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  • 24.01.2024 · IWW-Abrufnummer 239296

    Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 21.11.2023 – 10 K 1421/21

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Hessisches Finanzgericht 10. Der Senat

    21.11.2023


    Tenor

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

    Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Die Klägerin wendet sich gegen die Anwendung des § 50d Abs. 12 des Einkommensteuergesetzes bei der Berücksichtigung einer Abfindungszahlung im Zuge der Festsetzung der Einkommensteuer für das Jahr 2017 (Streitjahr).

    Die Klägerin wohnte zunächst in A und war als Mitarbeiterin der B beschäftigt. Mit Auflösungsvereinbarung vom 11.02.2016 (Bl. 104 der Einkommensteuerakte) beendeten die B und die Klägerin das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 30.09.2016 und vereinbarten als Ausgleich für die mit der vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses verbundenen Nachteile eine im letzten Monat des Arbeitsverhältnisses zahlbare Abfindung durch die B in Höhe von brutto … € (Ziffer 3 der Auflösungsvereinbarung).

    Am 29.03.2016 kamen die Klägerin und die B überein, dass die Abfindung gemäß Ziffer 3 der Auflösungsvereinbarung vom 11.02.2016 nicht wie ursprünglich vereinbart im letzten Monat des Arbeitsverhältnisses, sondern auf Wunsch der Klägerin erst mit der Gehaltsabrechnung für Januar 2017 zur Auszahlung gelangt (Bl. 108 der Einkommensteuerakte).

    In der Folge kündigte die Klägerin mit E-Mail vom 29.06.2016 ihre Wohnung in A zum Ablauf des September 2016. Mit Mietvertrag vom 27.08.2016 mietete die Klägerin eine möblierte Wohnung in C (Malta); das Umzugsgut der Klägerin wurde von der Spedition am 14.09.2016 in A abgeholt und nach Malta verschifft.

    Die B zahlte die Abfindung unter Einbehalt von Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag (vgl. die Lohnsteuerbescheinigung für das Streitjahr, Bl. 80 der Einkommensteuerakte) im Januar des Streitjahres an die Klägerin aus.

    Der Beklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die Abfindung in Höhe von … € bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2016; über den hiergegen von der Klägerin eingelegten Einspruch ist bislang nicht entschieden.

    In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr vom 01.04.2020 (Bl. 16 ff. der Einkommensteuerakte) erklärte die Klägerin --neben im Inland nicht dem Steuerabzug unterliegendem Arbeitslohn aus einem von der E Zweigniederlassung F gewährten geldwerten Vorteil in Höhe von … €, der hier nicht streitig ist-- im Rahmen der Angaben zum Progressionsvorbehalt insbesondere dem Steuerabzug nach § 50a des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) unterliegende Einkünfte in Höhe von … €. Zugleich beantragte die Klägerin die Veranlagung nach § 50 Abs. 2 EStG.

    Mit Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 22.06.2021 setzte das FA die Steuer in Höhe von … € fest. Dabei berücksichtigte das FA insbesondere Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von … € als inländische Einkünfte der Klägerin, von denen es … € mit Progressionsvorbehalt nach dem Grundtarif und … € nach § 34 Abs. 1 EStG versteuerte.

    Am 02.07.2021 legte die Klägerin hiergegen Einspruch ein, den sie mit Verweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 07.07.2010 ‒ 2 BvL 1/03 u.a. (BVerfGE 127, 31, Rn. 71) begründete. Bei einer erneuten nachträglichen Änderung der Vereinbarung mit der früheren Arbeitgeberin, für die es keinen Rechtsanspruch gegeben habe, wäre --so die Klägerin weiter-- von dem FA sicherlich § 42 der Abgabenordnung (AO) angewendet worden. Das FA verkenne zudem, dass ein Umzug der vorherigen Planung und Entscheidung bedürfe, die hier vor Beginn des Gesetzgebungsverfahrens erfolgt seien.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 07.10.2021, bei dem Bevollmächtigten der Klägerin eingegangen am 11.10.2021 (Montag), wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte das FA im Wesentlichen aus, die Abfindung sei als sonstiger Bezug aufgrund des Zuflusses im Streitjahr in diesem Veranlagungszeitraum zu erfassen und unterliege nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG der beschränkten Steuerpflicht. Unter Anwendung des § 50d Abs. 12 EStG stehe der Bundesrepublik Deutschland auch nach dem Recht der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) ein Besteuerungsrecht an der Abfindung zu. § 50d Abs. 12 EStG sei nach § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG erstmals auf Abfindungen anzuwenden, die ab dem 01.01.2017 gezahlt worden seien. Dabei komme es auf den ggf. früheren Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Abfindungsvereinbarung nicht an. Die von der Klägerin vorgebrachten Argumente zur fehlenden Anwendbarkeit der Regelung des § 50d Abs. 12 EStG aus Vertrauensschutzgründen führten zu keinem anderen Ergebnis. Der Auszahlungstermin der Abfindung sei faktisch auf eigenen Wunsch der Klägerin in einen Veranlagungszeitraum verschoben worden, in dem eine Besteuerung über § 50d Abs. 12 EStG nunmehr möglich sei; bei Auszahlung nach dem Wegzug bis zum 31.12.2016 sei nur eine Berücksichtigung im Rahmen des Progressionsvorbehalts möglich gewesen. Zwar sei im Zeitpunkt der ursprünglichen Auflösungsvereinbarung noch nicht mit einer für die Klägerin verschärfenden Gesetzesänderung zu rechnen gewesen. Es sei ihr jedoch zumutbar gewesen, nach dem Gesetzesvorschlag des Bundesrates vom 23.09.2016 im Einvernehmen mit ihrer früheren Arbeitgeberin den Zuflusszeitpunkt durch eine weitere abweichende Vertragsvereinbarung zurück in das Jahr 2016 zu datieren.

