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  • 15.05.2012 · IWW-Abrufnummer 122013

    Finanzgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 06.03.2012 – 2 K 101/11

    1. Keine Nichtigkeit von Bescheiden trotz erheblicher Differenzen zwischen verschiedenen durch das Finanzamt ermittelten Schätzungsergebnissen, solange sich diese nicht in Bescheiden niedergeschlagen haben.
    2. Schätzung anhand von kombinierten Mittelwerten laut Richtsatzsammlung.


    Tatbestand
    Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuer(ESt)-Bescheide sowie der Gewerbesteuer(GewSt)-Messbescheide 2003 bis 2008 jeweils vom 21. Juni 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 11. April 2011.
    Die Kläger sind verheiratet und wurden in den Streitjahren 2003 bis 2008 gemeinsam zur ESt veranlagt. Der Ehemann erzielte als Inhaber eines Döner-Imbisses, eines Restaurants sowie eines Gemüsemarktes in den Streitjahren Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Die Klägerin war in den Jahren 2003 und 2004 als Angestellte in den Geschäften ihres Mannes tätig. Der Betrieb des Gemüsemarktes wurde 2003 eingestellt, das Restaurant im Jahr 2009 geschlossen. Für das Jahr 2003 reichte der Kläger eine zusammengefasste Gewinnermittlung für alle drei Einzelunternehmen ein.
    Für die Jahre 2003 bis 2008 führte das Finanzamt eine Betriebsprüfung durch. Nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens gegen den Kläger zu 1. wurden im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen am 11. März 2010 verschiedene Unterlagen beschlagnahmt. Gegenstand der Überprüfung war der Döner-Imbiss, für den der Gewinn nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) als Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ermittelt wurde.
    Der Döner-Imbiss in zentraler Lage verfügte in den Streitjahren über ca. 40 Sitzplätze (innen und außen), war gut frequentiert und hatte einen guten Ruf.
    In einem ersten Erörterungstermin am 17. März 2010, in dessen Verlauf die Kläger die Verkürzung von Einnahmen und Ausgaben einräumten, erklärten die Außenprüfer, sie hätten Mehrsteuern für die ESt-, Umsatzsteuer (USt) und GewSt auf ca. 800.000,00 EUR geschätzt.
    In einem weiteren Termin wurde die Schätzung reduziert und erwartete Mehrsteuern von ca. 550.000,00 EUR genannt. In diesem Termin legte das Finanzamt dar, dass es aufgrund der für das Jahr 2008 aufgefundenen Z-Bons von einer Einnahmeverkürzung von 50 v. H. in den Jahren 2003 bis 2008 ausginge und wegen nicht gebuchter Wareneinkäufe den Wareneinsatz in den Jahren 2003 bis 2005 um 25.000,00 EUR sowie in den Jahren 2006 bis 2008 um 40.000,00 EUR erhöhen wolle.
    In einer Besprechung vom 5. Mai 2010 schlug das Finanzamt eine tatsächliche Verständigung vor, soweit 170.000,00 EUR nachgezahlt würden und bestimmte Auflagen im Bezug auf die aktuelle Buchführung im Betrieb erfüllt würden.
    Am 2. Juni 2010 nahm das Finanzamt das Angebot zur tatsächlichen Verständigung zurück, da ein Beamter des Finanzamts als Gast der Nachfolgegesellschaft des geprüften Einzelunternehmens, der ... GmbH, beobachtet hätte, dass nicht alle Einnahmen in der Kasse erfasst worden seien. Da in dem Restaurant also weiterhin Beträge hinterzogen würden, halte man sich nicht mehr an das ursprüngliche Angebot gebunden.
    Aufgrund des Prüfungsberichts vom 4. Juni 2010 erließ das Finanzamt am 21. Juni 2010 die streitigen ESt- und GewSt-Messbescheide für die Jahre 2003 bis 2008.
    In seinem Bericht hielt der Prüfer erhebliche Buchführungsmängel fest, die nach seiner Ansicht die Befugnis zur Schätzung gemäß § 162 Abgabenordnung (AO) begründeten. Weiter ging der Prüfer von einem geschätzten Eigenverbrauch in Höhe von 13.000,00 EUR im Jahr 2003 und jeweils 15.000,00 EUR in den Folgejahren aus, von einer Erhöhung des Wareneinsatzes in Höhe von 25.000,00 EUR in den Jahren 2003 bis 2005 und von 40.000,00 EUR in den Jahren 2006 bis 2008 wegen nicht gebuchter Wareneinkäufe, von zusätzlichen nicht vorsteuerrelevanten Betriebsausgaben in Höhe von 10.000 bzw. 15.000 EUR sowie der Anwendung eines Rohgewinnaufschlagssatzes auf 250 v.H. Diese Schätzung führte in den Veranlagungsjahren 2003 bis 2008 zu festgesetzten Mehrsteuern von insgesamt (inkl. USt) ca. 480.000,00 EUR.
    Mit ihrem Einspruch gegen die Bescheide vom 21. Juni 2010 machten die Kläger geltend, die Hinzuschätzungen seien aufgrund des Vorgehens des Prüfers rechtswidrig. Zwar sei eine Schätzung dem Grunde nach wegen der Buchführungsmängel berechtigt, es hätten jedoch nachprüfbare Schätzungsgrundlagen erarbeitet werden müssen. Dies sei nicht geschehen, die Schätzung sei vielmehr willkürlich, was sich schon aus der Änderung der angeblich zuvor zutreffend festgestellten Mehrsteuern ergebe. Außerdem sei durch die anfänglich überhöhte Schätzung unzulässiger Druck auf sie ausgeübt worden. Daneben beantragten die Kläger Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide.
