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  • 29.07.2020 · IWW-Abrufnummer 217105

    Amtsgericht Tübingen: Beschluss vom 27.03.2020 – 16 OWi 788/20

    Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Die Ermittlung eines Fahrzeugführers im Ausland nach einem Parkverstoß kann unverhältnismäßig sein.

    Diese Entscheidung wird zitiert

    Rechtsprechung
    Abgrenzung AG Tübingen, 3. April 2020, 16 OWi 713/20


    Diese Entscheidung zitiert

    Rechtsprechung
    Anschluss OVG Lüneburg 12. Senat, 30. Mai 2016, 12 LA 103/15
    Anschluss BVerfG 2. Senat, 1. Juni 1989, 2 BvR 239/88, ...

    Tenor

    1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet verworfen.
    2. Die Betroffene trägt die Kosten des Gerichtsverfahrens.

    Gründe
    I.

    Randnummer1
    Die Betroffene begehrt gerichtliche Entscheidung gegen einen Kostenbescheid.

    Randnummer2
    Die Stadt T. stellte am ... 11. 2019 um 11.50 Uhr fest, daß das Fahrzeug PKW O., amtliches Kennzeichen ...-..., ohne gültigen Parkschein in der B.-Straße, vor Hausnr. 15, in T. abgestellt war. In der Straße befindet sich ein Parkscheinautomat. Im Fahrzeug war ein Parkschein vorhanden, der um 11.38 Uhr abgelaufen war.

    Randnummer3
    Am ... Dezember 2019 ermittelte die Stadt T. über eine Anfrage im zentralen Fahrzeugregister den Betroffenen als Halter des Fahrzeugs. Mit Schreiben vom ... Dezember 2019 hörte die Stadt T. den Betroffenen unter der im Fahrzeugregister niedergelegten Anschrift zu dem Verstoß an. Sie wies außerdem darauf hin, daß gegen den Halter ein Kostenbescheid nach § 25a StVG ergehen könne und hörte auch hierzu an.

    Randnummer4
    Der Betroffene reagierte am ... Dezember 2019 und gab an, er habe das Fahrzeug an den honorigen Herrn B. aus I., Provinz R., Brasilien verliehen. Dieser sei verantwortlich. Der Betroffene teilte eine genaue postalische Anschrift des vermeintlichen Fahrers mit.

    Randnummer5
    Die Stadt T. teilte dem Betroffenen mit, daß sie eine Anhörung des brasilianischen Staatsangehörigen unter Zuhilfenahme internationaler Rechtshilfe für unverhältnismäßig halte und stellte das Verfahren wegen des Parkverstoßes am ... März 2020 ein.

    Randnummer6
    Am ... März 2020 erließ die Stadt Tübingen den gegenständlichen Kostenbescheid, der dem Betroffenen am ... März 2020 zugestellt wurde und wonach der Betroffene die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.

    Randnummer7
    Mit Schreiben vom ... März 2020 beantragte der Betroffene gerichtliche Entscheidung. Er macht insbesondere geltend, daß der Fahrer ermittelt worden sei und die Voraussetzungen des § 25a StVG deshalb nicht vorlägen.

    II.

    1.

    Randnummer8
    Das Schreiben des Betroffenen ist als Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG zu werten. Zuständig ist das Amtsgericht Tübingen, weil die Verwaltungsbehörde (Stadt T.) ihren Sitz im Bezirk des Amtsgerichts Tübingen hat, § 68 Abs. 1 OWiG.

    Randnummer9
    Als solcher ist der Antrag gegen den Kostenbescheid statthaft, § 25a Abs. 3 StVG. Die Frist von zwei Wochen ist eingehalten, § 25a Abs. 3 Satz 1 StVG.

    2.

    Randnummer10
    Der Antrag ist unbegründet.

    a)

    Randnummer11
    Der Bescheid ist formell korrekt von der zuständigen Behörde ergangen. Insbesondere wurde der Betroffene auch zur Möglichkeit angehört, daß ihm als Halter die Kosten auferlegt werden könnten.

