Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Mit Gebrauchtteilen von 225 auf 128 Prozent

    | Die Berufungsentscheidung des LG Schweinfurt würden wir in VA nicht vorstellen, gäbe es nicht eine - dem LG verborgen gebliebene - Besonderheit. |

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Bei einem Wiederbeschaffungswert von 2.500 EUR lagen die voraussichtlichen Reparaturkosten mit netto 5.632,54 EUR klar über der 130-Prozent-Grenze. Gleichwohl ließ der Kl. sein heckbeschädigtes Fahrzeug reparieren. Die Kosten betrugen 3.199,16 EUR. Dieser Betrag lag über dem Wiederbeschaffungswert, jedoch innerhalb der 130-Prozent-Grenze. Kostensenkend hat sich vor allem der Einbau von Gebrauchtteilen ausgewirkt. Außerdem wurden Endschalldämpfer und Heckabschlussblech nicht getauscht, sondern instand gesetzt.

     

    Der bekl. VR regulierte auf Totalschadensbasis und kürzte zudem die SV-Kosten. In beiden Punkten kam es zum Streit, den der Kl. im Wesentlichen vor dem LG Schweinfurt (12.9.16, 23 S 11/16, Abruf-Nr. 190372) für sich entschied. Von Interesse ist hier nur der Fahrzeugschaden.

     

    Auf ein Gerichtsgutachten gestützt, haben beide Instanzen die Reparatur trotz Verwendung gebrauchter Teile als fachgerecht gewertet. War sie aber auch „vollständig und nach den Vorgaben des Sachverständigen“ durchgeführt? Immerhin waren weder der Endschalldämpfer noch das Heckabschlussblech erneuert, sondern nur instand gesetzt worden.

     

    Laut Gerichts-SV war das Prädikat „fachgerecht“ damit nicht in Frage gestellt. Auch in puncto „Vollständigkeit“ sieht das LG kein Manko. Eine Erneuerung der o. a. Teile sei nach dem Gutachten des Gerichts-SV nicht erforderlich gewesen. Darauf komme es an. Eine Diskrepanz zwischen Schadensgutachten und tatsächlicher Instandsetzung gab es noch in einem dritten Punkt: Laut Gutachten war der Längsträger instand zu setzen. Bearbeitet worden war er aber nicht. Das war für das LG ohne Bedeutung. Begründung: Laut Gerichtsgutachten war der Längsträger gar nicht unfallbedingt beschädigt.

     

    Relevanz für die Praxis

    Das Berufungsurteil ist im Ergebnis zutreffend. Allerdings hat es keine Rückendeckung durch den BGH. Deshalb hätte die Revision zugelassen werden müssen. Denn für die hier vorliegende Fallgestaltung - kalkulierte Kosten über 130 Prozent, effektive Kosten zwischen 100 und 130 Prozent - hat der BGH noch keine Entscheidung getroffen (s. BGH VA 15, 163 = NJW 15, 2958 Tz. 9/10). In den dortigen Fällen lagen die Reparaturkosten unter dem Wiederbeschaffungswert oder die Reparatur war nicht fachgerecht bzw. unvollständig.

     

    Doch auch wenn die tatsächlichen Reparaturkosten (inkl. eines etwaigen Minderwerts) den Wiederbeschaffungswert übersteigen, aber innerhalb der 130-Prozent-Grenze bleiben, sind sie im Fall einer fachgerechten und vollständigen Instandsetzung erstattungsfähig (OLG Düsseldorf 25.04.01, 1 U 9/00, Abruf-Nr. 010620; Wellner, NJW 12, 7; Ch. Huber, ZVR 15, 408).

     

    • Das BGH-Kriterium „ … und in einem Umfang wie ihn der Sachverständige …“ erfordert keine hundertprozentige Übereinstimmung. Im Rahmen der Vergleichsbetrachtung Gutachten/Arbeitsergebnis kommt es auf den nach objektiven Kriterien zu beurteilenden Reparaturaufwand an.

     

    • Das bedeutet also: Das Schadensgutachten hat keine absolute Bedeutung. Hat der Gutachter zu niedrig kalkuliert, sind tatsächliche Mehraufwendungen unter dem Gesichtspunkt Prognoserisiko grundsätzlich ersatzfähig. Hat er zu hoch kalkuliert (z. B. ein unbeschädigtes Teil wie einen Längsträger irrtümlich für reparaturbedürftig gehalten), kann dies gleichfalls nicht zulasten des Geschädigten gehen. Das Urteil „unvollständig“ bzw. „nicht fachgerecht“ ist nur gerechtfertigt, wenn objektiv erforderliche Arbeitsschritte unterbleiben.

     

    Instand setzen statt tauschen oder umgekehrt kann eine 130er Abrechnung kaputtmachen, muss es aber nicht, wie die vorliegende Entscheidung zeigt. Sie ist eine Hilfe für Geschädigte, wenn der VR Abweichungen zwischen Gutachten und konkretem Arbeitsergebnis moniert, um damit eine für ihn deutlich günstigere Totalschadensabrechnung durchzusetzen.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zur Problematik der 130 plus x-Fälle siehe VA 15, 163 mit weiterführenden Hinweisen
    Quelle: Ausgabe 01 / 2017 | Seite 2 | ID 44409986