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  • 28.10.2020 · IWW-Abrufnummer 218609

    Oberlandesgericht Karlsruhe: Beschluss vom 15.09.2020 – 1 Rb 37 Ss 473/20

    Die beantragte Vernehmung eines Entlastungszeugen kann regelmäßig nicht mit der Begründung abgelehnt werden, durch die Aussagen der bisherigen Belastungszeugen sei das Gegenteil der behaupteten und unter Beweis gestellten Tatsache bereits erwiesen.


    OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE
    1. Senat für Bußgeldsachen

    1 Rb 37 Ss 473/20
    3 OWi 27 Js 8811/19 (AG Wertheim)

    Bußgeldsache gegen xxx

    wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
    hier:    Rechtsbeschwerde des Betroffenen

    Beschluss vom 15. September 2020

    1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Wertheim vom 15. Mai 2020 (3 OWi 27 Js 8811/19) wird auf Antrag des Betroffenen zugelassen, da das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).
    2. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Wertheim vom 15. Mai 2020 (3 OWi 27 Js 8811/19) mit den Feststellungen aufgehoben.
    3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Wertheim zurückverwiesen

    Gründe:

    Durch Urteil des Amtsgerichts Wertheim vom 15. Mai 2020 wurde der Betroffene we¬gen einer vorsätzlichen Straßenverkehrsordnungswidrigkeit in Form eines Verstoßes gegen eine Vorschrift über die Personenbeförderung zu einer Geldbuße von 150 € verurteilt. Ihm wird zur Last gelegt, er habe am 26.08.2019 seine beiden Kinder, einen 14-jährigen und einen 7-jähren Sohn, in seinem Pkw auf der Rückbank befördert, wobei der 7-jährige Sohn mit einer Körpergröße von höchstens 135,5 cm weder in einem Kindersitz noch auf einer Sitzerhöhung gesessen habe.

    Der Betroffene hat hiergegen form- und fristgerecht die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und zugleich die Rechtsbeschwerde begründet.

    II.

    Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

    1. Durch das angefochtene Urteil ist eine Geldbuße von mehr als 100 €, aber nicht mehr als 250 € festgesetzt worden. Nach § 80 Abs. 1 OWiG ist die Rechtsbeschwerde daher zuzulassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts (Nr. 1, 1. Alt.) oder zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu ermöglichen (Nr. 1, 2. Alt.) oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (Nr. 2).

    Letzteres liegt hier vor.

    a)    Der Betroffene macht insoweit geltend, das Amtsgericht habe zu Unrecht im Rahmen der Hauptverhandlung am 15.05.2020 einen Beweisantrag des Betroffenen abgelehnt, der darauf gerichtet gewesen sei, zum Beweis der Tatsache, dass beide Kinder unmittelbar vor McDonalds angeschnallt gewesen seien und der Sohn xxx auf einer Sitzerhöhung gesessen habe, den Sohn xxx, zu vernehmen. Wäre dieser ältere Sohn antragsgemäß vernommen worden, so hätte dieser bestätigt, dass der jüngere Sohn auf einer Sitzerhöhung gesessen habe.

    b)    Die Rüge ist ordnungsgemäß erhoben.
     
    Im Falle der Versagung rechtlichen Gehörs durch die Ablehnung eines Beweisantrags kann eine Zulassung nur erfolgen, wenn dies als Verfahrensrüge den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entsprechend ausgeführt worden ist (KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2018, OWiG § 80 Rn. 26, 41b). Soweit die fehlerhafte Ablehnung von Beweisanträgen gerügt wird, so genügt die Rüge den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 nur dann, wenn der Beschwerdeführer den Inhalt seines Antrags und des Ablehnungsbeschlusses mitteilt und wenn er die Tatsachen bezeichnet, welche die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses ergeben (KK-StPO/Gericke, 8. Aufl. 2019, StPO § 344 Rn. 54).

    In der Rechtsbeschwerdebegründung sind der gestellte Beweisantrag und die Entscheidung über diesen mit Begründung wiedergegeben. Es wird auch erklärt, dass der ältere Sohn, wäre er antragsgemäß vernommen worden, bestätigt hätte, dass der jüngere Sohn auf einer Sitzerhöhung gesessen habe.

