Tunnel mit einem Durchmesser von 3 Metern. Er ist für Reparatur- und Wartungsarbeiten begehbar und enthält ebenfalls Rohrleitungen zum Produkttransport. Im Jahre 1989 pachtete die … den gesamten, auf der … Insel belegenen Geschäftsbetrieb der Firma … und erwarb im Jahre 1992 das ebenfalls auf der … Insel gelegene ehemalige Betriebsgrundstück der Erdölraffinerie …, das seither integrierter Teil des Werkes … der … geworden ist.
Ein weiterer Teil des Werksgeländes der … befindet sich auf der Gemarkung der Stadt …, der Beigeladenen zu 2.. Dort wird seit 1974 eine Kläranlage unterhalten. Seit 1982 wird dort zusätzlich das Toxikologielabor und seit 1991 das Ökologielabor der … betrieben. Dieser Werksteil ist vom Werk … räumlich durch den … Hafen, das Gewerbegebiet … und die Bundesautobahn … getrennt. Eine Verbindung besteht über die Kanalisation.
Wegen der weiteren Einzelheiten hinsichtlich der örtlichen Lage wird auf den Werksplan und den Übersichtsplan (vgl. Bl. 130, 131 der Prozessakte) sowie die Amtliche Stadtkarte der Stadt … vgl. Bl. 199 der Prozessakte) Bezug genommen.
Die … beschäftigte im Streitjahr … Mitarbeiter. Von diesen wohnten in … in … und in … Mitarbeiter. Ihren Arbeitsplatz hatten in … in … und in … Mitarbeiter. Zugleich Wohnort und Arbeitsplatz hatten in … in … und in … Mitarbeiter. … Arbeitnehmer wohnten außerhalb der beteiligten Gemeinden.
Die Lohnsumme der Betriebsstätten … der … belief sich im Streitjahr auf insgesamt … DM. Hiervon entfielen einer Zusammenstellung der … vom 03. April 1996 zufolge auf die Betriebsstätte in … … DM, auf die Betriebsstätte in … … DM und auf diejenige in … … DM (vgl. Bl. 2 der GewSt-Akten).
Mit Bescheid vom 04. April 1997 gab das Finanzamt den Beteiligten die Zerlegung für den Erhebungszeitraum 1995 bekannt. Ausgehend von einem einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag von … DM entfielen auf die Klägerin aus der angenommenen mehrgemeindlichen Betriebsstätte ein Anteil von … DM (1,936 %), auf die Stadt … ein Anteil von … DM (95,665 %) und auf die Stadt … ein solcher von … DM (= 2,398 %). Dabei berechnete das Finanzamt die Zerlegungsanteile für Betriebsstätten gemäß § 29 Gewerbesteuergesetz (GewStG) nach den Arbeitslöhnen. Es ging vom Vorliegen einer mehrgemeindlichen Betriebsstätte … aus und berechnete deren Zerlegungsanteil gemäß § 30 GewStG nach den Zerlegungsfaktoren Lohnsumme (75 %), Anlagevermögen (12,5 %), Einheitswert der Grundstücke (7,5 %) und Arbeitnehmerwohnsitze (5 %). Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf den Bescheid vom 04. April 1997 Bezug genommen.
Der von der Klägerin gegen diesen Bescheid am 06. Mai 1997 eingelegte Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 1997).
