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  • 14.09.2022 · IWW-Abrufnummer 231249

    Amtsgericht Castrop-Rauxel: Urteil vom 26.08.2022 – 6 OWi-264 Js 1170/22-486/22

    1. Die mit dem Pro Vida 2000 Modular im Messmodus „MAN“ nachträglich durchgeführte Messung ist kein standardisiertes Messverfahren, so dass nähere Ausführungen zur Geschwindigkeitsfeststellung erforderlich sind (Anschluss an OLG Hamm, Beschluss vom 22.06.2017, 1 RBs 30/17).

    2. Wenn der Betroffene und der Verteidiger vor der Hauptverhandlung mit der Terminsladung einen rechtlichen Hinweis dahingehend erhalten, dass im Rahmen einer Geschwindigkeitsüberschreitung auch eine Verurteilung wegen Vorsatzes in Betracht kommt, kann in der Hauptverhandlung in Abwesenheit ohne weiteres eine Verurteilung wegen Vorsatzes erfolgen, wenn der Betroffene entschuldigt und der Verteidiger unentschuldigt fehlen.

    3. Die Annahme von Vorsatz ist bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung auch auf einer dreispurigen Autobahn möglich. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Beschilderung (120 km/h, Gefahrzeichen Bodenwellen und 80 km/h) mehrfach beidseitig wiederholt wird und eine Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 40 % vorliegt (vorliegend 68%).


    6 OWi-264 Js 1170/22-486/22
       
    Amtsgericht Castrop-Rauxel
     
    IM NAMEN DES VOLKES

    Urteil    
            
    In dem Bußgeldverfahren

    gegen    Herr M,
    geboren am xx.xx.xxxx in X,
    deutscher Staatsangehöriger, ledig,
    wohnhaft Y - Weg 1, 12345 Z,
        
    Verteidiger:    Rechtsanwalt X aus Y

    wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

    hat das Amtsgericht Castrop-Rauxel
    aufgrund der Hauptverhandlung vom 26.08.2022,
    an der teilgenommen haben:

    Richter am Amtsgericht X
    als Richter

    für Recht erkannt:

    Der Betroffene wird wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 960,00 EUR verurteilt.

    Dem Betroffenen wird für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

    DIe Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen trägt der Betroffene (§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, § 49 StVO, § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG, § 25 StVG, §§ 3 Abs. 4a, 4 Abs. 1 BKatV).

    Gründe:

    I.
    Der am xx.xx.xxxx in Y geborene Betroffene war in der Hauptverhandlung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden. Sein Verteidiger hat im Entbindungsantrag mitgeteilt, der Betroffene werde keine Angaben zu den persönlichen Verhältnissen machen.

    Der Betroffene ist bislang verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten.

    II.
    Zur Überzeugung des Gerichts steht folgender Sachverhalt fest: Der Betroffene befuhr am 28.01.2022 gegen 09:28 Uhr mit dem PKW Marke X, amtliches Kennzeichen XYZ die Bundesautobahn 2 in Castrop-Rauxel in Fahrtrichtung Hannover. In Höhe des Autobahnkilometers 436,000 fuhr der Betroffene nach Abzug von Toleranzen mit einer Geschwindigkeit von 135 km/h (Geschwindigkeit vor Toleranzabzug: 147 km/h). Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug, angeordnet durch Verkehrszeichen 274, 80 km/h.

    Die Beschilderung stellt sich im Einzelnen wie folgt dar:

    Km 434,300     VZ 274    120 km/h             beidseitig
    Km 434,600    VZ 112     „Unebene Fahrbahn
                auf 3000 m“        beidseitig
    Km 434,700    VZ 274    80 km/h            beidseitig
    Km 435,900    VZ 274    80 km/h            beidseitig
    Km 436,700    VZ 274    80 km/h            beidseitig
    Km 437,000     VZ 278    Ende 80 km/h        beidseitig
            + VZ 114
    Km 437,200    Aufhebung 80 km/h            beidseitig

    Die Messung erfolgte mit dem zum Tatzeitpunkt ordnungsgemäß geeichten und entsprechend der Bedienungsanleitung eingerichteten Messgerät Pro Vida 2000 Modular im Messmodus "MAN" in Form der manuellen Messung. Die Messung wurde von dem Zeugen C nachträglich durchgeführt. Der Zeuge C2 war am Tattag ebenfalls als Messbeamter mit im Fahrzeug. Beide Messbeamte wurden in der Bedienung des Messgerätes geschult.

