Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 10.11.2020 · IWW-Abrufnummer 218848

    Landessozialgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 18.09.2020 – L 1 BA 55/18

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Landessozialgericht Berlin-Brandenburg

    verkündet am: 18. September 2020

    Az.: L 1 BA 55/18
    Az.: S 166 KR 159/15 Sozialgericht Berlin             

    Im Namen des Volkes    

    Urteil    

    In dem Rechtsstreit

    R L,    
    N Straße ,  B    
    - Kläger und Berufungskläger -    
    Prozessbevollmächtigte/r:
    Rechtsanwältin Dr. B K,
    P Weg ,  B
    Az.:
        
    gegen    
        
    Deutsche Rentenversicherung Bund,    
    Ruhrstraße 2, 10709 Berlin    
    Az.:     
    - Beklagte und Berufungsbeklagte -    
    1.    T-L-N GmbH,    
        vertreten durch die Geschäftsführung,    
        Am T ,  H    

    2.    Techniker Krankenkasse,    
        Bramfelder Straße 140, 22305 Hamburg    
        
    3.    Bundesagentur für Arbeit,    
        vertreten durch Geschäftsführer des Operativen Service
    der Agentur für Arbeit Hannover,
        Brühlstraße 4, 30169 Hannover,
        Az.:
        
    4.    Techniker Krankenkasse
    Pflegeversicherung,    
        Bramfelder Straße140, 22305 Hamburg    
    - Beigeladene -    
        zu 1 Prozessbevollmächtigte/r:
        Rechtsanwälte P Rechtsanwälte
    P mbB,
        N ,  F
        Az.:

    hat der 1. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg auf die mündliche Verhandlung vom 18. September 2020 durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht xxx, den Richter am Landessozialgericht xxx und den Richter am Landessozialgericht Dr. xxx sowie die ehrenamtliche Richterin Lischak und den ehrenamtlichen Richter xxx für Recht erkannt:

    Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

    Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand:

    Im Streit ist der Sache nach der sozialversicherungsrechtliche Status der Tätigkeit des Klägers als sogenannter Wetteinnehmer in der in seinem damaligen Geschäftslokal befindlichen Lotto-Annahmestelle der Beigeladenen zu 1) (nachfolgende nur noch „die Beigeladene“) in der Zeit vom 12. Mai 1997 bis zum 26. Oktober 2002 sowie vom 20. August 2008 bis zum 8. Juli 2009.

    Die Beigeladene veranstaltet aufgrund öffentlich-rechtlicher Erlaubnis im Land Niedersachsen Lotterien und Sportwetten.

    Der 1950 geborene Kläger betrieb ab dem 31. März 1997 als Einzelkaufmann ein Ladengeschäft in H, in welchem er Zeitungen, Tabakwaren, Schreibwaren und Süßigkeiten verkaufte. In dem Ladenlokal war bereits eine Lotto-Annahmestelle vorhanden, die zunächst noch bis zum 12. Mai 1997 von der vormaligen Ladeninhaberin betrieben wurde.

    Der Kläger war freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert.

    Die Tätigkeit als Wetteinnehmer übte er vom 12. Mai 1997 bis zum 26. Oktober 2002 und vom 20. August 2008 bis zum 8. Juli 2009 aus. Im Einzelnen schlossen er und die Beigeladene zunächst am 21. April 1997 einen „Wetteinnehmer-Vertrag“. Wegen dessen Einzelheiten wird auf die Kopien Blatt 18 - 20 des Verwaltungsvorganges der Beklagten verwiesen. Dieser Vertrag endete mit Wirkung zum 26. Oktober 2002, weil der Kläger aus H verzog.

    Am 11. Juli 2007 schlossen beide Parteien mit Beginn ab 20. August 2007 einen neuen „Wetteinnehmer-Vertrag“ Dieser Vertrag wurde mit Wirkung vom 29. März 2009 durch den Vertrag vom 15. Dezember 2008/23. Februar 2009 ersetzt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kopien im Verwaltungsvorgang verwiesen.

    Der Kläger nahm vom 21. April 1997 bis zum 24. April 1997 sowie vom 11. Juli 2007 bis zum 12. Juli 2007 an Einführungsseminaren für Verkaufsstellenleiter der Beigeladenen teil. Diese händigte ihm jeweils die zu beachtenden aktuellen „Geschäftsanweisungen für Wetteinnehmer/innen“ aus. Sie stellte ihm ein Online-Terminal zur Erfassung der Spielaufträge zur Verfügung. Das Einschalten und das Ausschalten des Terminals nahm der Kläger selbständig vor. Eine Buchung von Spielaufträgen am Terminal konnte aber nur erfolgen, wenn der Onlinezugang durch die Beigeladene aktiviert war. Der Kläger hatte hierfür anzugeben, zu welchen Uhrzeiten das Terminal einsatzbereit sein sollte. Eine Änderung der Einsatzzeiten konnte auf einen Anruf bei der Beigeladenen hin erfolgen. Der Kläger verkaufte für die Beigeladene Lottoscheine, nahm die Spiel- und Wetteinsätze sowie die Bearbeitungsgebühren von den Kunden an und zahlte Gewinne aus. Er zahlte die Gelder auf ein gesondertes Konto ein. Die Beigeladene erstellte über die vereinnahmten Gelder eine Abrechnung, aus welcher u. a. die Provision des Klägers als Wetteinnehmer sowie andere Abrechnungsposten ersichtlich waren und buchte die Beträge von dem entsprechenden Konto ab. Für seine Tätigkeit erhielt der Kläger eine Provision von netto 6,5 % zuzüglich der jeweils geltenden Umsatzsteuer nach § 7 Abs. 3 des Vertrages von 21. April 1997 bzw. in Höhe von netto 7,308 % nach § 7 Abs. 3 des Vertrages vom 11. Juli 2007 sowie vom 15. Dezember 2008/23. Februar 2009 auf die vermittelten Einsätze und die Bearbeitungsgebühren. Er versteuerte die Provisionen wie die Einnahmen aus dem Ladengeschäft selbst.

