08.01.2010
Finanzgericht Sachsen: Beschluss vom 14.05.2002 – 3 V 109/02
1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob Haftungsbescheide öffentlich zugestellt werden dürfen, wenn der Haftungsschuldner bei Erlass der Bescheide inhaftiert ist.
2. Die öffentliche Zustellung eines Verwaltungsaktes kann nur als „ultima Ratio” der Bekanntgabemöglichkeit in Betracht kommen. Die Behörde ist gehalten, vorher zumindest den Akteninhalt auszuwerten sowie eine zeitnahe Auskunft über den Aufenthalt des Zustellempfängers bei dem zuständigen Einwohnermeldeamt oder der Polizei einzuholen.
3. Etwaige Zweifel an der Bestandskraft von Haftungsbescheiden gehen zu Lasten des Finanzamts.
BESCHLUSS
In dem Finanzrechtsstreit
wegen Aussetzung der Vollziehung von Haftungsbescheiden
hat der 3. Senat am 14. Mai 2002 beschlossen:
1. Die Vollziehung der Haftungsbescheide vom 11.12.2000 über Lohnsteuerverbindlichkeiten in Höhe von 5.956,59 DM sowie über Körperschaftsteuerverbindlichkeiten und Solidaritätszuschlag in Höhe von 88.558 DM wird bis einen Monat nach Ergehen der Einspruchsentscheidung in dem bei dem Finanzamt anhängigen Einspruchsverfahren von der Vollziehung ausgesetzt.
2. Die Vollziehung der Pfändungsverfügung gegen die Justizvollzugsanstalt vom 20.02.2001, Aktenzeichen, wird bis eine Woche nach Ergehen der Einspruchsentscheidung in dem bei dem Finanzamt anhängigen Einspruchsverfahren über die Haftungsbescheide vom 11.12.2000 aufgehoben.
3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens um die Rechtmäßigkeit zweier gegen den Antragsteller ergangener Haftungsbescheide sowie um die Rechtmäßigkeit einer erlassenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung.
Der Antragsteller befindet sich seit Juni 2000 in Untersuchungshaft. Er wurde von dem Beklagten (dem Finanzamt -FA-) als ehemaliger Geschäftsführer der Firma S. GmbH durch zwei Haftungsbescheide vom 11.12.2000 für Lohnsteuer- und Körperschaftsteuerverbindlichkeiten dieser Firma in Höhe von 5.956,59 DM und 88.558 DM in Haftung genommen. Mit Verfügung vom 18.12.2000 ordnete das FA die öffentliche Zustellung dieser beiden Haftungsbescheide an. In einem Aktenvermerk vom 20.02.2001 stellte ein Mitarbeiter des FA fest, nach „Akteneinsicht in die Vollstreckungsakte M., St.Nr. „stellte sich heraus, dass der Vollstreckungsschuldner zur Zeit in der JVA inhaftiert ist” (Bl. 14 der Vollstreckungsakte).
Am 20.02.2001 erließ das FA unter dem Aktenzeichen Pf 26/01/1-118/03327-H eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung über 91.167,59 DM gegen die Justizvollzugsanstalt (JVA), in der der ASt zu diesem Zeitpunkt einsaß. Mit dieser Verfügung sollten insbesondere die Forderungen des ASt aus dem der Pfändung unterliegenden Gefangenengeld gepfändet werden (Bl. 15 der Vollstreckungsakte). Am 27.02.2001 gab die JVA die Drittschuldnererklärung ab; die Forderung des FA wurde nicht bestritten, der ASt verfüge jedoch nicht über ein pfändbares Einkommen, da er derzeit nicht zur Arbeit eingesetzt sei. Auch lägen bereits drei vorrangige Forderungen vor (Bl. 17 der Vollstreckungsakte).
Gegen diese Pfändungsverfügung wandte sich der ASt mit Schreiben vom 11.03.2001. Zwar sei er für wenige Tage Geschäftsführer und Gesellschafter der S. GmbH geworden, der entsprechende Vertrag sei jedoch wenige Tage nach Unterzeichnung von ihm wieder gekündigt worden, da das Unternehmen Steuerschulden bei dem Finanzamt gehabt habe. In dem Firmen-Übernahmevertrag sei ihm jedoch zugesichert worden, dass die Firma keine solchen Schulden habe. Zur Eintragung seiner Person als Geschäftsführer in das Handelsregister sei es nur gekommen, da er sich seit Juni 2000 in Haft befinde und sich nicht dagegen habe wehren können.