Mit ihrer am 13. November 1997 erhobenen Klage trägt die Klägerin im wesentlichen vor: Es stehe ihr für den Erhebungszeitraum 1995 ein höherer Anteil an dem Steuermessbetrag zu, als ihr zugeteilt worden sei. Das Finanzamt habe die bei einer Zerlegung nach § 30 GewStG zu beachtenden Grundsätze verkannt. Nach dieser Bestimmung seien die Gemeindelasten zu berücksichtigen, die maßgeblich durch das Wohnen der Arbeitnehmer, insbesondere durch Schul-, Behörden-, Fürsorge- und Wegelasten entstünden. Würden zur Ausübung des Gewerbes in mehreren Gemeinden Betriebsstätten unterhalten, so sei der einheitliche Steuermessbetrag gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 GewStG in die auf die einzelnen Gemeinden entfallenden Anteile zu zerlegen. Dies gelte nach § 28 Abs. 1 Satz 2 GewStG auch in den Fällen, in denen eine Betriebsstätte sich über mehrere Gemeinden erstrecke, also eine mehrgemeindliche Betriebsstätte vorliege. Wie die Zerlegung durchzuführen sei, sei in §§ 29 ff. GewStG geregelt. Grundsätzlich sei die Zerlegung nach dem Regelmaßstab des § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG in dem Verhältnis vorzunehmen, in dem die Summe der Arbeitslöhne, die an die bei allen Betriebsstätten beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden seien, zu den Arbeitslöhnen stehe, die an die bei den Betriebsstätten der einzelnen Gemeinden beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden seien. Allerdings gelte dies lediglich für den Fall des § 28 Abs. 1 Satz 1 GewStG, da § 29 GewStG nur den Zerlegungsmaßstab für den Regelfall der Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrages bei Betriebstätten enthalte, die keine mehrgemeindlichen Betriebsstätten seien. Dies ergebe sich aus der Bestimmung des § 30 GewStG, die als lex specialis zu § 29 GewStG die Zerlegung bei mehrgemeindlichen Betriebsstätten regele. Danach sei der Steuermessbetrag oder Zerlegungsanteil auf die Gemeinden zu zerlegen, auf die sich die Betriebsstätte erstrecke, und zwar nach der Lage der örtlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der durch das Vorhandensein der Betriebsstätte erwachsenden Gemeindelasten. Zu Recht gehe das Finanzamt im Streitfall von dem Vorliegen einer mehrgemeindlichen Betriebsstätte aus. Der angefochtene Bescheid sei aber deshalb rechtswidrig, weil das Finanzamt verkannt habe, wie die Zerlegung durchzuführen sei. Die Rechtsprechung habe verschiedene Maßstäbe und Methoden entwickelt, die bei der Zerlegung zu beachten seien. Als Zerlegungsfaktoren kämen nach einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 11. November 1987 (I R 179/82) in erster Linie die in den beteiligten Gemeinden wohnenden Arbeitnehmer und Betriebsanlagen bzw. die Grundstückswerte nach der Einheitsbewertung des Grundvermögens in Betracht, da die durch eine Betriebsstätte verursachten Gemeindelasten vor allem durch die in der Gemeinde wohnenden Arbeitnehmer und ihre Familien sowie durch die Betriebsanlagen entstünden. Außerdem könnten das Verhältnis der in der einen oder anderen Gemeinde liegenden Betriebsflächen sowie in Ausnahmefällen auch Feuerversicherungen. Umsätze oder etwa bei Elektrizitätswerken die Menge des in der einzelnen Gemeinde abgenommenen Stroms berücksichtigt werden. Dagegen könne das Verhältnis der Lohnsummen nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs als Zerlegungsfaktor nicht herangezogen werden. Dies habe der Bundesfinanzhof bereits in seiner Entscheidung vom 28. Februar 1956 (I B 170/54) hervorgehoben. Die Finanzgerichte und die Literatur seien dem ausdrücklich gefolgt. An die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs habe der Bundesfinanzhof angeknüpft und in zahlreichen Entscheidungen die besondere Gewichtung des Faktors „Wohnen der Arbeitnehmer” betont. Dieser Faktor sei in der Regel mit 50 % berücksichtigt worden und zwar nach Maßgabe der Arbeitnehmerwohnsitze. Des weiteren könne nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die Zahl der schulpflichtigen Kinder zur Zerlegung herangezogen werden. Ein weiterer, von der Rechtsprechung anerkannter Zerlegungsfaktor sei das Anlagevermögen. Auch die Größe der in den einzelnen Gemeinden liegenden Flächen der Betriebsstätte oder