08.01.2010
Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 05.04.2000 – 1 K 2524/98
Bei der Berechnung des Ausbildungsfreibetrages sind Ausbildungsbeihilfen aus dem „Erasmus/Sokrates-Programm der Europäischen Union zur Förderung der Studentenmobilität innerhalb der EU” anrechenbare Bezüge.
Tatbestand
Streitig ist, ob Ausbildungsbeihilfen aus dem „Erasmus/Sokrates-Programm der Europäischen Union zur Förderung der Studentenmobilität innerhalb der EU” bei der Gewährung eines Ausbildungsfreibetrages anzurechnen sind.
Die Kläger sind zusammenveranlagte Eheleute. Für ihre am 27. 1. 1973 geborene Tochter T. beantragten sie in ihrer Einkommensteuererklärung 1995 einen Ausbildungsfreibetrag bei auswärtiger Unterbringung in K. (1. 1. - 30. 8. 1995) und in Irland (S. - 1. 9. - 31. 12. 1995). Die Einnahmen der Tochter wurden angegeben mit Einkünften lt. vorgelegter Lohnsteuerkarte, welche von den Klägern mit 5.507 DM angegeben wurden und 2.000,00 DM Auslandszuschlag Erasmus-Programm.
Die Fachhochschule K. bestätigte mit Schreiben vom 15. 9. 1995 die Teilnahme von Frau T. an einem Austauschprogramm mit der irischen Partnerhochschule S. im Rahmen des ERASMUS/SOKRATES-Programms der EU.
Im Einkommensteuerbescheid 1995 vom 9. April 1997 gewährte das Finanzamt den Klägern einen Ausbildungsfreibetrag für ihre Tochter in Höhe von 1.969,00 DM.
Der wegen des Ausbildungsfreibetrages eingelegte Einspruch war teilweise erfolgreich. Der Ausbildungsfreibetrag wurde in der Einspruchsentscheidung vom 14. 7. 1998 in Höhe von 2.713 DM berücksichtigt und wie folgt berechnet:
Ausbildungsfreibetrag maximal | 4.200 DM | ||
Bruttolohn lt. LSt-Karte | 5.847,-- DM | ||
abzgl. AN-Freibetrag | ./. 2.000,-- DM | ||
abzgl. Freibetrag § 33a | ./. 3.600,-- DM | ||
Zwischensumme | 247,-- DM | ./. 247,-- DM | |
Verminderter Ausbildungsfreibetrag | 3.953,-- DM | ||
davon 01-08/95 (8/12) | 2.635 DM | 2.635 DM | |
davon 09-12/95 (4/12) | 1.318 DM | ||
abzgl. Stipendium (Erasmus) | 1.600 DM | ||
abzgl. Unkosten pauschal | ./. 360 DM | ||
1.240 DM | ./. 1.240 DM | ||
78 DM | 78 DM | ||
Summe Ausbildungsfreibetrag | 2.713 DM |
Im Einspruchsverfahren wurde der Zuwendungsbescheid der FH K. über die Auslandsbeihilfe vorgelegt. Die Auslandsstudienbeihilfe nach dem ERASMUS /SOKRATES-Programm der EU dient danach als Zuschuß zu den auslandsbedingten Mehraufwendungen. Bei der Zuschussgewährung wurde davon ausgegangen, dass die Tochter keine Bafög-Leistungen in dem Zuwendungszeitraum erhält. Nach dem Zuwendungsbescheid ist der Zuschußempfänger verpflichtet, die Beihilfe ausschließlich zur Deckung von Kosten zu verwenden, die im Rahmen des Auslandsstudienaufenthalts entstehen.
Ferner reichten die Kläger eine Auskunft des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) mit Datum vom 29. 9. 1997 ein, worin auf den Zweck der Beihilfe hingewiesen wurde, den auslandsbedingten Mehrbedarf abzudekken, was sich mit einer Anrechnung im Rahmen des steuerlichen Ausbildungsfreibetrages nicht vertragen würde.
Gegen die Verwaltungsentscheidungen wurde am 10. August 1998 Klage erhoben mit dem Ziel, die Auslandsbeihilfe bei der Berechnung des Ausbildungsfreibetrages unberücksichtigt zu lassen.
Auf eine Anfrage an die FH K. antwortete deren akademisches Auslandsamt mit Schreiben vom 28. 5. 1999, dass die Mittel des ERASMUS/SOKRATES- Programms von den akademischen Auslandsämtern der jeweiligen Hochschulen selbst verwaltet würden. Die EU-Mittel würden über den DAAD an die einzelnen Hochschulen verteilt mit entsprechender Verpflichtung zur Rechenschaftslegung. Die Förderhöhe betrage maximal 400 DM pro Monat, sei aber abhängig von den verfügbaren Mitteln und der Anzahl der teilnehmenden Studenten. Soweit ein Student Anspruch auf Leistungen nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz (BAföG) habe, müßte prinzipiell zunächst Auslands-BAföG beantragt werden. In diesen Fällen würde in Absprache zwischen DAAD und Landesbafögämtern nur noch eine Pauschale von 100 DM pro Monat aus dem Erasmus-Programm gezahlt.
