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  • 25.06.2019 · IWW-Abrufnummer 209578

    Oberlandesgericht Thüringen: Beschluss vom 18.03.2019 – 1 OLG 151 Ss 22/19

    Allein ein Überholen bei sichtbarem Gegenverkehr stellt noch keine Verletzung des § 5 Abs. 2 StVO dar. Ein falsches Überholen liegt nur dann vor, wenn das Überholen unter Berücksichtigung des Gegenverkehrs für einen durchschnittlichen Fahrer nicht gefahr- und behinderungslos möglich ist.


    Thüringer Oberlandesgericht

    1 OLG 151 Ss 22/19

    Beschluss

    In dem Strafverfahren
    gegen pp.

    wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs u.a.

    hat auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Gera vom 13.06.2018 der 1 Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, Richter am Oberlandesgericht und Richter am Oberlandesgericht am 18.03.2019 einstimmig beschlossen:

    1. Das Urteil des Amtsgerichts Gera wird - soweit der Angeklagte verurteilt worden ist - mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.
    2. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts pp. zurückverwiesen.
    3. Die Anträge des Angeklagten, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben und seinen sichergestellten Führerschein zurückzugeben, werden verworfen.

    Gründe:

    I.

    Durch Urteil des Amtsgerichts Gera. vom 13.06.2018 wurde der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen zu je 50,00 € verurteilt. Dem Angeklagten wurde des Weiteren die Fahrerlaubnis entzogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, nicht vor Ablauf von 9 Monaten eine neue Fahrerlaubnis zu erteilten. Mit Beschluss vom selben Tage hat das Amtsgericht dem Angeklagten die Fahrerlaubnis gem. § 111a StPO vorläufig entzogen. Vom Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde der Angeklagte freigesprochen.

    Gegen das Urteil vom 13.06.2018 hat der Angeklagte - soweit er verurteilt wurde - durch beim Amtsgericht am 20.06.2018 eingegangen Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tage Rechtsmittel eingelegt, das er, nachdem das Urteil dem Verteidiger in vollständig abgefasster Form am 09.07.2018 zugestellt worden war, mit beim Amtsgericht pp. am 09.09.2018 eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tage als Sprungrevision bezeichnet und mit der näher ausgeführten Sachrüge begründet hat. Er hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und ihn freizusprechen, sowie für den Fall der Aufhebung und Zurückverweisung des angefochtenen Urteils, den Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben und ihm die Fahrerlaubnis (Führerschein) zurückzugeben.

    In ihrer Stellungnahme vom 07.02.2019 hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Gera vom 13.06.2018 mit den dazugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts pp. zurückzuverweisen.

    II.

    Die gem. § 335 Abs. 1 StPO statthafte Revision, die sich ausdrücklich nur gegen das verurteilende Erkenntnis und nicht gegen den Teilfreispruch richtet, hat auf die Sachrüge einen vorläufigen Erfolg.

    1. Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung nicht.

    Das Amtsgericht hat in seinem Urteil vom 13.06.2018 folgendem Sachverhalt festgestellt.

    „Am 11.10.2017 befuhr der Angeklagte mit seinem Ford Transit, amtliches Kennzeichen pp. die Bundesstraße 2 in Höhe von Gera-Cretzschwitz in Höhe Kilometer 1.200 m Richtung pp. Vor dem Fahrzeug des Angeklagten fuhr ein Lkw. Dahinter fuhr das von dem Zeugen pp. geführte Fahrzeug, dahinter das von der Zeugin pp.. geführte Fahrzeug. Auf der Gegenfahrbahn fuhr der von dem Zeugen pp. geführte Lkw, ein vollbeladener sogenannter 40-Tonner. Dahinter befand sich der von dem Zeugen pp. geführte Sattelschlepper mit polnischem Kennzeichen. Dahinter fuhr der Lkw des Zeugen.

    Obwohl sich in einer langgezogenen Längskurve der Gegenverkehr deutlich erkennbar war, setzte der Angeklagte mit seinem Pkw pp. zum Überholen es vor ihm fahrenden Lkw an. Als der Zeuge pp. bemerkte, dass ihm der Transporter des Angeklagten entgegenkam, bremste er zunächst langsam und machte dann eine Vollbremsung, um einen Zusammenstoß zu verhindern. Der Transporter des Angeklagten ist sodann in geringem Abstand an ihm vorbeigefahren und fuhr weiter. Lediglich durch das rechtzeitige Bremsen des Lkws das Zeugen pp. konnte ein Frontalzusammenstoßmit dem Fahrzeug des Angeklagten verhindert werden. Sodann machte der Zeuge pp. eine Vollbremsung, gleichwohl fuhr der Zeuge pp. mit seinem Lkw auf die Fahrzeuge auf, da er das vor ihm fahrende Fahrzeug erst recht spät bremsen gesehen hatte. Dieser hielt sich an seinem Lenkrad bei Vollbremsung fest. Daraufhin wurden seine Beine eingeklemmt und er musste befreit werden und hatte einen Schock. Weitere Dauerfolgen hat der Zeuge nicht erlitten.

