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  • · Fachbeitrag · Autokauf

    Beweislastumkehr landet vor dem Verfassungsgericht

    | Dass sich ein Verfassungsgericht in die Niederungen des Autokaufrechts begeben muss, ist an sich nichts Neues. Neuigkeitswert, auch für die anwaltliche Praxis, hat indes ein Beschluss des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg, als er zur Reichweite der Beweislastumkehr beim Verbrauchsgüterkauf (ab 1.1.18: § 477 BGB) dezidiert Stellung nimmt. |

     

    Sachverhalt

    Hintergrund ist ein Prozess zwischen einem Verbraucher und einem Kfz-Händler. Gegenstand des Kaufs: ein 14 Jahre alter Pkw. Innerhalb der ersten sechs Monate nach Übernahme reklamierte der Käufer Wasser- und Ölverlust. Der Händler konnte beides beheben, indem er den Kühler und die Zylinderkopfdichtung erneuerte. Er lehnte es jedoch ab, die Kosten zu übernehmen, die dem Käufer durch die Werkstattaufenthalte entstanden waren. Die entsprechende Klage hat das AG Neuruppin ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Begründung: Kein Nachweis von Mangelhaftigkeit. Normaler Verschleiß sei in der Regel kein Sachmangel. Es wäre Sache des Käufers gewesen, einen Fall von atypischem Verschleiß zu beweisen. Nach Zurückweisung der Anhörungsrüge (Berufung war nicht zugelassen) hat der Käufer Verfassungsbeschwerde erhoben, nicht in Karlsruhe, sondern vor dem Verfassungsgericht des Landes Brandenburg.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Beschwerde war erfolgreich (12.4.19, VfGBbg 25/18, Abruf-Nr. 208766). Durch das AG-Urteil sei der Käufer in seinem Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gericht aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 brandenburgische Verfassung verletzt. Das AG habe gegen das Verbot objektiver Willkür verstoßen, indem es unter begründungsloser Abweichung von gefestigter Rechtsprechung dem Käufer die volle Beweislast für das Vorliegen eines Mangels bezüglich des Austritts von Wasser und Öl auferlegt habe. Mit dem Öl- und Wasserverlust hätten zwei Mangelerscheinungen festgestanden. Daher sei der Händler am Zug gewesen, die zugunsten des Käufers eingreifende Beweisvermutung zu widerlegen.

     

    Relevanz für die Praxis

    Seit der Rechtsprechungsänderung zu § 476 BGB a. F. = § 477 BGB n. F. sind mehr als zwei Jahre vergangen. Doch immer noch ist es der Rechtsprechung nicht gelungen, die neuen Begrifflichkeiten „mangelhafter Zustand/Mangelerscheinung“ trennscharf und berechenbar von demjenigen Tatbestand abzugrenzen, der gemeinhin mit Sachmangel beschrieben wird und genau so auch in dem einschlägigen Paragrafen steht. „Wo sind die praxisnahen Abgrenzungskriterien zwischen Vertragswidrigkeit und Defekt“, fragt RA Thomas Almeroth (NZV-Editorial 12/2018).

     

    • Nach aktueller Rechtsprechung gilt für die Fallgruppe „Verschleiß/Alterung“:

    Der Verbraucher muss weder darlegen noch beweisen, dass es sich um einen Fall von übermäßigem/vorzeitigem Verschleiß handelt. Es reicht der Nachweis einer Funktionsstörung, die innerhalb der Sechsmonatsfrist zu Tage getreten ist. Dabei genügt es, wenn der Käufer ein spezifisches Mangelsymptom nachweist, also eine Erscheinung, die das Vorliegen einer Funktionsstörung indiziert, z. B. ein rasselndes Geräusch aus dem Motorraum oder ‒ wie im vorliegenden Fall ‒ Kühlwasser- und Ölverlust. Der Einstieg in die Beweisvermutung ist dem Käufer allerdings versperrt, wenn er einen Zustand vorträgt, der zweifelsfrei auf normalen (natürlichen) Verschleiß und damit auf eine übliche Beschaffenheit als Alleinursache schließen lässt. Dann ist die Vermutungsbasis auch nach heutiger Rechtsprechung nicht schlüssig dargetan.

     

    Die Gerichte sind gut beraten, in der Annahme von Unschlüssigkeit zurückhaltend zu sein. Dies auch deshalb, weil ein Richter ohne sachverständige Beratung gar nicht beurteilen kann, ob ein Fall von Verschleiß bzw. Alterung vorliegt und wenn ja, welcher Klassifikation. Schon die Frage, ob es sich um ein Verschleißteil handelt, kann ihn überfordern.

     

    Solange die Wende-Rechtsprechung des BGH mit ihren nicht leicht zu verstehenden Begrifflichkeiten und Konsequenzen noch nicht Allgemeingut in der Richterschaft ist, ist es aus Sicht des Käufers und seines Anwalts taktisch ratsam, die Mangelerscheinung, die als Vermutungsbasis vorzutragen und nachzuweisen ist, als einen Fall bzw. eine Folge von vorzeitigem/übermäßigem Verschleiß/Alterung darzustellen. Das sollte möglichst durch ein Gutachten oder eine ADAC-Expertise untermauert werden. Rechtlich notwendig ist diese Behauptung ‒ anders als früher ‒ nicht mehr. Erst recht ist das Beweisangebot „Sachverständigengutachten“ heute kein Muss mehr.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zur Neujustierung der Rechtsprechung und den Konsequenzen für die anwaltliche Praxis auf Käufer- wie Verkäuferseite ausführlich Eggert, VA 18, 170
    Quelle: Ausgabe 06 / 2019 | Seite 96 | ID 45904183