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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    EuGH stellt klar: Keine Umsatzsteuer auf Vergütungen nicht selbstständiger Aufsichtsräte

    von Georg Nieskoven, Troisdorf

    | Bislang ist es gängige Praxis, dass die Finanzämter die Tätigkeit von Aufsichtsräten als „selbstständig“ ansehen und deren Vergütungen somit der USt unterwerfen. Dies könnte sich jedoch künftig ändern. Der EuGH hat nämlich jüngst in einem niederländischen Verfahren ein Aufsichtsratsmitglied einer dort ansässigen Stiftung als „nicht selbstständig tätig“ eingestuft. Damit unterlag dessen Vergütung auch nicht der USt (EuGH 13.06.19, C-420/18). |

    1. Das Verfahren

    In diesem niederländischen Verfahren ging es um die Unternehmereigenschaft von Aufsichtsräten. Kläger K war Mitglied des Aufsichtsrats einer Stiftung, die sich um die Bereitstellung von Wohnraum für hilfsbedürftige Personen bemühte. Die Aufsichtsratsmitglieder ‒ die nicht zugleich Beschäftigte der Stiftung sein durften ‒ wurden für vier Jahre ernannt und konnten nur wegen schwerwiegender Gründe suspendiert werden. Die Tätigkeit umfasste u. a. die Überwachung der Geschäftsführung, die Ernennung oder Entlassung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder und die Bestimmung ihrer Vergütung. Die Stiftung wurde nach außen vom Vorstand vertreten; nur bei Interessenkonflikten hatte die Vertretung gemeinsam durch den Vorstandsvorsitzenden und ein/mehrere Aufsichtsratsmitglied(er) zu erfolgen. Der Aufsichtsrat legte Rechenschaft durch Publizierung eines Jahresberichts ab.

     

    K erhielt als Aufsichtsrat eine Festvergütung von 14.912 EUR/Jahr, von der Lohnsteuer einbehalten wurde. Die gesetzlich festgelegte Vergütung hing weder von der Teilnahmehäufigkeit an Sitzungen noch von den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden ab. K war zugleich als Kommunalbeamter tätig. Per Erlass änderte die niederländische Finanzverwaltung im Jahr 2013 ihre Sichtweise zur Umsatzbesteuerung von Aufsichtsratsvergütungen. Sie ging fortan von einer „selbstständig“ ausgeübten Tätigkeit aus. Die spätere Klage gegen die entsprechende USt-Festsetzung legte das Gericht dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Die klare Botschaft des EuGH: Es sprechen gewichtige Gesichtspunkte gegen die Selbstständigkeit des K als Aufsichtsrat.

    2. Entscheidungsgründe

    Das Vorlagegericht hatte betont, die Streitparteien seien sich einig, dass K „am Wirtschaftsverkehr teilnehme und daher eine wirtschaftliche Tätigkeit“ ausübe. Für eine Selbstständigkeit spreche zudem, dass zwischen der Stiftung und den Aufsichtsräten ein „Dienstleistungsvertrag“ abgeschlossen worden sei und ein gleichzeitiger Arbeitsvertrag mit der Stiftung die Aufsichtsratstätigkeit ausschließe. Zudem übernehme die Stiftung keine arbeitgebertypischen Verantwortlichkeiten gegenüber den Aufsichtsräten und diese seien nicht nur gegenüber dem Vorstand, sondern auch gegenüber den anderen Aufsichtsratsmitgliedern und dem „Gremium Aufsichtsrat“ unabhängig.

     

    Auch der EuGH betonte im ersten Schritt zwar, K führe eine nachhaltige (Verweis auf vierjährige Amtszeit) und wirtschaftliche Tätigkeit gegen Entgelt aus, wofür die „nicht leistungsbezogene“ Pauschalvergütung unbeachtlich bleibe, zumal diese auf niederländischen Rechtsvorgaben basiere. Zudem sei die Beschäftigung nicht in ein „Arbeitsverhältnis“ gekleidet, denn die Kernfunktion eines Aufsichtsrats (Überwachung der Geschäftsführung) sei nicht mit einem weisungsabhängigen Arbeitsverhältnis vereinbar.

     

    Gleichwohl verneint der EuGH letztlich die Unternehmereigenschaft des T aufgrund fehlender „Selbstständigkeit“: Dafür sei nicht die vorliegende lohnsteuerliche Einstufung relevant. Es komme vielmehr darauf an, ob der Aufsichtsrat seine Tätigkeit „im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung i. S. eines wirtschaftlichen Risikos entfalte. Dies sah der EuGH vorliegend als nicht gegeben an, da K nicht „individuell“, sondern nur als „Mitglied des Aufsichtsrats“ agierte. Er trat weder im eigenen Namen noch in eigener Verantwortung auf, sondern für Rechnung u. Verantwortung dieses Kontrollgremiums. Demnach trage K weder individuell Verantwortung, noch ein persönliches Haftungsrisiko für Schäden Dritter noch ein sonstiges „wirtschaftliches Risiko“. Ihm fehle mithin ‒ im Gegensatz zur typischen unternehmerischen Tätigkeit ‒ eine nennenswerte Einflussmöglichkeit auf seine aufsichtsratsbezogenen Tätigkeitseinnahmen wie -ausgaben.

    3. Relevanz für die Praxis

    Seit der BFH-Entscheidung vom 27.7.72 (V R 136/71) geht die deutsche Rechtsprechung davon aus, dass die Aufsichtsratstätigkeit bei einer AG selbst dann als unternehmerische Tätigkeit der USt unterliegt, wenn der Aufsichtsrat zugleich als Angestellter bei der AG beschäftigt und „als Arbeitnehmervertreter nach dem Betriebsverfassungsgesetz“ in den Aufsichtsrat der AG gewählt worden ist. Mit Urteil vom 20.8.09 (V R 32/08) hatte der BFH diese Urteilsgrundsätze nochmals bekräftigt. Die langjährigen BMF-Weisungen kommen zum selben Ergebnis (Abschn. 2.2. Abs. 2 S. 7 UStAE).