Der ASt erhob gegen die Pfändungsverfügung Klage zum Sächsischen Finanzgericht, die dort unter dem Aktenzeichen 3 K 2189/01 geführt wird. Er habe mit der Firma S. GmbH nichts zu tun und könne deshalb für deren Schulden nicht in Haftung genommen werden. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das FA Pfändungsmaßnahmen ergreife, ohne vorher über den gegen die Haftungsbescheide eingelegten Einspruch zu entscheiden. Die durch das FA bewirkte öffentliche Zustellung der Haftungsbescheide hätte im übrigen nicht erfolgen dürfen, da er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Haft befunden habe und deshalb keine Kenntnis von diesen Bescheiden erlangt habe.
Mit Zustellung der Antragsschrift forderte das Gericht das FA zur Übersendung der Akten auf. Das FA legte darauf hin die Vollstreckungs- und die Rechtsbehelfsakten vor. Mit Verfügung vom 08.01.2002 forderte das Gericht das FA darüber hinaus auf, die Haftungsakte zu übersenden, aus der sich die von dem FA dargetane Bestandskraft des Haftungsbescheides vom 11.12.2000 ergebe (Bl. 16 der FG-Akte). Das FA übersandte darauf hin die Anordnung der öffentlichen Zustellung durch das FA vom 18.12.2000 (Bl. 22, 23 der FG-Akte 3 K 2189/01), die Haftungsbescheide vom 11.12.2000 (Bl. 24-32 der FG-Akte 3 K 2189/01), den Einspruch des anwaltlichen Vertreters des ASt vom 03.04.2001 (Bl. 40-42 der FG-Akte 3 K 2189/01), eine Stellungnahme des FA vom 24.04.2001 (Bl. 37-37 der FG-Akte 3 K 2189/01) sowie einen weiteren Schriftsatz des anwaltlichen Vertreters des ASt vom 21.05.2001 (Bl. 33-36 der FG-Akte 3 K 2189/01).
Aus den übersandten Unterlagen ergibt sich Folgendes: Der anwaltliche Vertreter des ASt beantragte mit dem Einspruchsschreiben vom 03.04.2001 zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Eine Aussetzung der Vollziehung hat er jedoch nicht beantragt. Er bemängelte die Unzulässigkeit der öffentlichen Zustellung; unter anderem bemängelte er, dass der Aufenthalt des ASt nicht unbekannt gewesen sei. Das FA hielt in seinem Antwortschreiben vom 24.04.2001 an der Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung fest. Am 13.06.2000 sei dem ASt an seine Adresse in ein Anhörungsschreiben zur Haftungsprüfung gesandt worden, das mit dem Vermerk „Empfänger verzogen, Nachsendeauftrag liegt nicht vor” zurückgesandt worden sei. Nach Auskunft des Finanzamtes sei der ASt an die Adresse verzogen; doch auch von dort sei das Anhörungsschreiben mit dem Vermerk „unbekannt verzogen” zurückgesandt worden. Darauf hin habe das FA das Einwohnermeldeamt angeschrieben und von dort die Auskunft erhalten, der ASt sei in wohnhaft. Von dort war das versandte Anhörungsschreiben jedoch auch mit dem Vermerk „unbekannt verzogen” an das FA zurückgesandt worden. Nach Auskunft des Finanzamtes vom 07.12.2000 sei die Anschrift des ASt unbekannt. Weder dem FA noch den im Zuge der Ermittlungen befragten Behörden sei zum damaligen Zeitpunkt bekannt gewesen, dass der ASt sich in Untersuchungshaft befunden habe. Der anwaltliche Vertreter des ASt bestand in seinem Schreiben vom 21.05.2001 auf seinem Standpunkt, die öffentliche Zustellung sei unwirksam. Es seien bereits nicht die erforderlichen gründlichen, umfassenden und sachdienlichen Bemühungen des FA zur Ermittlung der Anschrift des ASt erkennbar. Es sei auch nicht bekannt, zu welchen Zeitpunkten das Einwohnermeldeamt befragt worden sei und wann dessen Antwort erfolgt sei. Auch sei dem Gewerbeamt die damalige Adresse des ASt bekannt gewesen. Der anwaltliche Vertreter begründete auch den gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand weiter.
