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  • 20.02.2019 · IWW-Abrufnummer 207314

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Beschluss vom 13.11.2018 – 9 V 9023/18

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Berlin-Brandenburg

    Beschl. v. 13.11.2018


    In dem Verfahren

    der A... GmbH,
    Antragstellerin,
    bevollmächtigt:
    gegen
    das Finanzamt,
    Antragsgegner,
    wegen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 FGO) - Haftungsbescheid vom 29.08.2017 betr. Lohnsteuern Februar 2012 bis Dezember 2015

    hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 9. Senat - am 13. November 2018 durch
    den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,
    den Richter am Finanzgericht ... und
    den Richter am Finanzgericht ...

    beschlossen:

    Tenor:

    Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides vom 29. August 2017 in Gestalt des ergänzenden Bescheids vom 10. September 2018 über die bereits gewährte Aussetzung in Höhe von 1 410,13 EUR (Lohnsteuer) sowie 89,79 EUR (Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer) hinaus wird zurückgewiesen.

    Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.

    Die Beschwerde wird zugelassen.

    Gründe

    I.

    Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Antragsgegner die Antragstellerin als Arbeitgeberin wegen rückständiger Lohnsteuern nebst Solidaritätszuschlägen hierzu für den Zeitraum Februar 2012 bis Dezember 2015 in Höhe von rund 2, 1 Mio. EUR gemäß § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) in Verbindung mit § 42 d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Haftung nehmen kann.

    Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die als eines von insgesamt sieben Tochterunternehmen zu einem Konzern gehört. Konzernmutter war in den Streitjahren die B... GmbH mit Sitz in C.... Die Antragstellerin ist als Werkvertragsunternehmen auf dem Gebiet der Bauwirtschaft tätig. Im hier maßgebenden Zeitraum von 2012 bis 2015 erbrachte die Antragstellerin aufgrund von Werkverträgen für verschiedene deutsche Auftraggeber Bauleistungen. Hierbei setzte sie eine Vielzahl eigener Arbeitnehmer mit polnischer Staatsangehörigkeit ein.

    Diese Arbeitnehmer erfasste sie in ihrer Buchführung mit der Schlüsselung "Staatsangehörigkeit 152".

    Ausweislich ihrer Jahresabschlüsse erzielte die GmbH in den Jahren 2012 bis 2017 folgende Umsätze und Betriebsergebnisse mit folgender Anzahl von Arbeitnehmern [vgl. Bl. 98 R d. A.]:

    Anzahl der Beschäftigten:    Umsatz:    Betriebsergebnis:       
    2012    698    4 033 000 EUR    280 000,00 EUR       
    2013    923    8 051 077 EUR    422 324,31 EUR       
    2014    971    7 022 200 EUR    893 764,33 EUR       
    2015    1591    9 573 689 EUR    705 815,66 EUR       
    2016        8 104 207,97 EUR    ./. 1 038 106,07 EUR       
    2017        8 007 943,94 EUR    60 673,81 EUR    

    In den Bilanzen zum 31. Dezember 2016 und zum 31. Dezember 2017 sind folgende Verbindlichkeiten gegenüber dem Antragsgegner enthalten:

    2016: Konto 4901: Haftungsinanspruchnahme LSt-Außenp. i. H. v. 1 592 828,70 EUR
    2017: Konto 4350: Haftungsinanspruchnahme LSt i. H. v. 530 942,89 EUR

    Im Rahmen einer durch das vom Antragsgegner mit der Prüfung beauftragte Finanzamt D... durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung betreffend den Zeitraum 01.01.2012 bis 31.12.2015 - deren Ergebnisse im Lohnsteuer-Außenprüfungsbericht vom 02.06.2017 zusammengefasst sind, auf den der Senat wegen des weiteren Inhalts ergänzend Bezug nimmt - stellten die beiden Prüfer fest, dass die Antragstellerin die Lohnsteuer für die in der Buchführung mit der Schlüsselung "Staatsangehörigkeit 152" erfassten Arbeitnehmer ausnahmslos nach Lohnsteuerklasse I berechnet hatte, obwohl für diese Arbeitnehmer weder Lohnsteuerkarten oder Lohnsteuerkarten-Ersatzbescheinigungen nach § 52 b Abs. 3 EStG mit einem entsprechenden Eintrag "Lohnsteuerklasse I" (betrifft nur das Streitjahr 2012) noch sog. ELSTAM-Daten noch Bescheinigungen des Antragsgegners als sog. Betriebsstätten-Finanzamt (FA) im Sinne von § 39 Abs. 2 oder 3 EStG über die sog. Lohnsteuerabzugsmerkmale vorgelegen haben (das Verfahren über die Bildung und den Abruf der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale ELSTAM ging aufgrund technischer Umsetzungsschwierigkeiten erst ab 1. Januar 2013 an den Start, vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen [BMF] vom 25. Juli 2013, Bundessteuerblatt - BStBl - 2013, 943).