die Umsätze könnten im Einzelfall als Zerlegungsfaktoren Berücksichtigung finden. Demgegenüber habe das Finanzamt in dem angefochtenen Bescheid den auf sie – die Klägerin -entfallenden Zerlegungsanteil unter Berücksichtigung u. a. der Faktoren Lohnsumme mit 75 % und Wohnsitze der Arbeitnehmer mit 5 % zerlegt. Damit sei das Finanzamt, dem bei seiner Entscheidung nach § 30 GewStG weder ein Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum zustehe, fehlerhafterweise davon ausgegangen, dass der Bundesfinanzhof keinen Zerlegungsfaktor für allgemeingültig erklärt habe. Nach der Rechtsprechung sei bei mehrgemeindlichen Betriebsstätten vielmehr als Zerlegungsmaßstab stets die Berücksichtigung des Faktors „Wohnen der Arbeitnehmer” gefordert worden. Dadurch, dass das Finanzamt bei der Zerlegung den Regelmaßstab „Arbeitslöhne” herangezogen und diesem nicht heranziehbaren Faktor auch noch eine ganz überragende Bedeutung beigemessen habe, während es den Faktor „Wohnen der Arbeitnehmer” fast vollständig vernachlässigt habe, sei die Entscheidung rechtswidrig. Das Verhältnis der Lohnsummen könne nämlich nach ganz herrschender Meinung im Rahmen des § 30 GewStG keine Berücksichtigung finden. Das Verhältnis der Arbeitslöhne sei bei mehrgemeindlichen Betriebsstätten deshalb kein geeigneter Maßstab, weil die Betriebsstätte eine wirtschaftliche Einheit bilde, so dass die Arbeitnehmer als auf den gesamten Raum der mehrgemeindlichen Betriebsstätte beschäftigt, gälten. Da eine mehrgemeindliche Betriebsstätte begrifflich eine in sich geschlossene wirtschaftliche Einheit bilde, lasse sich bei ihr nicht unterscheiden, in welchem Teil, mag er in der einen oder der anderen Gemeinde liegen, die in der Betriebstätte beschäftigten Arbeiter tätig seien. Dem könne auch nicht entgegengehalten werden, dass sich der Streitfall von den vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fällen dadurch unterscheide, dass hier eine exakte Zuordnung der Arbeitslöhne auf die in den jeweiligen Gemeinden vorhandenen Betriebsteile möglich sei. Entgegen der Auffassung des Finanzamts handele es sich dabei nämlich nicht um eine Besonderheit, die den vorliegenden Fall zu einem singulären mache. Vielmehr werde man wohl in den meisten Fällen, in denen Betriebsflächen durch Schienen, eine Schiffsverbindung, einen Kanal, Kabel, unterirdische Rohrleitungen oder Stromnetze miteinander verbunden seien, feststellen können, in welchen Betriebsteilen welche Arbeitslöhne angefallen seien, ohne dass deshalb hieraus bislang die Schlussfolgerung gezogen worden wäre, dass die Tatsache der Zahlung von Löhnen in der Betriebsstätte oder in einem Betriebsstättenteil ein Sachverhalt wäre, der bei der Zerlegung nach § 30 GewStG zu berücksichtigen sei. Hinzu komme, dass das Finanzamt dem Faktor Arbeitslöhne ganz offensichtlich eine viel zu große Bedeutung beigemessen habe. Dass dies nicht zulässig sei, ergebe sich daraus, dass § 30 GewStG die Anwendung eines starren oder auch nur weitgehend starren Maßstabs verbiete. Zugleich mit der Anwendung des Faktors „Arbeitslöhne” bzw. durch dessen Überbewertung habe das Finanzamt die Bedeutung des Faktors „Wohnsitz der Arbeitnehmer” der mit mindestens 40 % zu gewichten sei, verkannt. Die Bedeutung dieses Faktors könne auch nicht unter Hinweis darauf negiert werden, dass die Mehrzahl der Arbeitnehmer der … außerhalb der beteiligten Gemeinden wohne. Der Bundesfinanzhof habe sich mehrfach mit diesem Argument beschäftigt, etwa in der Entscheidung vom 28. Oktober 1964 (I B 403/61 U), es jedoch nicht zum Anlass genommen, diesem Faktor eine geringere Bedeutung beizumessen. Das Finanzamt gehe davon aus, die Gemeindelasten seien in erster Linie von dem Fahrtziel (also dem Arbeitsort) der auswärtigen Arbeitnehmer abhängig, der dort liege, wo auch die Löhne anfielen. Damit verkenne das Finanzamt, dass es keineswegs nur Straßenkosten seien, die einer Gemeinde durch das Vorhandensein einer Betriebsstätte erwüchsen. Vielmehr seien auch die sonstigen Arbeitnehmerfolgekosten wie z. B. Fürsorgekosten, zu berücksichtigen. Schließlich seien bei der Zerlegung alle die Lasten zu berücksichtigen, die sich für die Gemeinde aus der gesamten Betriebsstätte ergäben, so dass es nicht auf die Lasten ankomme, die mit den Teilen der Betriebsstätte verbunden seien, die sich in der einzelnen Gemeinde befänden.