Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Reparatur laut Gutachten, Werkstattrisiko und Indizwirkung

    | Zum Dauerbrenner „Reparatur laut Gutachten“ haben wir in VA 20, 57 auf eine geschädigtengünstige Entscheidung des OLG Naumburg hingewiesen (Abruf-Nr. 213221 ). Welche Rolle eine Bezahlung/Nichtbezahlung der ‒ angeblich überteuerten ‒ Rechnung spielt, sagt das OLG nicht. Mit diesem Aspekt und der Tragweite des Argumentationsmusters „Werkstattrisiko“ setzt sich das LG Düsseldorf auseinander. |

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Das Gutachten, das der Geschädigte vor der Beauftragung der Markenwerkstatt eingeholt hatte, sah die Erneuerung des hinteren Seitenteils vor. Entsprechend hat die Werkstatt repariert und fakturiert. Mit der Begründung „Teilersatz genügt“ hat der Haftpflicht-VR die Forderung gekürzt. Das AG Düsseldorf hat der Zessionsklage auf den Differenzbetrag stattgegeben. Das LG hat sie abgewiesen.

     

    Auf der Grundlage eines Gerichtsgutachtens ist die Berufungskammer nach § 286 ZPO (!) davon überzeugt, dass die Kompletterneuerung nicht notwendig, ein Teilersatz somit ausreichend war. Infolgedessen sei der Abzug der Bekl. gerechtfertigt, die Klage deshalb abzuweisen. Ob zusätzlich zu berücksichtigen sei, dass der Geschädigte nach Abtretung seines Anspruchs auf Ersatz restlicher Reparaturkosten als gewillkürter Prozessstandschafter der Werkstatt aufgetreten ist, hat die Kammer ausdrücklich offen gelassen. Nicht festgelegt hat sie sich auch in der ihres Erachtens höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Frage, wie es sich verhält, wenn die Reparatur durchgeführt, aber noch nicht vom Geschädigten bezahlt worden ist. Vertretbar sei die Auffassung, dass der Geschädigte sich in einem solchen Fall nicht auf die Vermutung der Richtigkeit der Abrechnung berufen könne.

     

    Relevanz für die Praxis

    Das ziemlich schlampig begründete Berufungsurteil wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet (20.3.20, 20 S 105/19, Abruf-Nr. 215552). Bemerkenswert ist zunächst, dass das LG mit keinem Wort auf die Zulässigkeit der gewillkürten Prozessstandschaft eingeht. Nach Ansicht des AG Bremen ist sie unzulässig (27.3.20, 9 C 513/19, juris). Ein schutzwürdiges (Eigen-)Interesse des Geschädigten (Klägers) sei nicht zu sehen, während die Schädigerseite bei einer Zulassung der Prozessstandschaft benachteiligt würde.

     

    Die Konstellation „Zedent/Sicherungsgeber als Prozessstandschafter“ zählt zu den anerkannten Fallgruppen zulässiger gewillkürter Prozessstandschaft. Eine ausdrückliche Prozessermächtigung des Zessionars sollte jedoch vorgelegt werden. Ebenso eine Kopie des Abtretungsformulars. Das Eigeninteresse des Geschädigten an der gewählten Vorgehensweise ist zu begründen (was nicht so einfach ist).

     

    Im Zweifel ist eine Klage des Zessionars aus abgetretenem Recht vorzuziehen, wenn der klassische Weg ‒ Klage des Geschädigten aus eigenem Recht ‒ nicht gangbar ist. Das LG Düsseldorf hat die Klage unabhängig von der Zession und ohne Rücksicht auf den Status des Klägers als Prozessstandschafter der Werkstatt abgewiesen. Das lässt aufhorchen. Denn die übliche Lösung ist bei einer Eigenklage des Geschädigten und konkreter Abrechnung eine andere: keine Klageabweisung, sondern entweder uneingeschränkte Verurteilung der Schädigerseite (Zahlung oder Freistellung) oder Verurteilung Zug um Zug gegen Abtretung eines Ersatzanspruchs gegen den Dienstleister. Den meisten Gerichten genügt eine potenzielle Schadenersatzpflicht, was sie davon entbindet, die „Schuldfrage“ zu klären.