    Nach Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung durch das Finanzamt setzte das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht durch Beschlüsse vom 25. November 2010 (Az. 4 V 171/10) und vom 29. November 2010 (Az. 2 V 196/10) die Vollziehung der Bescheide in weitem Umfang aus. Auf die Beschlüsse wird verwiesen. Das Gericht begründete die gewährte Aussetzung insbesondere damit, dass die der Zuschätzung zu Grunde gelegten Zahlen (Höhe des Wareneinsatzes und Höhe des Rohgewinnaufschlagsatzes) durch das Finanzamt nicht ausreichend überzeugend dargelegt worden waren. Nach Ansicht des Gerichts waren die Bescheide aber entgegen der durch die Kläger schon im Aussetzungsverfahren vertretenen Meinung nicht nichtig trotz des Vorgehens des Finanzamts und der Höhe der Differenz der Schätzungen zwischen Mehrsteuern von 800.000,00 EUR und 170.000,00 EUR.
    Durch Einspruchsentscheidung vom 11. April 2011 änderte das Finanzamt die Bescheide vom 21. Juni 2010 hinsichtlich der Höhe der Hinzuschätzung. Es verminderte die Rohgewinnaufschlagssätze in den Jahren 2003 bis 2005 auf 220 v.H. und in den Jahren 2006 und 2007 auf 235 v.H. Die Hinzuschätzungen für Wareneinkäufe reduzierte es für die Jahre 2003 bis 2005 auf jeweils 20.000,00 EUR, für das Jahr 2006 auf 25.000,00 EUR, für das Jahr 2007 auf 27.661,25 EUR und für das Jahr 2008 von 24.971,75 EUR. Infolgedessen änderte sich der Gewinn
    im Jahr 2003 von 60.852,00 EUR auf 40.000,00 EUR (gerundet),
    im Jahr 2004 von 99.402,00 EUR auf 79.000,00 EUR,
    im Jahr 2005 von 125.184,00 EUR auf 103.000,00 EUR,
    im Jahr 2006 von 186.206,00 EUR auf 147.000,00 EUR,
    im Jahr 2007 von 170.962,00 EUR auf 135.000,00 EUR,
    im Jahr 2008 von 180.169,00 EUR auf 174.000,00 EUR.
    Die ESt-Festsetzung verminderte sich für
    2003 von 11.842,00 EUR auf 6.212,00 EUR,
    2004 von 22.997,00 EUR auf 16.639,00 EUR,
    2005 von 28.956,00 EUR auf 21.697,00 EUR,
    2006 von 47.683,00 EUR auf 34.745,00 EUR,
    2007 von 42.658,00 EUR auf 30.785,00 EUR,
    2008 von 36.845,00 EUR auf 33.059,00 EUR.
    Die GewSt-Messbeträge wurden entsprechend angepasst.
    Zur Begründung führte das Finanzamt aus:
    Die Buchführungsmängel seien unstreitig als erheblich anzusehen, so dass mangels Beweiskraft der Buchführung nach § 158 AO eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO vorzunehmen gewesen sei. Die Kläger hätten am 17. März 2010 an Amts Stelle eingeräumt, Einnahmen und Ausgaben verkürzt zu haben.
    Die Rohgewinnaufschlagssätze in den Jahren von 2003 bis 2005 in Höhe von 220 v.H. und in den Jahren 2006 bis 2007 in Höhe von 235 v.H. ergäben sich aus den kombinierten Mittelwerten für Imbisse, Pizzerien und Gaststätten nach den in den jährlichen Richtsatzsammlungen des Bundesministeriums der Finanzen veröffentlichten Werten. Abschläge seien darauf aufgrund der zentralen Lage und des guten Rufes des Betriebes der Kläger nicht vorzunehmen.
    Die Schätzung des erhöhten Wareneinsatzes finde ihre Grundlage in der Höhe der nachweislich nicht in der Buchführung enthaltenen Wareneinkäufe für die Jahre 2007 und 2008. Aus den aufgefundenen Eingangsrechnungen für November und Dezember 2007 hätte sich ergeben, dass Wareneinkäufe i.H.v. 5.532,25 EUR netto getätigt worden seien, die in der Buchhaltung nicht enthalten gewesen seien. Auf das Jahr 2007 hochgerechnet seien daher Wareneinkäufe i.H.v. 32.130,18 EUR nicht erfasst worden. In den Monaten Januar und Februar des Jahres 2008 seien Wareneinkäufe über 5.524,78 EUR netto nicht in der Buchhaltung der Kläger erfasst gewesen. Das entspreche einem auf das gesamte Jahr 2008 ermittelten nicht erfassten Wareneinsatz von 33.148,68 EUR. Nach Berücksichtigung eines Sicherheitsabschlages von 20 v.H. auf den hinzugeschätzten Wareneinsatz ergäbe sich für 2007 eine Hinzuschätzung in Höhe von 27.661,25 EUR und für 2008 in Höhe von 24.971,75 EUR. Daran anschließend sei auch die Schätzung in Höhe von 25.000,00 EUR für das Jahr 2006 sowie in Höhe von 20.000,00 EUR für die Jahre 2003 bis 2005 zutreffend.