    Den letzten Wetteinnehmervertrag kündigte die Beigeladene am 8. Juli 2009 mit sofortiger Wirkung. Die Beigeladene sperrte den Online-Zugang im Laufe dieses Tages. Der Kläger gab sein Geschäft daraufhin am 21. Juli 2009 auf. Die Wirksamkeit der Kündigung wurde gerichtlich bestätigt (Urteil des Landgerichts Hannover vom 11. Januar 2002 - 21 O 16/11, Beschluss des Oberlandesgericht Celle vom 27. Juli 2012 - 11 U 40/12 sowie Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16. Mai 2013 - VII ZR 253/12).

    Am 18. März 2014 stellte der Kläger unter Verwendung des dafür vorgesehenen Vordrucks einen Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Tätigkeit bei der Beigeladenen in der Zeit vom 12. Mai 1998 bis zum 8. Juli 2009 mit dem Ziel, eine abhängige Beschäftigung festzustellen. Er führte u. a. aus, gezwungen gewesen zu sein, einen nicht verhandelbaren Knebelvertrag mit der Beigeladenen als Monopolistin abzuschließen.

    Die Beklagte stellte nach förmlicher Anhörung mit Bescheid vom 9. Dezember 2014 gegenüber der Beigeladenen und dem Kläger fest, dass die Tätigkeit als Wetteinnehmer bei der Beigeladenen vom 15. Mai 1997 bis zum 26. Oktober 2002 und vom 20. August 2007 bis 8. Juli 2009 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei. In dem Beschäftigungsverhältnis bestehe Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Die Versicherungspflicht beginne am 12. Mai 1997.

    Auf den Widerspruch der Beigeladenen nahm die Beklagte mit Abhilfebescheid vom 29. Dezember 2014, ohne den Kläger zuvor angehört zu haben, den Bescheid vom 9. Dezember 2014 zurück und stellte nunmehr fest, dass die vom Kläger zu den fraglichen Zeiten ausgeübte Tätigkeit als Wetteinnehmer bei der Beigeladenen nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei und deshalb keine Versicherungspflicht als abhängig Beschäftigter bestanden habe.

    Dieser Bescheid ging dem Kläger am 6. Januar 2015 zu. Mit Faxschreiben vom 21. Januar 2015 beantragte er die Überprüfung nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und die Feststellung, ihn für nichtig zu erklären.

    Am 31. Januar 2015 hat er Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, sein Einzelhandelsgeschäft nur zur Deckung der Geschäftskosten geführt zu haben. Daneben sei er bei der Beigeladenen angestellt tätig gewesen. Die Provisionen hätten die Existenzgrundlage seines Geschäftes gebildet. Er sei nicht hauptberuflich selbständig gewesen. Der Ablauf der Lottotätigkeit sei von der Beigeladenen bis ins Kleinste vorgeschrieben und überwacht gewesen. Jede Erweiterung der Lottoaktivitäten habe ihrer Zustimmung bedurft. Von vornherein räume die Beigeladenen ihrem Vertragspartner keine Gestaltungsfreiheit ein. Aus den Regelungen der Verantwortlichkeit der Beigeladenen gegenüber der zuständigen Aufsichtsbehörde folge, dass sie auch gegenüber dem Kläger eine Weisungsbefugnis besessen habe. Aus den Geschäftsanweisungen folge ebenfalls, dass der Ort zur Ausübung der Geschäftstätigkeit sowie die technische Ausstattung der Geschäftslokale vom Beigeladenen bestimmt worden sei. Auch die Innenausstattung sei vorgeschrieben gewesen. Es habe genaue Anweisungen in Bezug auf Gewinnauszahlung, Abrechnung, Umgang mit der technischen Ausrüstung und den Arbeitsmitteln gegeben. Die Beigeladene habe bestimmt, wann das Terminal freigeschaltet und ihre Hotline ansprechbar gewesen sei. Der Wetteinnehmer sei verpflichtet gewesen, an Schulungen und Veranstaltungen teilzunehmen. Die Wetteinnehmertätigkeit sei im Namen der Beigeladenen ausgeübt worden. Eine gewerbliche Tätigkeit für Dritte habe nur mit schriftlicher Genehmigung der Beigeladenen erfolgen dürfen. Ferner sei eine Verhinderung von mehr als einer Woche zu melden gewesen. Die Beigeladene habe ein umfassendes Prüfungs- und Kontrollrecht gehabt und sei berechtigt gewesen, jederzeit die Wetteinnahmestelle zu überprüfen. Der Kläger sei zur Werbung für die Beigeladene verpflichtet gewesen und habe Plakate und andere Werbemittel wirksam und termingerecht einsetzen müssen. Eigene Werbung habe er nicht betreiben dürfen. Typische unternehmerische Entscheidungen seien ihm verwehrt worden. Auch die Regelungen über eine ordentliche und die außerordentliche Kündigung entsprächen typischen Regelungen für abhängige Beschäftigungsverhältnisse. Zuletzt hätte das Vertragsverhältnis automatisch mit der letzten Veranstaltung des Jahres geendet, in dem der Kläger das 65. Lebensjahr erreicht gehabt hätte. Hierin sei eine Weisung zu sehen, wann die Tätigkeit zu beenden sei. Insgesamt ergebe die Auslegung der einzelnen Regelungen der Geschäftsanweisungen in wertender Betrachtung, dass es sich um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis gehandelt habe.

