· Fachbeitrag · Betriebsprüfung
Nach der BP entspannt zurücklehnen: Das macht § 153 Abs. 4 AO leider unmöglich
von Dipl.-Finanzwirt Marvin Gummels, Hage
| Eine Betriebsprüfung bedeutet sowohl für den Unternehmer als auch für den Steuerberater einen erheblichen Mehraufwand. Daher ist die Erleichterung meist groß, wenn die Prüfung abgeschlossen ist. Doch leider endet die zusätzliche Arbeitsbelastung seit 2025 nicht automatisch mit dem Abschluss der Betriebsprüfung. Denn nach § 153 Abs. 4 AO müssen nun alle abgegebenen, aber nicht vom Betriebsprüfer geprüften Steuererklärungen selbstständig auf Folgewirkungen untersucht werden. Werden Fehler festgestellt, sind diese zwingend zu berichtigen. |
1. Grundsatz: § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO
Erkennt ein Steuerpflichtiger nach Abgabe der (Steuer-)Erklärung, aber vor Ablauf der Festsetzungsfrist, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, ist er gemäß § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO dazu verpflichtet, dies unverzüglich dem FA anzuzeigen und eine Richtigstellung vorzunehmen. Diese Verpflichtung gilt gleichermaßen für den steuerlichen Vertreter, wenn dieser die Erklärung vorbereitet, unterschrieben oder elektronisch an das FA übermittelt hat. Sie trifft auch den Gesamtrechtsnachfolger des Steuerpflichtigen im Erbfall und die nach den §§ 34 und 35 AO für den Steuerpflichtigen handelnden Personen. Die vorsätzliche Nichtberichtigung eines erkannten Fehlers ist als Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbewehrt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO).
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Unternehmer U erstellt seine private Einkommensteuererklärung für das Jahr 2024. Dabei übernimmt er zunächst die Daten des Vorjahrs 2023, die im Bereich des § 35a EStG auch die Kosten für eine neue Heizung enthalten. Bei der Fortschreibung des Zahlenwerks auf 2024 stellt U fest, dass zwar die Rechnung für die neue Heizung aus dem Jahr 2023 stammt, er diese aber erst im Januar 2024 bezahlt hat. U macht daher die Bruttolohnkosten im Jahr 2024 erneut geltend.
Lösung: Die Steuerermäßigung nach § 35a EStG ist im Zahlungsjahr 2024 zu gewähren (§ 11 EStG). Dass die Rechnung aus dem Jahr 2023 stammt, ist unerheblich. U hat daher die Bruttolohnkosten in seiner Einkommensteuererklärung für 2024 zutreffend (erneut) deklariert. Weil ihm der Fehler für 2023 aufgefallen ist, hätte er jedoch die Steuererklärung für 2023 berichtigen müssen. Die Folge: Das FA hätte die Steuerfestsetzung für 2023 geändert und erhöht, z. B. gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 oder § 174 Abs. 2 AO. Das hat U versäumt. |
Diese Berichtigungspflicht ist seit Jahrzehnten bekannt. Allerdings verpflichtet sie nur zu einer Richtigstellung nach einem tatsächlichen Erkennen des Fehlers. Dies setzt die Kenntnis der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Erklärung sowie die Erkenntnis voraus, dass die Erklärung zu einer Steuerverkürzung führen kann oder bereits geführt hat. Keine Anwendung findet die Vorschrift folglich bei einem bloßen „Erkennen-Können“ bzw. „Erkennen-Müssen“ des Fehlers (AEAO zu § 153 Tz. 2.4), denn es besteht über § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO keine Nachforschungspflicht zulasten des Steuerpflichtigen. Der Steuerpflichtige wird folglich bislang nach einer durchgeführten Betriebsprüfung nicht gemäß § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO dazu verpflichtet, alle anderen von ihm abgegebenen Steuererklärungen dahin gehend durchzusehen, ob von der Betriebsprüfung festgestellte Fehler auch in diesen enthalten sind und sich deshalb eine Berichtigungspflicht ergibt.
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Bei U fand im Dezember 2024 eine Betriebsprüfung für die Jahre 2020 bis 2022 statt. Diese stellte fest, dass der Bruttolistenpreis für die private Pkw-Nutzung bisher zu gering angesetzt wurde. Dadurch wurden die Gewinn erhöhenden Entnahmen zu niedrig erfasst.
