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  • 02.04.2014 · IWW-Abrufnummer 140994

    Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 10.12.2013 – 3 K 1632/12

    1. Für die Frage der steuerlichen Haftung kann die Verantwortlichkeit eines Geschäftsführers, der nach der Verteilung der Aufgaben der Gesellschaft auf mehrere Geschäftsführer für die Erfüllung der steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft intern nicht zuständig war, nicht begrenzt werden, wenn die Aufgabenverteilung nur auf einer mündlichen Absprache beruht. Aber auch im Falle einer vorab getroffenen schriftlichen Aufgabenverteilung lebt die Gesamtverantwortung des Mitgeschäftsführers in wirtschaftlichen Krisensituationen der Gesellschaft wieder auf.

    2. Bei der Haftung nach § 69 AO kann sich der Geschäftsführer nicht auf eine hypothetische Anfechtbarkeit von Steuerzahlungen nach § 130 InsO berufen.


    FG Rheinland-Pfalz

    10.12.2013 - 3 K 1632/12

    In dem Finanzrechtsstreit
    des Herrn
    - Kläger -
    prozessbevollmächtigt: Rechtsanwälte
    gegen
    Finanzamt
    - Beklagter -
    wegen Haftung für Steuern
    hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 3. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 10. Dezember 2013 durch
    den Präsidenten des Finanzgerichts als Vorsitzender,den Richter am Finanzgericht die Richterin am Finanzgericht den ehrenamtlichen Richter die ehrenamtliche Richterin
    für Recht erkannt:
    Tenor:

    I.

    Die Klage wird abgewiesen.
    II.

    Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu 9/10 und der Beklagte zu 1/10 zu tragen.
    III.

    Das Urteil ist wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar.

    Tatbestand

    Streitig ist, ob der Kläger als Geschäftsführer für nicht abgeführte Lohnsteuern haftet.

    Der Kläger war im Streitzeitraum (Januar bis März und September und Oktober 2010) Geschäftsführer der H Verwaltungs-GmbH in H (künftig: GmbH). Weiterer Geschäftsführer der GmbH war neben dem Kläger bis zum 06.09.2010 Herr H. Die GmbH ist persönlich haftende Gesellschafterin der B GmbH & Co.KG in H (künftig: KG). Gegenstand des Unternehmens ist die industrielle Serienfertigung von Objektmöbeln (Schulmöbeln etc.).

    Mit dem Eintritt in die Gesellschaft im Jahr 2009 wurde dem Kläger zugesichert, dass bestehende Lohnsteuerschulden mit persönlichen Einkommensteuererstattungen des damaligen Mitgesellschafters und Mitgeschäftsführers H ausgeglichen werden.

    Am 16.04.2010 beantragte der Geschäftsführer H beim zuständigen Veranlagungsbezirk der KG die Verrechnung der fälligen Lohnsteuer für Januar und Februar 2010 mit seiner persönlichen Einkommensteuererstattung. Über diesen Antrag wurde am 18.06.2010 entschieden. Die Lohnsteuer für Januar und Februar 2010 wurde längstens bis zum 30.09.2010 gestundet.

    Am 24.11.2010 stellte der Kläger für die KG einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Daraufhin ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 29.11.2010 - Az. ... IN .../10 - die vorläufige Insolvenzverwaltung an. Im Januar 2011 wurde von Seiten des Insolvenzverwalters Masseunzulänglichkeit angezeigt (vgl. Gutachten des Insolvenzverwalters vom 12.01.2011, Bl.130 der Prozessakte).

    Nachdem für den streitigen Zeitraum Januar bis März 2010 und September und Oktober 2010 angemeldete Lohnsteuerabzugsbeträge (Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchenlohnsteuer) nicht abgeführt wurden und Vollstreckungsmaßnahmen in das Vermögen der KG erfolglos geblieben waren, nahm der Beklagte den Kläger nach Anhörung mit einem auf § 69 in Verbindung mit § 34 der Abgabenordnung (AO) gestützten Haftungsbescheid vom 31.03.2011 in Anspruch. Im Einzelnen handelt es sich um die hälftigen Lohnsteuerabzugsbeträge aus Lohnsteueranmeldungen Januar bis März 2010 und die Lohnsteuerabzugsbeträge im Zeitraum September und Oktober 2010 der KG in Höhe von insgesamt 11.308,89 € sowie Säumniszuschläge von insgesamt 1.318,-€, wobei sich die Lohnsteuerabzugsbeträge wie folgt zusammen setzen:
    Zeitraum Fälligkeit Lohnsteuer SolZ zur LSt ev. KiSt r.k. KiSt
    Mrz 10 04.05.2010 € €
    Jan 10 30.09.2010 € € € €
    Feb 10 30.09.2010 € € € €
    Sep 10 03.11.2010 € € €
    Okt 10 10.11.2010 € € € €
    Summe: 10.168,94 € 467,36 € 271,34 € 401,25 €

    Gesamtsumme: 11.308,89 €

    Für die hälftigen Lohnsteuerabzugsbeträge und steuerlichen Nebenleistungen im Haftungszeitraum Januar bis März 2010 wurde auch der weitere Geschäftsführer H zur Haftung herangezogen.

    Das Finanzamt begründete den Haftungsbescheid im Wesentlichen wie folgt: Die KG habe als Arbeitgeber ihre Pflicht verletzt, die angemeldeten Lohnsteuern zu entrichten. Auch sei sie ihrer Erklärungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Die Lohnsteueranmeldungen für Januar bis März 2010 seien verspätet eingereicht worden. Bei Überschuldung und/oder Zahlungsunfähigkeit gelte die Aufteilung der Geschäftsleitungsbefugnisse unter mehreren Geschäftsführern nicht. Die Lohnzahlung hätte bei unzureichenden vorhandenen Mitteln entsprechend gekürzt werden müssen. Es sei ermessensgerecht, neben dem Geschäftsführer H auch den Kläger in Anspruch zu nehmen.