    Die unentgeltlichen Wertabgaben seien für die Jahre 2004 bis 2008 pauschal auf jeweils 15.000,00 EUR jährlich geschätzt worden bei Jahreswerten von sechs Arbeitnehmern / Familienangehörigen. Im Jahr 2003 sei das Finanzamt nicht vom erklärten Wert in Höhe von 13.000,00 EUR abgewichen. Die möglicherweise der Schätzung innewohnenden Unsicherheiten gingen zu Lasten der Kläger, die durch ihr Verhalten Anlass für die Schätzung gegeben hätten.
    Darüber hinaus wies das Finanzamt darauf hin, dass im Rahmen der ersten groben Schätzung, die zu Mehrsteuern i.H.v. 800.000 EUR geführt hätte, zunächst mit einem Rohgewinnaufschlagssatz von 275 v.H. kalkuliert worden sei.
    Weiter machte es Ausführungen zur Ermittlung des Rohgewinnaufschlagssatzes in Höhe von 250 v.H., der im Rahmen der Schätzungsbescheide vom 21. Juni 2010 zur Anwendung gekommen war (siehe im Einzelnen hierzu Einspruchsentscheidung vom 11. April 2011). Diese Größenordnung habe man anhand von Eingangsrechnungen sowie weiterer verschiedener Kalkulationsmethoden ermittelt. Für einen Döner habe das Finanzamt einen Rohgewinnaufschlagssatz von 253 v.H. festgestellt. Die Kalkulation sei anhand von Eingangsrechnungen durchgeführt worden. Für das Verkaufssortiment der Getränke habe das Finanzamt exemplarisch einen Rohgewinnaufschlagssatz von 274 v.H. ermittelt. Abschläge wegen Verderbs in Höhe von 10 v.H. seien bei der Kalkulation der Döner sowie bei der Kalkulation der Getränke vorgenommen worden.
    Die Erhöhung der Umsätze lasse sich durch weitere Kalkulationen untermauern. Aufgrund der nur teilweise für das Jahr 2008 vorhandenen Z-Bons, die fortlaufend nummeriert seien, ließe sich ein Jahresumsatz von 489.112,00 EUR ermitteln, d.h. ein durchschnittlich kalkulativer Tagesumsatz von 1.344,00 EUR. Gestützt werden könne dieses Ergebnis durch die Kalkulation anhand der Umsätze. Im Zeitraum vom 31. März bis 11. Mai 2008 habe der Einkauf von insgesamt 17.870 Fladenbroten festgestellt werden können. Ausgehend von einer Verderbquote von 10 v.H. habe in diesem Zeitraum von mindestens 16.000 verkauften Dönern ausgegangen werden können. Bei einem Verkaufspreis von 3,50 EUR brutto seien in 42 Tagen dann ca. 56.000,00 EUR Umsatz allein durch Dönerverkäufe erzielt worden. Dies entspreche einem rechnerischen Tagesumsatz von 1.343,00 EUR.
    Am 7. Mai 2011 haben die Kläger Klage erhoben, mit der sie insbesondere die Nichtigkeit der nach Abschluss der Betriebsprüfung erlassenen Bescheide vom 21. Juni 2010 geltend machen. Diese Bescheide seien gemäß § 125 Abs. 1 AO nichtig, da sie an einem besonderen schwerwiegenden Fehler litten und dieser bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig sei. Selbst wenn die im Rahmen der Einspruchsentscheidung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Bescheide ihrem Inhalt nach anders zu beurteilen seien, sei jedoch zu beachten, dass nichtige Bescheide keine Rechtswirkung erzeugten, so dass sie weder geheilt noch nach den Berichtigungsvorschriften der §§ 172 ff. AO korrigiert werden könnten. Es müssten daher erstmalige Bescheide erteilt werden. Die aufgrund der Einsprüche geänderten Bescheide erfüllten diese Voraussetzung nicht, weil sie in Gestalt der Einspruchsentscheidung erlassen worden seien. Im Streitfall litten die Bescheide vom 21. Juni 2010 deshalb an einem besonders schwerwiegenden Fehler im Sinne des § 125 Abs. 1 AO, weil sie die Anforderungen, die an eine Schätzung gemäß § 162 AO zu stellen seien, nicht erfüllten. Zwar sei nicht zu bestreiten, dass die Voraussetzungen für eine Schätzung vorgelegen hätten und auch bei Anwendung zuverlässiger Schätzungsmethoden auftretende Unsicherheiten in Kauf zu nehmen gewesen wären. Jedoch würde allein bei der Schätzung von Mehrsteuern zwischen 800.000,00 EUR und 170.000,00 EUR in geradezu abenteuerlicher Weise gegen alle vernünftigen und sich aufdrängenden Schätzungsgrundsätze verstoßen. Derart unterschiedliche Schätzungsergebnisse lägen nicht innerhalb eines Schätzungsrahmens. Die Schätzungen müssten daher als willkürlich angesehen werden, weil sie ohne jeden sachlichen Bezug zustande gekommen seien.
