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  • · Fachbeitrag · Grenzüberschreitende Arbeitnehmertätigkeit

    Der neue Auslandstätigkeitserlass

    von VRiFG a. D. Prof. Dr. Kay-Michael Wilke, Karlsruhe

    | Einer der wohl ältesten, noch gültigen Erlasse des BMF zum internationalen Steuerrecht ist das BMF-Schreiben vom 31.10.83 (IV B 6 - S 2293 - 50/83, BStBl I 83, 470) betreffend die steuerliche Behandlung von Arbeitnehmereinkünften bei Auslandstätigkeit (Auslandstätigkeitserlass), kurz ATE. Dieser Erlass ist nunmehr überarbeitet, ergänzt, präzisiert und leider auch verschärft worden (BMF 10.6.22, IV C 5 - S 2293/19/10012 :001, BStBl I 22, 997). Die Neufassung (ATE 2022) gilt ab dem VZ 2023. Der besseren Übersicht wegen hat der neue Erlass nunmehr Randnummern, auf die Bezug genommen wird. |

    1. Arbeitnehmer

    Eine Steuerbefreiung wird nach dem Auslandstätigkeitserlass (ATE) gewährt, wenn ein Arbeitnehmer für einen inländischen Arbeitgeber für einen Zeitraum von mindestens drei Monaten (zeitliche Voraussetzung) in einem Land tätig wird, mit dem kein DBA abgeschlossen wurde. Der Arbeitnehmer muss im Ausland außerdem einer begünstigten Tätigkeit nachgehen. Der Erlass unterscheidet rein sprachlich nicht zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht des Arbeitnehmers. Angesichts der Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland mit allen Anrainerstaaten DBA abgeschlossen hat, ist der ATE im Grundsatz aber auf beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer nicht anwendbar: Denn Art. 15 Abs. 1 S. 1 2. HS. und S. 2 OECD-MA erfasst nur Vergütungen für Tätigkeiten aus unselbstständiger Arbeit, welche im anderen Vertragsstaat ausgeübt werden; wird dagegen die Tätigkeit in einem Drittstaat ausgeübt, dann kommt ‒ so vorhanden ‒ Art. 21 Abs. 1 OECD-MA zum Tragen mit der Konsequenz, dass der Wohnsitzstaat das (alleinige) Besteuerungsrecht besitzt (vgl. BFH 16.1.19, I R 66/17, BFH/NV 19, 1067). Somit kann dann auch nicht die Vergünstigung für die deutsche Besteuerung nach dem ATE eingreifen.

     

    In Rn. 12 ATE 2022 heißt es dann auch, dass der ATE für Fälle der beschränkten Steuerpflicht keinen Anwendungsbereich hat.

     

    • Beispiel 1

    Der in Schaan/Liechtenstein wohnhafte Arbeitnehmer A ist bei der Maschinenfabrik GmbH in Lindau/D beschäftigt und wird zu einer mehrmonatigen Montage nach Amman/Jordanien (Nicht-DBA-Staat) entsandt. Nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 DBA-Liechtenstein erfolgt die Besteuerung der Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit grundsätzlich im Wohnsitzstaat, es sei denn, die Tätigkeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Da die Tätigkeit aber in einem Drittstaat ausgeübt wird, erfolgt die Besteuerung für die hierauf entfallenden Einkünfte nach Art. 21 Abs. 1 DBA-Liechtenstein allein im Ansässigkeitsstaat (= Liechtenstein).

     

    2. Arbeitgeber (Rn. 1)

    Bisher musste es sich um einen inländischen Arbeitgeber handeln. Zur Definition dieses Begriffs wurde auf die LStR Bezug genommen. Allerdings hatte der EuGH mit Urteil vom 28.2.13 (C-544/11, Rs. Petersen, BStBl II 13, 847) entschieden, dass die Beschränkung auf inländische Arbeitgeber unionsrechtswidrig sei. Nach der Neufassung muss der Arbeitgeber seinen Sitz (§ 11 AO), seine Geschäftsleitung (§ 10 AO), seine Betriebsstätte (§ 12 AO) oder einen ständigen Vertreter (§ 13 AO) in einem EU-Staat bzw. EWR-Staat haben.