    Hiergegen hat die Klägerin am 10.11.2021 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, das FA habe die ihr --der Klägerin-- im Streitjahr von ihrer ehemaligen Arbeitgeberin ausbezahlte Abfindung in Höhe von … € der Besteuerung nach § 50d Abs. 12 EStG unterworfen, obwohl hier eine nicht zulässige Rückwirkung dieser Vorschrift gegeben sei. Sie habe die Abfindungsvereinbarung mit Auszahlungszeitpunkt im Streitjahr bereits im März 2016 geschlossen und aufgrund des Verlustes ihres Arbeitsplatzes den Wegzug nach Malta geplant, sodass die bei Vertragsschluss geltende Rechtslage eine schutzwürdige Vertrauensposition habe entstehen lassen.

    Im Grunde sei unstreitig, dass es sich hier um eine nicht zulässige unechte Rückwirkung handele; das FA stelle aber hinsichtlich der Frage, ob ein schutzwürdiges Vertrauen vorliege, auf den falschen Zeitpunkt ab. Sie --die Klägerin-- habe durch die beiden Vereinbarungen mit ihrer ehemaligen Arbeitgeberin einen am 29.03.2016 feststehenden und nicht mehr einseitig änderbaren Sachverhalt geschaffen. Bereits zu diesem Zeitpunkt habe sie geplant, in das Ausland zu ziehen; so habe sie sich bereits im April 2016 hinsichtlich der Besteuerung einer Abfindung bei einem Wohnsitz auf Malta beraten lassen.

    Schutzwürdiges Vertrauen habe entgegen der Auffassung des FA nicht bereits ab der Äußerung des Bundesrates, sondern erst mit der positiven Reaktion der Bundesregierung vom 12.10.2016 nicht mehr entstehen können. Zu diesem Zeitpunkt sei die Abfindungsvereinbarung aber nicht mehr einseitig änderbar und die Klägerin unstreitig nicht mehr unbeschränkt steuerpflichtig gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Besteuerung ohne Einführung des § 50d Abs. 12 EStG nicht mehr möglich gewesen; dessen Einführung habe damit die Klägerin belastet und ihr schutzwürdiges Vertrauen verletzt. Selbst wenn man auf einen früheren Zeitpunkt abstelle, sei der Entschluss der Klägerin, in 2017 auf Malta zu leben, bereits im April 2016 getroffen worden. Das FA überspitze die Grundsätze zur Zumutbarkeit, die das BVerfG aufgestellt habe, das immer auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung abstelle.

    Das FA verkenne, dass mit dem Mietvertrag vom 27.08.2016 bewiesen sei, dass die Klägerin selbst zum Datum des Gesetzentwurfs vom 23.09.2016 bereits den festen Entschluss zur Auswanderung gefasst habe. Hierzu übersende sie --die Klägerin-- ferner noch die Kündigung ihrer deutschen Wohnung vom 29.06.2016. Als alle Tatsachen für den Steuerfall (Vereinbarung über die Auszahlung der Abfindung im Streitjahr sowie Planung, Verfestigung und Durchführung des Umzugs) geschaffen worden seien, habe sie auf die Besteuerung nach der damaligen Gesetzeslage vertrauen können.

    Die Klägerin beantragt,

    den Bescheid über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 2017 vom 22.06.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.10.2021 dahingehend abzuändern, dass der in Höhe von … € angesetzte Bruttolohn bei den Einkünften aus unselbständiger Arbeit nur mit … € angesetzt wird;

    hilfsweise, die Revision zuzulassen; und

    die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

    Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Es verweist zur Begründung auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Entgegen der Auffassung der Klägerin komme es nicht auf den Zeitpunkt der steuerlichen Beratung im April 2016 an; deren Inanspruchnahme stelle keinen Nachweis dafür dar, dass der Umzug nach Malta zu diesem Zeitpunkt bereits geplant gewesen sei. Stattdessen werde eine solche Beratung gerade vor der Entscheidung über einen Auslandsumzug eingeholt. Der Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags für die Wohnung in Malta und der Kündigung der deutschen Wohnung seien nicht relevant.