    Die erste Schätzung der Mehrsteuern von 800.000,00 EUR, deren Grundlagen nicht erläutert worden seien, verbunden mit dem Hinweis auf Haftbefehl und Freiheitsentzug sei als Maßnahme des Druckes eingesetzt worden, um den Klägern zu drohen und sie zu veranlassen, einen weit unter 800.000,00 EUR liegendes Mehrergebnis anzuerkennen und zu einer entsprechenden „tatsächlichen Verständigung” bereit zu sein. Dies allein würde die Nichtigkeit der streitigen Steuerbescheide begründen.
    In dem zweiten Termin, in dem Mehrsteuern i.H.v. 550.000 EUR geschätzt worden seien, seien zwar Zahlen zur Erhöhung des Wareneinsatzes und der Rohgewinnaufschlagssätze vorgelegt worden, ohne jedoch darzulegen, aufgrund welcher Unterlagen diese Hinzuschätzungen vorgenommen worden seien. Aufgrund von beschlagnahmten Z-Bons für das Jahr 2008 sei auf eine Einnahmekürzung von 50 Prozent geschlossen worden. Soweit für Döner-Umsätze eine Kalkulation anhand von Eingangsrechnungen der Fladenbrote zugrunde gelegt worden sei, sei nicht beachtet worden, dass die Fladenbrote auch isoliert mit einem Aufpreis von 10 Cent veräußert worden seien, worauf mehrfach hingewiesen worden sei.
    Ein weiterer selbstständiger Nichtigkeitsgrund sei das Abweichen von dem Ergebnis der Schlussbesprechung am 1. Juni 2010. Es sei dort – wie schon am 5. Mai 2010 – die Rede von einer Nachzahlung i.H.v. 170.000 EUR gewesen, die Grundlage für die tatsächliche Verständigung werden sollte. Diesen von den bisherigen Schätzungen abweichenden Vorschlag habe das Finanzamt damit begründet, dass nur das festgesetzt werden sollte, was beitreibbar sei, wenn die Kläger sich reuig zeigten.
    Das von den Außenprüfern genannte Motiv für die „Zuschätzung” von 170.000,00 EUR auf 480.000,00 EUR, ein im Restaurant befindlicher Beamter habe als Gast beobachtet, dass ein nicht identifizierter Mitarbeiter der GmbH einen Betrag nicht gebongt habe, sei steuerlich nicht relevant. Es sei auch in keiner Weise nachvollziehbar, nach welchen Kriterien die Erhöhung um 310.000,00 EUR erfolgt sei. Es handele sich daher nicht um eine Schätzung im Sinne des § 162 AO, sondern nur um eine formell als Schätzung bezeichnete willkürliche Gewinnerhöhung, die ohne sachlichen Bezug bloß zum Nachteil der Kläger vorgenommen sei, die den Charakter einer Strafschätzung habe und damit schon aus diesem Grunde nichtig sei (Bundesfinanzhof -BFH-, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2008, 381).
    Außerdem sei darauf hingewiesen, dass eine Schätzung unter einer Bedingung im Steuerrecht nicht vorgesehen sei. Die Weisung des Vorstehers, die Schätzung solle nur wirksam werden, wenn die Steuerpflichtigen „reuige Sünder” seien, begründe ebenfalls die Nichtigkeit der Verwaltungsakte.
    Tatsächlich wichen die Schätzungen mit den Ergebnissen von 800.000,00 EUR, 550.000,00 EUR und 480.000,00 EUR, bezogen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger, krass von den tatsächlichen Verhältnissen ab. Eine Vermögenszuwachsrechnung hätte ergeben, dass Mehrsteuern in dieser Größenordnung nicht entstanden sein können.
    Die Kläger beantragen,
    die ESt-Bescheide sowie die GewSt-Messbescheide 2003 bis 2008, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 21. April 2011, aufzuheben.
    Das Finanzamt beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Im Rahmen der Klageerwiderung trägt das Finanzamt vor, die Bescheide seien nicht nichtig, da die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO erforderlich gewesen sei und sich die Schätzung im Schätzungsrahmen halte. Die Schätzung dürfte sich - unter Beachtung der Umstände des Einzelfalles - auch am oberen Rahmen des Schätzungsrahmens orientieren. Dies gelte insbesondere dann, wenn Einkünfte vorsätzlich nicht erfasst worden seien. Eine bewusste Schätzung zum Nachteil des Klägers liege nicht vor. Die ursprüngliche Hochrechnung der Besteuerungsgrundlagen - unter Berücksichtigung eines Rohgewinnaufschlagssatzes von 275 v.H. - habe zu Mehrsteuern von ca. 800.000,00 EUR für die ESt, USt und GewSt geführt. Sie habe auf einer überschlägigen Kalkulation auf Bitten des Klägers beruht, der habe wissen wollen, was an Mehrsteuern zu erwarten sei. Gerade bei einer ersten Hochrechnung seien Unsicherheiten nicht zu vermeiden. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen hätten sich die Schätzungen reduziert und in Höhe von rund 480.000,00 EUR in den Berichtigungsbescheiden ihren Niederschlag gefunden. Das Angebot zur tatsächlichen Verständigung über 170.000,00 EUR habe der Bitte der Kläger entsprochen, über eine Möglichkeit nachzudenken, die eine Fortführung des Betriebes ermöglichte. Dieses Angebot sei an bestimmte Voraussetzungen geknüpft worden, im entscheidenden Fall an konkrete Auflagen und Bedingungen, die in der Folge nicht erfüllt worden seien. Deshalb habe das Finanzamt an seinem Angebot nicht mehr festgehalten. Das Angebot, welches zum Zwecke des Rechtsfriedens unter Rückstellung erheblicher Bedenken gemacht worden sei, hätte auch keine Bindungswirkung gehabt. Die Kläger hätten neben den erheblichen Buchführungsmängeln zugegeben, dass Einnahmen und Ausgaben verkürzt worden seien. Das Finanzamt habe die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen in den Änderungsbescheiden vom 21. Juni 2010 unter Bezugnahme auf den Bericht über die Außenprüfung vom 4. Juni 2010 begründet. Für die Jahre 2006 bis 2008 seien keine Steuererklärungen eingereicht worden, so dass erstmalige Schätzungen erfolgt seien. Die Schätzungen beinhalteten auch Eigenverbräuche sowie zu Gunsten der Kläger Betriebsausgaben in erheblichem Umfang. Eine bewusste Schätzung zum Nachteil der Kläger oder gar Willkürmaßnahmen der Behörde lägen daher nicht vor. Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sei in der Einspruchsentscheidung vom 11. April 2011 anhand von Rohgewinnaufschlagssätzen, beschlagnahmten Z-Bons, Umsätzen und Wareneinkäufen weiter konkretisiert worden. Im Übrigen verweise das Finanzamt auf die Einspruchsentscheidung.