    Das Vertragsverhältnis sei wie bei einem abhängig Beschäftigten ausgestaltet gewesen. Der Kläger habe sich wie bei einer gewöhnlichen Einstellung mit einem Bewerbungsschreiben nebst Lebenslauf, polizeilichem Führungszeugnis und Auszug aus dem Schuldnerregister bewerben müssen. Auch die Beendigung des Vertragsverhältnisses sei durch einseitige Kündigung nach Abmahnung wie bei einem Arbeitnehmer erfolgt. Die Arbeitsbedingungen seien von der Beigeladenen einseitig diktiert worden. Die behördliche Genehmigung zur Annahme von Wetten für den Kläger sei ohne dessen Mitwirkung durch die Beigeladene veranlasst worden, ebenso bei Beendigung die Entziehung. Zuletzt habe er auch seinen Urlaub wie ein Arbeitnehmer anmelden müssen.

    Die Beigeladene hat vorgetragen, die Erlaubnis für eine Annahmestelle habe gemäß § 5 Abs. 4 Niedersächsisches Glücksspielgesetz nur von ihr als Veranstalter beantragt werden können. Sie habe diesem Antrag die von der Erlaubnisbehörde geforderten Unterlagen beifügen müssen, u. a. ein polizeiliches Führungszeugnis und ein Auszug aus dem Schuldnerregister. Der Kläger habe durch die mit dem Verkauf von Lotterieprodukten erzielten Provisionen vom Glücksspielmonopol profitiert, welches nach der Verfassungsrechtsprechung u. a. deswegen gerechtfertigt sei, weil die mit dem Verkauf von Lotterieprodukten befassten Personen den Jugendschutz und den Schutz vor Spielsucht streng beachteten. Sie habe den mit dem Kläger geschlossenen Vertrag kündigen müssen, nachdem sich auf Basis von Testkaufergebnissen wiederholt ergeben habe, dass der Kläger den Schutz der Jugendlichen vor Spielsucht nicht mit der erforderlichen Sorgfalt beachtet habe. Es sei gesetzlich vorgesehen, dass mit der Kündigung des Wetteinnehmervertrages auch der Verlust der Annahmenstellen-Erlaubnis einhergehe. Der Kläger sei allein verantwortlich gewesen für die Öffnungszeiten seines Einzelhandelsgeschäfts und die Zeiten des Terminalbetriebs. Die Änderungen der Terminalzeiten seien ohne Weiteres nach Anruf möglich gewesen.

    Zu welchen Zeiten Lotterieprodukte in seinem Einzelhandelsgeschäft verkauft würden, habe der Kläger entschieden. Die Lage des Geschäftes sei dem Kläger nicht von der Beigeladenen vorgegeben worden. Der Kläger habe seinen Urlaub nicht wie ein Arbeitnehmer angemeldet.

    Die Höhe der verdienten Provisionen habe der Kläger durch Werbung, Beratung sowie Gewinnung von Neukunden maßgeblich selbst beeinflussen können, ferner durch entsprechende Kostenoptimierungen, höheren persönlichen Einsatz oder ähnliches.

    Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23. März 2016 abgewiesen.

    Zur Begründung hat es ausgeführt, sowohl nach den zwischen den Beteiligten geschlossenen Vertragsverhältnissen als auch der tatsächlich praktizierten Beziehung sei in der Gesamtbewertung aller Umstände von einer Handelsvertretertätigkeit nach § 84 Handelsgesetzbuch (HGB) auszugehen. Der Kläger habe als Einzelkaufmann ein Ladengeschäft in selbständiger Tätigkeit betrieben. Soweit die „Geschäftsanweisungen für Wetteinnehmer/innen“ Regelungen für das Anbieten der Produkte und Dienstleistungen, Werbung, Erscheinungsbild und vor allem auch die Preise enthalten habe, sei dies bereits vertraglich vorgegeben gewesen. Der Kläger habe die Tätigkeit auch nicht höchstpersönlich erbringen müssen. Er habe die Möglichkeit gehabt und genutzt, weiteren Personen wie seiner Ehefrau die Erlaubnis zu erteilen, Wetteinnahmen einzunehmen und zu verbuchen. Der Umstand, dass der Kläger ein Ladengeschäft als Einzelkaufmann betrieben habe, sei wesentlich. Er habe ein Unternehmerrisiko getragen. Von der Beigeladenen habe er lediglich Provisionen für tatsächlich erfolgte Wetteinsätze erhalten. Es hätten keine festen Vergütungen existiert. Dem Umstand, dass der Kläger die Wetteinnahmen ausschließlich unter Nutzung des Onlineterminals habe verbuchen können und dies nur zu vorher festgesetzten Zeiten möglich gewesen sei, komme keine gesteigerte Bedeutung zu. Das BSG habe bereits entschieden, dass von einer Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers nicht schon alleine deshalb auszugehen sei, weil sich der Auftragnehmer in das Telekommunikationssystem des Auftraggebers einwählen müsse, um aktiviert zu sein (Bezugnahme auf Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 - B 12 KR 17/11 R - Rdnr. 29). Die bloße Nutzung eines von anderen vorgehaltenen betrieblichen Systemen bzw. Netzes durch einen Systempartner oder Diensteanbieter ohne Vorliegen weiterer, für eine Einbindung in die organisatorische Einheit sprechenden Umstände zwinge nicht von vornherein zu der Annahme, es liege eine arbeitnehmertypische Eingliederung in eine von anderen vorgegebene betriebliche Ordnung vor.