    Die Anordnung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und die Überschreitung derselben hat der Betroffene erkannt.

    Die Terminsladung an den Betroffenen und den Verteidiger enthielt als Textzusatz folgenden Hinweis:

    „Das Gericht weist auf Folgendes hin:

    Es kommt eine Verurteilung wegen Vorsatzes und damit eine Verdopplung des Bußgeldes in Betracht.

    Es ist gerichtsbekannt, dass die Messstelle an einer Gefahrenstelle („Bodenwellen“) liegt. Aus dem ebenfalls dem Gericht bekannten Beschilderungsplan ist ersichtlich, dass vor der Messstelle fünf beidseitig aufgestellte Verkehrsschilder (einmal 120 km/h, einmal VZ 112 [Bodenwellen] und drei mal 80 km/h) passiert wurden. In Verbindung mit der erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung eine vorsätzliche Begehungsweise in Betracht.“

    Diesen Hinweis hat der Betroffene zusammen mit der Terminsladung ausweislich der Zustellungsurkunde Bl. 56 Rück d.A. am 27.07.2022 erhalten. Der Verteidiger hat den Hinweis zusammen mit der Terminsladung ausweislich des Empfangsbekenntnisses Bl. 57 d.A. am 21.07.2022 erhalten.

    III.
    Dies folgt aus der Einlassung des Betroffenen, welche der Verteidiger für ihn abgab und den weiteren, zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten Beweismitteln.

    1.
    Der Betroffene hat die Fahrereigenschaft ausweislich des Schriftsatzes Bl. 72 d.A. eingeräumt und war deshalb auf Antrag der Verteidigung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden.

    Der Verteidiger war zum Termin ohne weitere Nachricht nicht erschienen. Das Gericht nahm daraufhin telefonisch Kontakt zum Verteidiger auf. Dieser erklärte am Telefon, er werde den Termin nicht wahrnehmen. Das Gericht möge in Abwesenheit verhandeln.

    Dementsprechend hat das Gericht am 26.08.2022 in der Hauptverhandlung gemäß § 74 Abs. 1 S. 1 OWiG beschlossen, in Abwesenheit des Betroffenen zu verhandeln.

    Der unter 2. festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den unten genannten Beweismitteln.

    2.
    Der Geschwindigkeitsverstoß des Betroffenen ergibt sich aus den in der Hauptverhandlung ihrem wesentlichen Inhalt nach bekanntgegebenen Urkunden bzw. den verlesenen Datenfeldern, dem in Augenschein genommenen Messvideo und den Videoprints sowie der Aussage des Zeugen C.

    a)
    Der Betroffene wurde mit dem Geschwindigkeitsmessgerät ProVida 2000 Modular im Messbetrieb "MAN" gemessen. Bei der Geschwindigkeitsmessung mit dem Messgerät ProVida handelt es sich grunsätzlich um ein standardisiertes Messverfahren (statt vieler: OLG Hamm, Beschluss v. 08.01.2008 - 4 Ss OWi 834/07), so dass der Tatrichter nur Angaben zur Mitteilung des Messverfahrens und der nach Abzug der Messtoleranz ermittelten Geschwindigkeit machen muss. Dabei ist zu beachten, dass ein Toleranzabzug von 5 % sämtlichen Bedienungsfehlern oder sonstigen Betriebsfehlern Rechnung trägt (OLG Celle, NZV 2011, 411).

    Die Messung wurde durchgeführt im Messmodus „MAN“. Es handelt sich hierbei um eine „freie“ Messung, also eine solche ohne weitere Vorgaben. Die Messung erfolgt dabei anhand einer Weg-Zeit-Berechnung, die an einer markanten Stelle beginnt und an einer markanten Stelle endet.

    Grundsätzlich muss der Messbeamte bei der manuellen Messmethode vier mal das Gerät an- und abschalten:
    - Auslösung der Zeitmessung: wenn das vorausfahrende Fahrzeug des Betroffenen die erste Messmarkierung erreicht;
    - Auslösung der Wegmessung: wenn das nachfahrende Polizeifahrzeug die erste Messmarkierung erreicht;
    - Anhalten der Zeitmessung: wenn das vorausfahrende Fahrzeug des Betroffenen die zweite Messmarkierung erreicht;
    - Anhalten der Wegmessung: wenn das nachfahrende Polizeifahrzeug die zweite Messmarkierung erreicht;
    - Das Messgerät bildet dann aus den erhobenen Werten eine Durchschnittsgeschwindigkeit.