     

    Beachten Sie | Begriff des „Arbeitgebers“ ist nicht erläutert, obwohl er zurzeit in der Literatur und Rechtsprechung diskutiert wird (s. zuletzt BFH 4.11.21, VI R 22/19, BFH/NV 22, 539).

     

    • Beispiel 2

    Der in Lindau/D wohnhafte Arbeitnehmer A ist bei der Betriebsstätte des US-amerikanischen Konzerns I-Corporation in Balzers/Liechtenstein beschäftigt. Der ATE ist grundsätzlich anwendbar.

     

    Nicht ausdrücklich in den Erlass einbezogen wurden Arbeitgeber, die in der Schweiz ansässig sind. Somit bleibt weiterhin das Problem ungelöst, ob aufgrund des sog. Freizügigkeitsabkommens (FZA) vom 21.6.99 zwischen der EU und der Schweiz der ATE auch auf unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer anwendbar ist, deren Arbeitgeber in der Schweiz ansässig ist.

    3. Begünstigte / nicht begünstigte Tätigkeit (Rn. 2 und 3)

    Neben der rein sprachlichen Anpassung sind in den im Wesentlichen unverändert übernommenen begünstigten Tätigkeiten Klarstellungen erfolgt, die sich aus der Rechtsprechung und Verwaltungspraxis seit 1984 ergeben haben.

     

    • In Nr. 1 wird klarstellend ausgeführt, dass insbesondere Sanierungs-, Restaurierungs-, Reinigungs- und Sanierungsarbeiten an Bauwerken ohne industrielle bzw. technische Nutzung nicht begünstigt sind (vgl. z. B. FG Hessen 23.3.20, 3 K 831/12, DStRE 21, 148).

     

    • Neu aufgenommen wurde die Nr. 2. Danach zählen zu den begünstigten Tätigkeiten der Einbau, die Aufstellung, die Instandsetzung oder Wartung sonstiger Wirtschaftsgüter; diese Wirtschaftsgüter müssen ausschließlich von EU-/EWR-Arbeitgebern hergestellt oder instand gesetzt bzw. gewartet werden; zu den sonstigen Wirtschaftsgütern zählen auch Militärflugzeuge und -fahrzeuge. Mit dieser neuen Nummer werden bisher in der Rechtsprechung der Finanzgerichte diskutierte Fälle, in denen die Anwendung des ATE verneint wurde, zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden (vgl. z. B. FG Baden-Württemberg 29.8.11, 10 V 986/11).

     

    • Die bisherigen Nrn. 2 und 3 werden unverändert Nrn. 3 und 4.

     

    • In Nr. 5 (bisher Nr. 4) wird die Streitfrage, ob deutsche öffentliche Entwicklungshilfe im Rahmen der technischen oder finanziellen Zusammenarbeit auch dann vorliegt, wenn die Projektförderung auch aus anderen Mitteln ‒ z. B. der EU ‒ (mit-)finanziert wird (vgl. FG Köln 22.3.18, 7 K 585/15, EFG 18, 1748; BFH 13.7.21, I R 20/18, BFH/NV 22, 283; EuGH-Vorlage C-15/22), dahin gehend gelöst, dass die Förderung mittelbar oder unmittelbar aus inländischen öffentlichen Mitteln zu mindestens 75 % erfolgen muss. Dann ist die Tätigkeit begünstigt. Allerdings ist unbedingt zu beachten, dass der ATE nicht anwendbar ist, wenn der Arbeitslohn unmittelbar oder mittelbar aus öffentlichen Kassen gezahlt wird (Rn. 11); begünstigt ist dann nur die Zahlung, soweit sie nicht aus inländischen öffentlichen Kassen gezahlt wird (zum Begriff „öffentliche Kassen“ wird Bezug genommen auf BMF 13.11.19, IV C 5 - S 2300/19/10009 :003, BStBl I 19, 1082, zu der Frage der Ko-/Mischfinanzierung s. weitere Erläuterungen in Rn. 13 und 14).

     

    Der Kreis der nicht begünstigten Tätigkeiten (Rn. 3) wird erweitert: Neu ist, dass die Produktion von Schiffen im Ausland sowie die Tätigkeit im Bereich der humanitären Hilfe explizit nicht begünstigt sind; zu Letzterem hat die Rechtsprechung bereits entschieden, dass die Voraussetzungen des § 34c Abs. 5 EStG nicht vorliegen würden (FG Bremen 12.1.96, 2 95 024 K 2, EFG 96, 322); zum Begriff „volkswirtschaftliche Gründe für einen Steuererlass“ wird Bezug genommen auf BVerfG 19.4.78, 2 BvL 2/75, BStBl II 78, 548).

