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  • · Fachbeitrag · Aktuelle Gesetzgebung

    Die Winterreifenpflicht 3.0 ‒ erste Fragen und erste Antworten

    von RA und RiOLG a. D. Detlef Burhoff, RiOLG a. D., Münster/Augsburg

    | 2005 wurde eine Winterreifenpflicht eingeführt ‒ Winterreifenpflicht 1.0. Weil diese zu unbestimmt war, wurden 2010 Änderungen beschlossen ‒ Winterreifenpflicht 2.0. Auch diese zweite Regelung wurde allgemein nicht als großer Wurf angesehen. Nun ist durch die 52. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 18.5.17 (BGBl. I, S. 1282) die Winterreifenpflicht in § 2 Abs. 3a StVO erneut mit Wirkung zum 1.6.17 reformiert worden. Die folgende Checkliste gibt Ihnen einen Überblick über die (neue) Rechtslage, die Winterreifenpflicht 3.0. |

     

    Übersicht / Erste Antworten zur reformierten Winterreifenpflicht

    Frage

    Antwort

    Welchen Sinn und Zweck hat die Winterreifenpflicht überhaupt?

    Sinn und Zweck der Winterreifenpflicht folgen aus der der alten Fassung des § 2 Abs. 3a StVO zugrunde liegenden BR-Drucks. 813/05. Danach will die Regelung verhindern, dass Kfz mangels geeigneter Bereifung liegen bleiben und damit erhebliche Verkehrsbehinderungen verursachen (vgl. dort S. 12; s. auch BR-Drucks. 699/10, S. 4, 7).

    Welche Änderungen sind durch die Neuregelung 2017 vorgenommen worden?

    Hauptpunkt der Neuregelung ist, dass nunmehr eine gesetzliche Definition des Begriffs der Winterreifen eingeführt worden ist.

    Wie ist die Regelung erfolgt?

    Die Winterreifenpflicht folgt nun aus einer Kombination von § 2 Abs. 3a S. 1 StVO i. V. m. § 36 Abs. 4 StVZO.

    Wie lauten die Vorgaben in § 2 Abs. 3a S. 1 StVO?

    In § 2 Abs. 3a S. 1 StVO heißt es nunmehr: „Der Führer eines Kraftfahrzeugs darf dies bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eisglätte oder Reifglätte nur fahren, wenn alle Räder mit Reifen ausgerüstet sind, die unbeschadet der allgemeinen Anforderungen an die Bereifung den Anforderungen des § 36 Abs. 4 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung genügen.“

    Welche Regelung ist in dem in Bezug genommenen § 36 Abs. 4 StVZO enthalten?

    § 36 Abs. 4 StVZO lautet:

    „Reifen für winterliche Wetterverhältnisse sind Luftreifen im Sinne des Abs. 2,

    • 1. durch deren Laufflächenprofil, Laufflächenmischung oder Bauart vor allem die Fahreigenschaften bei Schnee gegenüber normalen Reifen hinsichtlich ihrer Eigenschaft beim Anfahren, bei der Stabilisierung der Fahrzeugbewegung und beim Abbremsen des Fahrzeugs verbessert werden, und
    • 2. die mit dem Alpine-Symbol (Bergpiktogramm mit Schneeflocke) nach der Regelung Nr. 117 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) ‒ Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Reifen hinsichtlich der Rollgeräuschemissionen und der Haftung auf nassen Oberflächen und/oder des Rollwiderstandes (ABl. L 218 vom 12.8.16, S. 1) gekennzeichnet sind.“

    Handelt es sich bei § 36 Abs. 4 StVZO um eine Legaldefinition?

    Ja, die dort enthaltene Regelung ist eine Legaldefinition, die zwei Komponenten hat, und zwar in Nr. 1 eine materielle und in Nr. 2 eine formelle.

    Können die beiden Komponenten alternativ vorliegen?