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Zerlegungsbescheides vom 04. April 1997 und der Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 1997 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 31. März 1998 den Zerlegungsanteil der Klägerin am einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag der … für das Jahr 1995 so zu bestimmen, wie er sich ergibt, wenn der Zerlegungsparameter Wohnen der Arbeitnehmer mit mindestens 40 v. H. berücksichtigt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er nimmt auf die Begründung der Einspruchsentscheidung Bezug und führt noch aus: Die Klägerin übersehe bei ihrer Argumentation die außergewöhnlichen und besonderen örtlichen Verhältnisse der mehrgemeindlichen Betriebsstätte der …. Das hier zu beurteilende Stammwerk sei, soweit ersichtlich, in dieser Form einmalig in der Welt. Das Werksgelände der … liege im wesentlichen mitten in der …. Die Dimensionen seien außergewöhnlich und machten insbesondere die Verkehrsanbindung überproportional problematisch. Die in den Gemarkungen … und … liegenden Werksteile befänden sich dagegen abseits der Stadtkerne. Den von der Rechtsprechung genannten Zerlegungsfaktor „Wohnen der Arbeitnehmer” setze die Klägerin im Ergebnis irrtümlich mit der Anzahl der Arbeitnehmerwohnsitze gleich. Die Lasten einer Gemeinde aus dem Wohnen der Arbeitnehmer zeigten sich jedoch nicht zwangsläufig aus der bloßen Anzahl der Arbeitnehmerwohnsitze. Der Versuch des Finanzamts, durch umfangreiche Ermittlungen der Lasten durch Kinder, Schüler, Kultur, Alten- und Krankenversorgung, öffentlichen Nahverkehr, Straßen etc. eine möglichst genaue Belastung der beteiligten Gemeinden durch „Wohnen der Arbeitnehmer” zu ermitteln, habe zu keinen praktikablen und aussagekräftigen Ergebnissen geführt. Der von der Klägerin geforderte bloße Ansatz der Arbeitnehmerwohnsitze gehe dagegen an der besonderen Lage der örtlichen Verhältnisse vorbei und würde zu einem offenbar unbilligen Ergebnis führen.
Die Beigeladene zu 1.) beantragt,
die Klage abzuweisen.
Im Rahmen ihrer Äußerung zur Sache macht sie im wesentlichen geltend, nach ihrer Auffassung liege eine mehrgemeindliche Betriebsstätte nicht vor. Es bestehe keine räumliche Verbindung zwischen den jeweiligen Betriebsstätten in …. Es fehle an einer zielgerichtet geschaffenen bzw. betriebenen Verbindung zwischen der … und … einerseits und … andererseits. Auch eine organisatorische Einheit liege nicht vor. Sofern man gleichwohl eine mehrgemeindliche Betriebsstätte annehmen wollte, seien die vom Finanzamt herangezogenen Zerlegungskriterien nicht zu beanstanden.
Die Beigeladenen zu 2.) und 3.) beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie haben sich zur Sache geäußert.
Mit Änderungsbescheid vom 31. März 1998 hat das Finanzamt den auf die Klägerin entfallenden Zerlegungsanteil auf … festgesetzt. Am 24. April 1998 hat die Klägerin beantragt, den geänderten Bescheid gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die sonst zu den Akten gereichten Unterlagen, die Gewerbesteuer- und Rechtsbehelfsakten des Finanzamts sowie auf den vom Finanzamt vorgelegten Ordner „Einspruchsvorgänge … mehrgemeindliche Betriebsstätte …” Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. Wegen der in diesem Zusammenhang abgegebenen Erklärungen im übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 19. August 1999 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid über die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags der … der Beigeladenen zu 3., vom 04. April 1997 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 31. März 1998 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Nach § 28 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) ist der einheitliche Gewerbesteuermessbetrag in die auf die einzelnen Gemeinden entfallenden Anteile u. a. dann zu zerlegen, wenn im Erhebungszeitraum zur Ausübung des Gewerbes in mehreren Gemeinden Betriebsstätten unterhalten worden sind (§ 28 Abs. 1 Satz 1 GewStG) oder sich eine Betriebsstätte über mehrere Gemeinden erstreckt hat (§ 28 Abs. 1 Satz 2 GewStG).