    Dabei ist zu beachten, dass eine solche Geschwindigkeitsmessung auch nachträglich erfolgen kann. In diesem Fall bildet das Messgerät keine Durchschnittsgeschwindigkeit, sondern es erfolgt eine manuelle Auswertung und Berechnung. Aus dem gefertigten Messvideo wird nachträglich eine Auswertestrecke festgelegt. Für diese Strecke wird dann mittels Bildzähler eine Geschwindigkeitsberechnung vorgenommen (vgl. AG Lüdinghausen, Urteil vom 20.04.2015 ‒ 19 OWi ‒ 89 Js 1431/14 ‒ 139/14). Eine solche nachträgliche Auswertung hat der Zeuge C hier vorgenommen.

    Bei der nachträglichen Auswertung handelt es sich nicht um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22.06.2017, 1 RBs 30/17). Es sind also nähere Ausführungen zur konkreten Geschwindigkeitsfeststellung nötig.

    Der Betroffene wurde mit einer Geschwindigkeit von 143 km/h gemessen. Das ergibt sich aus dem in Augenschein genommenen Messvideo, und den in Augenschein genommenen Videoprints Anlage I zum Hauptverhandlungsprotokoll. Die Videoprints Anlage I zum Hauptverhandlungsprotokoll werden ausdrücklich in Bezug genommen, § 267 Abs. 1 S. 3 StPO. Nach Abzug von Toleranzen in Höhe von 5 % ergibt sich eine vorwerfbare Geschwindigkeit in Höhe von 135 km/h.

    Der Zeuge C hat ausgesagt, eine manuelle Messung nachträglich vorgenommen zu haben. Die Wegstreckenmessung beginnt dabei bei 57178 m. Der Videoprint Anlage I zum Protokoll (dritter von unten, „Beginn Wegmessung“) wird ausdrücklich in Bezug genommen, § 267 Abs. 1 S. 3 StPO.

    Die Auswertung endet bei der Wegstreckenzählermarke 57533 m (Videoprint „Ende Wegmessung“). Die Auswertung ist nach Angabe des Zeugen C insoweit erfolgt, als die Fahrstreifenbegrenzungen, welche der Betroffene mit seinem Fahrzeug passierte, mit dem Einsatzwagen passiert wurden und dann mittels des Wegstreckenzählers die Messung der Abstände erfolgte. Auf die Videoprints Anlage I zum Protokoll (erster von oben „Ende Wegmessung“ und dritter von unten „Beginn Wegmessung“) wird gemäß § 267 Abs. 1 S.3 StPO Bezug genommen.  

    Bezüglich der Einzelbilder hat der Zeuge C erläutert, dass diese die Punkte darstellen, welche der Betroffene als „Zeitmesspunkte“ passierte. Es handelt sich dabei um den Videoprint Anlage I zum Hauptverhandlungsprotokoll (erster von unten, „Beginn Zeitmessung“). In diesem Moment beginnt der Betroffene die Fahrstreifenbegrenzung gerade zu passieren (Einzelbild 82598). Der zweite Messpunkt für die Zeitmessung ist auf dem Videoprint Anlage I zum Hauptverhandlungsprotokoll (dritter von oben, „Ende Zeitmessung“) abgebildet (Einzelbild 82820). Auf diesem Videoprint hat der Betroffene eine Fahrstreifenbegrenzung soeben passiert. Die eben genannten Videoprints „Beginn Zeitmessung“ und „Ende Zeitmessung“ werden gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO ausdrücklich in Bezug genommen. Die Wegstreckenmessung ist dann wie oben beschrieben erfolgt, als der Einsatzwagen die Punkte passiert.

    Der Berechnung der Messzeit liegt mathematisch die Vorgabe zu Grunde, dass das ProVida Messsystem 25 Einzelbilder pro Sekunde aufnimmt.