    Dem Gericht haben die Gerichtsakten sowie die Einkommensteuerakten des FA (je 1 Band) vorgelegen; ihr Inhalt ist zum Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung gemacht worden.

    Entscheidungsgründe

    I. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

    Die Steuerfestsetzung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FA hat bei der Steuerfestsetzung für die im Streitjahr beschränkt steuerpflichtige Klägerin zutreffend die inländischen Einkünfte aus der Abfindung berücksichtigt, für die wegen § 50d Abs. 12 EStG --unabhängig von der Frage der Abkommensberechtigung der Klägerin aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Malta zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 08.03.2001 (Zustimmungsgesetz vom 13.12.2001, BGBl II 2001, 1297) in der im Streitjahr geltenden Fassung (DBA-Malta)-- ein Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland besteht. Der Senat sieht keine Veranlassung, dem BVerfG die Frage der Verfassungsmäßigkeit der im Streitjahr nach § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG bestehenden Anwendbarkeit des § 50d Abs. 12 EStG im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens vorzulegen.

    1. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht unstreitig, dass die Klägerin --infolge der Ende September 2016 vollzogenen Aufgabe ihrer Wohnung in A und des gleichzeitigen Wegzuges nach Malta-- mangels Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland im Streitjahr nach § 1 Abs. 4 EStG mit ihren inländischen Einkünften im Sinne des § 49 EStG beschränkt steuerpflichtig war. Ebenso zutreffend ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die von der B als ihrer früheren Arbeitgeberin ausgezahlte Abfindung für die vorzeitige Auflösung des am Sitz der Bank in A ausgeübten Arbeitsverhältnisses zu den inländischen Einkünften nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG zählt. Der Senat sieht daher von weiteren Ausführungen hierzu ab.

    2. Aufgrund der Auszahlung im Januar des Streitjahres hat das FA die Einkünfte der Klägerin aus der Abfindung zudem zu Recht im Streitjahr erfasst (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG).

    a) Dem steht der Umstand der ausdrücklich vereinbarten nachträglichen Auszahlung (erst) im Streitjahr auch unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO) nicht entgegen.

    Nach § 42 Abs. 2 Satz 1 AO liegt ein Missbrauch --vorbehaltlich des Nachweises außersteuerlicher Gründe (Satz 2 der Vorschrift)-- vor, wenn eine unangemessen rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der sich der Senat anschließt, die sich aus dem Zufluss- oder Abflussprinzip ergebenden steuerlichen Be- oder Entlastungen gesetzesgemäß; allein die Absicht, Steuern zu sparen, macht eine Gestaltung nicht rechtsmissbräuchlich (BFH-Urteil vom 07.11.2001 ‒ XI R 24/01, BFHE 197, 175, BStBl II 2002, 351, unter II.4).

    b) Der Berücksichtigung der Abfindung bei den Einkünften der Klägerin im Streitjahr steht auch die bisherige Berücksichtigung im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung im Jahr 2016 nicht entgegen. Vielmehr ist die dortige --nach dem Gesagten unzutreffende-- Berücksichtigung der Abfindung durch Änderung des Einkommensteuerbescheids für 2016 zu korrigieren, sei es nach § 174 Abs. 1 AO oder (mit Blick auf das noch anhängige Einspruchsverfahren) nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO.

    3. Der Berücksichtigung der Abfindung bei der Einkommensteuerveranlagung der Klägerin steht im Übrigen auch nicht die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs vom Arbeitslohn gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG entgegen, denn die Klägerin hat mit ihrer Einkommensteuererklärung auch insoweit die Veranlagung zur Einkommensteuer beantragt (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b EStG).

    4. Es kann offenbleiben, ob die Klägerin im Streitjahr im Sinne des Art. 4 Abs. 1 DBA-Malta in Malta ansässig und damit nach Art. 1 DBA-Malta abkommensberechtigt war, sodass die Bundesrepublik Deutschland für die Einkünfte aus der Abfindung nach Art. 15 Abs. 1 DBA-Malta grundsätzlich kein Besteuerungsrecht hätte (s. allgemein zum Fehlen der Voraussetzung der für die Arbeit im anderen Vertragsstaat [„dafür“] bezogenen Vergütung im Fall einer Abfindungszahlung mit der Folge des ausschließlichen Besteuerungsrechts des Ansässigkeitsstaats BFH-Urteil vom 10.06.2015 ‒ I R 79/13, BFHE 250, 110, BStBl II 2016, 326, Rn. 13 zum DBA-Schweiz; vgl. auch Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 12.11.2014, BStBl I 2014, 1467, Rn. 178). Denn nach der Fiktion des § 50d Abs. 12 Satz 1 EStG handelt es sich bei der Abfindung um ein nachträgliches Entgelt, das „für“ die frühere in A ausgeübte Tätigkeit geleistet wurde, sodass die Bundesrepublik Deutschland selbst bei unterstellter Abkommensberechtigung der Klägerin nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Malta (auch) hinsichtlich der Abfindung das Besteuerungsrecht hat.