Zutreffend geht das Finanzamt zunächst davon aus, dass die steuerpflichtige … in den Gemeinden … und … jeweils einen Teil einer Betriebsstätte im Sinne des § 12 der Abgabenordnung (AO) unterhält, mithin eine mehrgemeindliche Betriebsstätte vorliegt mit der Folge, dass der einheitliche Gewerbesteuermessbetrag zu zerlegen ist.
Mehrgemeindlich ist eine Betriebsstätte dann, wenn zwischen den in verschiedenen Gemeinden liegenden Betriebsanlagen oder Teilen davon ein räumlicher und organisatorischer, technischer und wirtschaftlicher Zusammenhang besteht (vgl. BFH-Urteile vom 12. Oktober 1977 I R 226/75, BStBl 1978 II S. 111; vom 28. Oktober 1987 I R 275/83, BStBl 1988 II S. 292 und vom 08. März 1988 VIII R 270/81, BFH/NV 1988 S. 735). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Das Betriebsgelände der … in … ist mit den Anlagen auf der … in … durch einen … düker mit 8 Produktleitungen und einem begehbaren Tunnel mit 13 Produktleitungen verbunden. Deren Zweck besteht darin, zwischen dem Betriebsgelände der … in … und dem Gelände auf der … Stoffe zur jeweiligen Weiterverarbeitung hin- und herzuleiten. Mit der Kläranlage … besteht eine Verbindung über die Kanalisation, durch die die gesamten Abwässer der … zur Kläranlage geleitet werden. Dass die beiden Werksteile auf der … Insel und auf der … Gemarkung einerseits und das Hauptwerk der … andererseits nicht auf aneinandergrenzenden Grundstücken belegen sind, steht nach Auffassung des Senats der Annahme einer mehrgemeindlichen Betriebsstätte nicht entgegen. Bei einem Industriebetrieb, der die Dimension und die flächenmäßige Ausdehnung der … erreicht (vgl. hierzu Bl. 56 des Ordners: … 3 Mio. qm, …: 1,24 Mio. qm, … qm) können die verschiedenen Teile eines Werkes auch dann eine organisatorische, wirtschaftliche und technische Einheit darstellen, wenn einzelne Teile des Unternehmens von dem Hauptwerk durch Bundes- oder Landesstraßen, Wasserstraßen, Häfen oder durch Gewerbegebiete räumlich voneinander getrennt sind und die Betriebsanlagen nicht zu einer auch äußerlich sichtbaren räumlichen Einheit zusammengefügt sind (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 20. Februar 1974 I R 179/72, BStBl 1974 II S. 427). Die … Insel ist vom Hauptwerk der … zwar durch den … getrennt, die Betriebsteile sind aber – wie bereits dargelegt – durch die beiden Düker miteinander verbunden. Aber auch das Gelände der … in … bildet mit dem Werk … eine Einheit. Zwar ist dieser Werksteil durch die Bundesautobahn A … und teilweise das angrenzende Gewerbegebiet … von dem … Werk getrennt, nicht aber etwa durch eine großflächige Wohnbebauung; eine solche könnte allerdings der Annahme einer räumlichen Einheit entgegenstehen. Eine Verbindung des Werks … besteht auch mit dem … Betriebsgelände durch die unterirdischen technischen Anlagen. Der wirtschaftliche und organisatorische Zusammenhang ergibt sich daraus, dass die beiden Werksteile in … und … nicht über eine eigene Werksleitung verfügen, sondern von den operativen Einheiten in … geleitet werden. Damit unterliegt die … grundsätzlich der Gewerbesteuer in allen diesen Gemeinden nach § 4 GewStG.