    Aus der nachträglichen Auswertung ergibt sich dann folgende Berechnung. Diese Berechnung findet sich in dem seinem wesentlichen Inhalt nach bekanntgegebenen Berechnungsbogen Bl. 49 d.A.. Die Einzelmesswerte wurden wie folgt verlesen:

    Beginn der Geschwindigkeitsmessung:     57178 m
    Ende der Geschwindigkeitsmessung:    57533 m
    Messstrecke:                355 m
    Einzelbilder:            82820
                    82598
                        222 Einzelbilder
    Zeitberechnung:             222 x 0,04 Sek
                    8,88 Sekunden Messzeit

    Rechnerisch ergibt sich dann folgende Geschwindigkeitsberechnung:

    355 m x 3,6 / 8,88 = 143,92 km/h

    Abzüglich einer Toleranz von 8 km/h ergibt sich eine vorwerfbare Geschwindigkeit von (gerundet zu Gunsten des Betroffenen) von 135 km/h.

    Der Schriftsatz vom 18.08.2022 Bl. 64 d.A. wurde in der Hauptverhandlung verlesen und eingehend mit dem Zeugen C erörtert. Die Videoprints Bl. 67 und 68 d.A., (es handelt sich um die gleichen wie in Anlage I) wurden in Augenschein genommen und deren Messwerte verlesen.

    Der Verteidiger hat im Schriftsatz vom 18.08.2022 vorgetragen, die Messstrecke betrage abweichend vom Berechnungsbogen 312 m und nicht 355 m. Hierzu trägt der Verteidiger (rechnerisch korrekt) vor, die Differenz zwischen dem Einzelbild 82598 und dem Einzelbild 82820 liege bei 312 m (57478 ‒ 57166 m).

    Der Verteidiger hat aber nicht bedacht, dass es sich hier nicht um eine Auto 2  ‒ Messung durch Nachfahren handelt. Hierzu hat der Zeuge C ausgesagt, eine manuelle Messung anhand einer festgelegten, vom Betroffenen durchfahrenen Wegstrecke vorgenommen zu haben, die letztlich das Polizeifahrzeug abfährt. Anhand der Auswertung des Videos sei für ihn erkennbar gewesen, dass während der Fahrt die Fixpunkte, nämlich die Fahrbahnmarkierungen, nicht korrekt getroffen worden seien. Daher habe er nachträglich eine Auswertung des Messvideos vorgenommen. Dies ist, wie oben dargelegt, kein standardisiertes Messverfahren, und daher auch keine Auto 2 ‒ Messung, aber in jedem Fall zulässig.

    Die Angaben des Zeugen sind anhand der Videoprints Anlage I  zum Hauptverhandlungsprotokoll gut nachvollziehbar. Der Verteidiger hat für die Wegstreckenmessung lediglich die Prints „Beginn Zeitmessung“, also Einzelbild 82598 und „Ende Zeitmessung“, also Einzelbild 82820 in Beziehung gesetzt. Diese Einzelbilder zeigen aber nur die Zeitmessung im manuellen Messverfahren. Für die Wegeberechnung müssen die Prints „Beginn Wegmessung“ (Einzelbild 82611, Wegstrecke 57178m) und „Ende Wegmessung“ (Einzelbild 82852, Wegstrecke 57533m) in Beziehung gesetzt werden. Denn nur diese Einzelbilder stellen die vom Betroffenen abgefahrene Wegstrecke dar. Mit diesen Einzelbildern ergibt sich die Wegstrecke von 355 m. Diese wird, wie oben dargestellt, mit der Messzeit in Beziehung gesetzt und ergibt dann die vorgeworfene Geschwindigkeit.

    Dass die Videoprints von Zeit- und Wegmessung auseinanderfallen, ergibt sich aus der manuellen Messmethode, wie sie oben beschrieben ist. Denn zunächst muss die Zeitmessung an einem Punkt starten, den der Betroffene passiert. Anschließend passiert das Polizeifahrzeug diesen Punkt, und die Messung der Wegstrecke startet. Daraufhin endet die Zeitmessung an einem bestimmten Punkt, den der Betroffene passiert. Anschließend muss das Polizeifahrzeug diesen Punkt passieren, und die Messung der Wegstrecke endet.

    Der Verteidiger hat hier also im Ergebnis die Videoprints für die Zeitmessung als Grundlage für die Berechnung der Wegstrecke genommen. Tatsächlich war aber bei der verwendeten manuellen Messmethode die Wegstrecke wie oben dargelegt zu berechnen.

    Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge C einem Wahrnehmungsirrtum unterliegt oder die Unwahrheit gesagt hat, liegen nicht vor. Das Gericht folgt daher der Aussage des Zeugen. Diese lässt sich unproblematisch mit den Angaben aus den Videoprints, dem Messvideo und der Berechnung in der OWi-Anzeige in Einklang bringen.

    b)
    Anhaltspunkte dafür, dass die vorgenommene Videoaufnahme nicht verwertbar ist wegen eines anlasslosen dauerhaften Filmens sind nicht ersichtlich. Die Videoaufnahme beginnt wenige Sekunden vor dem eigentlichen Verstoß. Ein Dauerfilmen hat nach Aussage des Zeugen C nicht stattgefunden. Dieser hat vielmehr bekundet, das Gerät kurz vor dem Verstoß eingeschaltet zu haben, weil ihm im Rückspiegel schon aufgefallen sei, dass der Betroffene sich mit überhöhter Geschwindigkeit von der linken Spur genähert habe. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Einsatzwagen der Polizei auf der mittleren Spur befunden. Insofern habe aus seiner Sicht ein Anfangsverdacht bestanden, der das Einschalten des Gerätes gerechtfertigt habe.

    Zum einen hat das Gericht keinen Zweifel an den Angaben des Zeugen, weil diese aus dem Messvideo klar ersichtlich sind. Die Videoaufnahme beginnt nämlich erst einige Sekunden vor dem eigentlichen Geschehen, welches Gegenstand der Hauptverhandlung war. Zum anderen ist diese Herangehensweise rechtlich zulässig, weil auf einen konkreten Anfangsverdacht hin die Aufnahme gestartet wurde und gerade kein anlassloses Dauerfilmen stattfand.

    c)
    Die ordnungsgemäße Eichung des Messgeräts ergibt sich aus dem Eichschein Bl. 29, 30 d.A., welcher in der Hauptverhandlung seinem wesentlichen Inhalt nach bekanntgegeben wurde. Danach fand eine Eichung des Messgerätes am 16.09.2021 statt, welche bis Ende 2022 gültig war.

    Sowohl aus dem in Augenschein genommenen Messvideo als auch aus den in Augenschein genommenen Videoprints ist eine Anordnung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h ersichtlich durch beidseitig aufgestelltes Verkehrszeichen 274.

    Ferner wurde der in tabellarischer Form vorliegende Beschilderungsplan Bl. 37 d.A. seinem wesentlichen Inhalt nach bekanntgegeben. Da der Beschilderungsplan nicht als Skizze bzw. Karte, sondern als Tabelle vorlag, wurde er dem wesentlichen Inhalt nach bekanntgegeben und konnte nicht lediglich in Augenschein genommen werden.

    Es wurde ferner das Messprotokoll Bl. 27, 28 d.A. seinem wesentlichen Inhalt nach bekanntgegeben, welches einen Reifendruck von 2,5 bar vorne und 2,3 bar hinten sowie eine ausreichende Reifenprofiltiefe ergab.

    Die ordnungsgemäße Schulung des Zeugen C, ergibt sich aus den Schulungsnachweisen Bl. 33 und 34 d.A., die in der Hauptverhandlung ihrem wesentlichen Inhalt nach bekanntgegeben wurde. Die ordnungsgemäße Schulung für den weiteren Messbeamten C2, ergibt sich aus den Schulungsnachweisen Bl. 35 und 36 d.A..

    d)
    Der Betroffene hat die Anordnung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und die Geschwindigkeitsüberschreitung erkannt. Dabei ist zugrunde zu legen, dass ordnungsgemäß aufgestellte Vorschriftszeichen von Verkehrsteilnehmern grundsätzlich wahrgenommen werden (vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 22.04.2008, 3 Ss OWi 582/07). Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene im vorliegenden Fall die die Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h anordnende Beschilderung, die vor der Messung zwei mal beidseitig angeordnet war, übersehen hat, liegen nicht vor. Das Gericht hat auch berücksichtigt, dass ein Geschwindigkeitstrichter von zunächst 120 km/h und das Hinweisschild „Bodenwellen“ (beides jeweils beidseitig) vorlag mit anschließender Beschränkung auf 80 km/h.