    Hierauf nahmen die Prüfer eine Nachversteuerung vor, indem sie die Lohnsteuer für die Arbeitnehmer mit der Schlüsselung "Staatsangehörigkeit 152" nicht mehr nach der Lohnsteuerklasse I, sondern nach der Lohnsteuerklasse VI berechneten. Dadurch ergaben sich folgende Nachforderungsbeträge:

    Lohnsteuer    Solidaritätszuschläge zur Lohnsteuer       
    2012    238 155,0 EUR    15 077,05 EUR       
    2013    533 779,69 EUR    35 528,50 EUR       
    2014    544 658,11 EUR    35 007,04 EUR       
    2015    679 078,21 EUR    42 487,94 EUR    

    Der Antragsgegner schloss sich der Auffassung der Prüfer des Finanzamtes D... an und erließ am 29. August 2017 gegenüber der Antragstellerin wegen der zuwenig einbehaltenen Lohnsteuer einen auf § 42 d Abs. 1 Nr. 1 EStG gestützten Haftungsbescheid über 1 995 671,06 EUR Lohnsteuer zuzüglich 128 100,53 EUR Solidaritätszuschläge zur Lohnsteuer = insgesamt 2 123 771,59 EUR. In den beigefügten "Erläuterungen" heisst es u.a.:
    "Sie haften für die festgesetzten Beträge, weil Sie die Lohnsteuer in unzutreffender Höhe einbehalten und abgeführt haben. Sie werden als Haftender an Stelle des Arbeitnehmers in Anspruch genommen, weil ein Haftungsausschluss nicht vorliegt. Ihre Inanspruchnahme ist nicht unbillig.

    Es liegt kein entschuldbarer Rechtsirrtum vor. Die Beträge können vom Arbeitnehmer nicht nachgefordert werden. .... Wegen der Prüfungsfeststellungen wird auf den Prüfungsbericht vom 02.06.2017 hingewiesen."

    Am 10. September 2018 erließ der Antragsgegner einen Bescheid, mittels dessen er seine bisherigen Ermessenserwägungen im vorgenannten Haftungsbescheid erweiterte. Beim Lohnsteuerabzug sei der Arbeitnehmer grundsätzlich der Steuerschuldner (Hinweis auf § 38 Abs. 2 EStG). Soweit die Haftung nach § 42 d EStG reiche, seien Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenüber dem Finanzamt Gesamtschuldner (Hinweis auf § 42 d Abs. 3 Satz 1 EStG).

    Die Haftung nach § 42 d EStG setze kein Verschulden des Arbeitgebers voraus. Ein entschuldbarer Rechtsirrtum der Antragstellerin habe nicht vorgelegen. Denn es sei gesetzlich eindeutig geregelt, dass die Lohnsteuer vom Arbeitgeber nach der Steuerklasse VI einzubehalten sei, wenn ihm keine Bescheinigung bezüglich der Lohnsteuerklasse I oder III vorgelegt werde.

    Damit könne der Arbeitgeber dem Grunde nach als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden (Entschließungsermessen).

    Er, der Antragsgegner, habe sodann nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob er vornehmlich den Arbeitgeber oder den Arbeitnehmer in Anspruch nehmen wolle (Auswahlermessen).

    Die vorrangige Inanspruchnahme der Antragstellerin gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern diene der administrativen Vereinfachung, weil im vorliegenden Fall gleiche Lohnsteuer-Berechnungsfehler bei mehreren hundert Arbeitnehmern gemacht worden seien (Hinweis auf BFH-Urteil vom 24. Januar 1992 - VI R 177/88, BStBl II 1992, 696). Eine vorrangige Inanspruchnahme des Arbeitgebers sei nur dann ermessensfehlerhaft, wenn es sich nur um wenige, einzeln bekannte Arbeitnehmer handeln würde, für die Lohnsteuer nachzufordern sei. Zum anderen könne er, der Antragsgegner, nur unter erschwerten Bedingungen (steuerlich nicht geführt, Wohnsitz im Ausland) auf die polnischen Arbeitnehmer zugreifen. Im Übrigen würde eine vorrangige Inanspruchnahme der Arbeitnehmer voraussetzen, dass die Antragstellerin bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens konkrete Angaben zu den betroffenen Arbeitnehmern machen würde.