Lösung: Die Betriebsprüfung erstreckt sich nur auf die Jahre 2020 bis 2022, sodass der Fehler durch die Prüfung nur für diese Jahre korrigiert wird. Sollte U bereits für das Folgejahr 2023 eine Steuererklärung abgegeben haben, wird er durch § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht dazu verpflichtet, diese aktiv daraufhin zu überprüfen, ob er auch hier einen zu niedrigen Bruttolistenpreis zugrunde gelegt hat. Für nach Abschluss der Prüfung neu erstellte Steuererklärungen muss U jedoch das Ergebnis der Betriebsprüfung berücksichtigen. |
MERKE | Der Steuerpflichtige macht sich bisher nicht wegen einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbar, wenn er keine Korrekturen vornimmt, obwohl er auf Grundlage einer Prüfungsfeststellung die Unrichtigkeit einer anderen nicht geprüften Steuererklärung billigend in Kauf nimmt. |
2. Der neue § 153 Abs. 4 AO nach einer Betriebsprüfung
Mit Wirkung ab 2025 wurde § 153 AO durch das DAC7-Umsetzungsgesetz um einen neuen Abs. 4 ergänzt. Dieser besagt, dass die in § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO verankerte Berichtigungspflicht auch dann besteht, wenn Prüfungsfeststellungen unanfechtbar in einem
- Steuerbescheid (§ 155 Abs. 1 AO),
- Feststellungsbescheid (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 AO) oder
- Teilabschlussbescheid (§ 180 Abs. 1a AO)
umgesetzt worden sind und die den Prüfungsfeststellungen zugrunde liegenden Sachverhalte auch in einer anderen vom oder für den Steuerpflichtigen abgegebenen Erklärung, die nicht Gegenstand der Außenprüfung war, zu einer Änderung der Besteuerungsgrundlagen führen. Damit besteht über § 153 Abs. 4 AO erstmals eine Nachforschungspflicht zulasten des Steuerpflichtigen. Dieser kann sich nach Abschluss einer Betriebsprüfung nicht mehr entspannt zurücklehnen und lediglich die ggf. geforderte Steuernachzahlung leisten. Vielmehr muss er nun aktiv prüfen, ob der von der Betriebsprüfung festgestellte Fehler auch in anderen von ihm oder für ihn abgegebenen ‒ und von der Betriebsprüfung nicht geprüften ‒ (Steuer-)Erklärungen enthalten ist.
MERKE | § 153 Abs. 4 AO gilt für Steuern, die nach dem 31.12.24 entstehen (§ 37 Abs. 2 EGAO). Allerdings schreibt § 37 Abs. 3 EGAO vor, dass die Vorschrift auch auf vor dem 1.1.25 entstandene Steuern anzuwenden ist, wenn für diese nach dem 31.12.24 eine Prüfungsanordnung (§ 196 AO) bekannt gegeben wurde. In der Praxis führt das effektiv dazu, dass die Vorschrift bei Bekanntgabe der Prüfungsanordnung nach dem 31.12.24 auch auf alte Veranlagungszeiträume ausstrahlt und für diese die Berichtigungspflicht eröffnet. |
Hintergrund für § 153 Abs. 4 AO ist die beabsichtigte Beschleunigung der Außenprüfung. Denn vor allem bei anschlussgeprüften Unternehmen mit vielen Prüfungsfeststellungen kann die Anpassung von vorhandenen Steuererklärungen an die Ergebnisse der vorherigen Prüfung viel Zeit in Anspruch nehmen. Um dies zu vermeiden und die Anschlussprüfung somit zu beschleunigen, muss der Steuerpflichtige die notwendigen Anpassungen nun selbst vornehmen (BT-Drs. 20/3436 vom 19.9.22). Der bisher die Finanzverwaltung treffende Arbeitsaufwand wurde damit auf den Steuerpflichtigen bzw. dessen steuerlichen Vertreter abgewälzt. Praktische Bedeutung hat § 153 Abs. 4 AO deshalb vor allem dann, wenn sich eine Betriebsprüfung länger hinauszögert und das letzte Jahr des Prüfungszeitraums nicht dem letzten Jahr der bereits abgegebenen Steuererklärungen entspricht.
Beachten Sie | In der Praxis ist das vor allem bei Groß- und Konzernbetriebsprüfungen der Fall. Hintergrund hierfür ist, dass diese Betriebe typischerweise ohnehin anschlussgeprüft werden, sodass Prüfungserweiterungen oft nicht vorgenommen werden. Deshalb dürften in der Praxis vor allem Großbetriebe und Konzerne mit dem neuen § 153 Abs. 4 AO konfrontiert werden.