Im Gegensatz zu den anzurechnenden Leistungen aufgrund des Bundesausbildungsförderungsgesetzes handele es sich bei den Zuschüssen nach dem ERASMUS/SOKRATES Programm der EU nicht um Mittel zur Bestreitung des üblichen Unterhalts, sondern um zweckgebundene Bezüge zur Deckung der auslandsbedingten Mehrkosten wie Hin- und Rückreise, Umzugskosten, Studiengebühren. Bei Auslands-BAföG würden diese Kosten getrennt erstattet und seien damit nicht steuerschädlich. In den Genuß von normalen BAföG-Leistungen könnten auch im Ausland Studierende kommen, die im Inland aufgrund des Familieneinkommens nicht BAföG berechtigt seien.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid 1995 vom 9. April 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. 7. 1998 dahin zu ändern, dass ein Ausbildungsfreibetrag in Höhe von 3.953 DM berücksichtigt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA trägt vor, es handele sich um eine Ausbildungsbeihilfe aus öffentlichen Mitteln, die ohne anrechnungsfreien Betrag bei der Ermittlung des Ausbildungsfreibetrages anzurechnen seien.
Die Beteiligten haben einvernehmlich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet, § 90 Abs. 2 FGO.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Ausbildungsbeihilfe aus dem Erasmus-Programm ist als eigene Bezüge der Tochter bei der Bemessung des Ausbildungsfreibetrages anzurechnen.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen für die Berufsausbildung eines Kindes, für das er einen Kinderfreibetrag erhält, so wird auf Antrag vom Gesamtbetrag der Einkünfte je Kalenderjahr ein Ausbildungsfreibetrag für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, i. H. v. 4.200 DM abgezogen, wenn das Kind - wie hier - auswärtig untergebracht ist (§ 33a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG). Der Ausbildungsfreibetrag vermindert sich jeweils um die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes, die zur Bestreitung des Unterhalts oder seiner Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, soweit diese 3.600 DM im Kalenderjahr übersteigen, sowie um die von dem Kind als Ausbildungshilfe aus öffentlichen Mitteln oder von Förderungseinrichtungen, die hierfür öffentliche Mittel erhalten, bezogenen Zuschüsse (§ 33a Abs. 2 S. 3). Für jeden vollen Kalendermonat, in dem die in den Absätzen 1 bis 3 bezeichneten Voraussetzungen nicht vorgelegen haben, ermäßigen sich die dort bezeichneten Beträge um je ein Zwölftel. Eigene Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Personen oder des Kindes, die auf diese Kalendermonate entfallen, vermindern die nach Satz 1 ermäßigten Höchstbeträge und Freibeträge nicht. Als Ausbildungsbeihilfe bezogene Zuschüsse mindern nur die zeitanteiligen Höchstbeträge und Freibeträge der Kalendermonate, für die die Zuschüsse bestimmt sind (§ 33a Abs. 4 EStG).
Bei der der Tochter gewährten Ausbildungsbeihilfe aus dem Erasmus/Sokrates Programm der Europäischen Union zur Förderung der Studentenmobilität innerhalb der EU handelt es sich um eigene Bezüge der Tochter.
Bezüge sind alle Zuflüsse in Geld oder Geldeswert, die nicht im Rahmen der einkommensteuerlichen Einkunftsermittlung erfaßt werden, also nicht steuerbare und im einzelnen für steuerfrei erklärte Einnahmen (Schmidt-Glanegger, Kommentar zum EStG, 17. Auflage, § 33a Rn. 61, 34). Die Mittel aus dem Erasmus-Programm sind für die Tochter steuerfrei. Ausbildungsbeihilfen aus öffentlichen Kassen sind nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei, Stipendien unter den in § 3 Nr. 44 EStG benannten Voraussetzungen. Beide Vorschriften überschneiden sich teilweise, so dass vorliegend eine Abgrenzung nicht entscheidungsrelevant ist, da die Mittel des ERASMUS/SOKRATES Programms der EU von diesen Vorschriften erfaßt werden.
Eigene Einkünfte und Bezüge sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind. Der Begriff Berufsausbildung ist weit zu verstehen, er umfaßt auch den Besuch von Fach- und Hochschulen (vgl. Schmidt-Glanegger, ESt-Kommentar, 1998, § 32 Rn. 38; § 33a Rn. 18). Als Aufwendungen für die Berufsausbildung sind anzusehen Studiengebühren, Lehr- und Lernmittel, Fahrtkosten, Umzugskosten zum Studienort, Lebensunterhalt am Ausbildungsort, Auslandsstudium (vgl. Schmidt-Glanegger, a. a. O., § 33a Rn. 52 m. w. N.).