Mit Schreiben an das Gericht vom 13.01.2002 beantragte der ASt „die vorübergehende Aussetzung der Pfändung, zumindest so lange, bis über die Einsprüche gegen die Haftungsbescheide entschieden würde”. Das Gericht eröffnete sodann die vorliegende Verfahrensakte zu dem Aktenzeichen 3 V 109/02 und forderte das FA zur Stellungnahme auf.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die Haftungsbescheide vom 11.12.2000 von der Vollziehung auszusetzen und die Vollziehung der Forderungspfändung gegen die Justizvollzugsanstalt vom 20.02.2001 aufzuheben.
Das Finanzamt beantragt die Zurückweisung des Antrags.
Das Begehren des ASt könne sowohl als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Pfändung als auch als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Haftungsbescheide verstanden werden. In beiden Fällen sei der Antrag jedoch unbegründet. Gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung könne der ASt nach § 256 der Abgabenordnung nicht mit Einwendungen gegen die zu vollstreckenden Haftungsbescheide gehört werden. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Haftungsbescheide bestünden deshalb nicht, da der dagegen eingelegte Einspruch außerhalb der Einspruchsfrist eingelegt sei und die Bescheide damit bereits bestandskräftig seien.
Ergänzend wird auf alle Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen, sowie auf alle Protokolle und sonstigen Aktenbestandteile sowie auf die beigezogenen Steuerakten Bezug genommen.
Gründe
II.
Der Antrag ist als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der beiden Haftungsbescheide vom 11.12.2000 und auf Aufhebung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 20.02.2001 auszulegen. Der Antrag ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg, da ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Haftungsbescheide bestehen und – als Folge der dadurch angeordneten Aussetzung der Vollziehung – die verfügte Vollstreckungsmaßnahme aufzuheben ist.
1.
Der Antrag des ASt in seinem Schriftsatz vom 13.01.2002, die Pfändung vorübergehend auszusetzen, ist nach entsprechender Anwendung von § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen. Der ASt hat in seinem Schreiben hinreichend klar zum Ausdruck gebracht, dass er sich gegen Vollstreckungsmaßnahmen des FA wende, so lange das Amt über den Einspruch gegen die Haftungsbescheide vom 11.12.2000 nicht entschieden habe. Dieses erkennbare Begehren kann nur durch eine Aussetzung der Vollziehung der Haftungsbescheide sowie eine Aufhebung der Vollziehung der bereits ergangenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 20.02.2001 erreicht werden.
2.
Der Antrag ist zulässig. Insbesondere sind die Zugangsvoraussetzungen für einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) bei dem Finanzgericht ohne vorherigen erfolglosen Antrag bei dem FA hier gegeben. Nach § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist dies dann möglich, wenn die Vollstreckung des angefochtenen Bescheides droht. Dies ist gegeben, da das FA mit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 20.02.2001 das Gefangenengeld des ASt pfänden und einziehen lassen wollte.
3.
a) Gemäß § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung der angefochtenen Verwaltungsakte ganz oder zum Teil aussetzen, wenn die in § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO genannten Voraussetzungen vorliegen. Ernstliche Zweifel, die nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Beschluss vom 10.02.1967, BStBl III 1967, 182). Im gerichtlichen Aussetzungsverfahren ist der Vortrag der Beteiligten glaubhaft zu machen, da der Streitsachverhalt im Rahmen des summarischen Verfahrens ohne Beweiserhebung zu würdigen ist (vgl. BFH, Beschluss vom 03.07.1968, BStBl II 1968, 589). Verbleibende Zweifel in tatsächlicher Hinsicht können zu Lasten des Finanzamts oder zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen, je nachdem, wer die objektive Feststellungslast trägt, wenn sich eine entscheidungserhebliche Tatsache nicht aufklären lässt. Das ist im Rahmen einer Wahrscheinlichkeitsprüfung bereits im Aussetzungsverfahren zu beachten (BFH, Beschluss des großen Senats vom 05.03.1979, BStBl II 1979, 570). Aus dem Charakter des Aussetzungsverfahrens als einem summarischen Verfahren ergibt sich auch eine Einschränkung der Pflicht des Gerichtes zur Aufklärung des Sachverhaltes. Der Prozessstoff ist auf die präsenten Beweismittel beschränkt (BFH vom 05.03.1979, a.a.O.). Weitergehende Sachverhaltsermittlungen durch das Gericht sind in diesem Verfahren nicht erforderlich (vgl. BFH, Urteil vom 22.03.1988, BFH NV 1990, 133).