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U hat für die Jahre 2020 bis 2022 Steuererklärungen abgegeben. 2025 ergeht für diese Jahre eine Prüfungsanordnung. Da sich die Prüfung durch umfangreiche Rückfragen zeitlich verzögert, gibt U zwischenzeitlich auch für 2023 eine Steuererklärung ab. Erst danach wird die Betriebsprüfung ‒ ohne Erweiterung auf 2023 ‒ beendet. Prüfungsfeststellung: Die Berechnung der teilfertigen Arbeiten erfolgte ohne Ansatz der Gemeinkostenzuschläge. Der Bilanzansatz zum 31.12.22 war daher im Rahmen der Betriebsprüfung zu erhöhen.
Lösung: Aufgrund des neuen § 153 Abs. 4 AO muss U ‒ nachdem die Prüfungsfeststellung unanfechtbar für die Jahre 2020 bis 2022 umgesetzt wurde ‒ selbstständig die Steuererklärung für das Jahr 2023 überprüfen und an die getroffene Prüfungsfeststellung anpassen. Konkret muss er für 2023 überprüfen, ob auch hier bei den teilfertigen Arbeiten die Zuschläge für Gemeinkosten unberücksichtigt geblieben sind. Ist das der Fall, hat er eine entsprechende Korrektur der Steuererklärung vorzunehmen. |
Beachten Sie | In einer dem Beispiel 3 entsprechenden Konstellation dürfte nahezu immer eine Berichtigung der Steuererklärung erforderlich werden. Denn selbst wenn U die Gemeinkostenzuschläge für 2023 berücksichtigt haben sollte, ist der Gewinn des Jahres 2023 und damit auch die Steuererklärung falsch. Das liegt daran, dass als Folgewirkung zu der Gewinnerhöhung im Rahmen der Betriebsprüfung (31.12.22) für das Folgejahr 2023 eine korrespondierende Gewinnminderung zu berücksichtigen ist (höherer Anfangsbestand am 1.1.23). In diesem Szenario liegt eine Korrektur der Steuererklärung folglich sogar im Interesse des Steuerpflichtigen, da er für das Jahr 2023 eine Steuerreduzierung erhalten möchte.
3. Berichtigungspflicht missachtet ‒ und nun?
Wie immer stellt sich bei neu eingeführten Verpflichtungen auch die Frage, was passiert, wenn gegen die in § 153 Abs. 4 AO verankerte Berichtigungspflicht verstoßen wird. Von einer Missachtung ist ausdrücklich abzuraten, denn da die Berichtigungspflicht eine Erklärungspflicht i. S. d. § 370 AO darstellt, ist ein Unterlassen strafbewehrt. Eine Missachtung der Pflicht kann deshalb in einem Steuerstrafverfahren enden (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Da § 153 Abs. 4 AO im Gegensatz zu § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO eine kenntnisunabhängige Berichtigungspflicht normiert, kann es deshalb auch zu einer bedingt vorsätzlichen Steuerhinterziehung oder einer leichtfertigen Steuerverkürzung kommen. Das ist dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige die Auswirkungen der getroffenen Prüfungsfeststellungen auf nicht geprüfte Steuererklärungen ohne weitere Überprüfung und Berichtigung in Kauf nimmt, weil er trotz der Feststellungen keine Nachforschungen anstellt.
PRAXISTIPP | Das Entstehen der Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 4 AO kann zeitlich hinausgezögert werden. Da die Berichtigungspflicht erst greift, wenn die Prüfungsfeststellungen unanfechtbar umgesetzt wurden, lässt sich durch einen Einspruch (ggf. mit Verweis auf anhängige Musterverfahren) Zeit gewinnen. |
4. Praxis- und Anwendungsfragen sind vorprogrammiert
Auch wenn die Regelung des § 153 Abs. 4 AO auf den ersten Blick einleuchtend erscheinen mag, existieren viele Praxis- und Anwendungsfragen. Die künftige Rechtsprechung oder ergänzende BMF-Schreiben bleiben also abzuwarten.