     

    Beachten Sie | Aus dem Kreis der nicht begünstigten Tätigkeiten ist die im ATE 83 ausdrücklich aufgeführte Tätigkeit von Leiharbeitnehmern nicht in die Neufassung übernommen worden.

    4. Dauer der begünstigten Tätigkeit (Rn. 4 bis 6)

    In diesem Bereich gibt es keine materiellen Änderungen; die Auslandstätigkeit muss weiterhin mindestens drei Monate ununterbrochen in Staaten ausgeübt werden, mit denen kein DBA abgeschlossen ist, welches sich auf Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit bezieht. Wie bisher beginnt die Frist mit Antritt der Reise und endet mit der endgültigen Rückkehr.

     

    • Beispiel 3

    Abfahrt um 23:58 Uhr = erster Tag der 3-Monats-Frist;

    Rückkehr um 00:05 Uhr = letzter Tag der 3-Monats-Frist

     

    Auch die bisher anerkannten unschädlichen Unterbrechungen ‒ technische Besprechung in Deutschland, Urlaub, Krankheit ‒ bleiben unverändert erhalten.

     

    • Beispiel 4
    • 1. Beginn der 3-Monats-Frist am 10.3., Rückflug zum Arbeitgeber nach Deutschland zwecks Besprechung technischer Probleme am 20.4. bis 25.4., Rückkehr ins Ausland am 26.4., Ende der Auslandstätigkeit am 11.6. = unschädliche Unterbrechung.
    • 2. Beginn der 3-Monats-Frist am 15.6., ab 1.8. Unterbrechung durch 3-wöchigen Urlaub in Deutschland, Rückkehr nach dem Urlaub ins Ausland, Ende der Auslandstätigkeit am 20.10. = Mindestfrist eingehalten
     

    Angesichts neuer Arbeitszeitmodelle ist jetzt geregelt, dass auch Freizeitblöcke unschädliche Unterbrechungen sind, sofern die tatsächliche Auslandstätigkeit die Mindestfrist von drei Monaten erfüllt.

    5. Begünstigter Arbeitslohn (Rn. 7 bis 9)

    Der Umfang des begünstigten Arbeitslohns ist unverändert. Klargestellt wird, dass eine Aufteilung zwischen begünstigten und nicht begünstigten Zuwendungen, sofern sie nicht gesondert aufgezeichnet werden, nach den Grundsätzen des BMF-Schreibens vom 14.3.17 (IV C 5 - S 2369/10/10002, BStBl I 17, 473) erfolgen muss (vgl. dort Tz. 25; ferner BMF 3.5.18, IV B 2 - S 1300/08/10027, BStBl I 18, 643, Tz. 5.4).

     

    Alle Aufwendungen, welche mit dem begünstigten Arbeitslohn im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, unterliegen dem Abzugsverbot nach § 3c Abs. 1, § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1. 1. HS EStG. Hier kollidiert allerdings der Erlass mit der Rechtsprechung (vgl. FG Düsseldorf 10.7.18, 10 K 1964/17 E, EFG 18, 1515). Der BFH konnte hierzu leider nicht inhaltlich Stellung nehmen, da die Finanzbehörde die Frist zur Revisionsbegründung im Verfahren X R 25/18 versäumt hat und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt worden ist.

    6. Progressionsvorbehalt (Rn. 10)

    Die Regelung entspricht der bisherigen Regelung und wird an die aktuelle Gesetzeslage (§ 32b Abs. 2 EStG) redaktionell angepasst.