    Gegen diese ihm am 16. April 2018 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers vom 7. Mai 2018. Zu deren Begründung führt er aus, die Abwägung des SG und dessen Gewichtung der konkreten Umstände des Einzelfalles seien fehlerhaft. Er habe den Weisungen der Beigeladenen unterlegen, weil sie wie ein Arbeitgeber den Kern der Tätigkeit bestimmt habe. Sie habe das wesentliche Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt, das in ihrem Eigentum verblieben sei. In § 3 Abs. 2 des Wetteinnehmer-Vertrages 2007 sei ausdrücklich festgehalten, dass der Wetteinnehmer Weisungen der Gesellschaft bzw. deren Beauftragten an Ort und Stelle Folge zu leisten habe. Damit handele es sich nicht nur um eine schlichte Einbindung in die organisatorische Einheit, sondern um eine echte Eingliederung in den Betrieb. Die Beigeladene habe einseitig die Zeiten der Wetteinnahme bestimmt, indem sie die Zeiten für die Freischaltung des Onlineterminals festgelegt habe. Sie habe das Recht gehabt, das Terminal einseitig abzuschalten und damit über Beginn und Ende der Wetteinnahmetätigkeit wie ein Arbeitgeber zu bestimmen. Die Beigeladene habe durch die Einschaltung faktisch Zwang ausgeübt, wann die Wetteinnahme möglich gewesen sei. Auch habe die Beigeladene die Tätigkeit durch Testkäufe kontrolliert. Zudem sei der Kläger verpflichtet gewesen, die Ausstattung seines Lokales nach den Vorstellungen der Beigeladenen vorzunehmen. Der Kläger habe keine eigenen Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Wettannahmetätigkeiten besessen. 5/6 der Einnahmen des Klägers stammten aus der Wettannahmetätigkeit, welche seine Existenzgrundlage gebildet habe. Der Verkauf von Tabakwaren, Zeitungen und Schreibwaren sei nur ein Nebengeschäft gewesen. Der Vergleich mit dem Handelsvertreter sei nicht mehr zeitgemäß.

    Die Abschaltung des Terminals sei am 8. Juli 2009 eine Stunde nach einem Testkauf und ohne jegliche Vorwarnung erfolgt. Die Kündigung sei ihm erst vier Tage später zugegangen. Damit habe die Beigeladene faktisch einseitig das Ende seiner Lottoannahmetätigkeit bestimmt. § 3 Abs. 2 S. 2 des Wetteinnehmer-Vertrages enthalte keinen Bezug auf eine Weisung zur Einhaltung eines Gesetzes. Die Beachtung der Gesetze werde gerade in Satz 1 einbezogen. Daraus gehe hervor, dass Satz 2 andere Weisungen inhaltlicher oder organisatorischer Art zur Regelung der Wetteinnahmetätigkeit als die Einhaltung der Gesetze meine.

    § 4 des Vertrages enthalte ein umfassendes Wettbewerbsverbot, das typisch für abhängig Beschäftigte sei. Eine Gleichsetzbarkeit mit der Tätigkeit eines Handelsvertreters oder eines Musiklehrers liege nicht vor. Ein Handelsvertreter sei im fremdem Namen und auf fremde Rechnung tätig. Er benötige eine besondere Gewerbeanmeldung als Handelsvertreter und könne seine Arbeitszeit frei gestalten. Dies treffe auf ihn nicht zu. Die Tätigkeit eines Wetteinnehmers habe vielmehr größere Ähnlichkeit mit der Tätigkeit eines „Einmann-Franchise-Nehmers“, der nach der Auffassung des BSG jedoch eine arbeitnehmerähnliche Stellung habe, weil er im Markt- und Organisationskonzept des Franchisegebers eingebunden sei und keine Möglichkeit habe, außerhalb des Vertrages z. B. andere Produkte anzubieten (Bezugnahme auf Urteil des BSG vom 4. November 2009 - B 12 R 3/08 R).

    Überdies habe das BSG bereits entschieden, dass der Bezirksstelleninhaber einer Lottogesellschaft abhängig beschäftigt sei (Urteil vom 31. Oktober 1972 - 2 RU 186/69).

    Am Urteil des SG sei erkennbar, dass es zuerst gefällt und dann die Begründung konstruiert worden sei. Dies sei einleuchtend, da die Beigeladene nicht staatlich sei, sondern Geldinstituten gehöre, die erfahrungsgemäß einen sehr großen Einfluss ausüben könnten. Er habe nicht kurzfristig über das zwischenzeitliche Annehmen von Wetten für die Beigeladene entscheiden können, da das Terminal nur zu festen Zeiten online gewesen sei. Für die Wettannahmen habe er rein tatsächlich keine Verstärkung gebraucht, es sei jedoch von der Beigeladenen gefordert worden, eine Hilfskraft als Vertreter zu bestimmen und schriftlich zu benennen. Ein eigenes Unternehmerrisiko habe er nur im Zusammenhang mit seinem Ladengeschäft gehabt. Über seine eigene Arbeitszeit habe er auch nur im Zusammenhang mit seinem Einzelhandel verfügt. Auch Eigenkapital sei nur im Zusammenhang damit notwendig gewesen, nicht für die Wetteinnahmestelle, für die ein Tisch genügt habe. Das Vertragsverhältnis zwischen ihm und der Beigeladenen sei kein Gleichwertiges gewesen. Es habe von vornherein nur Vorgaben und Anweisungen gegeben. Die Geschäftsanweisungen hätten sich als detaillierte Arbeitsanweisungen für einen angestellten Verkaufsstellenleiter dargestellt. Bei einem selbständigen Handelsvertreterverhältnis dürfe nach der Rechtsprechung des BSG das Weisungsrecht nicht derart stark ausgestaltet sein, dass dadurch die unternehmerische Freiheit beeinträchtigt sei. Die Gleichsetzung mit Versicherungsvertretern wäre unrichtig. Diese hätten deutlich mehr Freiheiten und würden nicht derart bevormundet wie ein Lottoeinnehmer. Er habe die Anordnungen von Lotto befolgen müssen, zwangsweise an Veranstaltungen teilnehmen müssen, die Arbeitszeiten und sogar den Urlaub anmelden und vereinnahmte Gelder sofort einbezahlen müssen. Er habe keine eigene Werbung machen dürfen, sondern die Werbung und Verkaufsprodukte sowie die Einrichtung und Ausstattung des Beigeladenen übernehmen müssen, keine eigene Preiskalkulation betreiben dürfen und sei restriktiven Verhaltensregeln ausgesetzt gewesen. Weil er auch nicht Vertragspartner gegenüber Lieferanten, Versicherungen und Online-Providern gewesen sei, habe er mit diesen nicht selbst Kontakte aufnehmen bzw. Verhandlungen führen können.