    Ein konkreter Nachweis über die tatsächliche Lohnsteuerschuld sei bisher nur bezüglich der Arbeitnehmer E... (Personalnummer 3137) und F... (Personalnummer 2835 für den Zeitraum 9. März bis 4. April 2015 und Personalnummer 3348 für den Zeitraum 3. bis 29. August 2015) erfolgt. Die Haftungssumme sei daher um 1 410,13 EUR Lohnsteuern und 89,79 EUR Solidaritätszuschlag zu mindern.

    Gegen den Haftungsbescheid legte die Antragstellerin fristgerecht Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung desselben. Mit Schreiben vom 3. Januar 2018 lehnte der Antragsgegner eine Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids mangels Vorhandenseins ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit ab.

    Zur Begründung ihres gerichtlichen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheids vom 29. August 2017 macht die Antragstellerin im Wesentlichen geltend, dass die vom Antragsgegner geltend gemachte Haftungsschuld aus mehreren Gründen nicht bestehen würde:

    - Der Erlass eines Haftungsbescheides nach § 42 d EStG sei eine Ermessensentscheidung des Finanzamtes. Vor diesem Hintergrund müssten u. a. die Schwierigkeiten im Antragsverfahren Berücksichtigung finden. Das Antragsverfahren zur Erlangung von Bescheinigungen im Sinne von § 39 EStG sei von der Finanzverwaltung nur unzureichend ausgestaltet. Anträge von ihr oder von verbundenen Unternehmen seien in der Vergangenheit aus zum Teil formalen Gründen bzw. wegen angeblich zu klärender Rechtsfragen in Bezug auf eine mögliche beschränkte oder unbeschränkte Steuerpflicht der Arbeitnehmer unbearbeitet an sie, die Antragstellerin, zurückgesendet worden. Darüber hinaus sei ihr mitunter mitgeteilt worden, die Bescheinigung nach § 39 EStG müsse wegen eines möglichen "gewöhnlichen Aufenthalts" des Arbeitnehmers im Inland bei den Einwohnermeldeämtern beantragt werden. Die Einwohnermeldeämter hätten ihrerseits die Bearbeitung der Anträge unter Hinweis auf § 39 Abs. 2 und 3 EStG abgelehnt und sie, die Antragstellerin, an die zuständigen Finanzämter verwiesen. Dies habe bei ihr zu erheblichen Verwirrungen und zu Resignation geführt. Erst im September 2017 sei nach einem Gespräch mit Mitarbeitern des Ministeriums der Finanzen des Landes Brandenburg eine zufriedenstellende Lösung gefunden worden.

    - Da die Lohnsteuer eine besondere Erhebungsform der Einkommensteuer darstelle, scheide eine Haftungsinanspruchnahme nach § 42 d EStG zudem aus, wenn (zweifelsfrei) feststehe, dass eine Einkommensteuerschuld nicht oder nicht in Höhe des Lohnsteuerabzugs entstanden sei.

    Aufgrund von Befragungen von aktiven Arbeitnehmern in ihrem Betrieb könne davon ausgegangen werden, dass etwa 80 v. H. der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer eine Einkommensteuererklärung abgegeben hätten. Wegen der hohen Fluktuation seien die im Prüfungszeitraum beschäftigten Arbeitnehmer nicht mehr erreichbar. Sie, die Antragstellerin, habe wegen des Steuergeheimnisses nicht die Möglichkeit, die Besteuerungsgrundlagen in Erfahrung zu bringen. Vor diesem Hintergrund sei die Lohnsteueraußenprüfung gefordert, im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen mitzuwirken.

    - Außerdem hätten bei allen bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern Auswärtstätigkeiten vorgelegen, so dass Verpflegungsmehraufwendungen lohnsteuermindernd zu berücksichtigen seien. Steuerfreie Aufwandserstattungen seien von ihrer (der Antragstellerin) Seite gegenüber den Beschäftigten nicht erfolgt.

    - Schließlich sei den Lohnsteueraußenprüfern des Finanzamtes D... eine Aufstellung über ca. 80 Arbeitnehmer übergeben worden, bezüglich derer eine steuerliche Identifikationsnummer vorhanden sei.
    - In dem angefochtenen Haftungsbescheid werde zu Unrecht auch Lohnsteuer für Arbeitnehmer geltend gemacht, deren Lohn unterhalb des steuerlichen Existenzminimums gelegen habe.

