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  • · Fachbeitrag · Arzthaftungsrecht

    Wann sollte der Arzt einen fachfremden Kollegen zur Operation hinzuziehen?

    von RA und FA für MedR Rainer Hellweg und Referendarin Julia Maaske, Kanzlei Schroeder-Printzen, Kaufmann & Kollegen, Hannover, www.spkt.de 

    | Interdisziplinäre OP-Teams zeigen die besondere Kompetenz des Krankenhauses. Doch abgesehen vom Aufpolieren des Rufs ist es auch fachlich sinnvoll, manchmal sogar zwingend erforderlich, einen fachfremden Kollegen zur Operation hinzuzuziehen. Vor allem für Allgemein- und Abdominalchirurgen, Gynäkologen, HNO-Ärzte und Urologen ist das Thema relevant. Anhand eines Falles vor dem Landgericht (LG) Freiburg zeigt der Beitrag, wann die Hinzuziehung eines Kollegen erforderlich wird. |

    Für die Gerichte noch ein unbestelltes Feld

    Eine dezidierte Rechtsprechung zur Haftung beim interdisziplinären Operieren existiert noch nicht. Kürzlich wurde in einem Fachmagazin jedoch über einen Fall vor dem LG Freiburg (Az. 6 O 480/10, Vergleich vom 8. Februar 2012) berichtet, bei dem eine Patientin den Vorwurf eines Behandlungsfehlers erhoben und auf Zahlung von Schmerzensgeld geklagt hatte.

     

    Der Fall vor dem LG Freiburg

    Dabei ging es um die Entfernung eines fortgeschrittenen Gebärmutterkarzinoms, wobei im Vorfeld der Operation nach entsprechender Diagnostik der Verdacht auf Verwachsungen des Tumors mit dem Darm bestand. Gleichwohl wurde der Eingriff mit zwei Gynäkologen durchgeführt - ein Viszeralchirurg wurde nicht hinzugezogen. Die Operation misslang.

     

    Erst ein interdisziplinäres OP-Team in einem anderen Klinikum konnte den Tumor schließlich vollständig entfernen. Letztlich wurde der Prozess durch einen Vergleich beendet. Die Frage, ob die Zusammensetzung des OP-Teams einen Behandlungsfehler darstellte, wurde somit nicht entschieden.

     

    Stellungnahme der Dt. Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie

    Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) vertritt zum interdisziplinären Operieren folgenden Standpunkt: Gynäkologen dürften nur „Adnexleistungen“ erbringen, die in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit gynäkologischer Diagnostik und Therapie stünden und das Hinzuziehen eines anderen Facharztes nicht erforderlich machten (Stellungnahme vom 2. Dezember 2008, Abruf-Nr. 131314).

     

    Dies gelte jedoch keinesfalls für die Durchführung einer Darmresektion, wo zwingend ein Allgemein- und Viszeralchirurg hinzuzuziehen sei. Dies sei lege artis notwendig, um insbesondere mögliche Komplikationen fachgerecht therapieren zu können. Debulkingoperationen und Exenterationen im Bereich des kleinen Beckens seien in ihrer Gesamtheit durch einen Gynäkologen allein nicht gebietskonform zu erbringen.

     

    Stellungnahme der Dt. Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe

    Demgegenüber vertritt die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) die Meinung, dass das Lösen von Darmadhäsionen zur täglichen Routine nahezu aller gynäkologisch-operativer Kliniken gehöre. Nur „wenige, hierin besonders geübte“ gynäkologische Operateure führten selbstständig Dünn- und Dickdarmresektionen ohne Hinzuziehung eines Chirurgen durch (Stellungnahme vom 3. Februar 2009, Abruf-Nr. 131315). Offenbar erhebt die DGGG also keinen Widerspruch dagegen, dass bei einer teilweisen Darmresektion grundsätzlich ein Chirurg hinzuziehen ist.

    Haftungsrisiko bei Verzicht auf fachfremden Operateur?

    Sicherlich sind die verschiedenen medizinischen Fachgruppen bestrebt, ihren jeweiligen Tätigkeitsbereich zu wahren. Es besteht jedoch ein haftungsrechtliches Risiko, wenn der Operateur den fachfremden Kollegen nicht hinzuzieht, obwohl dies lege artis erforderlich gewesen wäre.

     

    Bei einem Verzicht auf die Bildung eines interdisziplinären OP-Teams gibt es folgende Anknüpfungspunkte für den Vorwurf eines Behandlungsfehlers:

     

    • Der Operateur, der den Kollegen nicht hinzuzieht und damit quasi auf mehreren Fachgebieten tätig wird, könnte den sogenannten Facharztstandard im Krankenhaus verletzen.
    • Dem Operateur könnte bei pflichtwidriger Nichthinzuziehung des Kollegen ein sogenanntes Übernahmeverschulden vorgeworfen werden.
    • Es besteht eine Organisationspflicht, für eine sachgerechte Arbeitsteilung zwischen den Fachbereichen zu sorgen. Wird dies versäumt, können der Klinikträger oder der Chefarzt als medizinisch Gesamterantwortlicher seiner Abteilung haftungsrechtlich belangt werden.

    Vorsicht: Haftungsfalle!

    Wird die Bildung eines interdisziplinären OP-Teams versäumt, obwohl präoperative Befunde dies nahelegen, kann dies bereits einen Behandlungsfehler darstellen. Ein haftungsrechtlich zu berücksichtigender Schaden beim Patienten kann etwa dann entstehen, wenn die OP mangels interdisziplinärer Besetzung abgebrochen und nachfolgend erneut operiert werden muss. Hier würde es noch nicht einmal darauf ankommen, ob die erste Operation von den Operateuren nach den zu erwartenden Kenntnissen und Fertigkeiten auf ihrem Fachgebiet lege artis durchgeführt wurde oder nicht. Der Patient könnte seinen Schmerzensgeldanspruch darauf stützen, dass eine Folge-OP - dann mit erweitertem Operationsteam - notwendig geworden ist.

     

    PRAXISHINWEIS |  Sobald es nach den präoperativen Befunden zumindest möglich erscheint, dass die Fachgebietsgrenzen überschritten werden könnten, sollte ein Kollege aus dem anderen Fachgebiet hinzugezogen werden. Wenn eine solch interdisziplinäre Zusammensetzung des Operationsteams mangels personeller Ressourcen in der Klinik nicht möglich ist, sollte der Patient an ein anderes Haus verwiesen werden, sofern kein Notfall vorliegt.

    Quelle: Ausgabe 05 / 2013 | Seite 4 | ID 39221590