    Seine Einbindung in die Betriebsorganisation der Beigeladenen sei auch aus dem Umstand abzuleiten, dass er von der behördlichen Duldung der Annahmestelle durch das Niedersächsische Ministerium, Inneres, Sport und Integration bzw. deren Widerruf erst im Nachhinein erfahren habe. Die Kündigung sei erfolgt, weil die Beigeladene die Zahl der Annahmestellen habe verringern wollen. Er habe ferner eigene Wetten nicht selbst annehmen dürfen, die eingenommenen Geldbeträge sollten Eigentum der Beigeladenen sein. Die Provisionsansprüche hätten nicht abgetreten oder verpfändet werden dürfen, er habe Rubbellose und Losbriefe und deren Verkauf unterstützen müssen sowie eine Einzugsermächtigung für das Treuhandkonto erteilen müssen. Die Beigeladene habe ihn insgesamt als zu beaufsichtigenden Angestellten und nicht als selbständigen Unternehmer betrachtet.

    Der Kläger beantragt,

    das Urteil des Sozialgerichts vom 23. März 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2014 aufzuheben.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Sie führt aus, die Weisungsrechte im Sinne des § 3 des Wetteinnehmer-Vertrages bezögen sich offensichtlich nur auf die Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und seien deshalb nicht Ausdruck eines arbeitsrechtlichen Direktionsrechts.

    Die Beigeladene zu 1) beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Sie führt ergänzend aus, dass der Kläger selbst Leistungsansprüche gegen die Beigeladene als Selbständiger geltend gemacht und einen Zivilrechtsstreit geführt habe. Die Formulierungen in § 3 Abs. 2 des Wetteinnehmer-Vertrages bezögen sich auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften, insbesondere des Niedersächsischen Glücksspielgesetzes.

    Die Behauptung des Klägers fünf Sechstel seiner Einnahmen hätte aus der Wetteinnehmertätigkeit gestammt, sei falsch und widerspräche dem Vortrag im Zivilrechtsverfahren in der Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof.

    Gewerbeverbote fänden sich im HGB und seien für Handelsvertreter typisch. Der Kläger habe ein Gewerbe angemeldet und sei im fremden Namen und auf fremde Rechnung tätig geworden.

    Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze und Unterlagen wird ergänzend Bezug genommen. Der Verwaltungsvorgang der Beklagten lag zur mündlichen Verhandlung vor und war Gegenstand der Erörterungen.

    Entscheidungsgründe:

    Die Berufung hat keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das SG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.

    Die Klage ist zulässig. Es bedurfte keines Vorverfahrens, weil sich der Kläger gegen den Abhilfebescheid vom 29. Dezember 2014 zur Wehr setzt, welcher das Widerspruchsverfahren aufgrund des Widerspruchs der Beigeladenen gegen den ursprünglichen Bescheid vom 9. September 2014 beendet hat. Dieser Abhilfebescheid belastet ihn aus seiner Sicht. Zwar ist diese erstmalige Beschwer aufgrund einer Abhilfeentscheidung in § 78 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht ausdrücklich als Ausnahme von der Pflicht, vor Erhebung einer Klage ein Vorverfahren durchzuführen (§ 78 Abs. 1 S. 1 SGG) vorgesehen. Entsprechend der ausdrücklichen Regelung in § 68 Abs. 1 S. 2 Verwaltungsgerichtsordnung ist ein weiteres Vorverfahren jedoch nicht sinnvoll, wenn der Widerspruchsbescheid eine zusätzliche Beschwer oder - wie hier - die erstmalige Beschwer eines Dritten enthält (vgl. Giesbert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 78 SGG, Stand: 15.07.2017, Rdnr. 36 mit weiteren Nachweisen auch zur Gegenmeinung).

    Die Klage ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

    Der streitgegenständliche Bescheid vom 29. Dezember 2014 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

    Der formelle Mangel, den Kläger vor Erlass der Abhilfeentscheidung nicht angehört zu haben, ist durch Nachholung geheilt.

    Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 7a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Nach dieser Vorschrift hat die Beklagte im Anfrageverfahren über das Vorliegen einer Versicherungspflicht auslösenden Beschäftigung zu entscheiden.

    Das Anfrageverfahren war hier nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil sich der Antrag auf ein bereits vor langem abgeschlossenes Beschäftigungsverhältnis bezieht. Aus dem Gesetz ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine zeitliche Beschränkung des Anfrageverfahrens auf den Zeitraum des Bestehens des Beschäftigungsverhältnisses (BSG, Urteil vom 4. Juli 2009, B 12 KR 31/07 R, juris-Rdnr. 28 ff.). Auch auf die Frage, ob der Beschäftigende für die Vergangenheit noch mit der Tragung von Beiträgen belastet werden kann, kommt es ebenfalls nicht an. Der Eintritt von Versicherungspflicht stellt eine gegenüber dem Beitrags- wie dem Leistungsrecht eigenständige und gesondert feststellungsfähige Rechtsfolge dar (BSG, Urteil vom 4. Juli 2009 - B 12 R 6/08 R -, juris, Rdnr. 32).

    Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, § 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch sowie § 25 Abs. 1 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Der Eintritt von Versicherungspflicht setzt danach das Vorliegen einer Beschäftigung voraus. Der Begriff der Beschäftigung wird in § 7 Abs. 1 SGB IV näher definiert. Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

    Abzugrenzen ist die eine Versicherungspflicht begründende abhängige Beschäftigung von einer selbständigen Tätigkeit.

