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  • 11.03.2014

    Bundesgerichtshof: Beschluss vom 06.02.2014 – V ZR 262/13


    Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Februar 2014 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland und den Richter Dr. Kazele

    beschlossen:

    Tenor:

    Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gewährt.

    Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gewährt.

    Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg - 12. Zivilsenat - vom 19. April 2013 aufgehoben.

    Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

    Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1 Mio. € festgesetzt.

    Gründe

    I.

    1

    Der kinderlose Kläger war als Eigentümer verschiedener Grundstücke im Grundbuch eingetragen. Am 26. Juli 2006 und am 8. August 2006 erlitt er jeweils einen Schlaganfall. Er ist seitdem halbseitig gelähmt und halbseitig erblindet.

    2

    Am 10. Mai 2007 unterzeichnete er einen notariellen Vertrag, worin er der Beklagten sein gesamtes (unbelastetes) landwirtschaftliches Anwesen gegen Einräumung eines Nießbrauchs bzw. Bruchteilsnießbrauchs an der Hofstelle übertrug. Die Beklagte wurde im Mai 2007 als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Am 30. November 2007 ordnete das Amtsgericht für den Kläger eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern an.

    3

    Mit der Behauptung, im Zeitpunkt der Grundstücksübertragung geschäftsunfähig gewesen zu sein, verlangt der Kläger von der Beklagten die Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs dahingehend, dass er Eigentümer der Grundstücke ist. Die Klage ist vor dem Landgericht erfolgreich gewesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Gegen die damit verbundene Nichtzulassung der Revision richtet sich ihre Nichtzulassungsbeschwerde. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

    II.

    4

    Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht aufgrund des von dem Landgericht eingeholten Gutachtens fest, dass der Kläger bei Abschluss des notariellen Übertragungsvertrages geschäftsunfähig gewesen ist. Eine Vernehmung der von der Beklagten gegenbeweislich angebotenen Zeugen sei wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit ihres unter Beweis gestellten Vorbringens nicht erforderlich gewesen. Zwar komme hinsichtlich der für das Gutachten erforderlichen Anknüpfungstatsachen grundsätzlich ein Zeugenbeweis in Betracht. Der Sachverständige habe aber ausgeführt, dass er auch im Falle einer Bestätigung des Sachvortrags der Beklagten durch die Zeugen von einer Geschäftsunfähigkeit des Klägers zum Zeitpunkt der Beurkundung ausgehen würde. Damit könnten die durch die Beklagte unter Beweis gestellten Tatsachen als wahr unterstellt werden, ohne dass sich das Ergebnis der Begutachtung ändere.

    III.

    5

    1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Zwar hat die Beklagte die Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde versäumt sowie die Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages (§ 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Auf ihren zulässigen, insbesondere fristgerecht gestellten Antrag ist ihr jedoch gemäß §§ 233, 234 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.

    6

    a) Zur Begründung für die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde hat die Beklagte in ihrem Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass im Büro ihres Prozessbevollmächtigten die Anweisung bestehe, mit dem Eingang des Mandates zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Bundesgerichtshof sowohl eine Zwei-Wochen-Frist für die Einlegung als auch eine Monatsfrist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ab Zustellung des Prozesskostenhilfebeschlusses jeweils verbunden mit einem Wiedereinsetzungsantrag zu notieren. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen sei die Zwei-Wochen-Frist von der Rechtsanwaltsfachangestellten, die in dem Büro seit 13 Jahren tätig sei, ohne dass es Grund zu Beanstandungen bei den Fristeintragungen gegeben habe, nicht eingetragen worden. Damit hat die Beklagte glaubhaft gemacht, ohne ihr Verschulden oder das ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) verhindert gewesen zu sein, die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 ZPO zur Beantragung der Wiedereinsetzung einzuhalten.

    7

    aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Rechtsanwalt die Berechnung und Notierung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft überlassen, soweit nicht besondere Gründe gegen deren Zuverlässigkeit sprechen. Er hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden (vgl. nur BGH, Beschluss vom 23. Januar 2013 - XII ZB 167/11, NJW-RR 2013, 1010 Rn. 10). Unverzichtbar sind insoweit eindeutige Anweisungen an das Büropersonal, die Festlegung klarer Zuständigkeiten und die zumindest stichprobenartige Kontrolle des Angestellten (BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - X ZR 57/10, GRUR 2011, 357 mwN).

    8

    bb) Nach diesen Maßstäben durfte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten seine Rechtsanwaltsfachangestellte mit der Eintragung der hier maßgeblichen Fristen beauftragen. Fälle, in denen - wie hier - nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Bundesgerichtshof die entsprechenden Fristen für die erforderlichen Wiedereinsetzungsanträge wegen der Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu notieren sind, sind in der Praxis eines als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof zugelassenen Prozessbevollmächtigten nicht ungewöhnlich. Auch ist die mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe beginnende Zwei-Wochen-Frist für die Einlegung der mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen Nichtzulassungsbeschwerde einfach zu berechnen. Zudem bestanden im Büro des Prozessbevollmächtigten der Beklagten organisatorische Anweisungen, die eine korrekte Eintragung dieser Fristen gewährleisteten. Umstände, die eine besondere Kontrolle der mit der Eintragung betrauten Rechtsanwaltsfachangestellten, die die Fristen bisher stets zuverlässig vermerkt hatte, erforderlich machten, sind nicht ersichtlich.