    Nein, aus dem Wortlaut der Regelung ‒ „und“ ‒ folgt eindeutig, dass die beiden Komponenten kumulativ vorliegen müssen, damit ein Reifen ein „Winterreifen“ i. S. der Vorschrift sein kann.

    Können auch Reifen ohne das Alpine-Symbol (Bergpiktogramm mit Schneeflocke) als Winterreifen angesehen werden?

    Nein.

    Können Reifen, die das Alpine-Symbol (Bergpiktogramm mit Schneeflocke) aufweisen, dennoch nicht als Winterreifen angesehen werden?

    Ja, wenn die materielle Komponente (Nr. 1) fehlt.

     

    Praxishinweis | Die Frage der materiellen Eignung eines Reifens als Winterreifen wird in der Praxis/im Bußgeldverfahren nur unter Einschaltung eines Sachverständigen geklärt werden können. Der Verteidiger muss einen entsprechenden Beweisantrag stellen.

    Gilt die Winterreifenpflicht für alle Fahrzeugarten?

    Ja, grundsätzlich werden alle Kfz von der Winterreifenpflicht erfasst. Es besteht eine „quasi-generelle“ Winterreifenpflicht dahin, dass bei den in § 2 Abs. 3a S. 1 StVO genannten winterlichen Straßenverhältnissen nur mit den in § 36 Abs. 4 StVZO beschriebenen Reifen gefahren werden darf. Für die Ursprungsregelung war diese Frage umstritten (vgl. zu der Problematik Albrecht SVR 06, 41; Burhoff VA 06, 88).

    Gilt die Regelung auch für den ruhenden Verkehr?

    Nein, in § 2 Abs. 3a S. 1 StVO ist ausdrücklich normiert „fahren“.

    Gelten ggf. Ausnahmen von der generellen Winterreifenpflicht?

    Ja. § 2 Abs. 3a S. 2 StVO nimmt einige Fahrzeugarten von der Pflicht aus, und zwar in

    • Nr. 1: Nutzfahrzeuge der Land- und Forstwirtschaft,
    • Nr. 2: einspurige Kfz,
    • Nr. 3: Stapler i. S. d. § 2 Nr. 18 FZV,
    • Nr. 4: motorisierte Krankenfahrstühle i. S. d. § 2 Nr. 13 FZV,
    • Nr. 5 und 6: Einsatz- und Spezialfahrzeuge, für die bauartbedingt keine einschlägigen Reifen verfügbar sind.

     

    Praxishinweis | Damit sind Motorräder als einspurige Fahrzeuge und motorisierte Krankenfahrstühle von der Winterreifenpflicht befreit. Das war nach der früheren Regelung nicht der Fall.

     

    Hintergrund für die Ausnahme ist, dass für diese beiden Fahrzeugarten den Anforderungen entsprechende Winterreifen am Markt nicht verfügbar sind. Die Ausdehnung der Winterreifenpflicht auch auf diese Fahrzeugarten hätte also zu einem „Quasi-Fahrverbot“ bei winterlichen Straßenverhältnissen geführt (BR-Drucks. 771/16, S. 17, 18).

    Gelten die Regelungen auch für Busse und Lkw?

    Grundsätzlich ja. Nach § 2 Abs. 3a S. 3 StVO dürfen Kraftfahrzeuge der EG-Fahrzeugklassen N2, M3, N2, N3, also Busse und Lkw, bei den aufgeführten winterlichen Wetterlagen auch gefahren werden, wenn (nur) mindestens die Räder der permanent angetriebenen Achsen und der vorderen Lenkachsen mit Winterreifen ausgerüstet sind.

    Sind Zusatzpflichten normiert?

