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  • 01.03.2005 | RVG

    Durchschnittliche Unfallregulierung: Dem Anwalt steht eine 1,3-Geschäftsgebühr zu

    von RA Günter Leißing, Münster
    Eine einfache Regulierungssache (= durchschnittliche anwaltliche Tätigkeit) rechtfertigt den Ansatz der Regelgebühr von 1,3.
    (AG Bielefeld 28.12.04, 5 C 1041/04, Abruf-Nr. 050327)
    (AG Bielefeld 22.12.04, 41 C 1221/04, Abruf-Nr. 050328)
    (AG Gießen 1.2.05, 46 C 2379/04, Abruf-Nr. 050412)
    (AG Hagen 3.1.05, 19 C 572/04, Abruf-Nr. 050357)
    (AG Hamburg-Barmbeck 18.1.05, 814 C 328/04, Abruf-Nr. 050466)
    (AG Heidelberg 21.1.05, 26 C 507/04, Abruf-Nr. 050326)
    (AG Landstuhl 23.11.04, 4 C 189/04, NJW 05, 161, Abruf-Nr. 050208)
    (AG Lüdenscheid 30.12.04, 92 C 321/04, Abruf-Nr. 050352)
    (AG München 29.12.04, 343 C 32462/04, Abruf-Nr. 050353)
    (AG Nürnberg 3.2.05, 21 C 9007/04, Abruf-Nr. 050460)
    (AG Nürnberg 3.2.05, 31 C 10208/04, Abruf-Nr. 050387)
    Dem Anwalt steht gem. § 14 Abs. 1 RVG (wie früher § 12 BRAGO) ein 20-%iger Toleranzbereich zu, innerhalb dessen die Vergütungsbestimmung (hier 1,3) noch nicht als unbillig anzusehen ist (AG Aachen 20.12.04, 84 C 591/04, Abruf-Nr. 050351; 27.12.04, 84 C 576/04, Abruf-Nr. 050356).

     

    Praxishinweis

    Nach den AG Karlsruhe und Kelheim (VA 05, 19, Abruf-Nrn. 050025 und 050051) haben zahlreiche weitere Gerichte mit überzeugender Begründung den Anwälten eine 1,3-Geschäftsgebühr für ihre außergerichtliche Tätigkeit zuerkannt. Den aktuellen Stand beim RVG-Gebührenstreit fassen wir in der nachfolgenden Checkliste zusammen:  

     

    Checkliste
    • „Abrechnungsgrundsätze“ der Versicherungen: Mit Einführung des RVG sind die DAV-Regulierungsempfehlungen weggefallen. Einige Kfz-Haftpflichtversicherer haben daher eigene Grundsätze für die Abrechnung der Anwaltsgebühren bei der außergerichtlichen Abwicklung von Kfz-Unfallschäden aufgestellt. Akzeptable Abrechnungsgrundsätze für die außergerichtlichen Unfallregulierung bieten zur Zeit folgende Versicherungen an: Allianz, DEVK, Öffentliche Versicherung Oldenburg, VGH Landwirtschaftliche Brandkasse Hannover, VHV-Versicherungen, Württembergische Versicherung (s. dazu RVG prof. 05, 20). Angeboten werden Geschäftsgebühren von 1,8 (Sachschäden bei der Vertretung eines Geschädigten) bis zu 2,7 (Sach- und Körperschäden ab 10.000 EUR bei der Vertretung mehrerer Geschädigter). Angewendet werden diese Abrechnungsgrundsätze nur gegenüber Anwälten, die sich mit ihnen in allen Fällen einverstanden erklären.

     

    • Übrige Regulierungspraxis: Die HUK Coburg bietet bei reinen Sachschäden eine 1,0- und sonst eine 1,3-Gebühr an. Andere Versicherungen erstatten sogar nur eine 0,8- oder 0,9-Gebühr. Sie lehnen die 1,3-Geschäftsgebühr für die Vertretung in Verkehrsunfallsachen mit der Begründung ab, die anwaltliche Tätigkeit sei insoweit weder schwierig noch umfangreich, und berufen sich häufig auf die Meinung von RA Anton Braun, die dieser allerdings inzwischen aufgegeben hat.

     

    • Musterklage: Angebote unter der 1,3-Geschäftsgebühr sollten Sie ablehnen. Viele Leser haben uns berichtet, dass sie sich gegen die Standardschreiben der Versicherer mit Erfolg gewehrt haben und diese dann den Rest „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ bezahlt hätten. Andere Anwälte wollen bei jedem Fall hart bleiben und haben signalisiert, notfalls zu klagen. Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im DAV hat eine entsprechende Musterklage ins Internet gestellt (www.verkehrsanwaelte.de). Klicken Sie dazu auf der Homepage der ARGE in der rechten Spalte auf Arbeitshilfen.