    9

    b) Der Beklagten ist auch gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie infolge ihrer Mittellosigkeit unverschuldet an deren Einhaltung gehindert war.

    10

    2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht eine Verletzung des Verfahrensgrundrechts durch die Zurückweisung des Beweisangebots der Beklagten, R. und M. H. , T. N. , G. W. , B. B. , A. He. , H. F. , Dr. P. A. und Dr. W. als Zeugen dafür zu vernehmen, dass der Kläger im Zeitpunkt der Grundstücksübertragung keine Einschränkungen in seiner kognitiven Leistungsfähigkeit gehabt, sondern ein gutes Erinnerungs-, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsvermögen gezeigt habe und geistig völlig klar gewesen sei.

    11

    a) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - VIII ZR 212/07, NJW-RR 2010, 1217 Rn. 10 mwN - std. Rspr.). Das gilt insbesondere dann, wenn die Nichterhebung des Beweises auf vorweggenommener tatrichterlicher Beweiswürdigung beruht (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 2008 - IV ZR 341/07, RuS 2010, 64; BVerfG, NJW 2009, 1585 Rn. 34 [BVerfG 10.02.2009 - 1 BvR 1232/07]; NJW-RR 2001, 1006, 1007 - jeweils mwN - std. Rspr.). Eine unzulässige Beweisantizipation liegt vor, wenn ein angebotener Zeugenbeweis deshalb nicht erhoben wird, weil das Gericht dessen Bekundungen wegen seiner bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimisst (vgl. BVerfG, NJW-RR 2001, 1006, 1007). Die Nichterhebung eines angebotenen Beweises mit der Begründung, es sei bereits das Gegenteil erwiesen, ist grundsätzlich unzulässig (Senat, Beschluss vom 28. April 2011 - V ZR 182/10, [...] Rn. 11, mwN).

    12

    b) So ist es hier. Das Berufungsgericht hat von der Vernehmung der von der Beklagten benannten Zeugen abgesehen, weil die Geschäftsunfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits aufgrund des gerichtlichen Sachverständigengutachtens erwiesen und dem Beweisantrag der Beklagten daher wegen fehlender Beweiserheblichkeit nicht nachzugehen sei. Dabei verkennt das Berufungsgericht, dass der Beweisantrag der Beklagten darauf abzielt, die Grundlage des Sachverständigengutachtens zu widerlegen, wonach der Kläger unmittelbar nach dem Schlaganfallgeschehen in einem noch viel höherem Ausmaß kognitiv beeinträchtigt gewesen sei als anlässlich der Begutachtung. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Beweisantrag der Beklagten nicht deshalb unerheblich, weil der gerichtliche Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten ausgeführt hat, dass er auch im Falle einer Bestätigung des Sachvortrags der Beklagten durch die von ihr benannten Zeugen von der Geschäftsunfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ausgehen würde. Der Sachverständige unterstellt die unter Beweis gestellte Behauptung der Beklagten nicht als wahr, sondern spricht den Aussagen der Zeugen jeden Beweiswert ab. Dem ist das Berufungsgericht zu Unrecht gefolgt. Zwar kann ein Beweisantritt ausnahmsweise wegen Ungeeignetheit des Beweismittels für die zu beweisende Tatsache zurückgewiesen werden. Das ist etwa dann zu bejahen, wenn der Unwert des Beweismittels feststeht, weil nach dem Ergebnis einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass der übergangene Beweisantrag Sachdienliches ergeben und die von dem Gericht bereits gewonnene Überzeugung erschüttern kann (Senat Beschluss vom 28. April 2011 - V ZR 182/10, [...] Rn. 13). Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor. Der gerichtliche Sachverständige konnte zu der geistigen Verfassung des Klägers im Mai 2007 aus eigener Anschauung keine Feststellungen treffen; vielmehr zog er aus dessen Zustand bei der Begutachtung im Jahr 2009 lediglich Rückschlüsse auf den - zwei Jahre zurückliegenden - Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich aufgrund der Aussagen der Zeugen, die im Jahr 2007 mit dem Kläger tatsächlich in Kontakt standen, ein anderes Bild hinsichtlich der kognitiven Beeinträchtigungen des Klägers ergibt. Das Berufungsgericht wird daher eine Vernehmung der Zeugen - zweckmäßigerweise in Anwesenheit des Sachverständigen - nachzuholen haben.

    13

    3. Die weiteren mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten Zulassungsgründe greifen nicht durch. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

    Stresemann

    Czub

    Brückner

    Weinland

    Kazele

    Vorschriften§ 522 Abs. 2 ZPO, § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO, §§ 233, 234 ZPO, § 85 Abs. 2 ZPO, § 234 Abs. 1 ZPO, § 544 Abs. 7 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 103 Abs. 1 GG, § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO