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  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Neupreisentschädigung: Noch eine Sechsmonatsfrist

    | Welche Rechte und Optionen hat ein Geschädigter, dessen Neuwagen erheblich beschädigt wurde, eine rasche Ersatzbeschaffung aber aus finanziellen Gründen nicht möglich ist? Mit dieser heiklen Thematik beschäftigt sich ein hochinteressantes Urteil des OLG Stuttgart. |

     

    Sachverhalt

    Erst 845 km gelaufen und keine zwei Wochen alt war der VW Golf, als er bei einem Auffahrunfall heckseitig beschädigt wurde. Der Kl. verlangte von Anfang an eine Entschädigung auf Neuwagenbasis. Dabei wies er zeitnah darauf hin, aus finanziellen Gründen zu einem Ersatzkauf außerstande zu sein. Die Bekl., deren 100-prozentige Ersatzpflicht unstrittig ist, lehnte das verlangte Haftungsanerkenntnis ab. Sie regulierte lediglich die Reparaturkosten plus Wertminderung (5.420,94 EUR).

     

    Mit seiner Klage begehrt der Kl. die Feststellung, dass die Bekl. verpflichtet sei, ihm den Rechnungsbetrag für den Kauf eines identisch ausgestatteten VW Golf Zug um Zug gegen Rückübereignung des beschädigten VW Golf zu ersetzen. Mit dessen Rücknahme in Annahmeverzug zu sein, ist Gegenstand eines weiteren Feststellungsantrags. Das LG Rottweil hat beiden Feststellungsanträgen voll entsprochen. Mit ihrer Berufung macht die Bekl. geltend, dass der Kl. sich nach wie vor kein Ersatzfahrzeug angeschafft habe und stattdessen den Unfall-Golf in erheblichem Maße weiternutze.

     

    Entscheidungsgründe

    Das OLG Stuttgart weist die Berufung als überwiegend unbegründet zurück, lässt aber die Revision zu (21.12.17, 2 U 136/17, Abruf-Nr. 200070).

     

    Entscheidungsschwerpunkt ist die Frage, ob der erste der beiden Feststellungsanträge (Neukauffinanzierung) zulässig und begründet ist. Beides wird bejaht. Allerdings zieht der Senat für den Neukauf eine zeitliche Grenze. Innerhalb von fünf Monaten ab Eintritt der Rechtskraft müsse der Neue gekauft sein, die Auslieferung könne später erfolgen. Der Senat geht mit Blick auf das besondere Integritätsinteresse von einer Regelfrist von sechs Monaten aus. Wer mit dem Ersatzkauf länger warte, zeige damit im Allgemeinen, dass er an einem Neukauf kein besonderes Interesse habe. Im Streitfall sei von der Sechsmonatsfrist bereits ein Monat verstrichen (= Zeitraum zwischen Unfall und Erstanmeldung bei der Bekl.).

     

    Kein Gehör fand die Bekl. mit ihrem Einwand, der Kl. müsse sich für die Zeit der Nutzung und deren Umfang einen Abschlag anrechnen lassen. Erfolg hatte sie dagegen in Bezug auf den zweiten Feststellungsantrag. Annahmeverzug sei nicht eingetreten. Bevor der Neue nicht gekauft sei, müsse der Alte nicht übernommen werden.

     

    Relevanz für die Praxis

    Im Zentrum des überzeugenden Urteils stehen nicht die klassischen Fragen der Neupreisentschädigung in Haftpflichtsachen. An der Neuwertigkeit des Unfall-Golf gab es nichts zu zweifeln. Und zur Erheblichkeit der Heckbeschädigung verweist das OLG auf die Ausführungen des sachverständig beratenen LG. Laut Gutachten müssen das Heckblech und der Abschlussquerträger „aus dem Karosserieverbund herausgelöst und die Neuteile wieder eingeschweißt werden“.

     

    Die recht großzügige Feststellung der Erheblichkeit sollte man sich merken. Denn die Tendenz der Gerichte ist in dieser Frage versicherungsfreundlich (Rspr. bei Eggert VA 13, 187).

     

    Dass auf Neuwagenbasis nicht fiktiv abgerechnet werden kann, steht seit BGH NJW 09, 3022 außer Streit. Ohne tatsächlichen Kauf kein Geld für einen Neuen. Wer ohne Nachweis eines Kaufvertrags auf Zahlung klagt, fängt sich eine Abweisung als „derzeit unbegründet“ ein. Es genügt die Vorlage einer verbindlichen Bestellung mit Bestätigung durch das Autohaus. Übernahme oder gar Eigentumserwerb müssen nicht nachgewiesen werden. Eine Kopie der Rechnung muss nur auf Verlangen des gegnerischen VR eingereicht werden (ihn interessiert ein etwaiger Rabatt).

     

    Das Besondere des konkreten Falls ist nun, dass der Geschädigte aus finanziellen Gründen nicht in der Lage war, einen neuen Golf zu kaufen. Darauf hatte sein Anwalt die Bekl. zeitnah hingewiesen, was auch ratsam war. Richtig war ferner, nicht auf Vorschuss, sondern auf Feststellung zu klagen, nachdem das geforderte Anerkenntnis ausgeblieben war. Dem Schädiger/VR den Unfall-Golf zur Eigenverwertung anzubieten, ist gleichfalls ein gangbarer Weg, jedenfalls bei hundertprozentiger Haftung. Günstiger Nebeneffekt: Beim Gegenstandswert wird der Restwert nicht abgezogen (dazu ‒ ohne abschließende Aussage ‒ BGH 18.7.17, VI ZR 465/16, Tz. 16, Abruf-Nr. 196206).

     

    Das eigentlich Neue an der OLG-Entscheidung ist die Sechsmonatsfrist für den Neukauf. Keine starre Frist, nur eine Regelfrist, die jedoch nach Meinung des Senats während der laufenden Schadensregulierung incl. Prozess quasi gehemmt ist. Die Einkaufsfrist schon in den Feststellungsantrag aufzunehmen, ist nicht zwingend, auch nicht aus Kostengründen. Die Zeit bis zum Neukauf mit dem fahrbereiten Unfallwagen zu überbrücken, ist unschädlich. Dazu macht das OLG Stuttgart lesenswerte Ausführungen. Auch eine Notreparatur dürfte sich nicht nachteilig auswirken. Bei einer Vollreparatur kann es anders sein.

     

    Weiterführender Hinweis

    Quelle: Ausgabe 04 / 2018 | Seite 57 | ID 45181463