    Nach der Rechtsprechung des BSG liegt Beschäftigung vor, wenn die Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit erbracht wird. Dieses Merkmal ist bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb gegeben, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und mit seiner Tätigkeit einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung erfassenden Weisungsrecht unterliegt. Dabei kann sich die Weisungsgebundenheit insbesondere bei Diensten höherer Art zu einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinern. Dagegen ist eine selbständige Tätigkeit durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen freie Gestaltung von Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, das heißt den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (BSG, Urteil vom 14. März 2018 - B 12 KR 3/17 R - Rdnr. 12 mit weit. Nachweisen). Bei der Statusbeurteilung ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, so ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Diese sind ebenfalls nur maßgebend, soweit sie rechtlich zulässig sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen und auszuschließen, dass es sich hierbei um einen bloßen "Etikettenschwindel" handelt, der unter Umständen als Scheingeschäft im Sinne des § 117 BGB zur Nichtigkeit dieser Vereinbarungen und der Notwendigkeit führen kann, gegebenenfalls den Inhalt eines hierdurch verdeckten Rechtsgeschäfts festzustellen. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (BSG, a. a. O. Rdnr. 13 mit weiteren Nachweisen).

    Ausgangspunkt der Prüfung sind demnach die für die Tätigkeit maßgeblichen vertraglichen Vereinbarungen.

    Hier regelten alle drei Wetteinehmer-Verträge zwischen der Beigeladenen und dem Kläger in § 1 Abs. 1 S. 1, dass der Kläger als Wetteinnehmer selbstständiger Gewerbetreibender sein und ein Angestelltenverhältnis nicht begründet werden sollte. Nach § 1 Abs. 1 S. 3 der Verträge wurde vereinbart, dass der Kläger für die Beigeladene als Handelsvertreter im Nebenberuf tätig werden sollte.
    Danach sollte kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis begründet werden.

    Allerdings enthalten die Vertragswerke auch Bestimmungen, die eher auf Abhängigkeit hindeuten. So heißt es in § 3 Abs. 2 der Wetteinnehmer-Verträge, dass der Kläger sich verpflichte, die Anweisungen der Beigeladenen und deren Beauftragungen auszuführen und deren Weisungen auch an Ort und Stelle Folge zu leisten.

    Das Entstehen von Versicherungspflicht ergibt sich zwar aus dem Gesetz und kann deswegen nicht Gegenstand einer einzelvertraglichen Abrede sein. Weil die Träger der Sozialversicherung Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind und das Rechtsinstitut der Pflichtversicherung auch der Funktionsfähigkeit der Sozialversicherungssysteme dient, kommt einer privatautonomen Gestaltung im Sozialversicherungsrecht nicht die gleiche Bedeutung zu wie etwa im Arbeitsrecht. Insbesondere kann eine sozialversicherungsrechtlich erhebliche Beschäftigung auch dann vorliegen, wenn kein Arbeitsvertrag im arbeitsrechtlichen Sinne geschlossen worden ist (BSG v. 4. Juni 2019 - B 12 R 11/18 R - juris Rdnr. 19). Der tatsächlichen Ausgestaltung der Verhältnisse kann danach gegebenenfalls sogar stärkeres Gewicht als abweichenden vertraglichen Regelungen zukommen (BSG Urt. v. 28. Mai 2008 - B 12 KR 13/07 R - juris Rdnr. 17; Urt. v. 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R - juris Rdnr. 17).
    § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV nennt als Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung neben der Weisungsgebundenheit auch eine Eingliederung. Bei Diensten höherer Art kann die Bedeutung des Weisungsrechts völlig zurücktreten, so dass es nicht darauf ankommt, ob es eine vertragliche Grundlage hat oder nicht. Gleichwohl bleibt eine Dienstleistung fremdbestimmt und somit als funktionsgerecht dienende Teilhabe Gegenstand einer Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne, wenn sie ihr Gepräge von der fremden Ordnung des Betriebs erhält, in dessen Dienst die Arbeit verrichtet wird (BSG v. 4. Juni 2019 - B 12 R 11/18 R - juris Rdnr. 29). Entscheidend für das Vorliegen von Selbständigkeit ist daher, ob eine Tätigkeit in ihrem Kernbereich selbstbestimmt ausgeübt wird, ohne Vorgaben des Auftraggebers, welche über die Arbeitsorganisation und die Arbeitsabläufe bestimmen, und mit dem Auftragnehmer überlassenen inhaltlichen Freiheiten, die er in eigener Verantwortung auszufüllen hat. Unter dieser Voraussetzung führt auch der Zwang, sich inhaltlich an gewissen Vorgaben auszurichten, nicht zur Annahme einer Abhängigkeit. Tätigkeiten bleiben nämlich frei, wenn zwar ihre Ziele vorgegeben werden, die Art und Weise der Ausführung aber dem Dienstleister überlassen bleibt.