    Gegen den Haftungsbescheid legte der Kläger Einspruch ein, den er im Wesentlichen wie folgt begründete: Die im Haftungsbescheid genannten Fälligkeitstermine fielen alle bis auf die Lohnsteuer März 2010 in den Zeitraum von drei Monaten vor Stellung des Insolvenzantrags. Geleistete Zahlungen wären daher nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß §§ 130, 131 der Insolvenzordnung (InsO) anfechtbar gewesen. Ein Geschäftsführer, der es unterlasse, im Vorfeld eines Insolvenzantrags Zahlungen auszuführen, die der späteren Insolvenzmasse zurück zu gewähren wären (§ 143 InsO), handle nicht grob fahrlässig.

    Es treffe zwar zu, dass der Kläger als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten Sorge zu tragen habe. Der Kläger sei jedoch Opfer krimineller Machenschaften aus dem Kreis der faktisch als Geschäftsführer handelnden Kommanditisten geworden. Diese kriminellen Machenschaften der Kommanditisten, die auch Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungsverfahren seien, hätten dazu geführt, dass die Gesellschaft ihren Zahlungsverpflichtungen auch gegenüber dem Fiskus nicht mehr habe nachkommen können. Hierauf sei der Kläger erst kurz vor Stellung des Insolvenzantrags aufmerksam geworden, was den Kläger zu einer Überprüfung und in der Folge zur Stellung des Insolvenzantrags und Strafantrags gegen die verantwortlichen Personen veranlasst habe. Dieses Handeln des Klägers müsse im Rahmen der Prüfung der Haftungsinanspruchnahme berücksichtigt werden. Das Auswahlermessen sei fehlerhaft ausgeübt worden (Ermessensunterschreitung), weil eine Heranziehung der faktischen Geschäftsführer, die für die Insolvenz der Gesellschaft verantwortlichen gewesen seien, zur Haftung nicht in Erwägung gezogen worden sei.

    Eine grob fahrlässige oder vorsätzliche Pflichtverletzung des Klägers läge nicht vor. In diesem Zusammenhang rügte der Kläger, dass sich die Begründung des Haftungsbescheids zur Frage des Verschuldens in plakativen Angaben erschöpfe, wonach grundsätzlich von einem Verschulden des Haftungsschuldners auszugehen sei, wenn dessen Pflichtverletzung feststünde. Hierzu sei anzumerken, dass diese Rechtsprechung auf der Basis der nicht mehr geltenden Abgabenordnung ergangen sei, nach der jegliches Verschulden des Haftungsschuldners ausgereicht habe, um dessen Regresspflichtigkeit zu begründen. In der Abgabenordnung von 1977 sei dies jedoch ausdrücklich aufgegeben worden. Soweit danach der Maßstab der groben Fahrlässigkeit im Gesetz vorgegeben sei, müssten auch hierzu Tatsachen positiv festgestellt werden. Umstände, die zur Annahme von grober Fahrlässigkeit ausreichen würden, seien jedoch nicht ersichtlich.

    Nach der internen Zuständigkeitsvereinbarung sei der Mitgeschäftsführer H für die Erledigung steuerlicher Aufgaben und somit für die Abführung der Lohnsteuer zuständig gewesen. Bei gleichzeitiger Einbindung einer Steuerberaterin habe der Kläger auch hinreichend Sorge dafür getragen, dass die der Gesellschaft obliegenden steuerlichen Pflichten erfüllt würden. Seiner Überwachungspflicht sei der Kläger in vollem Umfang nachgekommen, indem er sich in regelmäßigen Abständen darüber informiert habe, dass die steuerlichen Pflichten der Gesellschaft erfüllt würden. Die hierbei erlangten Informationen habe er durch stichprobenartige Kontrollen verifizieren können. Insbesondere habe er gewusst, dass der Mitgeschäftsführer H und die Steuerberaterin auch in ständigem Kontakt mit dem Finanzamt standen. Nicht zuletzt habe allein die mehr als sorgfältige Kontrolle des Klägers es ermöglicht, einen unverzüglichen und rechtzeitigen Insolvenzantrag zu stellen. In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung werde grobe Fahrlässigkeit jedoch nur dann angenommen, wenn ein nomineller Geschäftsführer sich in keinster Weise um die Geschicke der Gesellschaft und um die Erfüllung steuerlicher Pflichten gekümmert habe.

    Der Kläger habe auch nicht grob fahrlässig gehandelt, wenn er zunächst darauf vertraut habe, dass der intern hierfür Verantwortliche den Ausgleich der gestundeten Lohnsteuerschulden für Januar und Februar 2010 veranlasst habe. Es habe eine klare Vereinbarung über die Verrechnung der Lohnsteuer mit persönlichen Einkommensteuererstattungsansprüchen des Gesellschafters H gegeben.

    Der Kläger habe nicht erkennen können, dass die Gesellschaft aufgrund der kriminellen Machenschaften am 30.09.2010 außer Stande sein werde, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen. Nachdem er hiervon Kenntnis erlangt habe, habe er in nicht vorwerfbar Weise gehandelt, indem er einen Insolvenzantrag gestellt habe. Innerhalb der dreiwöchigen Antragsfrist des § 15a InsO habe er sich in einer haftungsbefreienden Pflichtenkollision befunden, so dass auch insoweit keine grobe Fahrlässigkeit angenommen werden könne.

    Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit könne auch schon deshalb nicht erhoben werden, weil der Kläger anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht habe sicher beurteilen können, wie er sich habe verhalten sollen. Denn zwischen der Rechtsprechung des BGH und der des BFH bestünden gravierende Meinungsverschiedenheiten dergestalt, wie die Kollision von sozial- und steuerrechtlichen Abgabenobliegenheiten einerseits und insolvenzrechtlicher Verpflichtung andererseits aufzulösen sei, so dass auch von dem Kläger nicht habe verlangt werden können, die Rechtslage insoweit im Einklang mit der unzutreffenden Auffassung des BFH einzuschätzen. Aus dieser misslichen Situation negative Konsequenzen ableiten zu wollen, widerspräche dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG.