    Randnummer12
    Der Bescheid ist formell nicht zu beanstanden. Zwar gibt er als Begründung lediglich den Wortlaut des § 25a StVG wieder. Indes sieht § 25a StVG nicht vor, daß der Kostenbescheid überhaupt zu begründen wäre. Deshalb ist die vorliegende Formulierung ausreichend.

    b)

    Randnummer13
    Nach § 25a Abs. 1 StVG kann die Verwaltungsbehörde dem Halter eines Fahrzeugs die Kosten des Bußgeldverfahrens auferlegen, wenn sie einen Halt- oder Parkverstoß feststellt und die Ermittlung des Führers, der den Verstoß begangen hat, einen unangemessenen Aufwand erfordert.

    Randnummer14

    α)

    Randnummer15
    Halt- oder Parkverstöße sind insbesondere Verstöße gegen die §§ 1 Abs. 2, 12, 13 und 18 Abs. 8 StVO. Im vorliegenden Fall befand sich das Fahrzeug an einer Straße abgestellt, in der ein Parkscheinautomat steht. Deshalb darf nach § 13 Abs. 1 StVO nur mit angebrachtem Parkschein gehalten werden. Dieser fehlte.

    Randnummer16
    Der im Fahrzeug ausgelegte Parkschein war abgelaufen und daher nicht mehr gültig.

    Randnummer17
    Ein Verstoß gegen § 13 StVO liegt vor.

    Randnummer18

    β)

    Randnummer19
    Der Betroffene ist Halter des Fahrzeugs.

    Randnummer20
    Halter des Fahrzeugs ist - grundsätzlich unabhängig von der Eigentümerstellung - derjenige, der das Fahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch hat (d. h. die Nutzungen aus der Verwendung zieht und die Kosten für die Unterhaltung und den laufenden Betrieb trägt) und die tatsächliche Verfügungsgewalt innehat, die ein solcher Gebrauch voraussetzt (d. h. Anlass, Zeit, Dauer und Ziel der Fahrten selbst bestimmen kann; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 2.9.1997 - 10 S 1670/97 -, DÖV 1998, 297, juris Rdn. 3 ff., u. v. 30.10.1991 - 10 S 2544/91 -, NZV 1992, 167, juris Rdn. 3). Nicht zuletzt wegen der Zielrichtung des Fahrzeugregisters, schnell und zuverlässig Auskunft über das Fahrzeug und seinen Halter zu geben (§ 32 Abs. 2 StVG), und im Interesse einer einheitlichen Bestimmung des Halterbegriffs im Straßenverkehrsrecht kommt der Erfassung im Fahrzeugregister als objektivem Gesichtspunkt im Außenverhältnis zu anderen Verkehrsteilnehmern und der Allgemeinheit sowie zu Behörden eine ausschlaggebende Rolle zu. Da gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FZV im Zulassungsverfahren der Name des Halters bei der Zulassung anzugeben und bei einer Änderung der Angaben zum Halter diese unverzüglich der Zulassungsstelle mitzuteilen ist (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FZV), dürfte in aller Regel derjenige, auf den der Pkw (als Halter) zugelassen ist, auch tatsächlich der Halter sein. Die aus der Eintragung als Halter im Fahrzeugregister folgende Indizwirkung kann nur durch plausibles und substantiiertes Vorbringen dazu, die Verfügungsbefugnis über das Kraftfahrzeug stehe einem anderen zu, entkräftet werden (OVG Lüneburg, Beschluss vom 30. Mai 2016 ‒ 12 LA 103/15 ‒, Rn. 10, juris).

    Randnummer21
    Anhaltspunkte hierfür sind nicht vorhanden.

    Randnummer22

    γ)

    Randnummer23
    Der Ermittlung des Fahrzeugführers innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist war „unverhältnismäßig“ im Sinne des § 25a StVG.

    Randnummer24
    Die Verwaltungsbehörde muß keinen unverhältnismäßigen Aufwand zur Ermittlung des Fahrzeugführers betreiben. Hier kann auf die Grundzüge zu § 31a StVZO verwiesen werden (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. München 2017, § 25a StVG, Rn 7).