Die Gewerbesteuer ist in jeder Gemeinde nach dem Teil des Steuermessbetrags zu erheben, der auf sie bei der nach §§ 28 ff. GewStG durchzuführenden Zerlegung entfällt. Diese Zerlegung, die die Aufteilung des einheitlichen Steuermessbetrags nach bestimmten Maßstäben in sogenannte Zerlegungsanteile beinhaltet, hat das beklagte Finanzamt in rechtlich nicht zu beanstandender Weise vorgenommen.
Nach § 29 Abs. 1 GewStG ist Zerlegungsmaßstab grundsätzlich das Verhältnis zwischen der Summe der Arbeitslöhne, die an die bei allen Betriebsstätten beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind, zu der Summe der Arbeitslöhne, die an die bei den Betriebsstätten in den einzelnen Gemeinden beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind. Damit macht der Regelmaßstab des § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG in erster Linie die Zuordnung der Arbeitslöhne zu den einzelnen Betriebsstätten erforderlich. Maßgebend ist insoweit die Beschäftigung der Arbeitnehmer, wobei ein Arbeitnehmer in der Betriebsstätte beschäftigt ist, in der er seine Tätigkeit ganz oder wesentlich ausübt (vgl. BFH-Urteile vom 26. August 1987 I R 376/83, BStBl 1988 II S. 201 und vom 22. Juli 1988 III R 286/84, BFH/NV 1990 S. 56).
Für die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags oder des Zerlegungsanteils im Falle des Vorhandenseins einer mehrgemeindlichen Betriebsstätte kennt das Gesetz keinen unabänderlichen, bestimmten, allgemein gültigen Maßstab. § 30 GewStG enthält insoweit lediglich zwei Grundsätze, die bei der Zerlegung in jedem Falle berücksichtigt werden müssen. Die Zerlegung hat sich nach der Lage der örtlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der durch das Vorhandensein der Betriebsstätte den Gemeinden erwachsenden Lasten zu richten. Bei dem Zerlegungsmaßstab hat das Gesetz damit mit unbestimmten Rechtsbegriffen einen groben Maßstab gesetzt (vgl. BFH-Urteil vom 28. Oktober 1987 I R 275/83, a. a. O.; vgl. auch Glanegger/Güroff, GewStG, Kommentar, 4. Aufl. 1999, § 30 Anm. 4).
Welche Maßstäbe für die Zerlegung im Einzelfall in Betracht kommen, hängt von den Gegebenheiten des Einzelfalles ab. Da es sich bei einem Zerlegungsbescheid nach § 30 GewStG nicht um eine Ermessensentscheidung im Sinne von § 102 der Finanzgerichtsordnung – FGO – handelt, ist das Gericht zur vollen Überprüfung der Entscheidung des Finanzamts berechtigt (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Dezember 1986 I B 31/86, BFH/NV 1987 S. 394 und BFH-Urteil vom 11. November 1987 I R 179/82, n. v.). Diese Entscheidung enthält nach Art einer Schätzung eine Abwägung aller Interessen (vgl. Glanegger/Güroff, § 30 Anm. 7). Der gerichtlichen Überprüfung unterliegt damit die Frage, ob das Finanzamt die vom Gesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe zutreffend ausgefüllt hat, insbesondere, ob es seine Entscheidung an der Erreichung des Zwecks der Zerlegung nach Maßstäben orientiert hat, die unter Beachtung der im Gesetz genannten Grundsätze eine möglichst den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechende und damit möglichst gerechte Verteilung der Gewerbesteuer gewährleisten. Ausgangspunkt der Überlegungen ist dabei folgendes:
Die Zerlegung des einheitlichen Steuermessbetrags dient dazu, die Gemeinden, in denen sich Betriebsstätten eines Unternehmens befinden, an der von dem Unternehmen zu zahlenden Gewerbesteuer zu beteiligen, und zwar in einem Maße, das einigermaßen der Belastung entspricht, die das Vorhandensein der Betriebsstätten für die Gemeinden verursacht. Die Zerlegung entspricht damit dem der Gewerbesteuererhebung zu Grunde liegenden Äquivalenzprinzip (vgl. hierzu Lenski/Steinberg, GewStG, 9. Aufl. 1995, § 28 Anm. 1.1.). Danach sollen die Unternehmen durch die Zahlung der Gewerbesteuer einen Beitrag dafür leisten, dass sie durch ihr Bestehen und Tätigwerden der Gemeinde im besonderen Maße Lasten verursachen. Solche Lasten können zunächst unmittelbar durch den Betrieb selbst (etwa in Bezug auf Geräusch- und Geruchsimmissionen, Grundwasserbeeinträchtigungen) etc. entstehen. Daneben sind die mittelbaren Lasten, etwa hinsichtlich des Baues und der Unterhaltung von Straßen, Wegen, Verkehrsverbindungen, Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser, Altenheimen, sowie durch eine Erhöhung der Fürsorge- und Polizeilasten zu berücksichtigen (vgl. Lenski, a. a. O., § 28 Anm. 3, § 30 Anm. 28).