    Am 2. November 2011 fand zusammen mit dem zuständigen Berichterstatter für die USt im Verfahren 4 K 103/11 ein Erörterungstermin beim Finanzgericht statt. Die in diesem Termin vereinbarte tatsächliche Verständigung unter Widerrufsvorbehalt wurde von den Klägern am 30. November 2011 widerrufen.
    Nach Anhörung der Beteiligten wurden die Verfahren 2 K 101/11 und 2 K 102/11 wegen ESt und GewSt-Messbeträgen 2003 bis 2008 mit Beschluss des Gerichts vom 20. Dezember 2011 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
    Mit Antrag vom 16. Februar 2012 haben die Kläger erneut bei Gericht die Aussetzung der Vollziehung der ESt- und USt-Bescheide 2003 – 2008 beantragt (Az. 2 V 41/12).
    Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die vorbereitenden Schriftsätze und die Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese waren beigezogen und Gegenstand des Verfahrens.
    Gründe
    Die zulässige Klage ist unbegründet.
    Die Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 2003 -2008 vom 21. Juni 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 11. April 2011 sind rechtmäßig und verletzten die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO). Sie sind nicht nichtig (I.). Die Schätzungen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb des Klägers, die sich das Gericht zu eigen macht, sind nicht zu beanstanden (II.).
    I. Die Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 2003-2008 sind nicht nichtig.
    Als nichtig kann nach § 125 Abs. 1 AO ein Verwaltungsakt - und damit auch ein Steuerbescheid - nur angesehen werden, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies außerdem bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind nur ausnahmsweise gegeben; in der Regel ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt lediglich anfechtbar. Um das Anfechtungserfordernis im Interesse der Rechtssicherheit nicht zu beeinträchtigen, hat die Rechtsprechung einen besonders schwerwiegenden Fehler nur angenommen, wenn er die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den ergangenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (BFH-Beschluss vom 1. Oktober 1981 IV B 13/81, BStBl II 1982, 133; Urteile vom 11. Juli 1986 VI R 105/83, BStBl II 1986, 775; vom 22. November 1988 VII R 173/85, BStBl II 1989, 220; Beschluss vom 14. April 1989 III B 5/89, BStBl II 1990, 351). Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss anhand der jeweiligen für das Verhalten der Behörde maßgebenden Rechtsvorschrift beurteilt werden. Für die im Streitfall vorgenommene Schätzung der Besteuerungsgrundlagen verlangt § 162 Abs. 1 Satz 2 AO die Berücksichtigung aller Umstände, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Dabei erscheint eine Schätzung nicht schon deswegen als rechtswidrig, weil sie von den tatsächlichen Verhältnissen abweicht; solche Abweichungen sind notwendig mit einer Schätzung verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt. Die Schätzung erweist sich vielmehr erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt. Wird die Schätzung erforderlich, weil der Steuerpflichtige - wie im Streitfall - seiner Buchführungspflicht nicht genügt, kann sich das Finanzamt an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen will (vgl. Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 162 AO Rz. 39 mit Rechtsprechungsnachweisen, Seer in Tipke/Kruse, AO-FGO, § 162 AO Tz. 98). Verlässt eine überzogene Schätzung diesen Rahmen, hat dies im Allgemeinen nur die Rechtswidrigkeit der Schätzung, nicht aber bereits ihre Nichtigkeit zur Folge. Nichtigkeit ist selbst bei groben Schätzungsfehlern, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, regelmäßig nicht anzunehmen (BFH-Urteil vom 1. Oktober 1992 IV R 34/90, BStBl II 1993, 259 m.w.N.). Etwas anderes ist nach dieser Rechtsprechung, der das Gericht folgt, allenfalls zu erwägen, wenn sich das FA nicht nach dem Auftrag des § 162 Abs. 1 AO an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat (Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 162 AO Rz. 42). Willkürmaßnahmen, die mit den Anforderungen an eine ordnungsmäßige Verwaltung schlechterdings nicht zu vereinbaren sind, können einen besonders schweren Fehler i.S. von § 125 Abs. 1 AO 1977 abgeben (allgemeine Meinung, vgl. Seer, a.a.O., Rz. 99; Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 10. Aufl., § 162 Rz. 50).