4.1 Vorrang von Abs. 1 oder Abs. 4?
Zunächst stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis § 153 Abs. 1 und § 153 Abs. 4 AO zueinander stehen. Denn während die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 4 AO erst dann eintritt, wenn die Prüfungsfeststellungen unanfechtbar umgesetzt wurden, der Änderungsbescheid also in Bestandskraft erwachsen ist, kann die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO bei einem während der Betriebsprüfung erfolgten Erkennen des Folgefehlers deutlich früher entstehen.
Aus Praktikabilitätsgründen spricht einiges dafür, § 153 Abs. 4 AO als lex specialis für Feststellungen infolge einer Betriebsprüfung anzusehen, denn so könnten mehrere nacheinander eintretende Berichtigungspflichten für das gleiche Jahr vermieden werden. Erkennt der Steuerpflichtige z. B. bereits während der Betriebsprüfung, dass sich ein Fehler auch auf das Folgejahr auswirkt, müsste nicht sofort eine Berichtigung dieser Steuererklärung nach § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO erfolgen. Vielmehr könnte er die Betriebsprüfung abwarten und nach deren bestandskräftigem Abschluss alle aufgetretenen Folgefeststellungen über eine gebündelte Berichtigung nach § 153 Abs. 4 AO korrigieren.
4.2 Wie sieht der Umfang der Berichtigungspflicht aus?
Nach dem Wortlaut von § 153 Abs. 4 AO besteht die Berichtigungspflicht, wenn die „den Prüfungsfeststellungen zugrunde liegenden Sachverhalte“ auch in einer anderen vom oder für den Steuerpflichtigen abgegebenen Erklärung, die nicht Gegenstand der Außenprüfung war, zu einer Änderung der Besteuerungsgrundlagen führen. Unstrittig dürfte sein, dass Folgewirkungen und Dauersachverhalte hierunter fallen. Ändert die Betriebsprüfung beispielsweise die für die Abschreibung zugrunde gelegte Nutzungsdauer oder passt sie die Berechnung einer Rückstellung an, dann besteht die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 4 AO.
Doch erstreckt sich der Begriff des „der Prüfungsfeststellung zugrunde liegenden Sachverhalts“ auch auf gleich gelagerte oder vergleichbare Sachverhalte? Die Antwort auf diese Frage könnte einen immensen Arbeitsaufwand für den Steuerpflichtigen bzw. dessen steuerlichen Vertreter bedeuten. Denn sollte die Betriebsprüfung z. B. feststellen, dass gegenüber einem Kunden eine Leistung umsatzsteuerfrei abgerechnet wurde, obwohl es sich um einen umsatzsteuerpflichtigen Vorgang handelt, führt die Antwort auf die Frage dazu, dass in nicht geprüften Erklärungen entweder alle Ausgangsumsätze oder nur die Ausgangsumsätze gegenüber diesem einen Kunden auf diesen Sachverhalt zu überprüfen sind. Aus Praktikabilitätsgründen spricht daher einiges dafür, den Anwendungsbereich auf konkret-individuelle Dauersachverhalte und Folgewirkungen von Prüfungsfeststellungen zu beschränken.
5. Noch nicht abgegebene Erklärungen für Folgejahre
Auch wenn die Erklärungen für die Folgejahre noch nicht abgegeben wurden, kann sich der Steuerpflichtige nicht entspannt zurücklehnen. Zwar trifft ihn dann keine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 4 AO, er muss die getroffenen Prüfungsfeststellungen jedoch in den noch abzugebenden Steuererklärungen umsetzen, sofern diese unstrittig sind. Gibt er von den einvernehmlichen Prüfungsfeststellungen abweichende Steuererklärungen ab, dann sind diese unrichtig. Auch dieser Umstand kann in einem Steuerstrafverfahren enden.
FAZIT | Bei nach dem 31.12.24 ergehenden Prüfungsanordnungen muss der Arbeitsprozess nach Abschluss der Betriebsprüfung angepasst werden. Es genügt dann nicht mehr, den Prüfungsbericht sowie die Änderungsbescheide inhaltlich zu überprüfen und die Steuerzahlung zu leisten. Vielmehr müssen auch die Auswirkungen auf nicht geprüfte Veranlagungszeiträume ermittelt und entsprechende Korrekturen von Erklärungen veranlasst werden. Dies bedeutet einen erheblichen Arbeitsaufwand für den Steuerpflichtigen bzw. dessen steuerlichen Vertreter. Dieser lässt sich zumindest temporär durch ein Einspruchsverfahren (= keine unanfechtbare Umsetzung der Prüfungsfeststellung) hinauszögern. |