    Im Übrigen sei ein adäquat kausaler Schaden nicht eingetreten. Die potentielle Anfechtbarkeit lasse den Eintritt eines Schadens für den Fiskus entfallen. Soweit diese rechtliche Würdigung für die Abführung von Sozialabgaben im Rahmen des Schadenersatzanspruchs nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB anerkannt sei, verbiete sich für die Lohnsteuerabführung eine abweichende Beurteilung (BGH NJW 2005, 2546 [BGH 18.04.2005 - II ZR 61/03]). Eine andere Sichtweise würde die Steueransprüche in der Insolvenz gegenüber anderen Insolvenzforderungen eklatant begünstigen, was nach der Insolvenzordnung nicht mehr vorgesehen sei. Die abweichende Auffassung des BFH, dass hypothetische Kausalverläufe und damit eine potentielle insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit der Lohnsteuerabführung außer Betracht zu bleiben seien, sei unzutreffend. Die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe führe nicht zu einer Gefährdung der Haftungsansprüche, wie der BFH meine, vielmehr würde hierdurch eine zutreffende Darstellung der gesetzlich vorgesehenen Vermögenszuordnung erfolgen.

    Ferner führte der Kläger aus, dass auch die Höhe des geltend gemachten Haftungsbetrags nicht nachvollziehbar sei. Denn bei ordnungsgemäßer Erfüllung der steuerlichen Pflichten hätten nur gekürzte Nettolöhne ausbezahlt werden dürfen, weshalb sich auch die Lohnsteuerschuld verringert hätte.

    Vor einer Haftungsinanspruchnahme des Klägers wäre zudem abzuwarten, ob nicht eine teilweise Befriedigung im Rahmen des Insolvenzverfahrens aus dem Vermögen der Gesellschaft möglich sei.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 18.04.2012 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 23.09.2008 VII R 27/07, BStBl II 2009, 129) eine Haftung nach § 69 AO auch dann nicht ausgeschlossen sei, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern in die dreiwöchige Schonfrist falle, welche dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eingeräumt werde. Folglich sei die Haftungsinanspruchnahme des Klägers für die Lohnsteuer Oktober 2010, deren Fälligkeit innerhalb der Schonfrist gelegen habe, zu Recht erfolgt.

    Der BFH habe mit Urteil vom 05.06.2007 (VII R 65/05, BStBl II 2008, 273) entschieden, dass sich ein Geschäftsführer nicht auf die Anfechtung einer gedachten Zahlung nach § 130 InsO - geleistete Zahlungen innerhalb von drei Monaten vor Stellung des Insolvenzantrags - berufen könne, weil der Schadensersatzcharakter des § 69 AO und der Schutzzweck dieser Norm die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe ausschließe. Zudem habe nur die rückwirkend ausgesprochene Stundung der Lohnsteuer für Januar und Februar 2010 dazu geführt, die Fälligkeit dieser Steuern auf den 30.09.2010 zu verschieben. Diese Stundung könne somit nicht die nicht rechtzeitige Abführung der Lohnsteuer entschuldigen. Nach der Entscheidung des BFH vom 20.04.1982 (VII R 96/79, BStBl II 1982, 521) könne nur eine vor dem Zahlungstermin gewährte Stundung oder eine mündliche Stundungszusage den Kläger von der Zahlung entlasten.

    Zwischen der Schadenersatznorm des § 823 BGB und der steuerrechtlichen Haftungsvorschrift des § 69 AO bestünden verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Unterschiede, welche eine uneingeschränkte Übertragung der zum Schadenersatzrecht, insbesondere zur Berücksichtigung von hypothetischen Kausalverläufen ergangenen BGH-Rechtsprechung nicht geboten erscheinen ließen. Nach § 69 AO sollte der Vertreter zur ordnungsgemäßen Erfüllung der ihm obliegenden steuerlichen Pflichten angehalten und das Steueraufkommen durch Schaffung einer Rückgriffsmöglichkeit gesichert werden, was bei Berücksichtigung eines hypothetischen Kausalverlaufs als gefährdet erscheine. Wegen des damit einhergehenden Verwaltungsaufwands sei es auch nicht realisierbar, insolvenzrechtliche Anfechtungstatbestände bei der Ermessensausübung vorab zu prüfen.

    Weiterhin führte der Beklagte aus, dass mehrere Geschäftsführer zur Haftung herangezogen werden könnten, sofern keine vorweg getroffene schriftliche Vereinbarung hinsichtlich der Aufgabenbereiche ausgehandelt worden sei, wodurch die Gesamtverantwortung begrenzt, nicht aber aufgehoben werde (BFH, Urteil vom 26.04.1984 V R 128/79, BStBl II 1984, 776). Vorliegend fehle eine solche Vereinbarung. Mit Eintritt in die Gesellschaft sei dem Kläger bekannt gewesen, dass sich die Gesellschaft in finanziellen Schwierigkeiten befunden habe; dennoch sei er seiner Überwachungspflicht nicht nachgekommen. Auch der Umstand, dass der Kläger Opfer krimineller Machenschaften geworden sei und erst im nachhinein erfahren habe, dass die Gesellschaft ihre Steuerschulden nicht getilgt habe, ändere nichts am Vorliegen einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Klägers, sich nicht um die rechtzeitige Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer gekümmert zu haben. Für den Arbeitgeber handle es sich bei der abzuführenden Lohnsteuer um fremde Gelder, welche er treuhänderisch zu verwalten und an das Finanzamt abzuführen habe. Er dürfe die Gelder nicht im Vertrauen darauf sach- und zweckwidrig verwenden, dass er später die Steuer aus anderen Mitteln entrichten könne. Sofern nicht genügend Gelder zur Auszahlung der Löhne vorhanden seien, müsse eine Nettolohnkürzung vorgenommen werden. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liege eine grob fahrlässige Pflichtverletzung vor, wenn die einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer bei Fälligkeit nicht entrichtet werde.

    Da die Eintreibung der Verbindlichkeiten bei der Gesellschaft als nicht realisierbar erscheine, sei eine Haftungsinanspruchnahme beider Gesellschafter ermessensgerecht. Beide Gesellschafter-Geschäftsführer seien für die Pflichtverletzung verantwortlich, was auch bei der Höhe der Inanspruchnahme (hälftig) Berücksichtigung gefunden habe. Bei seiner Vorsprache am 15.04.2011 beim Finanzamt habe der Kläger seiner hälftigen Haftungsinanspruchnahme zugestimmt.