    Randnummer25
    Dabei ist zugrunde zu legen, daß der vermeintliche Fahrzeugführer allein dadurch, daß ihn der Halter benannt hat, noch nicht „ermittelt“ ist im Sinne des § 25a StVG. Die bloße Belastung durch den Halter reicht nicht aus, um einen Verdächtigen als Täter zu ermitteln. Das Ermittlungsverfahren erfordert zwingend eine Anhörung des behaupteten Verdächtigen nach § 55 Abs. 1 OWiG. Erst wenn diese Anhörung durchgeführt werden konnte, kann eine Person als „ermittelt“ gelten (vgl. AG Landshut, Beschluß vom 6. August 1987 - Owi 13a Js 6581/87).

    Randnummer26
    Benennt der Halter einen Fahrzeugführer mit Wohnsitz im Ausland, ist dies allein noch kein Grund, um von unangemessenem Aufwand auszugehen. Dies ist vielmehr im Einzelfall abzuwägen (so auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. März 2015 - 6 K 7123/13 - DAR 2016, 220). In die Abwägung fließt dabei nicht nur ein, wie erfolgversprechend eine Anhörung und Täterermittlung im Ausland ist, sondern auch, wie schwer der Verstoß wiegt und welche Folgen den Halter treffen (Hentschel/König/Dauer a. a. O.).

    Randnummer27
    Eine drohende Verjährung rechtfertigt die Unangemessenheit nicht, da der Lauf der Verjährungsfrist während eines Rechtshilfeverfahrens unterbrochen ist, § 33 Abs. 1 Nr. 6 OWiG.

    Randnummer28
    Das Bundesverfassungsgericht hat indes geurteilt, daß im Hinblick auf den Bagatellcharakter des Tatvorwurfs beim Parkverstoß eine Anhörung im Ausland bedenkenfrei als unangemessener Ermittlungsaufwand gewertet werden kann (BVerfG, Beschluss vom 01. Juni 1989 ‒ 2 BvR 239/88 ‒, BVerfGE 80, 109-124, Rn. 43).

    Randnummer29
    Dem schließt sich das erkennende Gericht an. Der Bußgeldkatalog sieht in Ziffer 51 als Rechtsfolge eine Geldbuße von 10,- Euro vor. Bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, deren Verstoß im Fahreignungsregister nicht punktebewertet ist, ist von einem Bagatellverstoß auszugehen. Hier ist der Aufwand, das Verfahren durchzuführen, unverhältnismäßig. Dies gilt noch nicht für die Anhörung allein. Diese kann nach § 55 OWiG formlos geschehen, daher auch per Email oder Telefon. Für die Anhörung selbst bedarf es nach Auffassung des Gerichts keiner Rechtshilfe. Der Bußgeldbescheid muß allerdings in Brasilien zugestellt werden, §§ 46 OWiG, 37 StPO, 183 ZPO. Dies kann in Brasilien über das im Wege der Rechtshilfe zuständige Gericht erfolgen. Der Bußgeldbescheid muß dafür übersetzt werden. Noch aufwendiger gestaltet sich die Beitreibung der Geldbuße. Die Kosten dieses Verfahrens stünden nicht mehr in Relation zur Geldbuße. Dem gegenüber steht, daß ein Parkverstoß als Massen- ebenso wie als Bagatelldelikt nicht geahndet wird. Unter diesen Umständen hat die Stadt Tübingen zurecht weitere Ermittlungen nicht getätigt, sondern das Verfahren eingestellt.

    Randnummer30

    δ)

    Randnummer31
    Die Stadt T. hat das ihr gesetzlich zustehende Ermessen in § 25a StVG („kann“) dahin ausgeübt, einen Gebührenbescheid zu erlassen. Ermessensfehler sind nicht zu erkennen. Insbesondere ist es auch nicht fehlerhaft, den Betroffenen mit der Verfahrensgebühr zu belasten, obwohl der Fahrer bekannt, aber unerreichbar ist. Dies ergibt sich gerade aus dem Wortlaut „unverhältnismäßig in § 25a StVG.

    III.

    Randnummer32
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

    Randnummer33
    Diese Entscheidung kann nicht angefochten werden, § 25a Abs. 3 StVG.