b) Im Rahmen des summarischen Verfahrens der gerichtlichen Aussetzung bestehen ernstliche Zweifel, ob die Haftungsbescheide vom 11.12.2000 bereits bestandskräftig und damit einer Prüfung in der Sache entzogen sind.
aa) Nach den vorgetragenen Tatsachen und den durch das FA vorgelegten Akten (es wurden dem Gericht die Vollstreckungs- und Rechtsbehelfsakte, nicht jedoch die eigens angeforderte Haftungsakte übersandt), bestehen Zweifel in tatsächlicher Hinsicht daran, ob die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung der streitgegenständlichen Haftungsbescheide vorlagen. Diese Zweifel konnten zumindest im summarischen Verfahren des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens nicht ausgeräumt werden.
Nach § 122 Abs. 3 Satz 1 AO, § 15 Abs. 1 a des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) kann ein Verwaltungsakt durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt werden, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist. Der Aufenthaltsort eines Empfängers ist nicht bereits dann unbekannt, wenn die Behörde seine Anschrift nicht kennt, die Anschrift muss vielmehr allgemein unbekannt sein. Deshalb muss die Behörde vor der öffentlichen Zustellung Ermittlungen nach der Anschrift des Zustellungsempfängers anstellen. Welcher Art diese Ermittlungen sein müssen, richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles (BFH, Urteil vom 15.01.1991, VII R 86/89, BFH/NV 1992, 81). Da bei einer öffentlichen Zustellung von Verwaltungsakten, die eine Rechtsbehelfsfrist in Gang setzen, die erhöhte Gefahr der sachlichen Nichtüberprüfbarkeit des Verwaltungsakts wegen Eintritts der Bestandskraft besteht, sind an das Vorliegen der Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) strenge Maßstäbe anzusetzen (vgl. hierzu auch BFH, Urteil vom 06.06.2000, VII R 55/99, BStBl II 2000, 560; BVerwG, Urteil vom 18.04.1997, 8 C 43/95, NVwZ 1999, 178, DVBl 1998, 243).
Da demnach die öffentliche Zustellung eines Verwaltungsaktes nur als „ultima ratio” der Möglichkeit der Bekanntgabe in Betracht kommen kann, ist die Behörde gehalten, vorher allen erfolgversprechenden Hinweisen zur Ermittlung des tatsächlichen Aufenthalts des Zustellempfängers nachzugehen, soweit dieser Ermittlungsaufwand im Einzelfall zumutbar ist.
Dies gilt im vorliegenden Fall im besonderen Maße wegen der erheblichen wirtschaftlichen Auswirkung der Haftungsbescheide, die eine über 90.000 DM hinausgehende Zahlungsverpflichtung des ASt begründen und damit einen erheblichen Eingriff darstellen. Es sind deshalb alle Anhaltspunkte aus den Akten der Behörde auszuwerten sowie zumindest eine zeitnahe Auskunft über den Aufenthalt des Empfängers bei dem zuständigen Einwohnermeldeamt oder der Polizei einzuholen.
Das Gericht kann jedoch im vorliegenden Verfahren nicht feststellen, ob diese Anforderungen erfüllt sind. Etwaige Zweifel an der Bestandskraft der Haftungsbescheide müssen zu Lasten des FA gehen. So wurde trotz Anforderung durch das Gericht neben der allgemeinen Aufforderung zur Aktenvorlage die Haftungsakte angefordert, obwohl eine solche Amtsermittlung im Rahmen des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens nicht erforderlich gewesen wäre. Diese Akte war jedoch nicht vorgelegt worden, sondern nur Auszüge daraus. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, wann welche Adressen des ASt aktenkundig waren. Zum anderen hat das FA nicht mitgeteilt, wann das Einwohnermeldeamt die Adresse des ASt angegeben hat. Dies ist unter dem Gesichtspunkt bedenklich, als eine solche Auskunft zeitnah zur Anordnung der öffentlichen Zustellung eingeholt werden muss, um etwaige späteren Meldungen zu berücksichtigen. Das FA hat lediglich vorgetragen, ab Juni 2000 habe man dem ASt keine Anhörungsschreiben zusenden können und am 07.12.2000 habe das Finanzamt mitgeteilt, der Aufenthalt des ASt sei unbekannt. Wann die Auskunft des Einwohnermeldeamtes vorlag ist nicht erkennbar. Ebensowenig kann das Gericht feststellen, auf welcher Tatsachengrundlage das Finanzamt seine Feststellung vom 07.12.2000 getroffen hatte.