    a) Nach § 50d Abs. 12 Satz 1 EStG gelten Abfindungen, die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, für Zwecke der Anwendung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung als für frühere Tätigkeit geleistetes zusätzliches Entgelt. Dies gilt nach Satz 2 der Vorschrift nicht, soweit das Abkommen in einer gesonderten, ausdrücklich solche Abfindungen betreffenden Vorschrift eine abweichende Regelung trifft. Dabei bleiben nach Satz 3 der Vorschrift § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG sowie Rechtsverordnungen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 AO unberührt.

    Die durch Art. 8 Nr. 11 Buchst. b des Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20.12.2016 (BGBl I 2016, 3000; BEPS-UmsG) eingeführte Vorschrift trat nach Art. 19 Abs. 2 BEPS-UmsG am 01.01. des Streitjahres in Kraft und galt daher gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG erstmals im Streitjahr (Finanzgericht --FG-- Münster, Urteil vom 23.08.2022 ‒ 15 K 791/19 L, EFG 2023, 57, Rn. 34; Wagner in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 50d EStG Rn. 24; Loschelder in Schmidt, EStG, 42. Aufl. 2023, § 50d Rn. 70; a.A. Gosch in Kirchhof/Seer, EStG, § 50d Rn. 5: ab Veranlagungszeitraum 2016).

    b) Die hier zu beurteilende Abfindungszahlung aufgrund der Vereinbarung der Klägerin mit der B wurde von dieser als Ausgleich für die mit der vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses verbundenen Nachteile der Klägerin geleistet, also anlässlich der Beendigung des Dienstverhältnisses gezahlt. Nachdem das DBA-Malta auch keine ausdrücklich solche Abfindungen betreffenden Regelungen enthält, gilt demnach die Abfindung gemäß § 50d Abs. 12 Satz 1 EStG für Zwecke des DBA-Malta als ein für die frühere Tätigkeit geleistetes zusätzliches Entgelt.

    Unter Berücksichtigung dieser Fiktion handelt es sich bei der Abfindung daher um eine für die nichtselbständige Tätigkeit der Klägerin bezogene Vergütung, die infolge der Tätigkeitsausübung in A nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Malta --bei hier für das Streitjahr unterstellter Ansässigkeit der Klägerin in Malta-- in der Bundesrepublik Deutschland als dem anderen Staat besteuert werden kann (s. allgemein zur Wirkung des § 50d Abs. 12 EStG etwa Hessisches FG, Urteil vom 27.02.2020 ‒ 9 K 353/19, EFG 2020, 1251, Rn. 51; FG Münster, Urteil vom 23.08.2022 ‒ 15 K 791/19 L, EFG 2023, 57, Rn. 36 (juris); Sternberg in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rn. I 6; Wagner in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 50d EStG Rn. 188).

    Auf die nach § 50d Abs. 12 Satz 3 EStG unberührt bleibende Regelung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG kommt es hier nicht an, weil diese nur im Fall der unbeschränkten Steuerpflicht greift. Entsprechendes gilt für Rechtsverordnungen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 AO, weil solche zum DBA-Malta soweit ersichtlich nicht erlassen wurden.

    c) Der Fiktion des § 50d Abs. 12 Satz 1 EStG stehen die Regelungen des DBA-Malta nicht entgegen. Denn dem Gesetzgeber steht es frei, von seiner Entscheidung, das betreffende Abkommensrecht durch sein Zustimmungsgesetz in den nationalen Rechtsrahmen zu inkorporieren, durch eine weitere gesetzliche Entscheidung abzuweichen (sog. Treaty Overriding, s. insoweit im Zusammenhang des § 50d Abs. 12 EStG etwa Hessisches FG, Urteil vom 27.02.2020 ‒ 9 K 353/19, EFG 2020, 1251, Rn. 46; Sternberg in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rn. I 2; Wagner in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 50d EStG Rn. 186; Gosch in Kirchhof/Seer, EStG, § 50d Rn. 52; Loschelder in Schmidt, EStG, 42. Aufl. 2023, § 50d Rn. 70). Soweit allerdings eine abkommensdurchbrechende Wirkung eines Gesetzes nur angenommen werden kann, wenn der Wille zur Abkommensüberschreibung im Wortlaut der Norm zum Ausdruck kommt (BFH-Urteil vom 03.09.2020 ‒ I R 80/16, BFHE 270, 353, BStBl II 2021, 237, Rn. 19), ist auch dies bei § 50d Abs. 12 EStG der Fall. Denn der anhand der Gesetzgebungsmaterialien erkennbare Wille des Gesetzgebers, mit der Regelung des § 50d Abs. 12 EStG derartige Regelungen in DBA zu überschreiben (vgl. BT-Drs. 18/10506, 78), ist dessen Wortlaut hinreichend zu entnehmen. So folgt bereits aus der ausdrücklichen Normierung einer Fiktion „für Zwecke der Anwendung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung“, dass eine vom Abkommensrecht abweichende Anwendung bezweckt wird, weil die Fiktion andernfalls keinen Anwendungsbereich hätte. Im Übrigen verdeutlicht auch die Ausnahme nach § 50d Abs. 12 Satz 2 EStG, die bei einer gesonderten und ausdrücklich solche Abfindungen betreffenden Vorschrift dem Abkommen wiederum Vorrang einräumt, den Willen zur Abkommensüberschreibung.