    Mit Schreiben vom 11.07.2012 (Bl. 40 der Prozessakte) hat der Beklagte den angefochtenen Haftungsbescheid auf die Lohnsteuerabzugsbeträge (Lohnsteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag) beschränkt und die Haftungssumme um die Säumniszuschläge von 1.318,-€ auf insgesamt 11.308,89 € reduziert.

    Im Rahmen seiner Klage wiederholt der Kläger im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend trägt er vor, dass sich aus der Einspruchsentscheidung nicht ergebe, worin der Beklagte eine Überwachungspflichtverletzung des Klägers sehe. Insoweit vermisse der Kläger eine Auseinandersetzung mit seinen Ausführungen, wonach er die Erfüllung steuerlicher Obliegenheiten stets und fortwährend kontrolliert und mit seinem Mitgeschäftsführer und der Steuerberaterin abgesprochen habe. Ferner ist er der Ansicht, dass auch nach Erlass der Einspruchsentscheidung der angefochtene Bescheid ermessensfehlerhaft bleibe. Der Beklagte habe nach wie vor nicht in Erwägung gezogen, die als faktische Geschäftsführer handelnden Kommanditisten nach §§ 69, 35 AO zur Haftung heranzuziehen.

    Das Gericht hat zur weiteren Klärung des Sachverhalts, insbesondere zur Liquidität der KG, die Aufklärungsverfügung vom 14.05.2013 erlassen, auf die ebenso Bezug genommen wird wie auf die Antwort des Klägers vom 11.06.2013 (Bl.62f und 65f der Prozessakte). Insbesondere teilte der Kläger mit, dass die Löhne und Gehälter immer am 15. des auf den Abrechnungsmonat folgenden Monats fällig gewesen seien. Die Löhne und Gehälter für September und Oktober 2010, die am 15.10.2010 bzw. 15.11.2010 fällig gewesen seien, hätten von der KG nicht mehr gezahlt werden können, was die Zeugen B und M bezeugen könnten. Angaben zu den von der KG erzielten Umsätze im Zeitraum September 2010 bis 24.11.2010, zur Frage der Befriedigung von Gläubigern der KG sowie zu Zahlungsein- und -ausgängen seien dem Kläger ohne Einsicht in die Geschäftsbücher der KG, die sich beim Insolvenzverwalter befänden, nicht möglich.

    Der Kläger beantragt,

    den Haftungsbescheid vom 31.03.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.04.2012 und in Gestalt des Haftungsbescheids vom 11.07.2012 soweit aufzuheben, als der Kläger für Lohnsteuern Januar, Februar, März, September und Oktober 2010 in Anspruch genommen wird.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er bezieht sich auf seine Einspruchsentscheidung, auf die wegen der dortigen Rechtsausführungen im Einzelnen verwiesen wird. Ergänzend trägt er vor, ihm sei nicht bekannt, dass vorliegend ein Verfügungsberechtigter im Sinne von § 35 AO als faktischer Geschäftsführer bestellt worden sei.

    Auf die gerichtliche Aufklärungsverfügung vom 17.06.2013 teilte der im Insolvenzverfahren betreffend die KG bestellte Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 10.09.2013 mit (Bl.77f der Prozessakte), dass die KG Umsätze im September 2010 in Höhe von 480.088,87 €, im Oktober 2010 in Höhe von 428.813,92 € und im November 2010 in Höhe von 393.964,37 € erzielt habe. An Gläubiger seien ausweislich des Kontos "Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen" Zahlungen im September 2010 in Höhe von 306.787,45 €, im Oktober 2010 in Höhe von 458.628,66 € und im November 2010 in Höhe von 177.278,85 € geleistet worden. Zur Frage der Zahlungsfähigkeit verwies der Insolvenzverwalter auf sein Gutachten vom 12.01.2011 (Bl.88f der Prozessakte). Für den Monat September 2010 seien Löhne in einer Gesamthöhe von 81.064,65 € ausbezahlt worden; für Oktober seien von Seiten der KG lediglich Vorschusszahlungen in Höhe von 18.937,49 € geleistet worden.
    Entscheidungsgründe

    I.

    Die Klage ist unbegründet.

    Der Haftungsbescheid ist rechtmäßig. Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet.

    Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig (vgl. BFH, Urteil vom 13.04.1978 V R 109/75, BStBl II 1978, 508). Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamts an, ob und wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar.

    Davon ausgehend ist die Haftungsinanspruchnahme des Klägers gemäß § 69 i. V. m. § 34 AO nicht zu beanstanden.

    1.

    a) Gemäß § 69 i. V. m. § 34 AO haften die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden.

    Gesetzlicher Vertreter ist bei einer GmbH deren Geschäftsführer (§§ 6, 35 GmbH-Gesetz). Im Falle einer mit der Geschäftsführung betrauten Komplementär-GmbH hat er in dieser Funktion auch für die Erfüllung der Pflichten der KG Sorge zu tragen.

    Der Kläger war als Geschäftsführer der Komplementärin deren gesetzlicher Vertreter. Er hatte daher als solcher auch die steuerlichen Pflichten der KG zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 AO).

    b) Der Kläger hat seine Pflicht zu Erfüllung der der KG als Arbeitgeberin erwachsenen Lohnsteuerhaftungsansprüche aus § 42d EStG für den Zeitraum Januar bis März und September bis Oktober 2010 nicht (vollständig) erfüllt. Denn er hat insoweit die Lohnsteuern für die Arbeitnehmer der KG nicht (vollständig) abgeführt.

    Die Lohnsteuer entsteht nach § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt. Im Streitfall war die Lohnsteuer für die o.g. Zeiträume mit Auszahlung der entsprechenden Löhne entstanden. Entgegen dem Vortrag des Klägers wurden auch die Löhne für September und Oktober 2010 nach Angaben des Insolvenzverwalters teilweise ausgezahlt (vgl. Bl. 131 bis 133 der Prozessakte).

    Der Vortrag des Klägers, wonach er nach der internen Aufgabenverteilung zwischen ihm und dem Mitgeschäftsführer H allein für den Vertrieb zuständig gewesen sei und sich der Geschäftsführer H um die Erfüllung der steuerlichen Pflichten gekümmert habe, vermag eine Pflichtverletzung des Klägers nicht auszuschließen. Eine diesbezügliche eingeschränkte Verantwortlichkeit des Klägers für die Erfüllung steuerlicher Verpflichtungen käme zudem nur für streitige Lohnsteuerbeträge der Anmeldungszeiträume Januar bis März in Betracht.