    Ja. Nach § 2 Abs. 3a S. 4 StVO ist der Fahrer eines Kfz, soweit dieses während einer der in § 2 Abs. 3a S. 1 StVO bezeichneten Witterungslagen ohne eine den Anforderungen des § 36 Abs. 4 StVZO genügende Bereifung geführt werden darf (vgl. Ziffer 11 und 12), über seine allgemeinen Verpflichtungen hinaus verpflichtet,

    • vor Antritt jeder Fahrt zu prüfen, ob es erforderlich ist, die Fahrt durchzuführen, da das Ziel mit anderen Verkehrsmitteln nicht erreichbar ist,
    • während der Fahrt einen Abstand in Metern zu einem vorausfahrenden Fahrzeug von mindestens der Hälfte des auf dem Geschwindigkeitsmesser in km/h angezeigten Zahlenwertes der gefahrenen Geschwindigkeit einzuhalten und nicht schneller als 50 km/h zu fahren, wenn nicht eine geringere Geschwindigkeit geboten ist.

    Für welche Verkehrslagen gilt die „Winterreifenpflicht“?

    § 2 Abs. 3a S. 1 StVO stellt auf „Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte“. Das entspricht der Vorgängerregelung. Insoweit sind Änderungen nicht erfolgt.

     

    Praxishinweis | Entscheidend ist also nach wie vor, ob sich auf der vom Betroffenen genutzten Straße Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte gebildet hat. Nicht von Bedeutung sind die allgemeinen Wetterverhältnisse unabhängig von der benutzten Straße.

    Gibt es gesetzliche Definitionen der beschriebenen Straßenverhältnisse?

    Nein. In der BR-Drucks. 699/10, S. 6 wird auf die diese Straßenverhältnisse verursachenden Niederschlagsarten verwiesen, nämlich auf „Schneefall (inkl. Schneeregen und Schneegriesel), Eiskörner, Glatteis bzw. gefrierender Regen (umgangssprachlich Eisregen), gefrierender Nebel und Schneeverwehungen (fallender bzw. abgesetzter Schnee in Verbindung mit starkem Wind). Diese Wettererscheinungen und -verhältnisse können bereits bei Lufttemperaturen einige Grad über dem Gefrierpunkt auftreten.“ Weiter heißt es nur, dass man bei diesen Wetterverhältnisse mit Sommerreifen nicht mehr sicher am Straßenverkehr teilnehmen kann.

    Was gilt, wenn es gerade erst angefangen hat zu schneien?

    So lange nicht Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch (vgl. dazu BayObLG NZV 89, 433), Eis- oder Reifglätte vorliegen, kann auch mit Sommerreifen gefahren werden.

    Was gilt wenn die Straßen geräumt sind?

    Da dann die o. a. Straßenverhältnisse nicht (mehr) vorliegen, kann wieder ohne Winterreifen gefahren werden.

    Welche Geldbußen sind ggf. bei einem Verstoß gegen die Winterreifenpflicht zu erwarten?

    Der Regelgeldbußentatbestand für den Fahrer ist in Nr. 5a BKat enthalten, und zwar: Bei einem Verstoß ohne Behinderung (Nr. 5a BKatV ist ggf. eine Geldbuße von 60 EUR verwirkt. Bei einem Verstoß mit Behinderung kann eine Geldbuße von 80 EUR verhängt werden. In beiden Fällen wird ein Punkt im FAER eingetragen.

    Kann auch gegen den Halter des Kfz, das ohne Winterreifen gefahren wird, eine Geldbuße verhängt werden?

    Ja. Die Regelung findet sich in der neuen Nr. 213a BKat: Gegen den Halter, der die Inbetriebnahme eines Kfz bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte anordnet oder zulässt, dessen Bereifung die in § 36 Abs. 4 oder 4a StVZO beschriebenen Eigenschaften nicht erfüllt, wenn für das Kfz eine Winterreifenpflicht besteht, kann wegen des Verstoßes gegen die § 31 Abs. 2, § 36 Abs. 4 und 4a, § 69 Abs. 5 Nr. 3 StVZO eine Regelgeldbuße von 75 EUR verhängt werden (vgl. dazu BR-Drucks. 771/16, S. 26.

    Wann ist die Neuregelung in Kraft getreten?

    Die Neuregelung ist am 1.6.17 in Kraft getreten.