    Angesichts der eindeutigen und wiederholten Beschilderung sowie der erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung von 68% über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit muss hier von Vorsatz ausgegangen werden (vgl. zur vorliegenden Messstelle zuletzt OLG Hamm, Beschluss vom 16.03.2022 - III-1 RBs 25/22). Das gilt auch dann, wenn berücksichtigt wird, dass es sich bei der Messstelle um eine dreispurige Autobahn handelt. Denn die Geschwindigkeitsbeschränkung liegt in Form eines Geschwindigkeitstrichters von 120 km/h auf 80 km/h vor. Zusätzlich sind die Gefahrzeichen für Bodenwellen angebracht, Verkehrszeichen 112. Dann folgen vor der Messung des Betroffenen zwei geschwindigkeitsbeschränkende Verkehrszeichen 274 mit der Anordnung 80 km/h. Sämtliche der eben genannten Verkehrszeichen sind beidseitig angebracht. Einem aufmerksamen Kraftfahrer kann diese Kombination und Menge von Verkehrsschildern nicht entgehen. In Verbindung mit der erheblichen Überschreitung von 68 % der zulässigen Höchstgeschwindigkeit darf das Gericht rechtsfehlerfrei auf Vorsatz schließen.

    Der Vorsatzverurteilung steht nicht entgegen, dass in Abwesenheit des Betroffenen verhandelt wurde. Denn ausweislich der Zustellungsurkunde Bl. 56 d.A. und des Empfangsbekenntnisses Bl. 57 d.A. (beide wurden ihrem wesentlichen Inhalt nach bekanntgegeben) hatten der Betroffene und der Verteidiger mit der Terminsladung Kenntnis von dem Hinweis auf eine mögliche Vorsatzverurteilung. Das Gericht hatte schon in der Terminsladung darauf hingewiesen, dass wegen der eindeutigen Beschilderung und der erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung eine Verurteilung wegen Vorsatzes in Betracht kommt. Die Terminsladung Bl. 53 d.A. wurde ihrem wesentlichen Inhalt nach bekanntgegeben.

    IV.
    Damit hat der Betroffene eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 49 StVO, 24 Abs. 1, 3 Nr. 5, § 25 StVG, 11.3.8 BKat, §§ 4 Abs. 1, 3 Abs. 4a BKatV begangen. Wie oben dargelegt ist von vorsätzlicher Begehungsweise auszugehen.

    Der Tatbestandskatalog (Tatbestandsnummer 141725) sieht für die oben genannte Ordnungswidrigkeit ein Bußgeld in Höhe von 480 € und ein einmonatiges Fahrverbot vor.

    1.
    Es war ein tat- und schuldangemessenes Bußgeld von 960,00 € zu verhängen. Der Betroffene war von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden und hat über seinen Verteidiger erklären lassen, keine Angaben zur Person machen zu wollen.

    In einem solchen Fall stehen dem Gericht keine weiteren Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung, so dass die Regelgeldbuße ohne weiteres verhängt werden kann. Das Gleiche muss dann auch für die Verdoppelung nach § 3 Abs. 4a BKatV gelten. Anderenfalls hätte ein schweigender Betroffener es in der Hand, der Verdoppelung des Bußgeldes zu entgehen.

    2.
    Es war auch gemäß § 25 StVG, 11.3.8 BKat und § 4 Abs. 1 BKatV ein einmonatiges Fahrverbot mit sogenannter Vier-Monats-Frist gemäß § 25 Abs. 2a StVG anzuordnen. Die Erfüllung des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.8 BKat indiziert das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung des Kraftfahrzeugführers im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, sodass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf.

    Dabei hat das Gericht auch nicht die Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot gegen Erhöhung des Bußgeldes nach § 4 Abs. 4 BKatV übersehen. Gründe zum Absehen vom Fahrverbot sind durch den Betroffenen nicht vorgetragen. Besondere Umstände in objektiver oder subjektiver Hinsicht, die geeignet erscheinen, die indizielle Annahme einer groben Pflichtverletzung zu kompensieren, sind nicht vorhanden.

    Auch das Vorliegen einer besonderen Härte durch die Verhängung des Fahrverbots ist durch den Betroffenen nicht vorgetragen. Eine Existenzgefährdung des Betroffenen durch das Fahrverbot wurde nicht angeführt. Von der Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot bei gleichzeitiger Erhöhung des Bußgeldes nach § 4 Abs. 4 BKatV war daher kein Gebrauch zu machen.

    V.
    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs.1 OWiG, 465 StPO.