    c)    Es liegt auch ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag nach § 244 Abs. 3 StPO vor, durch den die Beweistatsache und das Beweismittel hinreichend konkret bezeichnet werden. Soweit dem Antrag nicht unmittelbar zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll, war eine Darlegung dieser Konnexität im vorliegenden Fall nicht erforderlich, da sich aus bisherigen Verfahrensstand ergab, dass beide Söhne auf der Rückbank gesessen haben sollen und damit das Beweisbegehren auf die Vernehmung eines unmittelbaren Tatzeugen abzielte, der sich im zeitlichen Zusammenhang mit der Tat am Tatort aufhielt und dessen Wahrnehmungsmöglichkeiten zum Zeitpunkt der Antragsstellung nicht zweifelhaft sind (vgl. BGH, Beschl. v. 24.03.2014 - 5 StR 2/14, NStZ 2014, 351).

    d)    Durch die Ablehnung des Beweisantrags nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG mit der Begründung, dass die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich gewesen sei, da der kontrollierende Polizeibeamte bereits vernommen worden sei, wurde das rechtliche Gehör verletzt.

    Insoweit ist das Gericht dazu verpflichtet, die Ausführungen des Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Insoweit ist anerkannt, dass keine Gehörsverletzung vorliegt, soweit das Amtsgericht Beweisanträge des Betroffenen zur Kenntnis genommen sowie - entsprechend § 77 Abs. 3 - mit einer Kurzbegründung verbescheiden hat, wenn es sich in den Urteilsgründen mit dem Vorbringen des Betroffenen näher auseinandergesetzt hat (BeckOK OWiG/Bär, 27. Ed. 1.7.2020, OWiG § 80 Rn. 23a) und die Ablehnung des Beweisantrages so begründet, dass dies für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar ist (KG Berlin, Beschl. v. 06.06.2019 — 3 Ws (B) 150/19 —, juris).

    Eine weitere Begründung der Ablehnung erfolgte vorliegend auch in den Urteilsgründen nicht. Zwar bedarf es gesonderter Ausführungen nicht, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt, dass der Sachverhalt aufgrund der genutzten Beweismittel so eindeutig geklärt ist, dass die zusätzlich beantragte Beweiserhebung an der Überzeugung des Gerichts nichts geändert hätte und sie für die Aufklärung daher entbehrlich gewesen ist (KG a.a.O.). Im vorliegenden Fall — das Amtsgericht lehnt die Vernehmung eines Entlastungszeugen letztlich ab, weil bereits ein (Belastungs)zeuge vernommen worden war — wäre indes eine nähere Auseinandersetzung hiermit zwingend geboten gewesen.

    e) In der Sache erfolgte die Ablehnung im Übrigen auch zu Unrecht.

    Die beantragte Vernehmung eines Entlastungszeugen kann regelmäßig nicht mit der Begründung abgelehnt werden, durch die Aussagen der bisherigen Belastungszeugen sei das Gegenteil der behaupteten und unter Beweis gestellten Tatsache bereits erwiesen (KG, Beschl. v. 05.11.2001 - 2 Ss 242/01 - 3 Ws (B) 544/01, NZV 2002, 416; Thüringer Oberlandesgericht, Entscheidung vom 10.11.2004 — 1 Ss 248/04 —, juris; BeckOK OWiG/Hettenbach, 27. Ed. 1.7.2020, OWiG § 77 Rn. 16). Ausnahmen hiervon können vorliegen, wenn die Möglichkeit der Wahrnehmung der behaupteten Tatsache zweifelhaft und daher mit einer Erschütterung einer als verlässlich einzustufenden Aussage nicht zu rechnen ist, was beispielsweise der Fall sein kann, wenn durch die Aussage eines Fahrzeuginsassen hinsichtlich einer zu einem bestimmten Zeitpunkt gefahrenen Geschwindigkeit die als verlässlich einzustufende Aussage des Beamten, der die Geschwindigkeitsmessung vorgenommen hat, widerlegt werden soll (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.12.1998 - 5 Ss OWi 382/98 - (OWi) 159/98 I, NZV 1999, 260; BeckOK OWiG/Hettenbach, 27. Ed. 1.7.2020, OWiG § 77 Rn. 16). Damit ist der vorliegende Fall unter Berücksichtigung der Wahrnehmungsmöglichkeiten des benannten Zeugen und des vernommenen Zeugen jedoch nicht vergleichbar.
     
    III.

    Auf die zuzulassende Rechtsbeschwerde ist das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben.

    Da die Rechtsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs zuzulassen war, kam eine Übertragung der Sache nach § 80a Abs. 3 OWiG an den Senat für Bußgeldsachen in der Besetzung mit drei Richtern nicht in Betracht.

    Da neue Tatsachenfeststellungen zu treffen sind, verweist der Senat die Sache zurück. Für eine Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts oder ein anderes Amtsgericht des Landes nach § 79 Abs. 6 OWiG in Verbindung mit § 354 StPO besteht kein Anlass.