    Sind mehrere gesetzliche Vertreter einer juristischen Person bestellt, so trifft jeden von ihnen die Pflicht zur Geschäftsführung in vollem Umfang. Grundsätzlich hat daher auch jeder von ihnen alle steuerlichen Pflichten, die der juristischen Person auferlegt sind, ordnungsgemäß zu erfüllen. Es gilt das Prinzip der Gesamtverantwortung eines jeden gesetzlichen Vertreters. Dieses Prinzip verlangt zumindest eine gewisse Überwachung der Geschäftsführung im Ganzen (vgl. etwa BFH, Urteil vom 23.06.1998 VII R 4/98, BStBl II 1998, 761 m.w.N.).

    Ungeachtet dessen kann bei einer Verteilung der Geschäfte einer Gesellschaft auf mehrere Geschäftsführer die Verantwortlichkeit für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten desjenigen Geschäftsführers, dem diese nicht zugewiesen sind, zwar nicht aufgehoben, aber doch begrenzt werden. Dies erfordert allerdings eine im Vorhinein getroffene, eindeutige - und deshalb schriftliche - Klarstellung, welcher Geschäftsführer für welchen Bereich zuständig ist. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass im Haftungsfall jeder Geschäftsführer auf die Verantwortlichkeit eines anderen verweist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Beschlüsse vom 21.10.2003 VII B 353/02, BFH/NV 2004, 157, und vom 04.03.1986 VII S 33/85, BStBl II 1986, 384; BFH, Urteil vom 26.04.1984 V R 128/78, BStBl II 1984, 776 [BFH 26.04.1984 - V R 128/79]).

    Aber selbst bei Vorliegen einer klaren, eindeutigen und schriftlichen Aufgabenverteilung muss der nicht mit den steuerlichen Angelegenheiten einer Gesellschaft betraute Geschäftsführer einschreiten, wenn die Person des Mitgeschäftsführers oder die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft dies erfordern, beispielsweise in finanziellen Krisensituationen (BFH, Beschluss vom 04.03.1986 VII S 33/85 aaO). Zudem muss er dafür sorgen, dass er im Falle des Eintritts einer solchen Krise rechtzeitig davon erfährt.

    Im Streitfall fehlt es bereits an einer schriftlichen Aufgabenverteilung zwischen dem Kläger und dem weiteren Geschäftsführer. Schon aus diesem Grund ist der geltend gemachte Gesichtspunkt einer Geschäftsverteilung haftungsrechtlich ohne Bedeutung. Ungeachtet dessen traf den Kläger zum Zeitpunkt der hier streitigen Lohnzahlungen für Januar bis März 2010 ohnehin eine gesteigerte Überwachungspflicht. Der Kläger hat geschildert, dass bereits bei seinem Eintritt in die Gesellschaft im Jahr 2009 vereinbart worden sei, dass Lohnsteuerschulden mit privaten Einkommensteuererstattungen des Mitgesellschafters H verrechnet werden sollten. Folglich befand sich die KG bereits im Jahr 2009 in einer finanziellen Schieflage, weil ihre liquiden Mittel nicht zur Begleichung der Steuerschulden ausreichten. In Anbetracht dieser Situation wäre selbst im Falle einer schriftlichen Aufgabenverteilung die Gesamtverantwortung des Klägers wieder aufgelebt.

    c) Die Nichtabführung der Lohnsteuer stellt regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Pflichten eines Geschäftsführers im Sinne der §§ 34, 69 AO dar. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Frage des Verschuldens bei der Abführung einbehaltener Lohnsteuer streng zu beurteilen (z. B. BFH, Urteil vom 01.08.2000 VII R 110/99, BStBl II 2001, 271). Der Grund dafür liegt im System des Lohnsteuerabzugsverfahrens begründet. Die abzuführende Steuer ist ein bei der Lohnzahlung zurückbehaltener Teil des Lohnes der Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer ist Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 EStG). Der Arbeitgeber zieht die Lohnsteuer nur treuhänderisch für den Arbeitnehmer und den Steuerfiskus ein; es handelt sich mithin für ihn um wirtschaftlich fremde Gelder, die er nicht sach- und zweckwidrig selbst verwenden darf. Die Nichtabführung der Lohnsteuer verletzt daher im allgemeinen ohne weiteres die Pflicht der den Arbeitgeber vertretenden Person, dafür zu sorgen, dass die Steuer aus den von ihm verwalteten Mitteln des Arbeitgebers entrichtet wird. Die Verletzung dieser Verpflichtung ist regelmäßig schuldhaft.

    Der Vortrag des Klägers vermag den durch die unstreitige Nichtabführung der Lohnsteuern indizierten gegenüber dem Kläger zu erhebenden Schuldvorwurf im Sinne des § 69 AO nicht zu entkräften.

    aa) Der Kläger kann sich nicht damit entschuldigen, dass eine Steuerberaterin eingebunden gewesen sei und er sich in regelmäßigen Abständen darüber informiert habe, dass die steuerlichen Pflichten der Gesellschaft erfüllt würden, wobei er die hierbei erlangten Informationen durch stichprobenartige Kontrollen habe verifizieren können.

    Allgemein gilt, dass ein gesetzlicher Vertreter im Sinne des § 34 AO die ihm obliegenden Pflichten auch dadurch verletzen kann, dass er ungeachtet der erkennbar entstehenden Steueransprüche für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit keine Sorge trifft. Dabei kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein bestimmtes pflichtmäßiges Verhalten auch schon vor der Entstehung der Steuerforderung geboten sein, wenn die Entstehung absehbar war. Gerade in der finanziellen Krise wird von den gesetzlichen Vertretern einer Gesellschaft verlangt, dass sie vorausschauend planen und entsprechende Mittel zur Entrichtung von Steuern bereithalten, von denen sie wissen, dass ihre Entstehung unmittelbar bevorsteht (BFH, Urteile vom 11.03.2004 VII R 19/02, BStBl II 2004, 967; vom 16.12.2003 VII R 77/00, BStBl II 2005, 249, und vom 09.01.1997 VII R 51/96, NFH/NV 1997, 324).