    Der Senat geht hier nach Würdigung aller Umstände davon aus, dass die tatsächliche Durchführung der Lotterieannahmen nicht im Widerspruch zu den Wetteinnehmerverträgen stattgefunden hat. Bei der in der Gesamtbetrachtung festzustellenden Gemengelage zwischen Indizien, die für wie gegen Weisungsabhängigkeit und Betriebseingliederung sprechen, spricht mehr für eine auch tatsächlich praktizierte Selbstständigkeit. Die vom Kläger in der streitgegenständlichen Zeit ausgeübte Tätigkeit als Wetteinnehmer stellt sich danach nicht als Beschäftigung dar. Dies hat bereits das SG umfassend begründet:

    Für Handelsvertreter-Vereinbarungen, wie hier vereinbart, entspricht es ständiger Rechtsprechung des BSG, für die Frage der Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV an den Begriff der Selbständigkeit im HGB anzuknüpfen, die sich im Wesentlichen nach der Freiheit des Handelsvertreters bei seiner Tätigkeit bemisst und dem Umstand, dass der Handelsvertreter seine Arbeitszeit bestimmen kann, § 84 Abs. 1 S. 2 HGB (BSG, Urteil vom 9. November 2011 - B 12 R 1/10 R - BSGE 109, 265 - juris Rdnr. 20 mit weiteren Nachweisen).Gemäß § 84 Abs. 1 S. 1 HGB ist Handelsvertreter, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Wer, ohne selbständig im Sinne des § 84 Abs. 1 HGB zu sein, ständig damit betraut ist, für einen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen, gilt als Angestellter (§ 84 Abs. 2 HGB). Der selbständigen Handelsvertreter nach §§ 84 ff. HGB kann zwar bei der Gestaltung seiner Tätigkeit auch Weisungen des Unternehmers, für den er tätig ist, unterliegen. Er unterscheidet sich aber dadurch von dem abhängig beschäftigten Handlungsgehilfen gemäß § 59 HGB, dass das Weisungsrecht des Unternehmers nicht so stark ausgestaltet sein darf, dass die dadurch bewirkten Einschränkungen seine unternehmerische Freiheit in ihrem Kerngehalt beeinträchtigen (BSG, Urteil vom 29. Januar 1981 - 12 RK 63/79 - juris, Rdnr. 19 f. -, bekräftigt durch Urteil vom 22. Juni 2005 - B 12 KR 28/03 R - juris, Rdnr. 24).

    Die persönliche Selbständigkeit des Handelsvertreters, die eine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Unternehmer nicht ausschließt, kommt vor allem in den in § 84 Abs. 1 S. 2 HGB genannten Merkmalen zum Ausdruck (BSG, Urteil vom 29. Januar 1981 - 12 RK 63/79 - juris, Rdnr. 21 - auch zum Folgenden).Wenn der Beauftragte seine Tätigkeit und seine Arbeitszeit wie ein Angestellter einrichten muss, kann er nicht mehr als selbständig und damit als Handelsvertreter angesehen werden. Während der Unternehmer über die Arbeitskraft des abhängig beschäftigten Handlungsgehilfen durch einseitig erteilte Weisungen grundsätzlich unbeschränkt verfügen kann, fehlt eine derartige persönliche Abhängigkeit beim Handelsvertreter, der seinem Auftraggeber in einem Verhältnis persönlicher Selbständigkeit und Gleichstellung gegenübersteht.

    Daneben können noch weitere Umstände von Bedeutung sein, soweit sie als Indizien für das Vorliegen der ausdrücklich im Gesetz genannten Merkmale der Selbständigkeit anzusehen sind oder sich schon aus der Unternehmereigenschaft des Handelsvertreters ergeben; zu ihnen gehört insbesondere das eigene Unternehmerrisiko, das als Gegenstück der unternehmerischen Betätigungsfreiheit im Unternehmerbegriff mit enthalten ist. Handelsvertreter ist danach, wer von einem Unternehmer ständig mit der Vermittlung von Geschäften betraut ist, sofern er nach dem Gesamtbild seiner Tätigkeit persönlich selbständig ist, insbesondere im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann und ein entsprechendes Unternehmerrisiko trägt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist er angestellter Handlungsgehilfe. Von den gleichen Grundsätzen geht das BSG auch im Recht der Sozialversicherung aus (BSG, Urteil vom 29. Januar 1981 - 12 RK 63/79 - juris, Rdnr. 22 -; vgl. insgesamt LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Januar 2016 - L 4 R 2796/15 -, juris-Rdnr. 62ff).

    Der Kläger unterlag vorliegend keinem Weisungsrecht, das eine Eingliederung in den Betrieb der Beigeladenen und damit eine abhängige Beschäftigung begründet hätte:

    Ein solches folgt nicht aus dem Umstand, dass der Online-Terminal von der Beigeladenen freigeschaltet sein musste und der Kläger diese Freischaltung nicht selbst vornehmen konnte. Er konnte jedoch die Zeiten bestimmen und etwaige Änderungen telefonisch veranlassen. Die Öffnungszeiten seines Einzelhandelsgeschäfts des Klägers bestimmte der Kläger selbst und damit auch die Betriebszeiten der Annahmen von Lottoscheinen. Die Beigeladene gab hingegen keine Arbeitszeiten vor.

    Ganz allgemein zwingt ferner die bloße Nutzung eines von anderen vorgehaltenen „betriebenen Systems“ bzw. Netzes (Logistik) durch einen „Systempartner“ oder Dienstanbieter ohne Vorliegen weiterer, für eine Einbindung in die organisatorische Einheit des „Systemgebers“ oder Netzbetreibers sprechender Umstände nicht (von vornherein) zu der Annahme, es liege eine arbeitnehmertypische Eingliederung in eine von anderen vorgegebene betriebliche Ordnung vor, in der die „Systempartner“ oder Dienstanbieter fremdbestimmte Arbeit leisten (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 - B 12 KR 17/11 R - juris-Rdnr. 29).