    Aufgrund des Grundsatzes der Akzessorietät scheide eine Haftungsinanspruchnahme nach § 42 d Abs. 1 EStG u. a. aus, wenn eine Steuerverkürzung nicht eingetreten sei. Der Amtsermittlungsgrundsatz verpflichte die Behörde, die ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung auszuschöpfen und insbesondere den Inhalt der ihr zur Verfügung stehenden Akten zu beachten. Zwar gelte der in § 88 AO normierte Untersuchungsgrundsatz nicht unbeschränkt, sondern werde durch die Mitwirkungspflichten der Beteiligten nach §§ 90 ff. AO eingeschränkt. Die Verletzung der Mitwirkungspflicht verringere jedoch nur das Beweismaß, d. h., die Finanzbehörde dürfe sich mit einem geringeren Grad an Überzeugung begnügen (Hinweis u. a. auf BFH-Urteil vom 23. November 2000 III R 52/98, BFH/NV 2001, 882). Dies gelte jedoch nur dann, wenn alle zumutbaren Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung erfolglos geblieben seien. Dies bedeute, dass die Finanzbehörde unter keinen Umständen von ihrer Pflicht, zumutbare Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen, vollständig befreit sei. Die Behörde habe die Erst- und Letztverantwortung für die Sachverhaltsaufklärung, und zwar unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen. Sie müsse daher die ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung ausschöpfen (Hinweis auf Urteil des FG Saarland vom 4. März 2004 2 K 118/01, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2004, 1192).

    Im Rahmen der Lohnsteueraußenprüfung und der Ermittlung einer etwaigen Haftungssumme nach § 42 d EStG sei es der Behörde zumutbar, mit Hilfe des lohnsteuerlichen Ordnungsmerkmals nach § 41 b Abs. 2 Satz 1 und 2 EStG (eTIN) eine Mehrfachbeschäftigung der beschränkt steuerpflichtigen polnischen Arbeitnehmer für den Prüfungszeitraum Februar 2012 bis Dezember 2015 zu ermitteln und, soweit eine Mehrfachbeschäftigung nicht feststellbar sei, diesen Arbeitnehmern die Lohnsteuerklasse I zuzuweisen. Entgegen der Auffassung des 4. Senats des FG Berlin-Brandenburg in dessen Urteilen vom 23. Februar 2017 4 K 4109/15, juris, und 4 K 4083/15, Entscheidungsdienst des Deutschen Steuerrechts - DStRE - 2018,646 sei es im vorliegenden Zusammenhang irrelevant, dass unter der eTIN lediglich die Lohndaten, nicht aber andere der inländischen Einkommensbesteuerung unterliegende Datensätze abgerufen werden könnten. Denn bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern sei mit dem Lohnsteuerabzug nach der Steuerklasse I der deutsche Steueranspruch grundsätzlich abgegolten.

    Mit Übergabe der digitalen Personenmerkmale für die von ihr, der Antragstellerin, beschäftigten ausländischen Arbeiter im Rahmen der Lohnsteueraußenprüfung würden dem Antragsgegner alle für die Ausstellung der Bescheinigungen nach § 39 EStG erforderlichen Daten vorliegen.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Antragstellerin, insbesondere zur Frage einer etwaigen Gewährung von Aussetzung der Vollziehung durch das FG nur gegen Sicherheitsleistung, wird auf die Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten im hiesigen Verfahren Bezug genommen.
    Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

    1.

    die Vollziehung des Haftungsbescheids vom 29. August 2017 in Gestalt des ergänzenden Bescheids vom 10. September 2018 ab Fälligkeit bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung auszusetzen

    2.

    bereits verwirkte Säumniszuschläge zu den Lohnsteuern und zu den Solidaritätszuschlägen hierzu aufzuheben

    3.

    hilfsweise die Beschwerde zum BFH zuzulassen.

    Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,

    den Antrag abzuweisen,

    hilfsweise, Aussetzung der Vollziehung nur gegen entsprechende Sicherheitsleistung zu gewähren.

    Er ist der Ansicht, dass - bis auf einen Teilbetrag in Höhe von 1 499,92 EUR - keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 10. September 2018 bestehen würden und hat hinsichtlich des Teilbetrags die Aussetzung der Vollziehung für 2 Arbeitnehmer gewährt.

    Es sei zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig, dass die Lohnversteuerungen für die polnischen Arbeitnehmer nach der Steuerklasse VI vorzunehmen gewesen seien, da die erforderlichen besonderen Bescheinigungen für einen Lohnsteuerabzug nach einer anderen Steuerklasse nicht vorhanden seien.

    Im Rahmen der Lohnsteuer-Außenprüfung habe die Antragstellerin den Prüfern einen Aktenordner mit Anträgen auf Ausstellung einer Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug für diverse polnische Arbeitnehmer überreicht (Hinweis auf Bl. 242 ff. in Band II der Prüfer-Handakten).