Von diesen Grundsätzen ausgehend ist die vom beklagten Finanzamt vorgenommene Zerlegung rechtmäßig.
Das Finanzamt hat den auf die mehrgemeindliche Betriebsstätte … entfallenden Zerlegungsanteil zu 75 % nach dem Zerlegungsfaktor Lohnsumme, zu 12,5 % nach dem Faktor Anlagevermögen, zu 7,5 % nach dem Faktor Einheitswert der Grundstücke und zu 5 % nach dem Faktor Wohnsitz der Arbeitnehmer berechnet. Mit dieser Aufteilung hat das Finanzamt sich an den oben genannten Zielen des Gesetzes orientiert und die im Gesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe zutreffend ausgefüllt. Insbesondere die zwischen den Beteiligten streitige Anwendung des Zerlegungsfaktors Lohnsumme ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Wie oben bereits dargestellt, handelt es sich bei diesem in § 29 Abs. 1 GewStG genannten Zerlegungsmaßstab um den sogenannten Regelmaßstab. Dieser Maßstab ist deshalb vom Gesetzgeber gewählt worden, weil sich vor allem in den Arbeitslöhnen der in den Betriebsstätten beschäftigten Arbeitnehmer ablesen lässt, welche Bedeutung eine Betriebsstätte innerhalb des Unternehmens hat und welchen Anteil an der von dem Unternehmen gezahlten Gewerbesteuer der Betriebsstättengemeinde zukommen muss. Hinzu kommt, dass es sich bei diesem Maßstab um einen einfach feststellbaren und leicht zu handhabenden Maßstab handelt. Seine Anwendung führt in aller Regel zu praktikablen Ergebnissen, entspricht dem im Gesetz verankerten Äquivalenzprinzip und führt zu einer gerechten Verteilung der Gewerbesteuer.
Die für die Zerlegung mehrgemeindlicher Betriebsstätten geltende Vorschrift des § 30 GewStG steht nach Auffassung des Senats der Anwendung dieses Maßstabes jedenfalls im Streitfall nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung ist der Steuermessbetrag nach Lage der örtlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der durch das Vorhandensein der Betriebsstätte erwachsenden Gemeindelasten auf die Gemeinden zu zerlegen, auf die sich eine Betriebsstätte erstreckt. Diese Vorschrift ist notwendig, weil eine Anwendung des Regelmaßstabs des § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG in den meisten Fällen mehrgemeindlicher Betriebsstätten nicht zu einem vernünftigen Ergebnis führen würde, weil die Betriebsstätten eine wirtschaftliche Einheit bilden und von daher eine genaue Zuordnung der Arbeitslöhne auf die in den beteiligten Gemeinden belegenen Betriebsstätten nicht möglich ist. Dies bedeutet aber umgekehrt nicht, dass der Maßstab des § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG im Rahmen der Entscheidung nach § 30 GewStG in jedem Fall außer Betracht zu bleiben hätte. Der Senat versteht die Systematik des Gewerbesteuergesetzes vielmehr so, dass eine Zerlegung nach der Lohnsumme, also die Heranziehung des Regelmaßstabs des § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG stets dann zulässig und geboten ist, wenn sich eine exakte Zuordnung der Lohnsumme zu den einzelnen Betriebsstätten vornehmen lässt. Lediglich für den Fall, dass eine solche einfach zu handhabende und zu gerechten Ergebnissen führende Zerlegung mangels Zuordenbarkeit der Arbeitslöhne zu den einzelnen Betriebsstätten nicht durchführbar ist, können und müssen der Zerlegung andere Maßstäbe zu Grunde gelegt werden.