    Kann Rechtsprechung zur früheren Regelung weiter verwendet werden?

    Ja, aber Rechtsprechung zu § 2 Abs. 3a S. 1 und 2 StVO a.F. ist kaum bekannt geworden (vgl. nur OLG Oldenburg VA 10, 172; Velbert DAR 10, 594).

    Gelten Übergangsregelungen?

    Ja. Nach § 52 Abs. 2 StVO, § 36 Abs. 4a StVZO dürfen „M+S-Reifen“ der früher in § 2 Abs. 3a StVO genannten Art bis zum 30.9.24 weiter bei winterlichen Straßenverhältnissen verwendet werden, wenn sie bis zum 31.12.17 hergestellt worden sind.

     

    Praxishinweis | Maßgeblich ist insofern das am Reifen angebrachte Herstellungsdatum (§ 52 Abs. 2 S. 2 StVO, § 36 Abs. 4a S. 2 StVZO). Dort befindet sich eine vierstellige Zahl, aus der das Herstellungsdatum abgelesen werden kann. Die Zahl „4817“ z. B. für die Herstellung in der 48. Kalenderwoche im Jahr 2017 (BR-Drucks. 771/16, S. 19).

     

    Übersicht / Prüfung des tatrichterlichen Urteils

    Ist der Mandant wegen eines Verstoßes gegen § 2 Abs. 3a S. 1 StVO verurteilt worden, muss der Verteidiger anhand folgender Fragen prüfen, ob das tatrichterliche Urteil ausreichende tatsächliche Feststellungen enthält:

     

    • 1. Sind die „Straßenverhältnisse“ ausreichend beschrieben?
    • § 2 Abs. 3a S. 1 StVO hat keine generelle Winterreifenpflicht eingeführt, sondern nur die Pflicht, bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte mit „Winterreifen“ i. S. des § 36 Abs. 4 StVZO zu fahren. Das bedeutet, dass das Urteil die Straßenverhältnisse beschreiben und darstellen muss. Dazu wird im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Neuregelung insbesondere gehören, dass mitgeteilt wird, ob die Straßenverhältnisse so waren, dass es erforderlich war, „Winterreifen“ zu benutzen. Das wird in der Regel anhand der Beschaffenheit der Fahrbahn ohne weiteres erkennbar sein, nämlich dann, wenn diese z. B. mit Schnee bedeckt ist. Hier wird die Rechtsprechung der OLG zur „Nässe“ entsprechend anwendbar sein (vgl. dazu zuletzt OLG Hamm NZV 01, 90 = DAR 01, 85), die für diese Fälle auch eine nähere tatsächliche Beschreibung fordert.
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    • Praxishinweis | Hier bietet sich ein Verteidigungsansatz. So ist es z. B. fraglich, ob die „Winterreifenpflicht“ auch besteht, wenn es erst gerade anfängt zu schneien, der Schnee aber noch nicht liegen bleibt. Der Verteidiger kann damit argumentieren und ggf. eine Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG erreichen. Vorgetragen werden kann aber z. B. auch, dass der Mandant von den winterlichen Straßenverhältnissen überrascht worden ist.
    • 2. War der Pkw des Betroffenen mit ungeeigneten Reifen ausgestattet?
    • Insoweit muss sich aus dem Urteil erheben, ob es sich bei den am Fahrzeug angebrachten Reifen um einen „Winterreifen“ im obigen Sinn gehandelt hat oder nicht.

     

    • 3. Wurden wegen der mangelhaften Ausstattung des Fahrzeugs andere Verkehrsteilnehmer behindert?
    • Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift muss zwischen der mangelhaften Ausstattung und der Behinderung der anderen Verkehrsteilnehmer ein kausaler Zusammenhang bestehen. Ist der nicht gegeben, kann nach Nr. 5a BKat keine Geldbuße von 80 EUR festgesetzt werden. Möglich ist nur die Geldbuße von 60 EUR.