Wegen der Besonderheit der Inhaftierung des ASt ab Juni 2000 kommt folgender Umstand hinzu:
§ 10 Abs. 3 des Sächsischen Meldegesetzes (SächsMG) legt demjenigen, der aus einer Wohnung auszieht, eine Meldepflicht auf. § 16 Abs. 1 Nr. 3 SächsMG sieht eine Ausnahme von der Meldepflicht für den Fall vor, wenn eine Person aufgrund einer richterlichen Entscheidung in eine Justizvollzugsanstalt aufgenommen wird, jedoch in der Bundesrepublik Deutschland noch für eine andere Wohnung gemeldet ist. Wenn dies nicht der Fall ist, obliegt nach § 16 Abs. 3 SächsMG dem Leiter der JVA die Pflicht zur Übermittlung des Meldescheins an die Meldebehörde. Obwohl also die Meldepflicht des Betroffenen bestehen bleibt, ist der Leiter der JVA gehalten, die Meldung abzugeben, soweit ihm die hierfür erforderlichen Daten bekannt sind. Aus diesem Grund erscheint es vorliegend wichtig, festzustellen, von welchem Zeitpunkt die Auskunft des Einwohnermeldeamtes stammt, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Leiter der JVA, in der der ASt seit Juni 2000 einsaß, eine Meldung an das Einwohnermeldeamt gegeben hat und das Meldeamt deshalb im Zeitpunkt der Anordnung der öffentlichen Zustellung von dem Aufenthalt des ASt in der JVA informiert war.
Auch ist nicht erkennbar, auf welcher Tatsachengrundlage der Mitarbeiter des FA seinen Vermerk vom 20.02.2001 gefertigt hat, aus der Vollstreckungsakte ergebe sich, dass der ASt sich in Haft befinde. Aus den dem Gericht vorgelegten Vollstreckungsakten ist jedenfalls nicht erkennbar, worauf sich dieser Hinweis gründete.
Das FA wird dies bei seiner anstehenden Entscheidung über den Einspruch gegen die Haftungbescheide zu prüfen haben, der Senat kann jedenfalls anhand des ihm vorgelegten Aktenmaterials nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Aufenthalt des ASt im Zeitpunkt der Anordnung der öffentlichen Zustellung allgemein unbekannt im Sinne von § 15 Abs. 1 a VwZG war.
bb) Da nach den obigen Ausführungen derzeit anhand des vorliegenden Tatsachenstoffes ernstliche Zweifel daran bestehen, dass der Einspruch gegen die Haftungsbescheide als unzulässig verworfen werden kann, mithin nicht von einer Bestandskraft der angefochtenen Haftungsbescheide ausgegangen werden kann, sind die angefochtenen Haftungsbescheide einer Prüfung der materiellen Rechtslage zu unterwerfen. Insoweit sind jedoch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bereits deshalb zu bejahen, da das FA die Haftungsakte nicht vorgelegt hat und damit die gebotene Sachprüfung nicht vorgenommen werden konnte. Alleine aufgrund der übersandten Bescheide sind die Feststellungen zu Grund und Höhe der Steuerschulden, für die der ASt in Haftung genommen werden soll, nicht hinreichend erkennbar. Ebenso ist das Auswahlermessen für die verschiedenen Haftungszeiträume des ASt und der anderen in Haftung genommenen Personen nicht feststellbar. Weiterhin sind keine Feststellungen zur Einlassung des ASt gemacht worden, er habe sein Geschäftsführeramt bereits kurze Zeit nach seiner Ernennung wieder gekündigt. Es muss der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, festzustellen, ob diese Kündigung wirksam war und wann sie erfolgt ist, erst dann ist feststellbar, ob eine Inhaftungnahme des ASt für Steuerschulden der GmbH, die bereits zu Beginn der Organstellung des ASt bestanden hatten, in Betracht kommt.
c) Weiterhin ist die Vollziehung der ergangenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 20.02.2001 nach § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO aufzuheben. Denn nach § 251 Abs. 1 AO ist Voraussetzung der Vollstreckung, dass der zu vollstreckende Verwaltungsakt nicht von der Vollziehung ausgesetzt ist. Dies ist mit Erlass dieses Beschlusses nach den Ausführungen oben unter b) jedoch der Fall.
4.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.