    5. Der Senat hat keine Veranlassung, das Verfahren nach § 74 FGO i.V.m. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 12 EStG einzuholen. Denn der Senat ist nicht von dessen Verfassungswidrigkeit überzeugt (vgl. allgemein zu den Voraussetzungen eines konkreten Normenkontrollantrags BVerfG-Beschluss vom 06.04.1989 ‒ 2 BvL 8/87, BVerfGE 80, 59, unter B.1; BFH-Urteil vom 09.11.2017 ‒ III R 10/16, BFHE 260, 9, BStBl II 2018, 255, Rn. 14).

    a) Dies gilt zunächst mit Blick auf das mit der Vorschrift verbundene sog. Treaty Overriding (s. oben I.4.c). Dies ist auch zwischen den Beteiligten nicht streitig, weshalb der Senat insoweit lediglich auf den BVerfG-Beschluss vom 15.12.2015 ‒ 2 BvL 1/12 (BVerfGE 141, 1) verweist und von weiteren Ausführungen hierzu absieht.

    b) Ebenso wenig ist der Senat unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes bei (unechte) Rückwirkung entfaltenden Gesetzen von der Verfassungswidrigkeit der Anwendung des § 50d Abs. 12 EStG im Streitjahr gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG überzeugt.

    aa) Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung"), liegt eine unechte Rückwirkung vor. Eine solche (unechte) Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig. Es muss jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein; die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung hängt das Gewicht des enttäuschten Vertrauens von dem Maß seiner Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit ab (s. insgesamt BVerfG-Beschluss vom 14.12.2022 ‒ 2 BvL 7/13 u.a., BVerfGE nn, HFR 2023, 500, Rn. 99 ff.).

    Im Steuerrecht liegt eine echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum grundsätzlich der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist (BVerfG-Beschluss vom 14.12.2022 ‒ 2 BvL 7/13 u.a., BVerfGE nn, HFR 2023, 500, Rn. 114).

    Soweit eine Rechtsänderung mit unechter Rückwirkung für zukünftige Veranlagungszeiträume in Rede steht, ist für das Maß der Schutzwürdigkeit eines Vertrauens auf das alte Recht zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber im Einkommensteuerrecht Rechts-änderungen --dem Periodizitätsprinzip entsprechend-- typischerweise veranlagungszeitraumbezogen vornimmt und der Steuerpflichtige dies in Rechnung stellen muss. Die Schutzwürdigkeit seines Vertrauens ist insoweit regelmäßig gemindert. Bei Dispositionen, deren Vollzug nicht mehr im laufenden Veranlagungszeitraum erfolgt, ist der Steuerpflichtige grundsätzlich gehalten, selbst durch Vereinbarung entsprechender Anpassungsklauseln oder rechtsgeschäftlicher Möglichkeiten zur Vertragsbeendigung Vorsorge für den Fall einer für ihn nachteiligen Änderung des Steuerrechts zu tragen. Im Einzelfall kann es allerdings beim Abschluss vertraglicher Vereinbarungen ein beiderseitiges und schützenswertes Interesse der Beteiligten an einem gewissen, den laufenden Veranlagungszeitraum überschreitenden zeitlichen Abstand zwischen der Vereinbarung und ihrem Vollzug geben (s. insgesamt BVerfG-Beschluss vom 14.12.2022 ‒ 2 BvL 7/13 u.a., BVerfGE nn, HFR 2023, 500, Rn. 116 f.).

    bb) Nach diesen Maßstäben ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Anwendbarkeit des § 50d Abs. 12 EStG im Streitjahr (§ 52 Abs. 1 Satz 1 EStG) im Hinblick auf die Umstände des Streitfalls verfassungswidrig ist.