    Besonderheiten gelten für die Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer: Reichen infolge eines Liquiditätsengpasses die der Gesellschaft zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen vereinbarten Löhne (einschließlich Lohnsteuer) nicht aus, dürfen die Löhne nur gekürzt ausgezahlt werden, als Vorschuss oder Teilbetrag, so dass der gesetzliche Vertreter im Sinne des § 34 AO aus den der Gesellschaft verbleibenden Mitteln die auf die gekürzten Löhne entfallende Lohnsteuer an das Finanzamt abführen kann. Kommt der gesetzliche Vertreter dieser Verpflichtung nicht nach und vertraut er darauf, dass er die Steuerrückstände später, nach Behebung der Liquiditätsschwierigkeiten, wird ausgleichen können, so ist er damit bewusst das Haftungsrisiko des § 69 AO eingegangen (vgl. z. B. BFH, Urteil vom 20.01.1998 VII R 80/97, BFH/NV 1998, 814).

    Der entscheidende gegen den Kläger gerichtete Schuldvorwurf lautet daher im Streitfall, dass er in Kenntnis der finanziellen Situation der KG im Vorfeld hätte darauf hinwirken müssen, dass die Löhne für den Streitzeitraum nur gekürzt ausgezahlt und dass die auf die gekürzten Löhne entfallende Lohnsteuer aus dem dann der KG verbleibenden Geld ordnungsgemäß einbehalten und an den Beklagten abgeführt werden. Dies hat der Kläger nicht getan. Er hat sich seinen Darlegungen zufolge auch nicht darum bemüht, obwohl er schon wenigstens seit Eintritt in die Gesellschaft im Jahr 2009, also vor Auszahlung der streitigen Löhne, wusste, dass die Gesellschaft bereits im Jahr 2009 Lohnsteuerschulden hatte und ihr somit Geld fehlte. Hinzu kommt, dass der Sachvortrag des Klägers hinsichtlich seiner Überwachungspflicht auch unsubstantiiert ist. Der Kläger trägt nicht vor, welche Informationen er über die steuerliche Situation erlangt hatte und auf welche Art und Weise er die erlangten Erkenntnisse habe verifizieren können. Zudem war ihm bereits im Jahr 2009 bekannt, dass nicht alle Abgaben beglichen waren, so dass bereits aus diesem Grund Anlass zur Prüfung der steuerlichen Situation bestanden hat.

    bb) Der Kläger kann sich nicht auf eine entschuldigende Kollision mit der ihn treffenden Pflicht zur Masseerhaltung nach § 64 GmbHG berufen. Danach würde sich der Geschäftsführer einer GmbH (zivilrechtlich) ersatzpflichtig machen, wenn er nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der GmbH an deren Gläubiger noch Zahlungen leistete, es sei denn dies wäre mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar (vgl. zur Pflichtenkollision: BFH, Urteil vom 27.02.2007 VII R 67/05, BFH/NV 2007, 1732). Abgesehen davon, dass es sich im Streitfall um die Zahlungsunfähigkeit der KG und nicht der geschäftsführenden Komplementär-GmbH handelt, kann einer solchen Pflichtenkollision jedoch dann keine schuldausschließende Wirkung beigemessen werden, wenn der Geschäftsführer - wie im Streitfall der Kläger - die ungekürzten Nettolöhne auszahlt und es unterlässt, die Steuerbeträge abzusondern und zur Abführung an das Finanzamt bereitzuhalten (BFH, Urteil vom 20.04.1993 VII R 67/92, BFH/NV 1994, 142). Zudem hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die Begleichung der steuerlichen Abzugsbeträge als rechtlich zwingende Folge der vorherigen Auszahlung der Nettolöhne mit der Sorgfalt eines Geschäftsmanns vereinbar ist und auch deshalb keine Pflichtenkollision auslöst (§ 64 Satz 2 GmbHG).

    cc) Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die KG nicht mehr über die Mittel zur Erfüllung der Steueransprüche verfügt haben soll. Wie bereits ausgeführt, darf der Geschäftsführer vielmehr, wenn infolge eines Liquiditätsengpasses die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen vereinbarten Löhne (einschließlich Lohnsteueranteil) nicht ausreichen, die Löhne nur gekürzt als Vorschuss oder Teilbetrag auszahlen, so dass er aus den dann übrig bleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das Finanzamt abführen kann (vgl. BFH, Urteil vom 27.02.2007 VII R 67/05 aaO). Nimmt der Geschäftsführer die gebotene Lohnkürzung nicht vor, geht er damit bewusst ein Haftungsrisiko ein, so dass ihn die Haftungsfolgen des § 69 AO auch bei unerwartetem Ausbleiben der Kreditmittel oder bei einem unerwarteten Eintritt der Zahlungsunfähigkeit treffen (BFH, Urteil vom 11.12.1990 VII R 85/88, BStBl II 1991, 282).

    Im Streitfall kommt es daher auch nicht darauf an, dass der Kläger möglicherweise das Unvermögen der KG zur Zahlung der Lohnsteuerschulden für Januar und Februar 2010 bei Fälligkeit im September 2010 nicht vorhergesehen hatte. Da dem Kläger bei Eintritt in die Gesellschaft im Jahr 2009 bereits bekannt war, dass Lohnsteuerschulden bestehen und es der Gesellschaft somit an flüssigen Geldmittel mangelte, durfte er zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit nicht im Vertrauen darauf, dass die Lohnsteuerschulden für Januar und Februar 2010 mit privaten Einkommensteuererstattungen des damaligen Gesellschafters H verrechnet werden, von einer entsprechenden Kürzung des Arbeitslohns und der abgesonderten Bereithaltung der Abzugsbeträge absehen.