    Obwohl der Kläger durch die Wetteinnehmer-Verträge und die verbindliche Geschäftsanweisung vielerlei Vorgaben beachten musste, hat sich seine Tätigkeit nicht als weisungsabhängig dargestellt.
    Es ist durchaus üblich, dass produkt- und verfahrensbezogene Vorgaben an Handelsvertreter sicherstellen sollen, dass bei überregional tätigen Unternehmen einheitliche Preise, Qualitätsstandards, Ausstattung und Werbung gesichert sind und insbesondere auch das äußere Erscheinungsbild einheitlich ist (so LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2014 - L 11 R 2662/12 -, juris-Rdnr. 60 für Postagentur). Hier ist das Verhältnis maßgeblich davon geprägt, dass die wesentlichen Vorgaben durch das Niedersächsisches Glücksspielgesetz vom 17. Dezember 2007 getroffen sind.
    Maßgeblich ist zudem, dass die Vertragsregelungen und die Verbindlichkeit der Geschäftsanweisungen bereits Vertragsinhalt waren. Die Beigeladene hat nicht durch Einzelanweisungen Einfluss genommen wurde. Umstände, die durch entsprechende Rahmenvereinbarungen oder -pläne bereits im Voraus vertraglich festgelegt sind, begründen regelmäßig kein Weisungsrecht des Auftraggebers (vgl. BSG 12. Februar 2004, B 12 KR 26/02 R, juris zu einem Dozenten an einer Volkshochschule). Bereits allgemein können Vorgaben für den Inhalt der Tätigkeit weder die Annahme von Weisungsunterworfenheit noch die Eingliederung in eine fremde Betriebsordnung im Sinn "funktionsgerecht dienender Teilhabe am Arbeitsprozess" begründen, vor allem, wenn noch Handlungsspielräume verbleiben, die arbeitnehmeruntypisch sind (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 2018 - B 12 R 3/17 R -, BSGE 125, 177-182 Rdnr. 21).

    Gegen eine abhängige Beschäftigung spricht vorliegend auch, dass der Kläger nicht - wie für einen Arbeitnehmer typisch - verpflichtet war, seine Arbeitsleistung höchstpersönlich zu erbringen. Tatsächlich arbeitete auch die Ehefrau des Klägers im Geschäft und nahm Lottoanträge entgegen.

    Zu Recht sieht der Kläger eine Parallele der Lotterieeinnahmen zum Franchising. Das Verhältnis zwischen der Beigeladenen und einem Wetteinnehmer ähnelt dem zwischen Franchise-Geber und Franchise-Nehmer. Der Kläger blendet allerdings in diesem Zusammenhang aus, dass das BSG in dem Urteil vom 4. November 2009 eine selbständige Tätigkeit der dortigen Klägerin als Franchise-Nehmerin angenommen hat und (lediglich) eine Rentenversicherungspflicht als Selbständige nach § 2 S. 1 Nr. 9a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch bejaht hat (B 12 R 3/08 R, juris - Rdnr. 14).

    Der Kläger hat auch ein relevantes unternehmerisches Risiko getragen. Dies stellt ein gewichtiges Indiz für eine selbständige Tätigkeit dar.

    Maßgebliches Kriterium für ein solches Risiko eines Selbstständigen ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der tatsächlichen und sächlichen Mittel also ungewiss ist (BSG 12. Dezember 1990, 11 RAr 73/90, juris; BSG 28. Mai 2008, B 12 KR 13/07 R, juris). Dies war hier der Fall. Der Kläger musste ein Ladenlokal anmieten und betreiben, in welchem er eine Teilfläche und Inventar für das Terminal für die Wetteinnehmertätigkeit benötigte. Durch diese erzielte er keine feste Vergütung, sondern ausschließlich Provisionen. Mit dem Betrieb eines Geschäftslokales waren also für den Kläger Aufwendungen und Kosten verbunden ohne dass dieser Gewissheit gehabt hat, sicher ausreichend Umsätze zu erwirtschaften, sei es durch den Verkauf von Zeitschriften, Tabak- und Süßwaren, sei es durch das Verdienen von Provisionen.

    Soweit der Kläger vorträgt, die Wetteinnehmertätigkeit hätte den Schwerpunkt seiner Geschäftstätigkeit dargestellt, der Verkauf von Tabak-und Süßwaren sowie von Zeitschriften sei quasi nur ein Zubrot gewesen, zeigt dies eine konkrete Weisungsabhängigkeit und Integration in den Betrieb der Beigeladenen nicht auf. Er war nicht gehindert, sein Einzelhandelskaufgewerbe nach Belieben zu gestalten (vgl. ähnlich LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2014 - L 11 R 2662/12 -, juris-Rdnr. 62). Dass der Kläger für den Betrieb der Lottoannahmestelle nach seinen Angaben nur einen Schreibtisch gebraucht hat, spricht nicht gegen die Annahme eines Unternehmerrisikos als Indiz für Selbständigkeit. Denn die Geschäftsgrundlage der Wetteinnehmerverträge war der Umstand, dass die Lottoannahmestelle innerhalb eines eigenen Ladengeschäftes ausgeübt werden sollte und so auch betrieben wurde.

    Der Kläger kann sich abschließend auch nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung berufen, die bei der Tätigkeit eines Bezirksleiters für eine Toto-Lotto-Gesellschaft teilweise eine Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. SGB IV bejaht (insbesondere LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 13. Dezember 2017 - L 2 R 359/17 für einen Bezirksleiter der Beigeladenen). Denn die Tätigkeit als Bezirksleiter ist in wesentlichen Teilen anders als die der reinen Wetteinnahme. Sie besteht nicht nur in der Vermittlung von Geschäften im Sinne des § 84 HGB. Der Bezirksleiter ist vielmehr durch seine Aufgaben bei der Kontrolle und Betreuung der Lotto-Annahmestellen seines Bezirks geprägt. Er vermittelt selbst gar nicht zwischen den Spielern und der Beigeladenen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a. a. O. juris Rdnr. 84-87; vgl. zur Annahme der Selbstständigkeit eines Bezirksstellenleiters der Süd-Lotto München: BSG, Urt. v. 1. Dezember 1977 -12/3/12 RK 39/74- BSGE 45, 199).

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache. Es erscheint zudem nicht billig, dem Kläger oder der Beklagten die Tragung der Kosten der Beigeladenen zu 1) aufzuerlegen.

    Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor. Zu entscheiden war ein Einzelfall. 

    Karrierechancen

    Zu TaxTalents