    Diese Anträge seien aber bei ihm, dem Antragsgegner, zu keinem Zeitpunkt zur Bearbeitung eingereicht worden (Hinweis auf Tz. 5. 1 des o. g. Außenprüfungsberichts).

    Eine Haftung des Arbeitgebers nach § 42 d Abs. 1 EStG scheide aus, wenn die Einkommensteuerschuld der Arbeitnehmer nicht oder nicht in Höhe des Lohnsteuerabzugs entstanden sei. Dies setze aber einen entsprechenden Nachweis seitens des Arbeitgebers voraus (Hinweis auf Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 23. Februar 2017 4 K 4083/15, Rz. 49, DStRE 2018, 646).

    Aus den Vorschriften der §§ 85 und 88 AO ergebe sich für ihn, den Antragsgegner, im Rahmen des Lohnsteuer-Haftungsverfahrens kein Handlungsauftrag. Denn es sei zwischen der vom Arbeitgeber einzubehaltenden und abzuführenden Lohnsteuer und der Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers, auf die die vorgenannte Lohnsteuer angerechnet werde, zu unterscheiden. Mit ihrer Aufforderung an ihn, den Antragsgegner, die Besteuerungsgrundlagen bei den einzelnen Arbeitnehmern zu ermitteln, verlagere die Antragstellerin die ihr obliegende Nachweispflicht im Lohnsteuerabzugsverfahren entgegen der gesetzlichen Systematik auf die Finanzbehörde (Hinweis auf Heuermann, in: Heuermann/Wagner, Lohnsteuer, Kap. J 18; Eisgruber, in: Kirchhof, EStG, 17. Aufl. [2018], § 42 d Rz. 9; Krüger, in: Schmidt, EStG, 37. Aufl. [2018], § 42 d Rz. 2, jeweils m. w. N.).

    Im Übrigen seien ihm, dem Antragsgegner, bei der Sachverhaltsermittlung durch § 30 AO Grenzen gesetzt. Der Abruf von Daten im Sinne von § 30 Abs. 6 AO sei nur zulässig, soweit er der Durchführung des Haftungsverfahrens diene. Die Feststellungslast, ob und inwieweit bei den betreffenden Arbeitnehmern Einkommensteuer festgesetzt worden sei, treffe aber nicht ihn. Es sei ihm untersagt, die finanzamtsinternen Daten der entsprechenden Arbeitnehmer abzurufen. Ebenso sei es ihm nicht möglich, Daten bundesweit abzurufen.

    Die Antragstellerin habe zwar mehrfach vorgetragen, sie wolle sich um die Abgabe entsprechender Einkommensteuererklärungen durch die fraglichen Arbeitnehmer bemühen. Bisher könne er, der Antragsgegner, dahin gehende Bemühungen aber nicht erkennen. Der pauschale Hinweis, ca. 80 v. H. der aktiven Arbeitnehmer hätten Einkommensteuererklärungen eingereicht, beweise weder, dass auch für den Prüfungszeitraum Einkommensteuererklärungen eingereicht worden seien, noch dass die jeweilige Einkommensteuerschuld hinter der jeweiligen Lohnsteuer-Haftungsschuld zurückgeblieben sei. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass zwischen nur beschränkt steuerpflichtigen und unbeschränkt steuerpflichtigen polnischen Arbeitnehmern zu unterscheiden sei und nicht in jedem Fall die gesetzlichen Voraussetzungen einer sog. Pflichtveranlagung gegeben seien. Im Falle einer sog. Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG seien die (vierjährigen) Festsetzungsfristen für die Streitjahre 2012 und 2013 inzwischen bereits abgelaufen.

    In den angefochtenen Haftungsbescheid seien auch zu Recht die Abgabenverbindlichkeiten in Bezug auf diejenigen Arbeitnehmer einbezogen worden, deren monatlicher Arbeitslohn den monatlichen steuerlichen Grundfreibetrag unterschritten habe. Dies betreffe Arbeitnehmer, die nur während eines Teils des Kalenderjahres bei der Antragstellerin beschäftigt gewesen sei. Es gebe nämlich keine Anhaltspunkte dafür, dass die betreffenden Arbeitnehmer nur in den angegebenen Zeiträumen in Deutschland beruflich tätig gewesen seien. Sie könnten vor oder nach den Beschäftigungen bei der Antragstellerin bei einem anderen Arbeitgeber tätig gewesen sein sowie ggf. bei dem anderen Arbeitgeber auch höhere Einkünfte bezogen oder aus anderen Quellen im Inland steuerpflichtige Einkünfte erzielt haben.