    (1) Vorliegend ist ein Fall unechter Rückwirkung für zukünftige Veranlagungszeiträume zu beurteilen. Denn § 50d Abs. 12 EStG wurde --wie unter I.4.a im Einzelnen ausgeführt-- durch ein noch im Jahr 2016 verkündetes Änderungsgesetz eingefügt, galt aber erst mit Wirkung für den folgenden Veranlagungszeitraum des Streitjahres. Die belastende Rechtsfolge der Besteuerung greift im Hinblick auf den --mit Ausnahme der Auszahlung der Abfindung durch die B bereits im Jahr 2016 umgesetzten Sachverhalt (Abschluss und Änderung der Abfindungsvereinbarung; Aufgabe des Wohnsitzes in A Wegzug) erst im auf die Verkündung des BEPS-UmsG folgenden Veranlagungszeitraum des Streitjahres.

    (2) Bei der mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit dieser unechten Rückwirkung vorzunehmenden Abwägung überwiegen im Streitfall jedoch die mit der Regelung verfolgten Interessen der Allgemeinheit das Vertrauen der Klägerin auf die Fortgeltung der Rechtslage.

    (a) Dabei verkennt der Senat nicht, dass das --nur bei Hinzutreten besonderer Momente der Schutzwürdigkeit besonders verfassungsrechtlich geschützte (BVerfG-Beschluss vom 14.12.2022 ‒ 2 BvL 7/13 u.a., BVerfGE nn, HFR 2023, 500, Rn. 103)-- Vertrauen der Klägerin in den Fortbestand des vor Einführung des § 50d Abs. 12 EStG geltenden Rechts, in seiner Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit zum Zeitpunkt ihrer Dispositionen jedenfalls noch nicht aufgrund der sich konkret abzeichnenden Änderung der Rechtslage herabgesetzt war. Dies ist erst mit der Einbringung eines Gesetzentwurfs in den Bundestag durch ein initiativberechtigtes Organ gemäß Art. 76 Abs. 1 GG und schon vorher im Fall der Zuleitung eines Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung an den Bundesrat gemäß Art. 76 Abs. 2 Satz 1 GG der Fall (BVerfG-Beschluss vom 14.12.2022 ‒ 2 BvL 7/13 u.a., BVerfGE nn, HFR 2023, 500, Rn. 111). Dem entspricht bei der Einführung des § 50d Abs. 12 EStG die im Zuge der Unterrichtung des Bundestages nach § 75 Abs. 1 Buchst. e) der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages am 12.10.2016 erklärte Zustimmung der Bundesregierung (BT-Drs. 18/9956, 13 f., 23) zu der Anregung des Bundesrats in seiner Stellungnahme nach Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG vom 23.09.2016 (BR-Drs. 406/16 (Beschluss), 26 f.) (ebenso FG Münster, Urteil vom 23.08.2022 ‒ 15 K 791/19 L, EFG 2023, 57, Rn. 45). Demnach zeichnete sich eine Änderung der hier maßgeblichen Rechtslage im Zeitpunkt des Abschlusses der Dispositionen der Klägerin bis Ende September 2016 noch nicht hinreichend ab.

    (b) Bei der Bestimmung des Maßes der Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Klägerin auf das alte Recht ist aber nach den genannten Maßstäben zu berücksichtigen, dass die Klägerin als Steuerpflichtige in Rechnung stellen muss, dass der Gesetzgeber im Einkommensteuerrecht typischerweise veranlagungszeitraumbezogene Rechtsänderungen vornimmt. Das FA weist deshalb zutreffend darauf hin, dass die Klägerin gehalten gewesen wäre, durch die Vereinbarung einer entsprechenden Anpassungsklausel Vorsorge für den Fall der nachteiligen Änderung des Steuerrechts zu treffen (s. dazu BVerfG-Beschluss vom 14.12.2022 ‒ 2 BvL 7/13 u.a., BVerfGE nn, HFR 2023, 500, Rn. 116). Dies war der Klägerin auch unter Berücksichtigung des von ihr in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Fehlens einer laufenden steuerlichen Beratung möglich und zumutbar.

    So spricht die Mitwirkung der früheren Arbeitgeberin der Klägerin an der allein auf den Wunsch der Klägerin hin getroffenen Änderungsvereinbarung vom 29.03.2016 dafür, dass insoweit auch Raum für die Vereinbarung einer Anpassungsklausel gewesen wäre. Vor allem aber hätte die Klägerin angesichts der Absicht ihrer früheren Arbeitgeberin, das Arbeitsverhältnis zu beenden, bereits im (früheren) Rahmen der Verhandlungen der ursprünglichen Abfindungsvereinbarung die Verhandlungsmacht gehabt, eine solche Anpassungsklausel erfolgreich zu verhandeln.