Die von der Tochter bezogenen Zuschüsse aus dem ERASMUS/SOKRATES Programm sind zu ihrer Berufsausbildung und Unterhalt bestimmt.
Der Zuwendungsbescheid vom 20. 10. 1995 bezeichnet die Zuwendung als Auslandsstudienbeihilfe für die entstehenden auslandsbedingten Mehraufwendungen. Der Zuwendungsempfänger ist verpflichtet, die Beihilfe ausschließlich zur Deckung von Kosten zu verwenden, die im Rahmen des Auslandsstudienaufenthalts entstehen.
Angesichts des Zuwendungsbescheides und der oben benannten typischen Kosten der Berufsausbildung kann kein Zweifel daran bestehen, dass mit dem Zuschuß aus dem ERASMUS/SOKRATES Programm die Kosten der Berufsausbildung und des Unterhalts am Studienort bestritten werden sollten, diese Mittel also dazu bestimmt und geeignet waren. Ein weiterer Zweck läßt sich dem Zuwendungsbescheid nicht entnehmen. Die Zuwendungsbeträge durften danach insbesondere nicht gespart werden oder Investitionen ohne Bezug zum Auslandsaufenthalt getätigt werden.
Die Einwände der Kläger gegen die Anrechnung der Zuschüsse richten sich im wesentlichen dagegen, dass die Zuschüsse nicht zur Bestreitung des üblichen Unterhalts bestimmt oder geeignet seien. Ob die Zuschüsse ganz oder zum Teil zur Bestreitung des üblichen Unterhalts bestimmt oder geeignet sind, kann vorliegend offen bleiben, da die zweite in der für das Streitjahr geltenden Fassung des § 33a Abs. 2 S. 3 EStG benannte Verwendungsform der Bestreitung der Berufsausbildung vorliegt. Auf diese weitere Verwendungsform sind die Kläger ausdrücklich hingewiesen worden.
Zwar werden Bezüge, die für besondere Ausbildungszwecke bestimmt sind, im Rahmen des § 32 Abs. 4 S. 3 EStG (in der ab 1996 geltenden Fassung) nicht berücksichtigt. Hierzu gehören z. B. Büchergeld, Studiengebühren, Reisekosten und Zuschläge zum Wechselkursausgleich, Beiträge zur Auslandskrankenversicherung (vgl. Dienstanweisung zum Familienleistungsausgleich vom 9. 4. 1998 DA 63.4.2.6 Absatz 7 BStBl I 1998, 386, 433).
Eine derartige Regelung ist aber in § 33a Abs. 2 S. 3 EStG (in der für das Streitjahr 1995 geltenden Fassung) nicht enthalten, weshalb Bezüge, die zur Bestreitung der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, die Ausbildungsfreibeträge mindern können.
Die Berücksichtigung der Erasmus-Mittel in Höhe von nur 1.600 DM statt der im Kalenderjahr vereinnahmten 2.000 DM entspricht der gesetzlichen Regelung des § 33a Abs. 4 Satz 3 EStG, wonach es auf den Bestimmungszeitraum ankommt.
Da keine höheren Aufwendungen nachgewiesen oder glaubhaft gemacht wurden, die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Erzielung der Bezüge standen, waren diese aus Vereinfachungsgründen um einen Pauschbetrag von 360 DM zu kürzen. Dies hat der Beklagte berücksichtigt.
Die weitere Berücksichtigung eines Freibetrages in Höhe von 3.600 DM wurde vom Beklagten bereits bei der Ermittlung der anrechenbaren Einkünfte der Tochter berücksichtigt und darf sich dementsprechend nicht noch einmal auswirken. Die Berechnung des Ausbildungsfreibetrages ist danach nicht zu beanstanden.
Zur Auffassung des Beklagten, dass es sich bei der Ausbildungsbeihilfe um eine Ausbildungsbeihilfe aus öffentlichen Mitteln handeln würde - zum Problem der Anrechnung einer ausländischen Ausbildungshilfe auf den Ausbildungsfreibetrag vgl. FG Rheinland-Pfalz, Verfahren 2 K 1441/98, EFG 1999 S. 1284, braucht vom Ergebnis her nicht weiter Stellung genommen zu werden. Sowohl bei der Annahme von eigenen Bezügen als auch bei der Annahme einer Ausbildungsbeihilfe errechnet sich wegen den unstreitigen Einkünften der Tochter der gleiche Ausbildungsfreibetrag.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.