    Diesen Grundsätzen folgend sind weder die Bescheide vom 21. Juni 2010 noch die Bescheide vom 11. April 2011 nichtig.
    1. Die Bescheide vom 21. Juni 2010 sind nicht nichtig.
    Zwar ist den Klägern zuzugestehen, dass zwischen den Schätzungsergebnissen von rund 800.000 EUR und 170.000 EUR eine erhebliche Differenz besteht. Berücksichtigt werden muss jedoch, dass sich beide Ergebnisse nicht in Bescheiden niedergeschlagen haben.
    Bei der den Klägern im Rahmen des Termins vom 17. März 2010 unterbreiteten ersten Schätzung mit Mehrsteuern i.H.v. ca. 800.000 EUR konnte es sich sechs Tage nach den durchgeführten Durchsuchungen nur um eine grobe Schätzung handeln. Eine sorgfältige Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen unter Berücksichtigung von Einlassungen der Kläger war in der Kürze der Zeit nicht möglich. Dies war auch für die Kläger erkennbar, zumal sie in diesem Termin erstmalig nach der Durchsuchung die Möglichkeit hatten, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Außerdem ist zu beachten, dass sich diese Schätzung in keinem Bescheid niedergeschlagen hat. Dies ist aber Voraussetzung dafür, dass selbst eine willkürliche Schätzung greifbar wird und daraus die Nichtigkeit der Bescheide folgt. Eine griffweise und möglicherweise rechtswidrige oder gar willkürliche, zu hohe Schätzung, die keinen Eingang in einen Bescheid findet, ist nicht anfechtbar.
    Selbst wenn diese Schätzung jedoch Eingang in Bescheide gefunden hätte, hätte dies nicht zwangsläufig zur Nichtigkeit dieser Bescheide geführt. Das wäre nur der Fall, wenn es Anhaltspunkte dafür gäbe, dass die Schätzung unter willkürlicher Missachtung des § 162 Abs. 1 Satz 2 AO vorgenommen wurde. Selbst grobe Schätzfehler, bei denen es näher liegt, dass sie auf Nachlässigkeit oder auf Verkennung der Verhältnisse des Einzelfalles beruhen, machen Bescheide nur rechtswidrig und nicht nichtig (vgl. BFH-Urteil vom 1. Oktober 1992 IV R 34/90, BFHE 169, 503, BStBl II 1993, 259 mit Beispielsfällen). Anhaltspunkte für eine willkürliche Missachtung des § 162 Abs. 1 Satz 2 AO sind im Streitfall nicht erkennbar. Selbst diese Schätzung mit einem Rohgewinnaufschlagsatz (RGAS) von 275 v.H. lag im Rahmen der Richtsätze. Näher liegt die Möglichkeit, dass sie ohne ausreichende Berücksichtigung von für die Kläger günstigen Tatsachen vorgenommen wurde.
    Gegenstand der Überprüfung sind die Bescheide vom 21. Juni 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung. Vorausgegangene Berechnungen sind im Rahmen der Beurteilung ohne Bedeutung. Selbst wenn man unterstellt, dass durch die zunächst errechnete hohe Steuernachforderung und die Erläuterung der möglichen strafrechtlichen Folgen bei einer Steuerhinterziehung in dieser Größenordnung Druck ausgeübt wurde, führt dies nicht zur Nichtigkeit der späteren Bescheide. Die Behörde hat im Bericht vom 4. Juni 2010 und in der Einspruchsentscheidung vom 11. April 2011 dargestellt, welche Überlegungen der erstmaligen Festsetzung vom 21. Juni 2010 zugrunde lagen.
    Das Angebot des Finanzamtes zur tatsächlichen Verständigung, aufgrund dessen sich eine Steuernachforderung i.H.v. insgesamt 170.000 EUR ergeben hätte, war nicht bindend, solange es nicht von allen Seiten unterzeichnet worden war. Es war wegen der Schwierigkeit der Sachaufklärung zur Vermeidung langwieriger Ermittlungen und zur Vermeidung eines Rechtsstreites durch das Finanzamt unterbreitet worden und an bestimmte Voraussetzungen gebunden, die nach Ansicht des Finanzamtes nicht erfüllt wurden. Das Finanzamt war frei in der Entscheidung, dieses Angebot von der Erfüllung von Auflagen abhängig zu machen und jederzeit bis zur Unterzeichnung zurückzuziehen, insbesondere auch weil es der Meinung war, die Auflagen würden nicht erfüllt.