    Soweit die Klägerin einwendet, eine erneute Anpassung der Vereinbarung über den Auszahlungszeitpunkt sei erst recht der Gefahr ausgesetzt, den Vorwurf des Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO) hervorzurufen, mag dieser Eindruck aus der Perspektive der Klägerin und ihres steuerlichen Beraters subjektiv nachvollziehbar sein, er trifft aber gleichwohl nicht zu. Denn wie bereits unter I.2.a ausgeführt sind die sich aus dem Zufluss- oder Abflussprinzip ergebenden steuerlichen Be- oder Entlastungen gesetzesgemäß und macht allein die Absicht, Steuern zu sparen, eine Gestaltung nicht rechtsmissbräuchlich. Dies gilt erst recht, soweit der betreffende Steuerpflichtige --hier die Klägerin-- mit dieser Gestaltung letztlich seiner verfassungsrechtlichen Obliegenheit zur Vorsorge für den Fall nachteiliger Änderungen des Steuerrechts mit unechter Rückwirkung für zukünftige Veranlagungszeiträume nachkommt.

    Im Ergebnis folgt auch nichts Anderes aus einem beiderseitigen und schützenswerten Interesse der Beteiligten an einem den laufenden Veranlagungszeitraum überschreitenden Abstand zwischen der Vereinbarung und ihrem Vollzug (vgl. allgemein BVerfG-Beschluss vom 14.12.2022 ‒ 2 BvL 7/13 u.a., BVerfGE nn, HFR 2023, 500, Rn. 117). Denn ein solches beiderseitiges Interesse der Klägerin und der B als ihrer früheren Arbeitgeberin bestand im Streitfall nicht, was sich bereits an dem Umstand zeigt, dass ursprünglich eine Auszahlung der Abfindung zum Ende des Arbeitsverhältnisses im September 2016 vereinbart worden war und dass diese Fälligkeit auf den alleinigen Wunsch der Klägerin hin durch die Änderungsvereinbarung vom 29.03.2016 nach hinten in das Streitjahr verlegt wurde. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall entscheidend von den Sachverhalten, die dem von der Klägerin in Bezug genommenen BVerfG-Beschluss vom 07.07.2010 ‒ 2 BvL 1/03 u.a. (BVerfGE 127, 31) zugrunde lagen (s. auch unter I.5.b.cc). Denn während in den dort entschiedenen Fällen die aufgrund von Aufhebungsvereinbarungen aus den Jahren 1996 bzw. 1998 geschuldeten Abfindungszahlungen jeweils im Jahr 1999 mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgezahlt wurden, endete das Arbeitsverhältnis der Klägerin im hier zu entscheidenden Fall in demselben Jahr, in dem auch die Abfindungsvereinbarung getroffen worden war; lediglich die Auszahlung der Abfindung erfolgte hier ---auf den alleinigen Wunsch der Klägerin-- im darauffolgenden Streitjahr. Zwar mag der Zeitraum zwischen dem Ende der Tätigkeit der Klägerin und der Auszahlung der Abfindung, wie ihr Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben hat, von überschaubarer Länge gewesen sein; entscheidend ist für den Senat insoweit jedoch, dass hier --anders als bei einem Zuwarten mit der Abfindungsauszahlung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses-- die weitere Verschiebung des Zeitpunkts der Auszahlung der Abfindung um mehrere Monate bis nach Beginn des Folgejahres allein im Interesse der Klägerin lag.

    (c) Nicht zu verkennen ist mit Blick auf die Frage der (zumutbaren) Möglichkeit einer Vorsorge durch Vereinbarung einer Anpassungsklausel zudem, dass es der Klägerin --worauf das FA ebenfalls zutreffend hinweist-- durchaus möglich gewesen wäre, die Abfindung im Zeitraum zwischen dem mit der Aufgabe ihres Wohnsitzes in A verbundenen Wegzug und dem Ende des Jahres 2016 ohne ein Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland zu vereinnahmen. Denn § 50d Abs. 12 EStG galt in diesem Zeitraum noch nicht, sodass das Besteuerungsrecht gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA-Malta --die Abkommensberechtigung der Klägerin wiederum unterstellt-- nur bei Malta als Ansässigkeitsstaat gelegen hätte (vgl. oben I.4). Aufgrund des unterjährigen Wechsels zur beschränkten Steuerpflicht (vgl. § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG) wäre lediglich die (von der Klägerin ohnehin nicht gewollte und durch ihren Antrag nach § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b EStG überwundene) Abgeltungswirkung des Steuerabzugs entfallen und hätten die nach dem DBA-Malta steuerfreien Einkünfte gemäß § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG dem Progressionsvorbehalt im Jahr 2016 unterlegen (s. allgemein Ratschow in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 2 EStG Rn. 188). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Gesetzgeber bei der Einführung des § 50d Abs. 12 EStG eine --wenngleich kurze-- Übergangsfrist vorgesehen hat.

