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  • · Fachbeitrag · Personalpolitik

    Pflegepersonal: Untergrenzen in Sichtweite

    Von RA und FA MedR Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

    | Das „Gesetz zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten“ sieht u. a. für bestimmte Bereiche im Krankenhaus Untergrenzen für das Pflegepersonal vor. Vorbehaltlich der Zustimmung des Bundesrats wird das Gesetz noch im Sommer 2017 in Kraft treten. Der folgende Beitrag fasst die Eckpunkte des Gesetzesvorhabens zusammen und zeigt auf, worauf Sie schon jetzt als Chefarzt bei Verhandlungen mit dem Krankenhausträger über die Personalausstattung Ihrer Abteilung achten sollten. |

    Das Gesetzesvorhaben

    Im Hinblick auf die Untergrenzen für Personal werden im § 137i Sozialgesetzbuch (SGB) V mehrere Eckpunkte verankert. Wie so häufig gibt der Gesetzgeber dabei aber nur eine Leitlinie vor, die die Akteure im Gesundheitswesen partnerschaftlich - idealerweise einvernehmlich - erfüllen müssen.

     

    • Untergrenzen beim Pflegepersonal im Krankenhaus: die Eckpunkte
    • 1. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) haben im Benehmen mit dem Verband der privaten Krankenversicherung und unter Beteiligung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) spätestens bis zum 30.06.2018 verbindliche Pflegepersonaluntergrenzen für solche Krankenhausbereiche festzulegen, in denen dies aus Gründen der Patientensicherheit besonders notwendig ist. Hierbei werden Intensivstationen sowie die Besetzung des Nachtdienstes miteinbezogen. Die Vereinbarung muss zum 01.01.2019 wirksam werden. Sollte bis zum 30.06.2018 keine Vereinbarung zustande kommen, wird das BMG bis zum 31.12.2018 durch eine Rechtsverordnung ersatzweise die ausstehenden Entscheidungen treffen.
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    • 2. Der Pflegezuschlag, der mit dem Krankenhausstrukturgesetz eingeführt worden war und den Krankenhäuser seit diesem Jahr zur Förderung einer guten pflegerischen Versorgung erhalten, wird ab 2019 von bisher 500 Mio. Euro auf bis zu 830 Mio. Euro pro Jahr aufgestockt. Er kommt vor allem den Krankenhäusern zugute, die viel Personal beschäftigen, denn Krankenhäuser erhalten den erhöhten Zuschlag in Abhängigkeit von ihrer Pflegepersonalausstattung. Soweit die Pflegepersonaluntergrenzen zu Mehrkosten führen, die nicht bereits anderweitig finanziert sind, können krankenhausindividuelle Zuschläge vereinbart werden.
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    • 3. Um die Pflege nicht in anderen Bereichen zu schwächen, sollen sogenannte „Substitutions- bzw. Personalverlagerungseffekte“ vermieden werden. Dies ist durch „geeignete Maßnahmen“ sicherzustellen.
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    • 4. Ausnahmetatbestände und Übergangsregelungen sind vorzusehen.
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    • 5. Für den Fall, dass ein Krankenhaus die Personaluntergrenzen nicht einhält, sind Vergütungsabschläge nach § 11 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) vorzusehen.
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    • 6. Ab 2019 müssen die Krankenhäuser durch Bestätigung eines Wirtschaftsprüfers oder vereidigten Buchprüfers die Einhaltung der Personaluntergrenzen differenziert nach Personalgruppen und Berufsbezeichnungen nachweisen.
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    • 7. Die Folgen von Personaluntergrenzen in der Pflege sollen bis Ende 2022 wissenschaftlich überprüft werden.
     

    Hintergrund: Zahlen und Fakten zum Pflegepersonal

    Eine mögliche personelle Unterdeckung ist schwer anhand objektiver Daten greifbar. Teils ist daher auch Kritik geübt worden, dass es an belastbaren Daten fehle. Auf Anfrage der Linkspartei informierte das Statistische Bundesamt jedenfalls darüber, dass zwischen 1994 und 2015 die Zahl der behandelten Menschen um 24 Prozent gestiegen ist, während das Personal im Krankenhaus parallel reduziert wurde. Wurden 1994 noch 342.000 vollzeitäquivalente Pflegekräfte beschäftigt, waren es 2015 nur noch 321.000. Pro Jahr betreut eine Pflegekraft durchschnittlich 60 Fälle (verglichen mit 45 im Jahr 1994).

     

    Gleichermaßen hat die Bertelsmann-Stiftung ermittelt, dass die Belastung der Pflegekräfte in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Dabei gibt es allerdings Unterschiede in den Regionen und bei der Art der Kliniken. So habe eine Pflegevollkraft in einem allgemeinen Krankenhaus im Jahr 2003 statistisch gesehen 57,3 Patienten betreut, 2015 seien es schon 64 gewesen. Während in Hamburg im Jahr 2015 auf jede Vollzeitpflegestelle 55 Patienten kamen, seien es in Niedersachsen 63 gewesen. Die Anzahl der zu betreuenden Patienten pro Pflegekraft ist laut Bertelsmann-Stiftung seit 2003 in allen Bundesländern, außer Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, gestiegen. Überproportional sei die Belastung in Berlin und Niedersachsen gestiegen.