    Soweit die Antragstellerin ausführe, es habe in der Vergangenheit Schwierigkeiten bei der Beantragung von Lohnsteuer-Bescheinigungen für ihre Arbeitnehmer gegeben, setze sie sich in Widerspruch zu ihren Darlegungen im Rahmen der Lohnsteuer-Außenprüfung. Denn sie habe im Rahmen der Lohnsteuer-Außenprüfung selbst eingeräumt, dass das polnische Unternehmen, welches für die Antragstellerin die betreffenden Arbeitnehmer akquiriert habe, es unterlassen habe, entsprechende Anträge beim Finanzamt zu stellen (Hinweis auf Tz. 5 im o. g. Lohnsteuer-Außenprüfungsbericht).

    Gründe für eine Aussetzung der Vollziehung wegen Vorliegens einer "unbilligen Härte" hinsichtlich einer sofortigen Vollziehung des streitgegenständlichen Haftungsbescheids seien ebenfalls nicht gegeben. Konkrete Angaben seien diesbezüglich von der Antragstellerin nicht gemacht worden.

    Die Anordnung einer Sicherheitsleistung für den Fall einer ganz oder teilweisen Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheids durch das FG sei geboten, weil die Antragstellerin selbst eingeräumt habe, dass sie über keine nennenswerten verwertbaren Vermögensgegenstände verfüge und eine Geldbeschaffung bei ihrer Hausbank zur Tilgung der streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten für sie schwierig sein dürfte.

    Dem Senat haben bei seiner Entscheidung fünf Bände Steuer- sowie Lohnsteueraußenprüfungsakten sowie zwei Heftungen betr. Rechtsbehelfs- und Vollstreckungsverfahren des Finanzamtes D... sowie des Antragsgegners (StNr.: ...) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.

    II.

    Der Antrag ist unbegründet.

    Nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO - kann das Finanzgericht die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind danach zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung des Bescheids anhand des Tatbestands, der sich aus den Akten ergibt, neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (BFH-Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BStBl III 1967, 182; seitdem ständige Rechtsprechung des BFH).

    Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen nur hinsichtlich eines Teilbetrags in Höhe von 1 499,92 EUR ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids vom 29. August 2017 in Gestalt des ergänzenden Bescheids vom 10. September 2018. Insoweit hat der Antragsgegner indes die Aussetzung der Vollziehung gewährt.

    Gemäß § 42 d Abs. 1 EStG haftet der Arbeitgeber u. a.

    1 . für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat (Abs. 1 Nr. 1) und
    2 . für die Einkommensteuer (Lohnsteuer), die auf Grund fehlerhafter Angaben im Lohnkonto oder in der Lohnsteuerbescheinigung verkürzt wird (Abs. 1 Nr. 3).

    Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 2016 - X R 36/15, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2017, 593 m. w. N.). Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es zur Haftung heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind.

    Dabei handelt es sich um eine vom Gericht voll überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamtes an, ob und wen es als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur um Rahmen des § 102 Abs. 1 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar.

    Im Streitfall liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme der Antragstellerin gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO in Verbindung mit § 42 d Abs. 1 EStG dem Grunde nach vor.

    Die Verwirklichung des Haftungstatbestands des § 42 d Abs. 1 Nrn. 1 und 3 EStG in der Person der Antragstellerin ist gegeben, weil der Antragsgegner die Nachzahlung der Differenzbeträge zwischen einer Lohnversteuerung nach Lohnsteuerklasse I und einer Lohnversteuerung nach Lohnsteuerklasse VI in Bezug auf die streitgegenständlichen Arbeitnehmer zu Recht beansprucht.

    Nicht strittig und deshalb keiner vertieften Ausführungen bedürftig ist die Frage, ob die von der Antragstellerin im Haftungszeitraum in Deutschland zur Ausführung von Bauleistungen eingesetzten polnischen Arbeitnehmer der inländischen Lohnsteuerpflicht unterlegen haben. Eine inländische Lohnsteuerpflicht ist anzunehmen, denn nach Art. 15 Abs. 1 des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen vom 14. Mai 2003 (Bundesgesetzblatt - BGBl.- I 2004, 1304) sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit grundsätzlich nur im Ausübungsstaat (Tätigkeitsstaat) zu besteuern. Da die Beteiligten vom Vorliegen dieser Voraussetzungen übereinstimmend ausgehen und sich weder nach Aktenlage noch sonst Hinweise ergeben, die gegen ein Besteuerungsrecht Deutschlands sprechen, geht auch der Senat hiervon aus.
    Der Antragsgegner hat für die in Rede stehenden Arbeitnehmer die Lohnsteuer zu Recht nach dem Lohnsteuerabzugsmerkmal der Steuerklasse VI (§ 38 b Satz 2 Nr. 6 EStG) berechnet, weil der Antragstellerin für die in den Streitjahren 2012 bis 2015 beschäftigten Arbeitnehmer mit der Schlüsselung "Staatsangehörigkeit 152" die für einen Lohnsteuerabzug nach der Steuerklasse I erforderlichen Lohnsteuerkarten mit entsprechendem Lohnsteuerklassen-Eintrag (betrifft nur das Streitjahr 2012) oder sog. ELSTAM-Daten oder Bescheinigungen des Antragsgegners als sog. Betriebsstätten-FA im Sinne von § 39 Abs. 2 oder 3 EStG über die sog. Lohnsteuerabzugsmerkmale nicht vorgelegen haben.