    7. Nichtanwendung (Rn. 11 bis 15)

    Die Regelung der Nichtanwendung in Tz. 1 und 2 des bisherigen Erlasses wurde unverändert übernommen und lediglich redaktionell überarbeitet. Eine der wichtigsten Änderungen findet sich in Tz. 3 der Rn. 11. Bisher war ein Nachweis, dass von dem Arbeitslohn im Tätigkeitsstaat eine der deutschen Lohnsteuer entsprechende Steuer erhoben wird, nicht erforderlich. Seit der Einfügung des Abs. 8 in § 50d EStG im Jahre 2003 bestand bei ausländischen Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit somit ein Zweiklassenrecht: Bei einer Tätigkeit in einem Nicht-DBA-Staat war der Nachweis einer örtlichen Steuerzahlung nicht erforderlich (lt. ATE), wohl aber bei einer Tätigkeit in einem DBA-Staat (§ 50d Abs. 8 S. 1 EStG), um in den Genuss der Vergünstigung nach einem DBA zu gelangen.

     

    Ab dem VZ 2023 hat der Steuerpflichtige nachzuweisen, dass die Einkünfte aus der Auslandstätigkeit in dem Staat, in dem die Tätigkeit ausgeübt wurde, einer der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer von mindestens 10 % unterlegen haben, welche auch entrichtet worden ist. Zur Berechnung findet sich in Rn. 15 ein Beispiel.

     

    • Beispiel

    Der Arbeitnehmer A wird von seinem Arbeitgeber vier Monate zu einer Montage nach Saudi-Arabien (Nicht-DBA-Staat) entsandt. In Saudi-Arabien wird keine Einkommensteuer erhoben: Bis 31.12.22 Anwendung des ATE i. d. F. von 1983, ab 1.1.23 keine Anwendung des ATE i. d. F. von 2022.

     

    In derartigen Fällen ‒ ausländische Steuer unter 10 % ‒ verbleibt zur Minderung einer steuerlichen Doppelbelastung nur die Anrechnung nach § 34c EStG, sofern die dortigen Voraussetzungen erfüllt sind; der ATE 2022 ist nicht anwendbar.

     

    Wird im Ausland keine Steuer erhoben, dann ist die Auslandstätigkeit auch nicht begünstigt. Welche Auswirkungen dies auf die Bereitschaft zum Auslandseinsatz haben wird, lässt sich zurzeit noch nicht abschätzen.

    8. Verfahrensvorschriften (Rn. 16 bis 19)

    Die gesamten Verfahrensvorschriften wurden an die aktuelle Gesetzeslage angepasst und redaktionell überarbeitet. Neu ist insbesondere die Verpflichtung für den Arbeitgeber, dass er im Antrag auf den Verzicht auf die Besteuerung im Steuerabzugsverfahren glaubhaft machen muss, dass die Einkünfte im ausländischen Tätigkeitsstaat voraussichtlich einer der deutschen Steuer entsprechenden Steuer unterliegen; die Höhe der Besteuerung ist allerdings erst im Veranlagungsverfahren nachzuweisen. Der Begriff der „Glaubhaftmachung“ wird an verschiedenen Stellen in der AO und der FGO verwendet, ohne dass er definiert wird. Allgemein versteht man darunter, dass die betreffende Tatsache nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, sondern lediglich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dargelegt werden muss.

     

    Klargestellt wurde auch, dass der Antrag auf Anwendung des ATE spätestens bis zum Eintritt der Bestandskraft des Steuerbescheides zu stellen ist.

    9. Anwendungsregelung (Rn. 20)

    Der neue ATE ist ab dem VZ 2023 anzuwenden, d. h. für laufenden Arbeitslohn, der für einen nach dem 31.12.22 endenden Lohnzahlungszeitraum bezahlt wird, sowie für sonstige Bezüge, die nach dem 31.12.22 zufließen. Hier ergibt sich für den Arbeitgeber zum einen die Pflicht und zum anderen die Möglichkeit, die Abgrenzung des Lohnbezugs zugunsten des Arbeitnehmers einzuhalten.

     

    FAZIT | Der neue ATE ist primär gekennzeichnet durch die neu ab dem VZ 2023 eingeführte Pflicht, eine (Mindest-)Besteuerung in Höhe von 10 % im Tätigkeitsstaat nachzuweisen, um in den Genuss der Vergünstigungen des ATE zu gelangen. Ansonsten erfolgt im Wesentlichen neben einer rein redaktionellen Textänderung eine Anpassung der Regelungen an die aktuelle Gesetzeslage unter Einbeziehung der bisherigen Rechtsprechung und Praxis zum ATE 1983.

     
    Quelle: Ausgabe 10 / 2022 | Seite 285 | ID 48484668

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