    Reaktionen auf das Gesetz

    Nahezu alle Akteure im Gesundheitswesen befürworten die Einführung einer personellen Mindestgrenze in sensiblen Teilbereichen der Pflege. Allerdings endet hier auch schon die Gemeinsamkeit: Einige prangern die nun fixierte Vorgabe als „Minimallösung“ an, da Untergrenzen nur „Mindestmaß“ bedeuteten. Andere kritisieren, dass die Personalstandards nicht wissenschaftlich ermittelt, sondern von Kassen und Kliniken festgelegt würden. Die Befürworter des Gesetzentwurfs weisen darauf hin, dass die Einhaltung der Mindeststandards überprüft würde und unabhängig bestätigt werden müsse.

     

    Die DKG unterstützt zwar grundsätzlich das Ziel einer verbesserten Personalausstattung, sieht gleichwohl nicht zuletzt durch die Arbeitsmarktlage praktische und finanzielle Probleme auf die Kliniken zukommen. Personaluntergrenzen seien daher nur in nachweislich besonders pflegesensitiven Bereichen zu rechtfertigen, die Personalverantwortung müsse in Krankenhaushand bleiben. Eine völlig andere Richtung verfolgt die Bundesärztekammer (BÄK). Sie plädiert dafür, nicht nur bei Pflegekräften, sondern auch bei Medizinern Personaluntergrenzen festzulegen mit dem Ziel, eine Gefährdung der medizinischen Versorgung und der Mitarbeiter zu vermeiden.

    Personalausstattung: Darauf sollten Sie als Chefarzt achten

    Die personelle Ausstattung der Klinik ist immer wieder Streitthema zwischen Chefärzten und Krankenhausträgern. So hatte sich ein Chefarzt in einem Fall veranlasst gesehen, die außerordentliche Eigenkündigung seines Dienstverhältnisses zu erklären, weil der Krankenhausträger ihm trotz Abmahnung entgegen den vertraglichen Vereinbarungen kein ausreichendes (nicht ärztliches) Personal zur Verfügung gestellt hatte (Landesarbeitsgericht [LAG] Baden-Württemberg, Urteil vom 11.10.2013, Az. 12 Sa 15/13, Abruf-Nr. 141900).

     

    Auch angehende oder wechselwillige Chefärzte sollten in Vertragsverhandlungen dem Thema „Personalausstattung“ besondere Aufmerksamkeit schenken. So werden die Chefärzte meistens vertraglich verpflichtet, die einzel- oder tarifvertraglich vereinbarten Arbeitszeiten der Ärzte und nicht ärztlichen Mitarbeiter ihrer Abteilung einzuhalten. Die Hoheit über die Stellenplanung und -besetzung verbleibt aber i. d. R. allein beim Krankenhausträger. Diese wehren sich häufig „mit Händen und Füßen“ gegen eine Ergänzung, dass der Krankenhausträger zur Erfüllung der dienstlichen Aufgaben ausreichend Personal für die vom Chefarzt geführte Klinik zur Verfügung zu stellen hat. Dies erstaunt umso mehr, als diese Pflicht nur fixiert, was ohnehin arbeitsrechtlich geschuldet ist. In einigen Fällen erweist sich die personelle Besetzung gar als „Zünglein an der Waage“.

     

    • Beispiel: Ablehnung einer Stelle als Chefarzt wegen unzureichender Personalausstattung

    Ein Chefarztbewerber stand in Verhandlungen für eine anästhesiologische Abteilung in einem kleineren Krankenhaus. Gespräche mit den nachgeordneten Ärzten zeigten, dass in der Abteilung Überstunden in einem Maß angehäuft worden waren, sodass im Schnitt jeder der acht nachgeordneten Ärzte für drei Monate hätte freigestellt werden müssen. Da der Träger nicht bereit war, die Überstunden auszuzahlen und zugleich auch nicht von der o. g. Pflicht des Chefarztes zur Einhaltung der „Arbeitszeiten“ abrücken wollte, sah der Bewerber keine Möglichkeit, diese Altlast in einem realistischen Zeitraum ohne zusätzliches Personal zu bewältigen. Der Träger lehnte Neueinstellungen ab. Der Bewerber hat sich daraufhin gegen die angebotene Stelle entschieden.

     

    Teils sind aber auch Erfolge in den Vertragsverhandlungen zu verzeichnen. So wurde verschiedentlich ein Personalschlüssel vereinbart, der von den Vertragsparteien als sachgerecht unter Berücksichtigung einer definierten Größe der Abteilung fixiert wird. Gerade für Chefärzte, die ggf. nicht mehr bzw. nur noch in Ausnahmefällen Rufbereitschaft leisten möchten, sind entsprechende Rahmenvorgaben ratsam. Die Festschreibung des Status quo ist darüber hinaus auch für spätere Verhandlungen über etwaig weitere Stellen ein wichtiger Anker.

     

    PRAXISHINWEIS | Achten Sie bei Vertragsverhandlungen auch auf strukturelle Vorgaben bzw. vertragliche Zusicherungen, wenn der Zugriff auf bestimmte Geräte oder Räume für die Entwicklung Ihrer Abteilung unabdingbar ist.

     

    Personaluntergrenzen auch bald für Ärzte?

    Mit Spannung darf die weitere Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben erwartet werden. Die Erfahrungen aus diesem Testballon werden zeigen, inwieweit auch in weiteren Bereichen mit Personaluntergrenzen - z. B. auch für Ärzte - geliebäugelt werden kann. Sicher dürfte aber sein, dass bei weiteren Debatten über Personaluntergrenzen die Ärzteschaft eine zentrale Rolle einnehmen wird. Schon jetzt sind Chefärzte gut beraten, im Rahmen der Vertragsverhandlungen auch personelle (oder strukturelle) Mindestgrenzen einzufordern.

    Quelle: Ausgabe 07 / 2017 | Seite 3 | ID 44733064