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  • · Fachbeitrag · Arzthaftungsrecht

    Bestimmung des medizinischen Standards: Gutachten gehen ärztlichen Leitlinien vor

    von RAin Sonja Beisbarth, pwk & Partner, Dortmund, www.pwk-partner.de

    | Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 15. April 2014 (Az. VI ZR 382/12, Abruf-Nr. 141535 ) entschieden, dass Handlungsanweisungen in Leitlinien ärztlicher Fachgremien oder Verbände nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden dürfen. |

     

    Der Fall

    Die Mutter der Klägerin wurde in der 27. Schwangerschaftswoche (SSW) wegen vorzeitiger Wehen in das von einem der Beklagten betriebene Krankenhaus aufgenommen. Im Verlauf der Behandlung durch Ärzte des Fachbereichs Gynäkologie und Geburtshilfe wurde eine Notsectio erforderlich. Die Klägerin leidet unter anderem an Epilepsie. Sie machte geltend, bei der Behandlung sei es nach medizinischen Standards erforderlich gewesen, der Mutter die Aufnahme in ein Perinatalzentrum nahezulegen bzw. sie dorthin zu verlegen.

     

    Tatsächlich wurde kurz nach der Behandlung durch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) eine Leitlinie veröffentlicht, die eine Regionalisierung von Hochrisikofällen empfahl, wenn deren Bewältigung voraussehbar die personellen und organisatorischen Möglichkeiten des Krankenhauses übersteige. Die Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin empfahl in ihren Leitlinien, die vor der Behandlung veröffentlicht wurden, Schwangere mit hohem Risiko über die Möglichkeit und Notwendigkeit einer pränatalen Verlegung aufzuklären. Als Beispiel für eine Hochrisikoschwangerschaft sind Wehen vor der 33. SSW aufgeführt.

     

    Die Entscheidung

    Nach Auffassung des BGH war nicht feststellbar, dass es zum Behandlungszeitpunkt bereits einen medizinischen Standard gab, der die Verlegung von Risikoschwangeren in ein Perinatalzentrum forderte. Vor Veröffentlichung der Leitlinien der DGGG habe es zwar einen Diskussionsprozess über die Zentralisierung von Risikogeburten gegeben. Leitlinien würden indes mit ihrer Veröffentlichung nicht das zusammenfassen, was bereits zuvor medizinischer Standard gewesen sei. Handlungsanweisungen darin dürften nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden, insbesondere dann nicht, wenn sie erst nach der zu beurteilenden Behandlung veröffentlicht worden sind. Keinesfalls könnten Leitlinien ein Sachverständigengutachten ersetzen. Die Frage, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation erwartet werden kann, bestimme sich allein aus der Sicht seines Fachgebiets.

     

    FAZIT | Die Entscheidung des BGH bekräftigt, dass sich die Frage, ob ein ärztlicher Behandlungsfehler vorliegt, nach wie vor (nur) auf Basis eines Sachverständigengutachtens beurteilen lässt.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2014 | Seite 8 | ID 42823796