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  • 03.08.2015 · IWW-Abrufnummer 145074

    Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 25.06.2015 – 3 RBs 200/15

    Auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren hat der Betroffene grundsätzlich das Recht, sich in jeder Lage des Verfahrens von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen.


    Bußgeldsache
    gegen
    Verteidiger:
    Rechtsanwalt Orhan Sahin in Berlin,
    wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

    Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 24. Oktober 2014 gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 16. September 2014 hat der 3. Senat für Bußgeld-sachen des Oberlandesgerichts Hamm am 25. Juni 2015 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Betroffenen bzw. seines Verteidigers gemäß §§ 79 Abs. 3, Abs. 5 S. 1 OWiG, § 349 Abs. 4 StPO

    Das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Bielefeld wird aufgehoben.
    Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bielefeld zurückverwiesen.

    Gründe:
    Der Oberbürgermeister der Stadt Bielefeld hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 23.04.2014 wegen (fahrlässiger) Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 53 km/h eine Geldbuße von 480,- € verhängt sowie ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Im weiteren Verfahren nach Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid hat das Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung auf den 16.09.2014, 13.00 Uhr, anberaumt.

    Mit Schreiben vom 11.09.2014 beantragte der Verteidiger, den anberaumten Termin zur Hauptverhandlung zu verlegen, und zwar wohl im Hinblick darauf, dass der Betroffene aufgrund einer Erkrankung verhindert sei, an dem anberaumten Termin teilzunehmen, als auch der Verteidiger selbst durch eine eigene Erkrankung. Für den Betroffenen legte er eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, aus der dessen Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich zum 22.09.2014 hervorgeht.

    Für seine eigene Verhinderung legte der Verteidiger u.a. eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, die seine Arbeitsunfähigkeit vom 8. bis zum 15.09.2014 belegt.

    Mit Schreiben vom 15.09.2014, das dem Verteidigerbüro am Nachmittag desselben Tages per Telefax gegen 15.08 Uhr zuging, teilte das Gericht mit, dass eine Terminsverlegung bislang nicht in Betracht komme, da der Betroffene nicht nachgewiesen habe, dass er reise- oder verhandlungsunfähig sei. Die eingereichte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reiche nicht aus. Auch die Verhinderung des Verteidigers sei nicht belegt, da die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur bis zum 15.09.2014 ausgestellt sei.

    Am 16.09.2014 übersandte das Verteidigerbüro um 09.43 Uhr per Telefax an das Amtsgericht die ärztliche Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Verteidiger vom selben Tage, die dessen Arbeitsunfähigkeit bis zum 22.09.2014 bescheinigt; zugleich wurde erneut die Verlegung des Termins beantragt. In diesem Schriftsatz wurde die Eilbedürftigkeit mit dem Vermerk „Eilt sehr! Bitte sofort vorlegen! Gerichtstermin am 16.09.2014 um 13.00 Uhr" markant hervorgehoben.

    Im Termin zur Hauptverhandlung verwarf das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen mit folgender Begründung:

    „Der Betroffene, der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im Termin nicht entbunden wurde, ist in dem heutigen Termin zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben.

    Die von dem Betroffenen vorgetragenen Gründe sind keine genügende Ent¬schuldigung, weil er nicht nachgewiesen hat, dass er verhandlungs- oder reiseunfähig ist. Die von ihm eingereichte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reicht dafür nicht aus.

    Der anwaltlich vertretene Betroffene hat trotz des Hinweises, dass er weitere Nachweise erbringen muss, keine weiteren Unterlagen eingereicht.

    Der Einspruch ist daher nach § 74 Absatz 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) verworfen worden."

    Gegen dieses dem Verteidiger am 24.09.2014 zugestellte Urteil wendet sich der Betroffene durch seinen Verteidiger mit seiner am 01.10.2014 bei dem Amtsgericht Bielefeld eingelegten Rechtsbeschwerde, die mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 24.10.2014 unter näheren Ausführungen mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet worden ist.

    Den Antrag des Verurteilten auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 10.12.2014 als unbegründet verworfen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht Bielefeld mit Beschluss vom 05.02.2015 ebenfalls als unbegründet verworfen.

