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  • 22.08.2024 · IWW-Abrufnummer 243394

    Bundesarbeitsgericht: Urteil vom 23.04.2024 – 5 AZR 212/23

    Körperreinigungszeiten gehören zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit, wenn sich der Arbeitnehmer bei seiner geschuldeten Arbeitsleistung so sehr verschmutzt, dass ihm ein Anlegen der Privatkleidung, das Verlassen des Betriebs und der Weg nach Hause ohne eine vorherige Reinigung des Körpers im Betrieb nicht zugemutet werden kann.


    In Sachen
    Beklagte, Berufungsklägerin, Berufungsbeklagte und Revisionsklägerin,
    pp.
    Kläger, Berufungsbeklagter, Berufungskläger und Revisionsbeklagter,
    hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. April 2024 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts Dr. Linck, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Dr. Bubach, den Richter am Bundesarbeitsgericht Neumann sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Zorn und Markhof für Recht erkannt:

    Tenor: 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 6. Juni 2023 - 7 Sa 275/22 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Landesarbeitsgericht die Beklagte unter Ziffer II. des Tenors zur Zahlung verurteilt hat und unter Ziffer III. festgestellt hat, dass die anfallenden Umkleide- und Duschzeiten Arbeitszeit sind und als solche dem Kläger durch die Beklagte zu bezahlen sind. 2. Im Übrigen wird die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 6. Juni 2023 - 7 Sa 275/22 - mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass die Wegezeit vom Umkleideraum zur Arbeitsstätte des Klägers und zurück vergütungspflichtige Arbeitszeit ist. 3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

    Tatbestand

    1

    Die Parteien streiten über Vergütung für Umkleide-, Körperreinigungs- und Wegezeiten.

    2

    Der Kläger arbeitet seit Februar 2008 als vollzeitbeschäftigter Containermechaniker bei der Beklagten. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrags vom 1. Februar 2009 finden die Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten des Speditions-, Transport- und Logistikgewerbes in Bayern in ihrer jeweils gültigen Fassung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung, insbesondere der Manteltarifvertrag für diese Beschäftigten idF vom 8. Dezember 2014 - gültig ab 1. Oktober 2014 - (MTV). Ferner existiert eine Gesamtbetriebsvereinbarung "Allgemeine Arbeitsordnung" vom 22. Januar 2008 (GBV). Nach deren Nr. 5 richtet sich die Dauer der Arbeitszeit nach den gesetzlichen, tariflichen und einzelvertraglichen Bestimmungen sowie Betriebsvereinbarungen und die Mitarbeiter müssen sich zum jeweils festgelegten Arbeitsbeginn in Arbeitskleidung am Arbeitsplatz befinden. Zudem besteht eine Betriebsvereinbarung zur Regelung der betrieblichen Arbeitszeiten vom 31. März 2004 (BV). Unter Nr. 5 Abs. 7 BV ist bestimmt, dass die tägliche Arbeitszeit mit Abschluss der jeweils zugeteilten Arbeit oder der entsprechenden Anweisung des Vorgesetzten endet.

    3

    Ein Arbeitstag des Klägers gestaltet sich wie folgt: Nach Betreten des Betriebsgeländes begibt er sich zu dem Gebäude, in welchem sich der Umkleideraum mit den Duschen, das Zeiterfassungsterminal und sein Arbeitsplatz befinden. Im ersten Stock zieht er die von der Beklagten gestellte Arbeitskleidung an und verstaut seine private Kleidung im Spind. Danach geht er die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, wo sich wenige Meter entfernt das Zeiterfassungsterminal befindet. Dort loggt sich der Kläger ein und gibt weisungsgemäß die von der Beklagten bestimmte Uhrzeit des Schichtbeginns ein. Danach begibt er sich an seinen 30 bis 40 Meter entfernten Arbeitsplatz und nimmt seine eigentliche Tätigkeit auf, die nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts das "In-Ordnung-Bringen" von Containern, die auf Wechselbrücken geladen werden, umfasst. Dazu gehört - wenn erforderlich - das Abschleifen rostiger und schadhafter Stellen und eine entsprechende Nachlackierung. Bei solchen Arbeiten kann der Kläger von der Beklagten gestellte Handschuhe, Schutzbrille und Atemmaske tragen. Nach der Arbeit begibt er sich zurück zum Umkleideraum und wäscht oder duscht sich. Die verunreinigte Arbeitskleidung lässt er auf Anweisung der Beklagten im Betrieb zur Reinigung. Danach begibt er sich zum Zeiterfassungsterminal und gibt weisungsgemäß die von der Beklagten bestimmte Uhrzeit des Endes der Schicht ein. Dann verlässt er den Betrieb.

    4

    Mit seiner Klage hat der Kläger zunächst für den Zeitraum von Januar 2017 bis August 2020 die Zahlung von Vergütung für Umkleide-, Körperreinigungs- und Wegezeiten iHv.18.242,56 Euro brutto geltend gemacht. Nach mehrfacher Klageerweiterung hat er vorinstanzlich zuletzt die Zahlung von Vergütung für Januar 2017 bis April 2022 iHv. 25.554,45 Euro brutto - ausgehend von zusätzlich zu vergütender Arbeitszeit von arbeitstäglich 55 Minuten - und die Feststellung der entsprechenden Vergütungsverpflichtung der Beklagten für die Zukunft verlangt.

    5

    Der Kläger hat - soweit für die Revision unter Berücksichtigung bereits rechtskräftig abgewiesener Teilforderungen noch von Bedeutung - zuletzt sinngemäß beantragt,

    1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 418,68 Euro brutto nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 9. Oktober 2020 zu zahlen, 2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 133,14 Euro brutto nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 3. Dezember 2020 zu zahlen, 3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 252,97 Euro brutto nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 4. Februar 2021 zu zahlen, 4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 226,34 Euro brutto nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1. April 2021 zu zahlen, 5. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 79,88 Euro brutto nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 2. Juni 2021 zu zahlen, 6. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 219,68 Euro brutto nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1. August 2021 zu zahlen, 7. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 252,97 Euro brutto nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 2. Oktober 2021 zu zahlen, 8. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 259,62 Euro brutto nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 27. November 2021 zu zahlen, 9. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 199,71 Euro brutto nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 28. Januar 2022 zu zahlen, 10. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 159,77 Euro brutto nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 31. März 2022 zu zahlen, 11. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 184,94 Euro brutto nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 26. Mai 2022 zu zahlen, 12. festzustellen, dass die anfallenden Umkleide- und Duschzeiten des Klägers Arbeitszeiten sind und als solche dem Kläger durch die Beklagte zu vergüten sind, 13. festzustellen, dass die vom Kläger auf dem Betriebsgelände der Beklagten zurückgelegten Wege zwischen Umkleideraum und Arbeitsstätte und zurück Arbeitszeiten sind und von der Beklagten an den Kläger zu vergüten sind, 14. hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Feststellungsantrag zu 12., festzustellen, dass die Zeit im Betrieb für den Kläger, in welcher er sich umkleidet und duscht, Arbeitszeiten sind, wobei für das Duschen 30 Minuten und jeweils zehn Minuten für das Anziehen, mithin insgesamt 20 Minuten, als Arbeitszeit zu vergüten sind zuzüglich dem jeweils gültigen Tarifzuschlag, derzeit von 25 %, 15. hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Feststellungsantrag zu 13., festzustellen, dass der durch den Kläger auf dem Betriebsgelände der Beklagten zurückgelegte Weg zwischen Pforte und Umkleideraum und Umkleideraum und Arbeitsstätte und zurück den gleichen Weg, jeweils mit zehn Minuten pro Weg, mithin insgesamt 20 Minuten, Arbeitszeiten sind und von der Beklagten an den Kläger zu vergüten sind zuzüglich dem jeweils gültigen Tarifzuschlag, derzeit von 25 %, 16. hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Feststellungsantrag zu 14., festzustellen, dass der Kläger berechtigt ist, seine persönlichen Schutz- und Arbeitskleider nach dem Einstempeln zu Beginn der Schicht am Zeiterfassungsterminal anzulegen und vor dem Ausstempeln am Zeiterfassungsterminal abzulegen, sowie vor dem Ausstempeln berechtigt ist, zu duschen und die Beklagte verpflichtet ist, die mit Hilfe des Zeiterfassungsterminals erfassten Zeiten als Arbeitszeit gemäß dem Arbeitsvertrag zu vergüten.

    6

    Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die vom Kläger geltend gemachten Zeiten seien keine vergütungspflichtige Arbeitszeit und im Übrigen überzogen. Die Auslegung des MTV ergebe, dass Umkleide-, Körperreinigungs- und Wegezeiten nicht zu der zu vergütenden Arbeitszeit gehörten. Die GBV und die BV zeigten, dass die Arbeitszeit erst am Arbeitsplatz beginne und dort auch ende. Eine Vergütungspflicht lasse sich nicht aus § 611a Abs. 2 BGB ableiten. Das Duschen sei weder angewiesen noch aus Gründen des Gesundheitsschutzes erforderlich.

    7

    Das Arbeitsgericht hat der Klage für 359 Arbeitstage im Zeitraum von Juni 2020 bis April 2022 ausgehend von arbeitstäglich 20 Minuten vergütungspflichtiger Umkleide- und Körperreinigungszeiten iHv. 2.262,23 Euro brutto nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Beklagte ausgehend von arbeitstäglich 21 Minuten vergütungspflichtiger Umkleide-, Körperreinigungs- und Wegezeiten verurteilt, an den Kläger für denselben Zeitraum 2.387,70 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen. Zudem hat es festgestellt, "dass die anfallenden Umkleide- und Duschzeiten sowie die Wege vom Umkleideraum zur Arbeitsstätte des Klägers und zurück Arbeitszeit sind und als solche dem Kläger durch die Beklagte zu bezahlen sind". Die weitergehende Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der gesamten Klage, während der Kläger die Zurückweisung der Revision beantragt.

    LinckBubachNeumannZornMarkhof

    Von Rechts wegen!

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