     

    Das LG Düsseldorf hat aufgeklärt, wenn auch nur die Frage der Notwendigkeit der in Rechnung gestellten Kompletterneuerung. Dass die Werkstatt sich schadenersatzpflichtig gemacht hat, stellt die Kammer nicht fest; nicht einmal eine potenzielle Haftung aus Vertragsverletzung. Das ist rechtsfehlerhaft, weshalb das Urteil auch im Ergebnis unzutreffend ist.

     

    Für Fälle „Reparatur lt. Gutachten“ mit unbezahlter Werkstattrechnung zeigt das LG Düsseldorf zwei Argumentationswege auf, die zum gleichen Ergebnis führen sollen: Klageabweisung. Zentraler Gedanke: kein Vertrauensschutz für den Geschädigten, der noch nicht gezahlt hat. Andersherum: keine Berufung auf das Werkstatt- und Prognoserisiko. Neu ist diese Argumentation nicht. Doch die Instanzgerichte ticken mit großer Mehrheit anders. Und dies mit Recht. Auf „bezahlt“ oder „unbezahlt“ soll es bei den Reparaturkosten ‒ anders als bei den Sachverständigenkosten ‒ nicht ankommen (statt vieler LG Deggendorf 8.10.19, 13 S 39/19, Abruf-Nr. 211715). Auch bei unbezahlter Rechnung bestehe Vertrauensschutz für den Geschädigten. Hinreichende Indizwirkung habe bereits eine unbezahlte Rechnung, die mit dem Gutachten übereinstimmt (auch dazu LG Deggendorf 8.10.19, 13 S 39/19, Abruf-Nr. 211715).

     

    Eines sollte klar sein: Indizwirkung der Rechnung (ohnehin nur für die Höhe der Preise, nicht für die Notwendigkeit der Arbeiten) und Werkstattrisiko müssen auseinandergehalten werden. Es geht um unterschiedliche Fragestellungen. Bei einer Zessionsklage kommt als weitere und entscheidende Frage hinzu: Unter welchen Voraussetzungen kann der Schädiger/Versicherer eine behauptete Pflichtverletzung des Zessionars erfolgreich geltend machen? Dazu hätte man sich eine Stellungnahme des LG gewünscht.

     

    Dass bei einer Eigenklage des Geschädigten wegen seines Schutzes eine potenzielle Vertragsverletzung genügt, um im Rahmen eines Vorteilsausgleichs eine Zug-um-Zug-Verurteilung des Schädigers/VR zu tenorieren, ist kein hinreichender Grund, ebenso zu verfahren, wenn die Werkstatt oder der Geschädigte als deren Prozessstandschafter aus einer Zession klagt. In beiden Fällen gibt es keinen überzeugenden Grund, die „Schuldfrage“ offenzuhalten. Der Einwand, dadurch werde gegen § 404 BGB verstoßen, sticht nicht.

     

    Die Darlegungs- und Beweislast für die behauptete Vertragsverletzung liegt beim Schädiger/VR, wobei nur der objektive Tatbestand einer Pflichtverletzung bewiesen werden muss. Sich zu entlasten, ist Sache der Werkstatt. Unter Berufung auf das private Schadensgutachten kann ihr das gelingen (vgl. OLG Celle Hinweisbeschl. v. 15.6.17, 14 U 37/17, Abruf-Nr. 197584). Ein nur mögliches Verschulden der Werkstatt kann deren Zessionsklage nicht zu Fall bringen (instruktiv OLG Saarbrücken 28.2.12, 4 U 112/11 ‒ 34, Abruf-Nr. 120806).

     

    Weiterführender Hinweis

    • „Klagen aus fremdem Recht ‒ zu Risiken und Nebenwirkungen“ Eggert, VA 15, 24; zum Vorteilsausgleich per Abtretung und zum Regress gegen die Werkstatt Eggert, VA 18, 134.

     

    Einsender: Rechtsanwalt Henrik Momberger/Düsseldorf

    Quelle: Ausgabe 06 / 2020 | Seite 100 | ID 46569562