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  • · Fachbeitrag · Jugendliche und Heranwachsende

    „Niemand verletzt und auch nicht geflüchtet? Pech gehabt!“

    von RA Oliver Lankes, Beckum

    | Die provokante Überschrift hat leider einen für junge Betroffene ernsthaften Hintergrund in der verkehrsrechtlichen Verteidigerpraxis. |

     

    Jugendliche oder Heranwachsende mit einem Führerschein auf Probe unterliegen im Straßenverkehr mangels Erfahrung einem erhöhten Risiko, Fahrfehler zu begehen, ggf. mit Unfallfolge. Es schließen sich dann Straf- und/oder Bußgeldverfahren an.

    1. Straftat: Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO

    Hat der junge Verkehrsteilnehmer aufgrund eines Fahrfehlers (z. B. Rotlichtverstoß) eine andere Person verletzt oder ist er in Panik (bei einem geringfügigen Schaden) geflüchtet, handelt es sich um eine Straftat. Im Ermittlungsverfahren oder in der Hauptverhandlung stehen die Chancen gut, dass bei einem bislang nicht vorbelasteten Fahranfänger eine Einstellung des Verfahrens gegen eine Auflage gem. § 153a StPO erreicht werden kann. Warum? Auf individuelle Umstände in der Person des jungen Fahrers (Unerfahrenheit, Angst mit Fluchtreflex) oder die Verkehrssituation wird individuell reagiert.

     

    Folge: Kein Verlust der Fahrerlaubnis, kein Eintrag im Fahreignungsregister, keine Verlängerung der Probezeit, kein kostenintensives Aufbauseminar.

     

    Bei einem Unerlaubten Entfernen vom Unfallort verbleibt natürlich das Risiko des Regresses des Haftpflichtversicherers. Strafrechtlich und verwaltungsrechtlich bleibt die Straftat allerdings meistens fast folgenlos.

    2. OWi: Bußgeldbescheid mit Fahrerlaubnisfolgen

    Deutlich unangenehmer kann es werden, wenn der junge Betroffene keine Straftat begeht, sondern nur eine Ordnungswidrigkeit, z. B. einen Rotlichtverstoß oder eine Geschwindigkeitsüberschreitung.

     

    Der Fahrer, der einen folgenlosen Rotlichtverstoß begeht, sieht sich „nur“ einem Bußgeldverfahren ausgesetzt. Es folgt ein Bußgeldbescheid mit den entsprechenden fahrerlaubnisbezogenen Folgen.

     

    Das OWi-Verfahren ist erheblich weniger individuell auf die Tat- und Täterumstände bei jungen Tätern/ Betroffenen ausgerichtet. Darüber hinaus sind die vorgesehenen Bearbeitungszeiten für Richter äußerst niedrig kalkuliert. Der Bußgeldkatalog gibt die Sanktion vor, es muss schnell gehen und die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels sind gering. Ein scharfes Schwert steht dem Verteidiger daher nicht zur Verfügung. Der Verteidiger kann und wird auf die Folgen für den jungen Fahrer hinweisen. Es bestehen auch Chancen, eine Einstellung oder Reduzierung der Geldbuße unter die eintragungspflichtige Grenze zu erreichen. Die Chancen sind allerdings deutlich geringer als in einem Strafverfahren.

    3. Das kann der Verteidiger tun

    Diese faktische Schlechterstellung des „weniger“ delinquenten jungen Täters dürfte nicht gerechtfertigt oder gewollt sein.

     

    Es stellt sich daher die Frage, wie man dem Gericht eine Einstellung im Bußgeldverfahren etwas „schmackhafter“ machen kann.

     

    An dieser Stelle kommt eine Möglichkeit der Einstellung gem. § 47 OWiG ins Spiel, die vielen Verteidigern offenbar nicht einmal bekannt ist. Regt der Verteidiger im OWi-Verfahren eine Einstellung gegen eine Auflage an, kommt häufig der Hinweis des Gerichts, dass diese Möglichkeit gem. § 47 Abs. 3 OWiG nicht bestünde. Das ist allerdings nur teilweise zutreffend. § 47 Abs. 3 OWiG verbietet ausschließlich eine Einstellung gegen eine Geldleistung. Warum? Um zu vermeiden, dass sich finanziell gut aufgestellte Betroffene „freikaufen“ können.

     

    Bei Fahranfängern wird gerade diese Intention durch die verwaltungsrechtliche Folge einer Verurteilung konterkariert. Und darauf sollten Verteidiger auch hinweisen. Das zwingende und kostenintensive Aufbauseminar kann von finanziell leistungsfähigen Fahranfängern problemlos absolviert werden. Von Fahranfängern mit wenig finanziellem Background möglicherweise nicht. Der übliche Hinweis „Geld hat man zu haben“ ist in Zusammenhang mit z. T. noch minderjährigen Fahranfängern häufig dahingehend auszulegen „Geld haben die Eltern zu haben“.

     

    Und genau an dieser Stelle besteht die Möglichkeit für die Verteidigung, den Betroffenen über § 47 OWiG gegen nicht-geldauflagenbezogene Auflagen praktisch in den „Genuss“ aller Möglichkeiten des § 153a StPO kommen zu lassen. Auch aus Sicht des Gerichts dürfte es sich um eine gute Alternative handeln, den jungen Fahrer, z. B. durch eine Arbeitsauflage oder auch ein faktisches Fahrverbot, schmerzhaft zu sanktionieren und damit zu „erziehen“. Diese Möglichkeit muss allerdings von den Verteidigern in der Praxis viel aktiver aufgezeigt und forciert werden.

     

    Lesenswert ist insoweit der Beschluss des Amtsgericht Landstuhl vom 29.5.20, 1 OWi 4396 Js 280/20 jug. Das Amtsgericht Landstuhl hat das Verfahren unter der Auflage eingestellt, dass der Betroffene für einen Monat seinen Führerschein abgibt. Für die meisten Fahranfänger eine tragbare Einschränkung. Der Beschluss des AG Landstuhl wurde in der Vergangenheit bereits in Fachzeitschriften kommentiert, ist jedoch offenbar immer noch nicht wirklich in der Gerichts- und Verteidigerpraxis angekommen.

    4. Fazit

    Je mehr die Gerichte und Verteidiger über diese Möglichkeit informiert sind, umso eher werden die Gerichte eine derart sinnvolle Einstellungsmöglichkeit in Erwägung ziehen. Bis dahin gilt vermutlich für Richter „Was er nicht kennt, frisst er nicht“.

     

    Es ist unsere Aufgabe als Verteidiger, die Gerichte immer wieder auf diese Einstellungsmöglichkeit hinweisen, bis sie in unseren Gerichtssälen salonfähig geworden ist.

    Quelle: ID 50417072