     

    • Rechtsprechung: Die meisten (Amts-)Gerichte halten bei einfacher KH-Schadensregulierung eine 1,3-Geschäftsgebühr als Regelgebühr für gerechtfertigt (s. Urteile oben). Wo Licht ist, ist allerdings auch Schatten. Nicht verschwiegen werden soll, dass es auch AG-Entscheidungen gibt, die bei der Unfallschadenregulierung eine Geschäftsgebühr unterhalb des Satzes von 1,3 für angemessen halten. Eine 1,0-Geschäftsgebühr haben folgende Gerichte als angemessen angesehen: AG Berlin-Mitte (1.12.04, 113 C 3226/04,Abruf-Nr. 050413), AG Chemnitz (23.12.04, 12 C 4150/04, Abruf-Nr. 050414), AG Gronau (7.10.04, 11 C 136/04, Abruf-Nr. 050213), AG Mainz (23.12.04, 89 C 280/04, Abruf-Nr. 050415) – betraf jeweils Streitigkeiten mit der HUK Coburg. Eine 0,9-Geschäftsgebühr haben das AG Bayreuth (15.12.04, 9 C 521/04, Abruf-Nr. 050416), Duisburg-Hamborn (17.1.05, 7 C 530/04, Abruf-Nr. 050417) und Osnabrück (17.1.05, 4 C 636/04, Abruf-Nr. 050418) zugebilligt. Schlusslicht ist das AG Herne (23.12.04, 5 C 349/04, Abruf-Nr. 050419) mit einer 0,8-Geschäftsgebühr. Soweit bekannt ist, sind gegen die Entscheidungen der AG Herne, Mainz und Duisburg-Hamborn Berufungen anhängig. Die Begründung des AG Herne ist ziemlich haarsträubend und beruht letztlich auf der Einschätzung, dass RAe nicht so viel verdienen sollten. Den Entscheidungen der AG Bayreuth, Berlin-Mitte, Duisburg-Hamborn, Mainz und Osnabrück lagen Sachverhalte zu Grunde, die von den Gerichten als deutlich unterdurchschnittliche Angelegenheiten bewertet wurden.

     

    • Mittelgebühr: Die Mittelgebühr für die Geschäftsgebühr gem. Nr. 2400 VV RVG beträgt 1,5. Die Spanne von Nr. 2400 VV RVG geht nämlich von 0,5 bis 2,5 aus. Die Summe dieser beiden Ziffern beträgt 3,0. Damit beträgt der Mittelwert 1,5.

     

    • Schwellengebühr: Bei der Abwicklung eines üblichen Verkehrsunfalls handelt es sich um eine durchschnittliche Angelegenheit, bei der an sich die Mittelgebühr zu Grunde zu legen ist. Die Mittelgebühr von 1,5 kann nur deshalb nicht angesetzt worden, weil Nr. 2400 VV RVG vorschreibt: „Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war.“ Bei dem Wert von 1,3 handelt es sich um die sog. Schwellengebühr. Selbst wenn die höhere Mittelgebühr angefallen ist, darf also eine die Schwellengebühr überschreitende Gebühr nur angesetzt werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Umgekehrt bedeutet dies, dass, wenn die Rechnung auf diese zusätzlichen Merkmale nicht Bezug nimmt, jedenfalls die Gebühr mit 1,3 anzusetzen ist (AG Heidelberg 21.1.05, 26 C 507/04, Abruf-Nr. 050326).

     

    • Widerspruch bei Madert: Das AG Gronau (7.10.04, 11 C 136/04, Abruf-Nr. 050213) billigt dem Anwalt für übliche Schadensregulierungen lediglich eine Rahmengebühr von 1,0 zu und beruft sich dabei auf den RVG-Kommentar von Gerold/Schmidt/Eicken/Madert (16. Aufl., § 14 Rn. 101). Leider hat der Amtsrichter nicht weitergelesen, sonst hätte er feststellen müssen, dass derselbe Kommentar an anderer Stelle (Nr. 2400 bis 2403 VV, Rn. 96) dem Anwalt des Geschädigten auch in einfachen Regulierungssachen „mindestens eine 1,3-Gebühr“ zuspricht (von Madert noch einmal ausdrücklich bekräftigt in zfs 04, 301 ff.). Auf diesen Widerspruch sollten Sie vor Gericht ggf. hinweisen. Wer auf Nummer Sicher gehen will, sollte vor Gericht hinreichend auch zum Umfang sowie der Schwierigkeit der Sache vortragen, damit es ihm nicht so ergeht wie dem Kollegen vor dem AG Gronau.