    II.
    Die Rechtsbeschwerde dringt mit der den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 StPO genügenden Rüge, der Betroffene sei der Hauptverhandlung nicht unentschuldigt ferngeblieben, da sein Verteidiger an dem Termin wegen einer eigenen Erkrankung nicht habe teilnehmen können und zwei Mal erfolglos um Terminsverlegung nachgesucht habe, durch. Die angefochtene Entscheidung lässt nämlich nicht erkennen, ob der Tatrichter von zutreffenden Voraussetzungen für die Einspruchsverwerfung gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ausgegangen ist.

    Auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren hat der Betroffene grundsätzlich das Recht, sich in jeder Lage des Verfahrens von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 137 Abs. 1 S. 1 StPO). Hieraus folgt zwar nicht, dass die Hauptverhandlung im Ordnungswidrigkeitenverfahren bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers nicht durchgeführt werden kann und dem Betroffenen ein Erscheinen ohne seinen Verteidiger grundsätzlich nicht zumutbar und ein Ausbleiben des Betroffenen ohne Weiteres als entschuldigt anzusehen wäre. Es kommt vielmehr darauf an, ob die prozessuale Fürsorgepflicht eine Termins-verlegung geboten hätte; Anträge auf Terminsverlegung hat der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung , der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten zu bescheiden (vgl. KG, NZV 2003, 433, BayObLG StV 1995, 10; wistra 2002, 40). Das Interesse des Betroffenen an der Verteidigung durch den gewählten Verteidiger und das Interesse an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens sind gegeneinander abzuwägen, wobei das Verteidigungsinteresse im Zweifel Vorrang hat (vgl.
    BayObLG, a.a.O., OLG Hamm, Beschluss vom 21.01.2008 — 4 SsOWi 741/07 — juris; Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 71 Rdnr. 30 m.w.N.).

    Bei Zurückweisung eines Terminsverlegungsantrages bedarf es einer Darlegung im Urteil, warum das Interesse an möglichst reibungsloser Durchführung des Verfahrens Vorrang vor den Verteidigungsinteressen des Betroffenen hat (KG Berlin, NZV 2003, 433).

    Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
    Dass das Amtsgericht sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat, ist für das Rechtsbeschwerdegericht nicht nachvollziehbar, weil sich die Gründe des angefochtenen Urteils allein zu der Verhinderung des Betroffenen verhalten, nicht jedoch zu der zwei Mal wegen Verhinderung des Verteidigers nachgesuchten Verlegung des Termins mit Schreiben vom 11. und 16.09.2014. Das angefochtene Urteil lässt in keiner Weise erkennen, ob die Verhinderung des Verteidigers Anlass gegeben hätte, das Ausbleiben des Betroffenen als entschuldigt anzusehen.

    Die Entscheidung beruht auch auf diesem Rechtsfehler. Denn dass der Betroffene sich ohne seinen Verteidiger ausreichend hätte verteidigen können, versteht sich angesichts der Sach- und Rechtslage nicht von selbst. Zwar handelt es sich lediglich um eine Verkehrsordnungswidrigkeit, jedoch hat der Betroffene die Tat nicht eingeräumt und seine Täterschaft in Abrede gestellt. Zudem handelt es sich um den Vorwurf einer beträchtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung, bei der auch die Verurteilung wegen Vorsatzes in Betracht kommt. Außerdem droht dem Betroffenen die Verhängung eines Fahrverbotes mit u.U. einschneidenden Wirkungen. Das Urteil hätte daher näherer Darlegungen dazu bedurft, warum das Interesse an einer reibungslosen Durchführung des Verfahrens vorliegend Vorrang vor dem Verteidigungsinteresse des Betroffenen hat, zumal es sich um die erste Terminsverlegung handelte, um die die Verteidigung ersuchte und die im übrigen rechtzeitig beantragt und mit näheren Gründen versehen worden war.

    Ohne jegliche Ausführungen zu den Ablehnungsgründen ist das Rechtsbeschwerdegericht nicht in der Lage zu prüfen, ob der Tatrichter sein Ermessen hinsichtlich des Festhaltens am Termin rechtsfehlerfrei ausgeübt hat.

    Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Ver-handlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bielefeld zurückzuverweisen, das auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde zu befinden haben wird.