Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Arbeitsrecht

    „Sie verdienen eh schon genug!“ ‒ Chefarzt klagt auf höhere Vergütung für zusätzliche Klinikleitung

    von RA, FA MedR Philip Christmann, Berlin/Heidelberg, christmann-law.de

    | Überträgt eine Klinik einem dort bereits tätigen Chefarzt die Leitung einer weiteren Klinik mit 20 Betten, so ist dies nicht mit seiner bisherigen Vergütung abgegolten (220.000 Euro jährlich). Vielmehr kann der Chefarzt für diese Tätigkeit eine weitere Vergütung verlangen, hier vom Gericht geschätzt auf 2.500 Euro monatlich (Hessisches Landesarbeitsgericht [LAG], Urteil vom 26.01.2018; Az. 10 Sa 1088/17). Des Weiteren sprach das Gericht dem Chefarzt zu, an einer Tariferhöhung teilzunehmen. Das Urteil beleuchtet die Rechtsstellung des Chefarztes, seine Aufgaben und seine Einordnung in die Entgelthierarchie eines Krankenhauses. |

    Der Fall

    Der Kläger war seit 2006 als ärztlicher Direktor (was einem Chefarzt entsprach) an zwei psychiatrischen Kliniken (an zwei Standorten) des beklagten Klinikums beschäftigt. Er war zuständig für rund 380 Betten. 2009 schlossen Chefarzt und Klinikum einen Änderungsvertrag, wonach der Arzt folgende Vergütung erhielt: 160.000 Euro brutto jährlich als Grundvergütung, die an den Tarifvertrag angelehnt war, 32.000 Euro brutto jährlich als leistungsorientierte Prämie, 28.000 Euro als Garantiebetrag sowie 5.000 Euro für seinen Fahrtkostenaufwand. Insgesamt ein Bruttojahresverdienst von rund 220.000 Euro, womit laut Vertrag auch Mehrarbeit und Überstunden abgegolten waren. Zuletzt erhielt der Kläger im Jahr 2015 brutto 234.000 Euro pro Jahr.

     

    Im Jahr 2010 richtete die beklagte Klinikträgerin eine Fachabteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie mit 20 Betten ein, zu deren Klinikdirektor der klagende Arzt berufen wurde, womit er die Chefarztposition für nunmehr drei Kliniken innehatte. Auf die Vereinbarung eines neuen Arbeitsvertrags verzichteten die Parteien. In der Folge stritten sie darum, ob der klagende Chefarzt für die zusätzliche Chefarztposition auch eine zusätzliche Vergütung erhalten sollte. Das Klinikum lehnte intern eine Erhöhung des Monatsgehalts um 2.500 Euro ab. Und trotz einer Änderung des Tarifvertrags, der ab 2012 eine Erhöhung des Entgelts der leitenden Ärzte um über 10 Prozent vorsah, erhielt der Chefarzt lediglich eine jährliche Erhöhung von 2,9 Prozent.

     

    Er kündigte im Jahr 2016 und forderte mit seiner Klage sowohl die rückwirkende Anpassung seines Gehalts an den neuen Tarifvertrag (10 %-Erhöhung) als auch ein zusätzliches Entgelt für die Leistung der Klinik mit 20 Betten. Insgesamt beantragte er eine Nachzahlung von rund 400.000 Euro. Zusätzliche Aufgaben, die 2009 noch gar nicht absehbar gewesen seien, hätten auch zusätzlich vergütet werden müssen. Das beklagte Klinikum wand dagegen u. a. ein, der Kläger verdiene ohnehin schon genug. Das Arbeitsgericht als erste Instanz wies die Klage ab. Der Kläger ging daher in Berufung.