     

    • Gebührenspanne bis 2,5: Welche Gebühr der Anwalt für seine Tätigkeit im Einzelfall verdient hat, ist gem. § 14 RVG unter Berücksichtigung aller Umstände zu bestimmen. Zu beachten sind hierbei vor allem der Umfang und die Schwierigkeiten der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit, die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers und u.U. das besondere Haftungsrisiko des Rechtsanwalts. Entsprechend kann und muss argumentiert werden:

     

    Beispiel: Das AG München hat eine 1,3 Geschäftsgebühr allein mit dem Vorliegen rechtlicher Probleme begründet: „Es handelt sich um eine durchschnittliche Angelegenheit schon deshalb, weil bei unfallbedingten Wiederherstellungskosten in Hohe von 1.251,10 EUR fraglich sein konnte, ob auch die vorgerichtlichen Gutachtenkosten in Höhe von 274,22 EUR zu erstatten sind, weil die Höhe der Wiederherstellungskosten in einem Grenzbereich liegen, bei dem teilweise in der Rechtsprechung die Gutachterkosten in voller Höhe in Ansatz zu bringen sind, teilweise nach anderer Auffassung auch nicht“ (AG München 29.12.04, 343 C 32462/04, Abruf-Nr. 050353).

     

    Beispiel: Das Einkommen des Geschädigten kann gebührenerhöhend sein. Dazu das AG Aachen: Der Angelegenheit kam eine besondere Bedeutung nicht zu. Jedoch ist das Jahreseinkommen des Klägers 75.000 EUR brutto überdurchschnittlich, was der Prozessbevollmächtigte des Klägers ebenfalls zu berücksichtigen hatte. Für die gleiche Leistung hat ein wirtschaftlich gut gestellter Auftraggeber eine höhere Vergütung zu entrichten als ein wenigbemittelter Mandant (LG Kleve, NJW 54, 1260). Das diesbezügliche Bestreiten der Beklagten ist gemäß § 296 ZPO verspätet. Denn er hat nicht innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist den bereits mit der Klageschrift genannten Umstand bestritten (AG Aachen 20.12.04, 84 C 591/04, Abruf-Nr. 050351).

     

    • Ermessensspielraum des Anwalts: Der Anwalt bestimmt seine Vergütung nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1 S. 1 RVG, § 315 BGB). Es steht ihm insoweit ein „20-%iger Toleranzbereich“ zu, innerhalb dessen seine Ermessensausübung keiner Überprüfung unterliegt (AG Aachen 20.12.04, 84 C 591/04, Abruf-Nr. 050351).

     

    • Vergleich BRAGO mit RVG: Versicherungen argumentieren gelegentlich mit der Gebührenan-hebung durch das RVG. Hier sollten Sie sich folgende Ausführungen des AG Landstuhl (23.11.04, 4 C 189/04, Abruf-Nr. 050208) zu eigen machen: „Soweit die Versicherung vorträgt, mit der Bezahlung einer Geschäftsgebühr von 0,8 – statt wie früher nach BRAGO 7,5/10 – ergäbe sich schon eine Gebührenerhöhung von knapp 7 %, bei Ansatz von 1,3 sogar eine Erhöhung von ca. 73 %, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Das für das Gericht maßgebende RVG beinhaltet eine völlig neue Gebührenstruktur: Gebührenminderungen in einzelnen Teilbereichen (z.B. durch den Wegfall der Besprechungs- und Beweisgebühr) werden durch Gebührenerhöhungen in anderen Bereichen kompensiert. Das RVG ist als Gesamtregelwerk zu verstehen, das nach dem Willen des Gesetzgebers die Rechtsanwaltsgebühren anheben wollte, und zwar nicht durch eine lineare Anpassung (vgl. Hartung NJW 04, 1409 ff. unter Hinweis auf die amtliche Begründung). Aus diesem Grunde verbietet sich auch eine isolierte Betrachtungsweise einer einzelnen Regelung, die den Gesamtcharakter des Regelwerkes außer Acht lässt.“

     

    • Gutachten der Rechtsanwaltskammer: Das Gericht muss ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer (§ 14 Abs. 2 RVG) einholen, wenn das Verfahren einen Rechtsstreit zwischen Anwalt und seinem Mandanten betrifft. Die Einholung des Gutachtens ist hingegen nicht vorgeschrieben, wenn das Verfahren einen Streit zwischen dem Mandanten und seiner Rechtsschutzversicherung betrifft oder es sich um einen Rechtsstreit zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung handelt (AG Karlsruhe 14.12.04, 5 C 440/04, Abruf-Nr. 050025; AG Aachen 20.12.04, 84 C 591/04, Abruf-Nr. 050351, AG Nürnberg 3.2.05, 31 C 10208/04, Abruf-Nr. 050387).
     

    Quelle: Ausgabe 03 / 2005 | Seite 37 | ID 90753