    (d) Bei der Abwägung des Vertrauens der Klägerin auf die Fortgeltung der Rechtslage mit dem durch die Gesetzesänderung verfolgten Interesse der Allgemeinheit an der Sicherung des Steuersubstrats der Bundesrepublik Deutschland und der Vermeidung einer etwaigen Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Abfindungen anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses (vgl. BT-Drs. 18/10506, 78) überwiegt nach Auffassung des Senats das legitime (vgl. FG Münster, Urteil vom 23.08.2022 ‒ 15 K 791/19 L, EFG 2023, 57, Rn. 44) Allgemeininteresse. Denn die Schutzwürdigkeit des Vertrauens ist --wie dargestellt-- dadurch gemindert, dass die Klägerin ihrer Obliegenheit nicht nachgekommen ist, im Zuge der Verhandlungen betreffend die Abfindung Vorsorge durch die Vereinbarung geeigneter Anpassungsklauseln zu tragen. Dies wiegt umso schwerer, als der Gesetzgeber bei der Einführung des § 50d Abs. 12 EStG eine --wenngleich kurze-- Übergangsfrist vorgesehen hat.

    (e) Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Bei der Bestimmung des Maßes der Schutzwürdigkeit der Klägerin hat er nicht zu ihren Ungunsten berücksichtigt, dass mit § 50d Abs. 12 EStG im Sinne eines Nichtanwendungsgesetzes im Ergebnis die wiederholt verworfene vorherige Verwaltungsauffassung zur abkommensrechtlichen Beurteilung von Abfindungen anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses bestätigt werden sollte (vgl. dazu allgemein Sternberg in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rn. I 4). Denn die dem zugrunde liegende Rechtsprechung betraf zuletzt die Frage der Berücksichtigung von Konsultationsvereinbarungen mit dem Ansässigkeitsstaat (BFH-Urteile vom 10.06.2015 ‒ I R 79/13, BFHE 250, 110, BStBl II 2016, 326; vom 02.09.2009 ‒ I R 90/08, BFHE 226, 267, BStBl II 2010, 394, und vom 02.09.2009 ‒ I R 111/08, BFHE 226, 276, BStBl II 2010, 387), die mit Malta soweit ersichtlich nicht getroffen wurden, sowie abweichend gefasste Abkommenstexte (BFH-Urteil vom 24.07.2013 ‒ I R 8/13, BFHE 245, 291, BStBl II 2014, 929 zum DBA-Frankreich).

    cc) Soweit die Klägerin entgegen der Auffassung des Senats in der Anwendung des § 50d Abs. 12 EStG unter Verweis auf den BVerfG-Beschluss vom 07.07.2010 ‒ 2 BvL 1/03 u.a. (BVerfGE 127, 31) eine Verletzung ihres schützenswerten Vertrauens in die frühere Rechtslage erkennt, berücksichtigt sie nicht hinreichend, dass der dortigen Entscheidung --wie bereits unter I.5.b.bb (2)(b) ausgeführt-- ein mit dem Streitfall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag. Im Übrigen betraf diese Entscheidung die unterjährige Änderung einer Steuernorm mit erstmaliger Anwendung für den Veranlagungszeitraum, in dem das Änderungsgesetz verkündet worden war. Demgegenüber ist § 50d Abs. 12 EStG --wie unter I.4.a im Einzelnen ausgeführt-- durch ein noch im Jahr 2016 verkündetes Änderungsgesetz eingefügt worden, galt aber erst mit Wirkung für den folgenden Veranlagungszeitraum des Streitjahres.

    Zudem lässt die Klägerin bei ihrem Verweis auf die genannte Entscheidung außer Acht, dass das BVerfG die dort aufgestellten Maßstäbe zwischenzeitlich durch Beschluss vom 14.12.2022 ‒ 2 BvL 7/13 u.a. (BVerfGE nn, HFR 2023, 500) wie dargestellt weiterentwickelt hat. Dementsprechend vermag der Senat sich auch nicht der von König/Teichert (BB 2016, 3105, 3108 f.) geäußerten Auffassung anzuschließen, die zur Begründung ebenfalls maßgeblich auf den BVerfG-Beschluss vom 07.07.2010 ‒ 2 BvL 1/03 u.a. (BVerfGE 127, 31) abstellen, aber die Obliegenheit der Steuerpflichtigen zur Vorsorge für den Fall nachteiliger Änderungen des Steuerrechts mit unechter Rückwirkung für zukünftige Veranlagungszeiträume unberücksichtigt lassen.

    II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der ausdrücklich gestellte Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, geht schon wegen der Kostenbelastung der Klägerin ins Leere (s. allgemein BFH-Urteil vom 08.06.2011 ‒ I R 90/10, BFHE 234, 130, BStBl II 2013, 949, Rn. 22).

    III. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

    RechtsgebieteEStG, DBA-MaltaVorschriften§ 50d Abs. 12 EStG, Art. 15 Abs. 1 DBA-Malta

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