    Aufgrund des Nichtvorhandenseins von Lohnsteuerkarten oder Lohnsteuerkarten-Ersatzbescheinigungen nach § 52 b Abs. 3 EStG oder ELSTAM-Daten oder Bescheinigungen nach § 39 Abs. 2 oder 3 EStG war die Antragstellerin als Arbeitgeberin verpflichtet, für die streitgegenständlichen Arbeitnehmer mit der Schlüsselung "Staatsangehörigkeit 152" die Lohnsteuer nach Steuerklasse VI zu berechnen (§§ 39 c Abs. 1 und 2, 41 c EStG).

    Gemäß § 39 c Abs. 1 Satz 1 EStG 2012-2015 hat der Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber nach der Lohnsteuerklasse VI zu erfolgen, solange der Arbeitnehmer schuldhaft seinem Arbeitgeber die zum Zwecke des Abrufs elektronischer Lohnsteuerabzugsmerkmale (§ 39 e Absatz 4 Satz 1 EStG 2012 - 2015) ihm zugeteilte Identifikationsnummer sowie den Tag der Geburt nicht mitteilt oder das Bundeszentralamt für Steuern die Mitteilung elektronischer Lohnsteuerabzugsmerkmale ablehnt. Gemäß § 39 c Abs. 2 EStG 2012 - 2015 hat der Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber außerdem nach der Lohnsteuerklasse VI zu erfolgen, wenn weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer beim zuständigen Betriebsstätten-FA einen Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug im Sinne von § 39 Abs. 3 EStG gestellt haben.

    Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin weder glaubhaft gemacht, dass Arbeitnehmer mit der Schlüsselung "Staatsangehörigkeit 152", die von ihr in den Streitjahren 2012 bis 2015 beschäftigt worden sind, ohne eigenes Verschulden ihr die (bei ihnen vorhandene) steuerliche Identifikationsnummer oder ihr Geburtsdatum nicht zeitnah mitgeteilt haben oder dass für sie in den Streitjahren 2012 bis 2015 beim Antragsgegner ein Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug im Sinne von § 39 Abs. 3 EStG gestellt worden ist. Denn in einem Gespräch am 7. Dezember 2016 mit Mitarbeitern des Antragsgegners in dessen Diensträume haben Repräsentanten der Antragstellerin selbst eingeräumt, dass das Unternehmen mit Sitz in Polen, welches die fraglichen Arbeitnehmer rekrutiert habe, die entsprechenden Anträge nach § 39 EStG nicht an den Antragsgegner weitergeleitet hat (vgl. Tz. 5. 1 des Berichts über die Lohnsteuer-Außenprüfung vom 2. Juni 2017) .

    Nach dem Grundsatz der Akzessorietät scheidet eine Haftungsinanspruchnahme zwar aus, wenn eine Steuerverkürzung nicht eingetreten ist. Denn die Haftung des Arbeitgebers nach § 42 d hat Schadensersatz- und keinen Strafcharakter. Dementsprechend darf eine Haftungsinanspruchnahme nur für die gesetzlich entstandene Lohnsteuer erfolgen. Da die Lohnsteuer eine besondere Erhebungsform der Einkommensteuer darstellt (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG), scheidet eine Haftung zudem aus, wenn (zweifelsfrei) feststeht, dass eine Einkommensteuerschuld nicht oder nicht in Höhe des Lohnsteuerabzugs entstanden ist. Dies setzt aber einen dahingehenden Nachweis durch den Arbeitgeber voraus (z. B. durch Vorlage des Einkommensteuerbescheids des Arbeitnehmers für den betreffenden Veranlagungszeitraum).

    Daran fehlt es im Streitfall (bis auf die Beschäftigungsverhältnisse betr. die Arbeitnehmer E... und F...).