    Die Entscheidung

    Das LAG gab dem Kläger teilweise Recht und sprach ihm ein weiteres Gehalt von rund 150.000 Euro zu. Zum einen ging das Gericht dabei davon aus, dass der Kläger an der tariflichen Erhöhung von rund 10 % teilnehme. Zum anderen könne der Kläger für seine zusätzliche Tätigkeit in der Klinik mit 20 Betten eine monatliche Vergütung von 2.500 Euro brutto verlangen: Denn der Kläger habe dort eine qualitative Mehrarbeit geleistet, die über die vertraglich geschuldete Leistung hinausgehe. Ihm sei mit der Leitung der Klinik mit 20 Betten eine weitere wesentliche Aufgabe übertragen worden. Denn dies stelle eine qualitativ erhebliche Erweiterung seines Aufgabengebiets dar. In Anbetracht der herausragenden und verantwortungsvollen Position eines Chefarztes, die mit einer Vielzahl von Pflichten, Aufgaben und Risiken verbunden sei, mache es einen erheblichen Unterschied aus, ob ein Chefarzt für zwei oder drei Kliniken zuständig sei.

     

    Das beklagte Klinikum könne sich auch nicht darauf berufen, dass der Kläger mit 220.000 Euro ohnehin schon großzügig vergütet sei. Hier ginge es nicht um bloße (quantitative) Mehrarbeit, sondern um eine qualitative Mehrarbeit. Denn der Kläger sei in der neuen Klinik mit 20 Betten in der Personal- und Budgetplanung tätig, führe Visiten durch, stelle Zeugnisse aus und führe Verhandlungen z. B. mit den Krankenkassen. Er habe auch die Gesamtverantwortung für die Patienten und das ärztliche Personal.

     

    2.500 Euro monatlich erscheinen dem Gericht angemessen, um die zusätzliche Tätigkeit zu entlohnen. Das Gericht hat diesen Betrag in Ermangelung anderer Grundlagen geschätzt, wobei man nicht auf die für Chefärzte übliche durchschnittliche Jahresvergütung (rund 270.000 Euro) abstellen könne. Bei der Schätzung stellte das Gericht maßgeblich darauf ab, dass die Parteien während ihrer Verhandlungen über die Gehaltserhöhung selbst einen Zuschlag von 2.500 Euro als reale Größe ansahen.

     

    PRAXISTIPPS | Soweit ‒ wie hier ‒ keine vertraglichen Regelungen getroffen werden über eine Vergütung neuer Aufgabenbereiche und Tätigkeiten, entsteht eine rechtliche Unsicherheit. Diese konnte hier erst nach längerem Streit vor Gericht (teilweise zugunsten des Chefarztes) behoben werden. Es ist daher ratsam, sogleich und vor Aufnahme der neuen Tätigkeit auf eine vertragliche Regelung hinzuwirken, die die Vergütung bestimmt.

     

    Dies ist insbesondere deshalb ratsam, weil es sich ‒ wie das LAG feststellte ‒ verbietet, bei der Schätzung des Werts einer Mehrarbeit auf den durchschnittlichen Jahresverdienst der Chefärzte abzustellen. Es fehlt also eine Referenzgröße. Die Gerichte schätzen dann die Höhe der zusätzlichen Vergütung frei Hand. Was dabei herauskommt, ist unsicher. Mit der vorliegenden Klage lag der Chefarzt deshalb deutlich über dem, was das Gericht ihm letztendlich zusprach.

     

    Überdies ist es auch sinnvoll, in der vertraglichen Regelung weitere essenzielle Punkte (Dienstzeiten, Versicherung, Privatabrechnung etc.) zu regeln. Dies vermeidet spätere Rechtsstreitigkeiten und gewährleistet eine gedeihliche Zusammenarbeit.

     

    Denn im vorliegenden Fall hat der Streit um eine angemessene Vergütung schließlich dazu geführt, dass der Chefarzt kündigte. Dies ist für beide Seiten unbefriedigend und sollte durch frühzeitige vertragliche Regelungen, die Klarheit schaffen, vermieden werden.

     

     

    Quelle: Ausgabe 02 / 2020 | Seite 6 | ID 46282987