    In der Schätzung, die aufgrund des Betriebsprüfungsberichtes tatsächlich Eingang in die Bescheide vom 21. Juni 2010 fand, kann das Gericht keine Willkürmaßnahmen oder eine bewusste Schätzung zum Nachteil der Kläger erkennen. So hat das Finanzamt bei seiner Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zum Beispiel den Eigenverbrauch, der den Wareneinsatz mindert, mit 15.000 Euro zu Gunsten der Kläger hoch geschätzt und den geschätzten zusätzlichen Wareneinkauf sowie die gezahlte Vorsteuer trotz § 160 AO im Rahmen der Betriebsausgaben berücksichtigt. Auch die Schätzung des zusätzlichen Wareneinsatzes in Höhe von 25.000 Euro bzw. 40.000 Euro erscheint nicht als Willkürmaßnahme. Darüber hinaus sind auch weitere Betriebsausgaben in erheblichem Umfang zugunsten der Kläger berücksichtigt worden. In der Einspruchsentscheidung vom 11. April 2011 sind die Schätzungsgrundlagen weiter konkretisiert und zu Gunsten der Kläger erheblich reduziert worden.
    2. Selbst wenn man der Argumentation der Kläger folgt und die Bescheide vom 21. Juni 2010 als nichtig ansähe, sind jedoch jedenfalls die Bescheide vom 11. April 2011 nicht nichtig.
    Das Finanzamt hat die Bescheide vom 11. April 2011 im Rahmen seiner Einspruchsentscheidung als Anlage erlassen. Wären die Bescheide vom 21. Juni 2011 nichtig, handelte es sich bei den Bescheiden vom 11. April 2011 für die Jahre 2003 bis 2005 um erstmalige Änderungsbescheide auf der Grundlage des § 173 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 164 Abs. 2 AO und für die Jahre 2006 bis 2008 um erstmalige Bescheide. Die Festsetzungsfrist war nach den §§ 169, 170 Abs. 2 AO noch nicht abgelaufen.
    Die Kläger haben selbst eingeräumt, dass die Bescheide vom 11. April 2011 isoliert möglicherweise anders zu betrachten seien, und machen für diese keine Nichtigkeit geltend. Durch den Erlass dieser Bescheide im Rahmen der Einspruchsentscheidung ist das Finanzamt der Forderung der Kläger nach erstmaligen Bescheiden quasi zuvorgekommen. Da schon den Bescheiden vom 21. Juni 2010 kein so schwerwiegender Fehler anhaftet, dass diese nichtig sind (s. 1.), gilt dies für die Bescheide vom 11. April 2011 erst recht.
    II. Die Schätzungen des Finanzamtes sind der Höhe nach gerechtfertigt.
    Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen hat zu erfolgen, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Bücher und Aufzeichnungen unvollständig oder formell oder sachlich unrichtig sind (§ 162 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO). Diese Voraussetzungen liegen unstreitig vor, denn die Kläger haben eingeräumt, Einnahmen und Ausgaben unvollständig erfasst zu haben (§§ 162, 146, 143 Abs. 1 AO 1977).
    Die Schätzung ist ein Verfahren, Besteuerungsgrundlagen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu ermitteln, wenn eine sichere Feststellung trotz des Bemühens um Aufklärung nicht möglich ist. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für ein solches Verfahren von Bedeutung sein können (§ 162 Abs. 1 Satz 2 AO). Auszugehen ist von dem aufgeklärten Sachverhalt. Es bedarf weiterhin der Feststellung, dass eine weitere Sachaufklärung nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Erst in diesem Stadium setzen die Schätzungsüberlegungen ein, die aus dem festgestellten Sachverhalt folgern, dass die Besteuerungsgrundlagen in einer wahrscheinlichen Höhe verwirklicht worden sind (BFH-Urteil vom 2. Februar 1982 VIII R 65/80, BStBl II 1982, 409). Die durch Schätzung ermittelte Besteuerungsgrundlage enthält einen Unsicherheitsbereich, der vom Wahrscheinlichkeitsgrad der Schätzung abhängig ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Schätzung zutreffend ist, wird um so größer sein, je umfangreicher der zugrunde gelegte gewisse Sachverhalt und je zuverlässiger die angewandte Schätzungsmethode ist. Eine genaue Bestimmung der Besteuerungsgrundlage kann im Schätzungsweg trotz Bemühens um Zuverlässigkeit allenfalls zufällig erreicht werden.
    Welche Schätzungsmethode dem Ziel, die Besteuerungsgrundlagen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen so zu bestimmen, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahe kommen, am besten gerecht wird, ist grundsätzlich eine Frage der Tatsachenfeststellung durch das FG, das gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO eine eigene Schätzungsbefugnis hat (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1984 VIII R 195/82, BStBl II 1986, 226). Schätzungen müssen insgesamt in sich schlüssig sein; ihre Ergebnisse müssen darüber hinaus wirtschaftlich vernünftig und möglich sein.
    Im Hinblick auf die im Streitfall gegebenen großen Manipulationsmöglichkeiten (fast ausschließlich Bargeschäfte) und die von den Klägern zu vertretenden fehlenden Überprüfungsmöglichkeiten (fehlende Belege, unrichtige Aufzeichnungen) ist lediglich eine grobe Schätzung geboten (vgl. BFH-Urteil vom 12. April 1988 VIII R 154/84, BFH/NV 1989, 636). Eine Schätzung nach Richtsätzen ist im Streitfall schon deshalb sachgerecht, weil für die Streitjahre mangels Vorlage von vollständigen Wareneinkaufsbelegen ein interner Betriebsvergleich ausscheidet (Urteil des FG Münster vom 31. Oktober 2000 5 K 6660/98 E, EFG 2001, 401).
