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  • 11.03.2020 · IWW-Abrufnummer 214704

    Oberlandesgericht München: Urteil vom 21.02.2020 – 10 U 2345/19

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberlandesgericht München

    Urteil vom 21.02.2020


    IN DEM RECHTSSTREIT
    ...
    - Kläger und Berufungskläger -
    Prozessbevollmächtigter:
    Rechtsanwalt ...
    gegen
    ...
    - Beklagte und Berufungsbeklagte -
    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwälte ...

    wegen Schadensersatzes
    erlässt der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21.02.2020 folgendes

    ENDURTEIL

    Tenor:

    1. Auf die Berufung des Klägers vom 10.05.2019 wird das Endurteil des LG Landshut vom 05.04.2019 (Az. 12 O 779/18) in Ziff. I S. 2 und II abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    I. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche künftigen unfallbedingten materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 11.07.2015 in ... O. zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
    II. Die Kosten des Rechtsstreits (erster Instanz) werden gegeneinander aufgehoben.

    2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

    3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    4. Die Revision wird nicht zugelassen.

    Gründe

    A.

    Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

    B.

    Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

    I. Das Landgericht hat zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem streitgegenständlichen Unfall vom 11.07.2015 zu ersetzen, verneint.

    Dem Grunde nach ist aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Erstgerichts, die in der Berufung nicht angegriffen wurden, davon auszugehen, dass die Beklagte für die unfallbedingten Schäden des Klägers in vollem Umfang haftet.

    Der Feststellungsantrag des Klägers ist entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten (und des Erstgerichts) begründet.

    Zwar hat der gerichtliche Sachverständige Dr. M. in seinem Gutachten vom 30.10.2018 ausgeführt, dass ein unfallbedingter Dauerschaden mit funktionellen Auswirkungen nicht eingetreten sei. Es seien unfallbedingte Zukunftsschäden mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten. Eine unfallbedingte Arthrose im Bereich der Schulter sei nicht zu erwarten. Eine Gelenkverletzung an der Schulter, welche als Risikofaktor für das Auftreten einer posttraumatischen Arthrose gelten könnte, sei unfallbedingt nicht verursacht worden. Auch seien keine Fehlstellungen verursacht worden, von denen zu erwarten wäre, dass sie benachbarte Gelenke im Sinne einer posttraumatischen Arthrose verändern könnten (S. 15/16 des Gutachtens vom 20.10.2018 = Bl. 120f. d.A.).

    Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Feststellungsklage dennoch auch bei dieser Sachlage zulässig und begründet.

    Ausgehend davon, dass nach dem Sachverständigengutachten hier die bloße Möglichkeit, dass es zum Eintritt künftiger Schäden aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall kommt, nicht verneint werden kann, ist die Zulässigkeit der Feststellungsklage vorliegend zu bejahen. Anders als noch in der Hinweisverfügung des Senats vom 08.06.2017 im Verfahren 10 U 952/17 ausgeführt, hat der Bundesgerichtshof nunmehr mit Urteil vom 17.10.2017 (VersR 2018, 120 [BGH 17.10.2017 - VI ZR 423/16]) klargestellt, dass jedenfalls in Fällen, in denen die Verletzung eines durch § 823 Abs. 1 BGB oder § 7 Abs. 1 StVG geschützten Rechtsguts und darüber hinaus ein daraus resultierender Vermögensschaden bereits eingetreten sind, wie dies hier jeweils zu bejahen ist, die Begründetheit einer Klage, die auf die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere, künftige Schäden gerichtet ist, nicht von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Schäden abhängig ist (Leitsatz 4 und Rn. 49 bei juris):

    "Begründet ist ein Feststellungsantrag, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann. Ob darüber hinaus im Rahmen der Begründetheit eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist, hat der Senat bislang offen gelassen (Senatsurteile vom 9. Januar 2007 - VI ZR 133/06, VersR 2007, 708, 709 mwN; vom 16. Januar 2001 - VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431, 1432). Der Senat hat aber bereits Zweifel an der Erforderlichkeit eines solchen zusätzlichen Begründetheitselements jedenfalls für den Fall geäußert, dass Gegenstand der Feststellungsklage ein befürchteter Folgeschaden aus der Verletzung eines deliktsrechtlich geschützten absoluten Rechtsguts ist (Senatsurteil vom 16. Januar 2001 - VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431, 1432; vgl. auch Senatsurteil vom 15. Juli 1997 - VI ZR 184/96, VersR 1997, 1508, 1509 für mögliche Spätfolgen nach schweren Verletzungen). Jedenfalls in Fällen, in denen die Verletzung eines (durch § 823 Abs. 1 BGB oder durch § 7 Abs. 1 StVG geschützten) Rechtsguts und darüber hinaus ein daraus resultierender Vermögensschaden bereits eingetreten sind, gibt es keinen Grund, die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere, künftige Schäden von der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts abhängig zu machen. Materiell-rechtlich wird es den Anspruch auf Ersatz dieser Schäden ohnehin nicht geben, solange diese nicht eingetreten sind; von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts hängt die Entstehung des Anspruchs also nicht ab. Die Leistungspflicht soll bei künftige Schäden erfassenden Feststellungsklagen deshalb nur für den Fall festgestellt werden, dass die befürchtete Schadensfolge wirklich eintritt (vgl. von Gerlach, VersR 2000, 525, 532). Da dementsprechend der Feststellungsausspruch nichts darüber aussagt, ob ein künftiger Schaden eintreten wird, ist es unbedenklich, die Ersatzpflicht des Schädigers für den Fall, dass der Schaden eintreten sollte, bereits jetzt festzustellen (ähnlich MüKoZPO/Becker-Eberhard, 5. Aufl., § 256 Rn. 32). Nach diesen Grundsätzen kommt es für die Begründetheit des vorliegenden Feststellungsantrags nicht darauf an, ob der Eintritt eines verbleibenden Rentenkürzungsschadens, für den die Klägerin keine kongruenten Sozialleistungen beanspruchen kann, wahrscheinlich ist. Die Klägerin ist in einem durch § 7 Abs. 1 StVG geschützten Rechtsgut verletzt worden, woraus schon gegenwärtig ein Verdienstausfallschaden resultiert, für den die Beklagte teilweise einzustehen hat."

    Soweit die Beklagte deshalb meint, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass kein Zukunftsschaden entstehen wird, stünde der Begründetheit des klägerischen Feststellungsbegehrens entgegen, ist dies mit dem Bundesgerichtshof abzulehnen.

    II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 I 1 Fall 2, 91 I ZPO.

    III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

    IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.