    Den Kläger vermag auch der Umstand nicht zu entschuldigen, dass nach seinem Vortrag die Kommanditisten als faktische Geschäftsführer für die Nichtbegleichung der Steuerschulden verantwortlich gewesen seien. Es kann im Streitfall dahinstehen, ob dies objektiv zutreffend war. Denn auch in diesem Fall ließe dieser Umstand den Schuldvorwurf nicht entfallen. Die Haftung ergibt sich schon aus der nominellen Bestellung zum Geschäftsführer und ohne Rücksicht darauf, ob die Geschäftsführung auch tatsächlich ausgeübt werden kann und ob sie ausgeübt werden soll. Der Geschäftsführer kann sich mithin nicht damit entschuldigen, dass er von der ordnungsgemäßen Führung der Geschäfte ferngehalten wurde und die Geschäfte tatsächlich von einem anderen geführt worden sind. Selbst eine lediglich nominell zum Geschäftsführer bestellte Person könnte sich nicht damit entlasten, dass sie keine Möglichkeit gehabt habe, ihre rechtliche Stellung als Geschäftsführer innerhalb der Gesellschaft zu verwirklichen und die steuerlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Ist der Geschäftsführer nicht in der Lage, sich innerhalb der Gesellschaft durchzusetzen und seiner Rechtsstellung gemäß zu handeln, so muss er als Geschäftsführer zurücktreten und darf nicht im Rechtsverkehr den Eindruck erwecken, als sorge er für die ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte (vgl. z. B. BFH, Urteil vom 23.03.1993 VII R 38/92, BStBl II 1993, 581 m.w.N.).

    d) Dem Fiskus ist aufgrund der schuldhaften Pflichtverletzung des Klägers ein Schaden in Höhe der nicht abgeführten Lohnsteuerabzugsbeträge entstanden.

    aa) Zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Klägers und dem Eintritt des durch die Nichtentrichtung der Lohnsteuer entstandenen Vermögensschadens besteht ein adäquater Kausalzusammenhang, der nicht dadurch entfällt, dass der Insolvenzverwalter Zahlungen, wenn diese vom Kläger innerhalb von drei Monaten vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistet worden wären, nach § 130 InsO hätte anfechten können.

    Durch die pflichtwidrige Nichtabführung fällig gewordener Steuerbeträge wird eine reale Ursache für den Eintritt eines Vermögensschadens in Form eines Steuerausfalls gesetzt, so dass die Kausalität dieser Ursache für den Schadenseintritt durch eine gedachte Anfechtung des Insolvenzverwalters nicht rückwirkend beseitigt werden kann. Der vom Gesetzgeber § 69 AO beigemessene Schutzzweck und die vom BGH geforderte wertende Beurteilung lassen es nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, nicht geboten erscheinen, den hypothetischen Kausalverlauf im Falle einer gedachten Anfechtung nach §§ 129ff InsO im Rahmen der Schadenszurechnung zu berücksichtigen und infolgedessen die Haftung des von § 69 AO erfassten Personenkreises (vgl. § 34 und § 35 AO) entfallen zu lassen (BFH, Urteile vom 05.06.2007 VII R 65/05, BStBl II 2008, 273; vom 04.12.2007 VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521).

    bb) Entgegen dem Vorbringen des Klägers setzt sich die Rechtsprechung des BFH auch nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH. Die zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen getroffenen Entscheidungen (BGH, Urteile vom 18. April 2005 II ZR 61/03, DStR 2005, 978; vom 14. November 2000 VI ZR 149/99, DStR 2001, 222) betreffen eine mögliche Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB und damit einen deliktischen Schadensersatzanspruch. Um einen solchen handelt es sich bei § 69 AO jedoch nicht. Vielmehr normiert § 69 AO einen öffentlich-rechtlichen - und zivilrechtlich nicht abdingbaren - Haftungsanspruch, der eine Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus begründet. Der Haftung kommt eine Ausgleichsfunktion und lediglich der Charakter eines Schadensersatzanspruchs zu. Daneben verfolgt § 69 AO den Zweck, das bei steuerrechtlich nicht geschäfts- und handlungsfähigen Steuerpflichtigen auftretende Erfordernis der Stellvertretung an die besonderen Bedürfnisse des Steuerrechts anzupassen und damit zur Aufkommenssicherung beizutragen. Aus diesen Gründen kann die zum Deliktsrecht entwickelte Rechtsprechung des BGH nicht ohne weiteres auf die Haftung nach den Vorschriften der AO übertragen werden (vgl. BFH, Urteil vom 04.12.2007 VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521). Folglich liegt eine Divergenz zur BGH-Rechtsprechung nicht vor.

    2.

    Der klagegegenständliche Haftungsbescheid begegnet auch unter Berücksichtigung seiner Rechtsnatur als Ermessensentscheidung des Beklagten keinen rechtlichen Bedenken (§ 191 Abs. 1 Satz 1, § 5 AO). Anhaltspunkte für eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehlgebrauch seitens des Beklagten sind nicht ersichtlich (§ 102 Satz 1 FGO).

    Insbesondere hat der Beklagte auch sein Auswahlermessen zutreffend ausgeübt.

    Vollstreckungsmaßnahmen gegen die KG waren erfolglos verlaufen. Über das Vermögen der KG wurde am 24.11.2010 ein Insolvenzantrag gestellt. Im Januar 2011 wurde vom vorläufigen Insolvenzverwalter Masseunzulänglichkeit angezeigt.

    Eine Inanspruchnahme der Gesellschaft war bei Erlass des Haftungsbescheides daher nicht erfolgversprechend. Von ihrer Inanspruchnahme als mögliche Haftungsschuldnerin nach § 42d EStG hat der Beklagte deshalb mit zutreffender Begründung abgesehen. Bezüglich der Ermessensausübung ist zu beachten, dass gegen den weiteren Geschäftsführer H ebenfalls ein Haftungsbescheid erlassen wurde, mit dem dieser für den Haftungszeitraum Januar bis März 2010 (hälftig) zur Haftung herangezogen wurde.

    Gründe, die eine Inanspruchnahme des Klägers als Haftenden als ermessenswidrig erscheinen lassen könnten, sind im Streitfall nicht ersichtlich. Aufgrund der Tatsache, dass angemeldete Lohnsteuer nicht abgeführt wurde, konnte das Finanzamt ohne Ermessensverstoß von einer zumindest grob fahrlässigen Verletzung der dem Kläger als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH auferlegten steuerlichen Pflichten ausgehen, da nach der bereits erwähnten BFH-Rechtsprechung in einem derartigen Fall die bloße Pflichtwidrigkeit im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit indiziert.

    Konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Haftung von weiteren Personen als faktische Geschäftsführer der Gesellschaft wurden nicht dargelegt. Es ist nicht ersichtlich, welche Kommanditisten faktisch die Geschäftsführung der KG durch die Ausübung welcher Befugnisse in welchem Zeitraum übernommen haben. Der diesbezügliche Vortrag des Klägers, wonach die "Kommanditisten" der KG, die für die Insolvenz der Gesellschaft und die Nichtbegleichung der Steuerschulden verantwortlich gewesen seien, faktische Geschäftsführer gewesen seien, ist vielmehr unsubstantiiert. Die Annahme einer faktischen Geschäftsführung und damit von weiteren etwaigen Haftungsschuldnern ergibt sich aus diesem Sachvortrag nicht.

    3. Der Haftungsbescheid ist auch in Bezug auf die Höhe der (noch streitigen) Haftungssumme nicht zu beanstanden.

    a) Die Orientierung der Haftungssumme an den ausgezahlten Löhnen, auch bei Liquiditätsschwierigkeiten der Gesellschaft, rechtfertigt sich nach Auffassung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, daraus, dass die abzuführende Lohnsteuer Teil des geschuldeten Brutto-Arbeitslohnes ist, den der Arbeitgeber treuhänderisch für den Arbeitnehmer und den Steuergläubiger einzuziehen hat. Im Grunde handelt es sich bei den Lohnsteuerabzugsbeträgen um Fremdgelder, die die Liquidität der von dem Geschäftsführer vertretenen GmbH nicht berühren und deshalb zur Abführung an das Finanzamt bereitzuhalten sind.

    Der Kläger hat auch nicht das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sog. quotale Haftung entsprechend den für die Umsatzsteuer entwickelten Grundsätzen ausreichend dargelegt. In seinem Urteil vom 26.07.1988 (VII R 83/87, BStBl II 1988, 859) hat der BFH ausgeführt, dass dann, wenn die Gesellschaft nur über Mittel in Höhe der ausgezahlten Netto-Löhne verfügt hat, ein Schuldvorwurf im Sinne des § 69 AO gegenüber den Geschäftsführern nicht hinsichtlich der in voller Höhe angemeldeten, aber nicht abgeführten Lohnsteuer erhoben werden könne, sondern nur hinsichtlich derjenigen Lohnsteuerbeträge, die er bei der gebotenen Kürzung der Netto-Löhne an das Finanzamt hätte abführen können. Nur in Höhe dieser Beträge ist auch dem Finanzamt durch das pflichtwidrige Verhalten des Geschäftsführers ein Schaden entstanden; denn mit der Entrichtung der angemeldeten auf die geschuldeten Brutto-Löhne entfallenden Steuern konnte anlässlich mangelnder Zahlungsmittel von vornherein nicht gerechnet werden. Der Geschäftsführer kann deshalb nach den §§ 69, 34 Abs. 1 AO nur hinsichtlich der Beträge als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden, die bei der Behandlung der ihm zur Verfügung stehenden, an die Arbeitnehmer ausgezahlten Gelder als Brutto-Löhne und der gebotenen anteiligen Befriedigung der Arbeitnehmer und des Finanzamts als Steuerabzugsbeträge angefallen wären. Diese Haftungsbeschränkung entspricht der Haftung des Geschäftsführers für die Umsatzsteuer bei zur Befriedigung aller Gläubiger nicht ausreichenden Zahlungsmitteln, allerdings mit dem Unterschied, dass sich die Haftungsquote nicht nach dem möglichen Umfang einer gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger, sondern nur nach der möglichen anteiligen Befriedigung des Finanzamts und der Arbeitnehmer bemisst.

    Diese Haftungsbeschränkung kommt nach Auffassung des BFH jedoch nur in Ausnahmefällen und nur im Rahmen eines längeren Haftungszeittraums allenfalls für den oder die letzten Lohnsteueranmeldungszeiträume in Betracht. Denn sie setzt voraus, dass dem Geschäftsführer ab dem Zeitpunkt der letzten Lohnzahlung - hier für Oktober 2010 - nur Mittel in Höhe der ausbezahlten Netto-Löhne zur Verfügung standen, d.h. gerade noch die Netto-Löhne in voller Höhe ausbezahlt werden konnten, sonst aber keine Zahlungsmittel mehr vorhanden waren. Für diesen außergewöhnlichen Sachverhalt trägt der Haftungsschuldner nach den Grundsätzen über die Beweislast im Steuerprozess die objektive Beweislast (Feststellungslast).

    Der Kläger hat das Vorliegen einer derartigen Situation weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht oder nachgewiesen. Gegen den Umstand, dass ab Oktober 2010 überhaupt keine (weiteren) Zahlungsmittel mehr vorhanden waren, spricht bereits, dass noch in den Monaten September bis November Umsätze in Höhe von 480.088 € (September), 428.813 € (Oktober) und von 393.964 € (November) von der KG erzielt worden sind. Zudem wurden noch andere Gläubiger der KG in diesem Zeitraum befriedigt. Ausweislich der vom Insolvenzverwalter eingereichten Kontoauszüge bezüglich des Kontos "Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen" wurden in den Monaten September bis November 2010 von der KG noch Zahlungen in Höhe von 306.787 € (September), 458.628 € (Oktober) und von 177.278 € (November) an Gläubiger geleistet (Bl.80-87 der Prozessakte). Aus alledem schließt der Senat, dass ausreichende Mittel zur Begleichung der Steuerschulden zur Verfügung gestanden haben.

    b) Hinsichtlich der noch offenen Lohnsteuerabzugsbeträge für Januar und Februar wurde der Kläger - neben dem ehemaligen Mitgeschäftsführer H - nur hälftig zur Haftung herangezogen. Ein Ermessensfehler ist insoweit nicht ersichtlich.

    II.

    Die Kostenfolge ergibt sich aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Der Beklagte hat die Kosten insoweit zu tragen, als er den Haftungsbescheid hinsichtlich der Säumniszuschläge zurückgenommen hat.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3, § 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.

    RechtsgebieteAO, InsO, EStG, GmbHGVorschriften§ 34 Abs. 1 AO; § 37 AO; § 69 AO; § 191 Abs. 1 S. 1 AO; § 130 InsO; § 42d EStG; § 64 S. 2 GmbHG

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