    Das Finanzamt hat seiner Schätzung kombinierte Mittelwerte aus der amtlichen Richtsatzsammlung für Imbisse, Pizzerien und Gaststätten zu Grunde gelegt. Weiter hat es den erhöhten Wareneinsatz aufgrund einer Hochrechnung anhand nachweislich nicht erfasster Wareneingangsbelege für die Jahre 2007 und 2008 abgeleitet. Der Ansatz des Eigenverbrauchs ist nicht streitig.
    Die Schätzung des Finanzamtes scheint in sich schlüssig, das Ergebnis wirtschaftlich möglich und vernünftig.
    Die zusätzlichen Wareneinkäufe wurden für die Jahre 2007 und 2008 konkret aus den im Rahmen der Fahndungsprüfung aufgefundenen, nicht in der Buchhaltung enthaltenen Eingangsrechnungen unter Berücksichtigung eines Sicherheitsabschlages von 20 v.H. geschätzt. Die Werte für die Vorjahre lassen sich aus diesen nachvollziehbar ableiten.
    Die RGAS konnte das Finanzamt anhand von Richtsatzwerten aus ähnlichen Betrieben ermitteln, da es keine Richtsätze für Döner-Imbisse gibt. Der Betrieb der Kläger ist ein Imbiss mit etlichen Sitzgelegenheiten, so dass als Vergleichsbetriebe sowohl Imbisse als auch Gaststätten in Betracht kommen. Da in Pizzerien – wie auch in Döner-Imbissen – häufig die Möglichkeit besteht, Speisen sowohl vor Ort als auch außer Haus zu verzehren, liegt auch ein Vergleich mit diesen Richtsätzen nahe. Allerdings gründen sich die hohen Werte der Richtsätze von Pizzerien darauf, dass die verwendeten Zutaten, insbesondere Teig/Nudeln und Belag bzw. Saucen, günstiger zu erwerben sind als die in anderen Imbissen/Gaststätten verwendeten Zutaten wie beispielsweise Fleisch. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass der kombinierte Mittelwert von 220 und 235 v.H. trotzdem annähernd dem Mittelwert für Gaststätten entspricht und noch weit unter dem oberen Wert für Imbisse liegt. Wenn man weiter berücksichtigt, dass es sich beim Betrieb der Kläger in den Streitjahren unwidersprochen um einen gut laufenden Betrieb in guter Lage und mit gutem Ruf handelte, scheint der Wert von 220 bzw. 235 v.H. nicht zu hoch, selbst wenn man die Richtsätze für Pizzerien nicht mit einbezieht.
    Dies gilt umso mehr, als das Finanzamt die Werte durch weitere Kalkulationen abgesichert hat.
    So hat es einen Aufschlagsatz für Döner von 253 v.H. ermittelt. Auch wenn die Kläger im Erörterungstermin den vom Finanzamt veranschlagten Netto-Gesamtkosten von 0,90 EUR pro Döner widersprochen haben, so konnten sie jedoch keinen nachvollziehbaren eigenen Vorschlag unterbreiten. Das Finanzamt hat darüber hinaus einen Abschlag für Garverluste berücksichtigt.
    Die Begründung für den im Jahr 2008 beibehaltenen RGAS i. H. v. 250 v.H. ist sowohl im Hinblick auf die Richtsätze als auch im Hinblick auf die vom Finanzamt vorgelegte Umsatzkalkulation nachvollziehbar und nicht zu beanstanden. Er bleibt nach Richtsätzen immer noch erheblich unter den oberen Werten für Imbisse und Gaststätten im Jahr 2008, obwohl nach Sachlage auch eine Schätzung im obersten Bereich der Werte vertretbar wäre. Das aufgrund des geschätzten Wareneinsatzes und des angewandten RGAS ermittelte Ergebnis liegt noch deutlich unter dem, welches sich aufgrund der anhand der aufgefundenen Z-Bons vorgenommenen Kalkulation für das Jahr 2008 ergibt. Die Kalkulation anhand der Z-Bons hat das Finanzamt für einen Zeitraum von 42 Tagen im Jahr 2008 aufgrund der in dieser Zeit gekauften Döner-Brote unter Berücksichtigung eines Verderbs von 10 v.H. nochmals abgesichert. Da die Kläger ihren Einwand, es seien auch Fladenbrote isoliert mit nur einem Aufpreis von 10 Cent weiterveräußert worden, nicht mit konkreten nachvollziehbaren Zahlen untermauern konnten, war ein weiterer Abschlag nicht gerechtfertigt. Durch den Umstand, dass sich das Finanzamt mit seiner Schätzung nicht an den obersten Werten orientiert hat, ist diese Unsicherheit abgegolten.
    Außerdem kann die Unschärfe, die jeder Schätzung anhaftet, im Allgemeinen vernachlässigt werden. Soweit sie sich zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirkt, muss er sie hinnehmen, zumal wenn er den Anlass für die Schätzung gegeben hat (BFH-Urteil vom 26. April 1983 VIII R 38/82, BFHE 138, 323, BStBl II 1983, 618). Das Finanzamt musste das so gefundene Schätzungsergebnis nicht durch eine Geldverkehrsrechnung erhärten (vgl. FG München vom 29.10.2009 15 K 219/07, EFG 2011, 10).
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
    Gründe die Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, sind nicht ersichtlich.

    VorschriftenAO §§ 125 Abs. 1, 162

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