     

    MERKE | Lediglich für einige Sonderkonstellationen hat die Finanzverwaltung Abweichendes verfügt, z. B. soweit ein Beamter oder sonstiger Bediensteter einer Gebietskörperschaft die Aufsichtsratstätigkeit „auf Verlangen, Vorschlag oder Veranlassung des Dienstherrn“ übernommen habe und nach den entsprechenden Vorschriften verpflichtet sei, die Vergütung ganz oder teilweise an den Dienstherrn abzuführen (vgl. OFD Frankfurt 04.04.14, S7100A ‒ 287 ‒ St110).

     

     

    Die bisherige deutsche Sichtweise zur „selbstständig ausgeübten Aufsichtsratstätigkeit“ findet klare Untermauerung auch in § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG (Leistungsortbestimmung), der in seiner Aufzählung der „beratend tätigen Katalogberufe“ neben Anwälten, Steuerberatern und Ingenieuren explizit auch „Aufsichtsratsmitglieder“ auflistet. Dagegen führt die entsprechende EG-rechtliche Grundlage dieser Vorschrift ‒ Art. 59 Buchst. c MwStSystRL ‒ zwar gleichfalls Anwälte, Berater und Ingenieure auf, aber eben nicht Aufsichtsräte. Eine eindeutige Diskrepanz lässt sich aus diesem Unterschied jedoch nicht herleiten, da beide Auflistungen in MwStSystRL wie UStG ausdrücklich nicht abschließend sind („… und sonstige ähnliche Dienstleistungen …“).

     

    Ob sich eine generelle Kehrtwende bei der deutschen Umsatzbesteuerung von Aufsichtsräten aus der jüngsten EuGH-Entscheidung ableiten lässt, ist demnach keinesfalls eindeutig:

     

    • Einerseits sind zwar die Befugnisse hiesiger Aufsichtsräte mit denen des Urteilsfalls in ähnlicher Weise begrenzt, was für eine Neubewertung durch die EuGH-Entscheidung spricht.

     

    • Andererseits sieht der EuGH den „konkreten Umfang der individuellen Befugnisse und Risiken des einzelnen Aufsichtsrats“ als entscheidend an, was eine Einzelfallprüfung nahelegt.

     

    MERKE | So war für den EuGH im Stiftungsfall entscheidungstragend, dass bei K als Aufsichtsrat das individuelle Risiko auf seine denkbare Entlassung wegen Fehlverhaltens beschränkt blieb, aber ihm kein weiteres wirtschaftliches (insbesondere kein Haftungs-)Risiko drohte.

     

    Fraglich ist demnach z. B, ob trotz eingeschränkter individueller Befugnisse des einzelnen Aufsichtsrats der Fall bereits dann anders zu beurteilen sein soll, wenn die Entlohnung statt einer Fixvergütung erfolgsabhängige Komponenten enthält (z. B. teilnahmeabhängige Sitzungsgelder) oder umgekehrt dem einzelnen Aufsichtsrat ein individuelles Haftungs-/Regressrisiko droht. Letztere sind zumindest nach dem deutschen Aktiengesetz (vgl. §§ 116 bzw. 117 Abs. 2 AktG) vorgesehen und auch der BGH hat sich in jüngerer Zeit mit entsprechenden Folgen einer Pflichtversäumnis eines Aufsichtsrats beschäftigt (vgl. BGH 21.04.97, II ZR 175/95; BGH 18.09.18, II ZR 152/17). Dies wirft zudem die Folgefrage auf, ob ein Haftungsrisiko dann wieder unbeachtlich bleiben könnte, wenn die wirtschaftlichen Folgen für den Aufsichtsrat durch eine von der Gesellschaft finanzierte D&O-Versicherung abgedeckt sind.

     

    Beachten Sie | Die genannte aktienrechtliche Haftung kann dagegen für Aufsichtsräte einer GmbH gesellschaftsvertraglich abbedungen werden.

     

    PRAXISTIPP | Bedeutsam sind die vorstehenden Fragen nicht nur hinsichtlich der USt auf die Aufsichtsratsvergütung selbst. Spiegelbildlich gilt das auch für eine durch fehlerhaften Steuerausweis i. S. v. § 14c UStG ausgelöste Vorsteuersperre bei der vom Aufsichtsrat überwachten Gesellschaft und nicht zuletzt für den Vorsteuerabzug beim Aufsichtsrat selbst aus seinen tätigkeitsbezogenen Ausgaben. Denkbar, dass sich aus der EuGH-Entscheidung künftiges Gestaltungspotenzial für oder gegen die erwünschte/unerwünschte unternehmerische Selbstständigkeit des Aufsichtsrats herleiten lässt (z. B. in sehr eingeschränkt vorsteuerabzugsberechtigten Branchen wie Banken, Versicherungen, gemeinnützige Gesellschaften).

     

    Mit einem Aufgriff der Thematik durch den BFH ist nun aber konkret zu rechnen. So wurde das mit Blick auf das EuGH-Verfahren bislang ruhende Revisionsverfahren V R 62/17 jüngst vom BFH unter dem neuen Az. V R 23/19 wieder aufgenommen. Eine ggf. ausgelöste Rechtsprechungsänderung bliebe jedoch für alle Bestandsfälle durch § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO vertrauensgeschützt.

     
    Quelle: Ausgabe 10 / 2019 | Seite 358 | ID 46011835

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