    Der Senat folgt der Antragstellerin auch nicht darin, dass dem Antragsgegner durch den Abgleich der unter der eTIN übermittelten elektronischen Lohndaten eine verlässliche Prüfung für das Vorliegen von Mehrfachbeschäftigungsverhältnissen möglich gewesen sei. Abgesehen davon, dass die eTIN nach Ansicht des Senats anders als die Identifikationsnummer kein verlässliches Instrument für eine korrekte Erfassung aller Lohndaten eines Arbeitnehmers bietet, liefe dies den Wertungen des Gesetzgebers zuwider, der mit der Schaffung der Übergangsregelung des § 52 b EStG klargestellt hat, dass bis zum Start von ELSTAM die Papierform (in modifizierter Form) weitergelten solle. Abgesehen davon übersieht die Antragstellerin bei ihrer Argumentation, dass unter der eTIN lediglich die Lohndaten, nicht aber andere der inländischen Einkommensbesteuerung unterliegende Datensätze eines Steuerpflichtigen abgerufen werden können. Überdies liefe die von der Antragstellerin vertretene Auffassung darauf hinaus, dass die dem Arbeitgeber obliegenden Pflichten im Lohnsteuerabzugsverfahren entgegen der gesetzlichen Systematik auf das Finanzamt verlagert würden. Insbesondere ist das Betriebsstätten-FA, bei dem die Lohnsteuer anzumelden und an das sie anschließend abzuführen ist, nicht verpflichtet, eine sog. "Schattenveranlagung" durchzuführen (gleicher Ansicht: BFH-Urteile vom 26. Juli 1974 VI R 24/69, BStBl II 1974, 756, unter II. und vom 6. März 2008 VI R 5/05, BStBl II 2008, 597, unter II.2; Urteile des FG Berlin-Brandenburg vom 23. Februar 2017, a.a.O.; Nacke, Haftung für Steuerschulden, 4. Aufl. [2017], S. 76; Wagner, in: Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 42 d EStG Rz. 36; a. A.: Krüger, in: Schmidt, a.a.O., § 42 d Rz. 60; Gersch, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 42 d EStG Anm. 74, jeweils m. w. N.). Einigkeit besteht in Rechtsprechung und Schrifttum darüber, dass der Arbeitgeber hinsichtlich derjenigen Arbeitnehmer keine Einwendungen gegen die Höhe der Lohnsteuer erheben kann, bei denen die Einkommensteuer gemäß § 46 Abs. 4 EStG durch die Lohnsteuer als abgegolten gilt, da hier die Einkommensteuer nicht mehr individuell neu berechnet wird (BFH-Urteil vom 12. Januar 2001 VI R 102/98, BStBl II 2003, 151; FG München, rkr. Urteil vom 4. Februar 2004 - 7 K 4479/02, juris).

    Die Haftungsinanspruchnahme der Antragstellerin ist auch nicht ermessensfehlerhaft. Der Antragsgegner hat das ihm zustehende Entschließungs- und Auswahlermessen in dem Haftungsbescheid vom 29. August 2017 in Gestalt des ergänzenden Bescheids vom 10. September 2018 im Sinne von § 102 FGO fehlerfrei ausgeübt. Die gegenüber den einzelnen polnischen Arbeitnehmern vorrangige Inanspruchnahme der Antragstellerin als Haftende diente der administrativen Vereinfachung, war zweckmäßig und geboten, weil der Antragsgegner auf die Arbeitnehmer nur unter erschwerten Bedingungen (zum Teil steuerlich in Deutschland nicht geführt, Wohnsitz ggf. im Ausland oder unbekannt) zugreifen konnte (vgl. dazu die zahlreichen Rechtsprechungsnachweise bei Nacke, a.a.O., S. 77 ff.).

    Die sofortige Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheids stellt auch keine "unbillige Härte" im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 2. HS FGO dar. Eine unbillige und nicht durch überwiegend öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerverwaltungsakts wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine spätere Rückzahlung der eingezogenen Beträge nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz führen würde. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kommt eine Aussetzung der Vollziehung auch bei unbilliger Härte jedoch nur in Betracht, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerverwaltungsakts nicht ausgeschlossen werden können (vgl. nur BFH-Beschluss vom 26. November 2011 I S 7/11, BFH/NV 2012, 583 [BFH 26.10.2011 - I S 7/11]). Letzteres ist vorliegend - wie oben dargestellt -nicht der Fall.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO, da die Teilabhilfe durch den Antragsgegner in Höhe von 1499,92 EUR geringfügig ist.
    Der Senat hat die Beschwerde gegen den Beschluss wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 128 Abs. 3 FGO zugelassen.

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