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  • · Fachbeitrag · Berufsrecht

    Ist ein fachübergreifender Bereitschaftsdienst im Krankenhaus rechtlich zulässig?

    von FA für Arbeits- und Steuerrecht Norbert H. Müller und FA für Arbeits- und Medizinrecht Marc Rumpenhorst, Kanzlei Klostermann, klostermann-rae.de 

    | Aus Kostengründen und wegen des Ärztemangels drängt sich immer wieder die Frage auf: Darf ein fachübergreifender Bereitschaftsdienst eingerichtet werden, bei dem sich zum Beispiel eine internistische und eine chirurgische Abteilung einen Bereitschaftsdienst im turnusgemäßen Wechsel „teilen“? Der Facharztstandard würde dabei gewährleistet werden, indem der Fach- oder Oberarzt im Hintergrunddienst rufbereit ist. |

    Abgrenzung von Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft

    Um genau zu unterscheiden, müssen die Begriffe zunächst definiert werden:

    • Definition Bereitschaftsdienst / Rufbereitschaft

    Beim Bereitschaftsdienst wird der Aufenthaltsort des Arztes fremdbestimmt - also durch den Krankenhausträger festgelegt -, während bei der Rufbereitschaft der Aufenthaltsort durch den Arzt selbst bestimmt wird. Die Arbeitsleistung darf während des Bereitschaftsdienstes 50 Prozent des üblichen Werts nicht überschreiten, während sie bei der Rufbereitschaft die Ausnahme darstellen soll.

     

    Rechtliche Risiken eines fachübergreifenden Dienstes

    Zwar verbietet kein Gesetz einen fachübergreifenden Bereitschaftsdienst - trotzdem bestehen erhebliche Risiken: Der fachfremde Arzt kann falsche Maßnahmen treffen oder notwendige unterlassen - die Untersuchungstechnik und die klinische Einschätzung kann auch nicht durch einen telefonisch kontaktierbaren Hintergrunddienst per „Fernbeurteilung“ ersetzt werden.

     

    Das Landgericht Augsburg, das über verspätete Maßnahmen eines fachübergreifenden Bereitschaftsdienst leistenden Assistenzarztes zu entscheiden hatte, sah „erste Hilfsmaßnahmen auf der Basis von Grundkenntnissen des jeweiligen Fachgebietes keinesfalls als ausreichend“ an. Notwendig seien im Falle des fachübergreifenden Bereitschaftsdienstes „geeignete organisatorische Vorkehrungen für eine gefahrenadäquate ärztliche Versorgung auch während der Bereitschaftszeiten.“ Bei dem Fall ging es um massive Nachblutungen nach Strumaresektion mit der Folge eines hypoxischen Hirnschadens (Urteil vom 30. September 2004, Az. 3 KLs 400 Js 109903/01).

     

    PRAXISHINWEIS | Wird der fachfremde Assistenzarzt fehlerhaft tätig - oder bleibt er gänzlich untätig, obwohl er Maßnahmen hätte ergreifen müssen - hat der für den Patienten zuständige Chefarzt dies im Rahmen eines Organisationsverschuldens zu verantworten - sowohl haftungs- als auch strafrechtlich.

     

    Handlungsempfehlungen für den Chefarzt

    Der Chefarzt sollte den Klinikträger, der die Einrichtung eines fachübergreifenden Bereitschaftsdienstes plant, auf die fachlichen und hierauf gründenden haftungsrechtlichen Bedenken schriftlich hinweisen. Er sollte dem Geschäftsführer des Krankenhauses zudem vor Augen führen, dass dieser sich persönlich wegen eines Organisationsverschuldens haftbar macht und sowohl zivil- wie strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnte.

     

    Einfordern einer Dienstanweisung

    Im Übrigen sollte mit Blick auf die Einführung eines fachübergreifenden Bereitschaftsdienstes eine schriftliche Dienstanweisung verlangt werden. Diese entlässt den Chefarzt zwar nicht haftungsrechtlich gegenüber dem Patienten aus der Verantwortung, exkulpiert ihn aber intern arbeitsrechtlich. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob die Rechtmäßigkeit der Dienstanweisung einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung unterzogen werden müsste. Der Chefarzt könnte gegenüber dem Klinikträger erklären, die Dienstanweisung zunächst - vorbehaltlich ihrer Rechtmäßigkeit - zu befolgen; diese müsste er dann parallel durch das Arbeitsgericht in einem Klageverfahren prüfen lassen.

     

    PRAXISHINWEIS | Bevor der Chefarzt diesen gerichtlichen Weg geht, sollte er das mit Befolgung der Dienstanweisung einhergehende Risiko mit der Gefahr einer Abmahnung bei Nichtbefolgung abwägen.

     

    Organisatorische Vorkehrungen

    Für einen fachübergreifenden Bereitschaftsdienst sind organisatorische Vorkehrungen für diejenigen Ärzte zu treffen, die in einem fachübergreifenden Bereitschaftsdienst in der „eigenen“ Abteilung fachfremd tätig werden. So liegt eine Anweisung nahe, dass die eingesetzten Ärzte in jeglichen Zweifelsfällen - „lieber zu früh als zu spät“ - den in Rufbereitschaft befindlichen Facharzt herbeirufen sollen. Eine solche pauschale Konsultationspflicht genügt nicht für sich allein; derartige Anweisungen drohen laut dem zitierten Urteil „ins Leere zu gehen, wenn der Arzt im Bereitschaftsdienst infolge seines Kenntnisdefizits auf dem fachfremden Gebiet gefahrspezifische Anzeichen schon überhaupt nicht als solche bewerten und erkennen kann.“

     

    Unterweisung und Terminierung

    In jedem Fall sind fachfremde Ärzte hinsichtlich typischer Komplikationen zu unterweisen; dies sollte schriftlich dokumentiert werden und ist vom jeweiligen Arzt gegenzuzeichnen. Ferner sollten zeitlich steuerbare komplikationsanfällige Eingriffe an Tagen durchgeführt werden, an denen die „eigenen“ Assistenzärzte Bereitschaftsdienst leisten - so dies in der Praxis umsetzbar ist. Im Weiteren wird dann zu beobachten sein, ob die Belastung des fachärztlichen Rufdienstes bei fachübergreifendem Bereitschaftsdienst nicht dazu führt, dass nicht lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt, wie es die tarifvertraglichen Regelungen vorsehen, sondern regelmäßig mit der Folge, dass der Hintergrunddienst dann auch als Bereitschaftsdienst zu werten wäre mit entsprechenden Vergütungsansprüchen und der Einhaltung der Ruhezeit von 11 - und nicht 5,5 - Stunden nach Regelarbeitszeit und Dienst.

    Quelle: Ausgabe 04 / 2015 | Seite 9 | ID 43231901