Im Streitfall lässt sich eine exakte Zuordnung der Arbeitslöhne zu den Betriebsstätten in … vornehmen. Dies hat die Beigeladene zu 3.) unter Vorlage entsprechender Unterlagen nachvollziehbar dargelegt (vgl. Bl. 211 ff. der Prozessakte) und dies wird auch von den übrigen Beteiligten substantiiert nicht in Abrede gestellt. Danach ist davon auszugehen, dass den Mitarbeitern der … ein fester Arbeitsplatz zugewiesen ist. Die Mitarbeiter auf der … werden wie diejenigen in den Laboren in … jeweils nur dort und nicht an anderen Stellen des Werkes eingesetzt. Die Mitarbeiter erhalten neben ihrer Personalnummer eine zusätzliche Kennziffer, die den Arbeitsort kennzeichnet. Sie ermöglicht es, im Rahmen einer EDV-Auswertung die Ermittlung der Lohnsumme für die Gewerbesteuerzerlegung zu steuern.
Die Gewichtung des Faktors Lohnsumme mit 75 % ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Denn damit hat das Finanzamt zugleich die Lage der örtlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der durch das Vorhandensein der Betriebsstätte erwachsenden Gemeindelasten der Zerlegung zu Grunde gelegt. Die Lage der örtlichen Verhältnisse ist von der Besonderheit geprägt, dass das Werksgelände der … in … eine städtische Innenlage aufweist. Die Innenstadt von … bzw. die Wohnbebauung beginnen unmittelbar in der Nachbarschaft des Werksgeländes. Demgegenüber befinden sich sowohl die … als auch die Kläranlage … in einer Randlage zur Stadt … bzw. … Daraus folgt eine überproportionale Belastung der Stadt … wegen der weiteren Einzelheiten vgl. die Einzelangaben zur mehrgemeindlichen Betriebsstätte in dem Schreiben der … vom 28. Juni 1995, Ordner Bl. 61 ff.).
Soweit die Klägerin meint, das Finanzamt habe die durch das Wohnen der Arbeitnehmer entstehenden Gemeindelasten nicht hinreichend berücksichtigt, so übersieht sie, dass gerade mit dem Zerlegungsmaßstab Lohnsumme die sogenannten Arbeitnehmerfolgelasten abgegolten werden sollen, also die Aufwendungen, die einer Gemeinde dadurch entstehen, dass die in der Betriebsstätte beschäftigten Arbeitnehmer in der Gemeinde, in der die Betriebsstätte gelegen ist, wohnen (vgl. BFH-Urteil vom 22. Juli 1988 III R 286/84, a. a. O.).
Als Zerlegungsmaßstab bei mehrgemeindlichen Betriebsstätten ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs neben dem Faktor „Wohnen der Arbeitnehmer” stets auch die Berücksichtigung des Faktors Betriebsanlagen geboten (vgl. BFH-Urteil vom 22. Juli 1988 III R 286/84, a. a. O.). Dem hat das Finanzamt im Streitfall dadurch Rechnung getragen, dass es die Faktoren Anlagevermögen mit 12,5 % und Einheitswert der Grundstücke mit 7,5 % berücksichtigt hat. Die vom Finanzamt vorgenommene Gewichtung dieser Faktoren erscheint dem Senat sachgerecht. Es sind jedenfalls keine zwingenden Gründe für eine anderweitige Gewichtung ersichtlich.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.
Es entspricht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen (vgl. § 139 Abs. 4 FGO). Die Beigeladenen haben jeweils einen eigenen Sachantrag gestellt und sind damit ein Kostenrisiko eingegangen (§ 135 Abs. 3 FGO).
Die Revision ist zuzulassen, weil der Frage der Anwendung des Regelmaßstabs des § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG im Rahmen einer Entscheidung nach § 30 GewStG grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).