    Ob der Angeklagte diesen Zusammenstoß beim Vorbeifahren bemerkt hat oder über den Rückspiegel bemerkt hat oder einen Knall gehört hat, konnte für eine für die Verurteilung hinreichende Sicherheit nicht festgestellt werden.“

    Aufgrund dieses Sachverhalts hat das Amtsgericht im Rahmen der rechtlichen Bewertung eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr 2b, Abs. 3 StGB angenommen, wobei es davon ausgegangen ist. dass der Angeklagte die Gefährdung der entgegenkommenden Fahrzeuge lediglich fahrlässig verursacht hat. Ausführungen zur im Urteilstenor angenommenen tateinheitlichen fahrlässigen Körperverletzung enthält das im Urteil Rahmen der rechtlichen Würdigung nicht.

    Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 07.02.2019 zur Begründung des dort - versehentlich hinsichtlich des gesamten Urteils - gestellten Aufhebungsantrags ausgeführt.

    „... Der Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB setzt voraus, dass der Fahrzeugführer falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt.

    Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen vermögen jedoch eine Verletzung des § 5 StVO nicht hinreichend zu tragen, da allein ein Überholen bei sichtbarem Gegenverkehr noch keine Verletzung des § 5 Abs. 2 StVO darstellt. Ein falsches Überholen liegt danach nur dann vor. wenn das Überholen unter Berücksichtigung des Gegenverkehrs für einen durchschnittlichen Fahrer gefahr- und behinderungslos möglich ist (gemeint ist ersichtlich: nicht gefahr- und behinderungslos möglich ist).

    Dies lässt sich nach den Feststellungen des Amtsgerichts jedoch nicht beurteilen, da der ungefähre Abstand zwischen dem Fahrzeug des Beschuldigten zum Zeitpunkt des Ausschorens beim Überholvorgang und dem Fahrzeug des Zeugen pp. nicht mitgeteilt wird.

    Zur inneren Tatseite teilt das Gericht ferner nur mit, dass der Angeklagte die Gefährdung der entgegenkommenden Fahrzeuge lediglich fahrlässig verursacht hat. Es bleibt jedoch offen, ob das Gericht von einer vorsätzlichen Tathandlung im Sinne des § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB ausgegangen ist. Dagegen spricht, dass das Gericht nicht von einer Vorsatztat wie § § 315c Abs. 1 Nr. 1StGB, sondern von fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs im Sinne des § 315c Abs. 3 Nr. 3 StGB ausgegangen ist.

    Das Urteil erweist sich auch im Hinblick auf die tateinheitliche Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung als widersprüchlich.

    Letztlich ist das Gericht ausweislich der Urteilsgründe nur vom Vorliegen des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 b Abs. 3 StGB ausgegangen. Insoweit führt das Gericht aus:

    „Das Gericht geht jedoch davon aus, dass der Angeklagte die Gefährdung der entgegenkommenden Fahrzeuge lediglich fahrlässig verursacht hat. Mithin liegt ein Fall des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 b Abs. 3 StGB vor. Das Gesetz sieht hierfür Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe vor‘. Die nach dem Tenor angenommene Verwirklichung des Tatbestands einer fahrlässigen Körperverletzung wird durch das Gericht nicht erwähnt. Auch bei der Strafzumessung geht das Gericht nur davon aus, das ‚mehrere Personen gefährdet wurden‘.

    Danach ist auch im Blick auf die Strafzumessung unklar, ob das Gericht ggf. nur wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilen wollte, aber im Rahmen der Strafzumessung sich zu Ungunsten des Angeklagten auch die im Tenor ersichtliche Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung ausgewirkt hat.

    Wegen dieser Unklarheiten kann das Urteil keinen Bestand haben. ...“

    Diesen Ausführungen schließt sich dar Senat mit der obigen Klarstellung an.

    Das Urteil war deshalb auf die Revision aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Gera zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

    2. Der „hilfsweise“ - für den Fall der Aufhebung und Zurückverweisung gestellte Antrag des Angeklagten, die vom Amtsgericht ... am 13.06.2018 angeordnete vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben und die Fahrerlaubnis herauszugeben, hat keinen Erfolg.

    Eine solche Entscheidung kommt nicht bereits deshalb in Betracht, weil seit Erlass des amtsgerichtlichen Urteils eine der vom Tatrichter festgesetzten Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis entsprechende Zeit verstrichen ist (BGH NJW 1978, 384; OLG Koblenz MDR 1986, 871).

    Für die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ist auch nach Einlegung der Revision grundsätzlich der letzte Tatrichter zuständig. Nur dann, wenn das Revisionsgericht die angefochtene Entziehung der Fahrerlaubnis endgültig beseitigt hätte bzw. analog § 126 Abs. 3 StPO feststellen könnte, dass eine Fahrerlaubnisentziehung nach § 69 StGB unter keinen Umständen mehr in Betracht kommt kann das Revisionsgericht selbst einen Beschluss des Tatgerichts nach § 111 a Abs. 2 StPO aulheben (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61 Auflage. § 111 a Rdn 14 m. w. N. zur Rechtsprechung). Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall, weil die Revision lediglich zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung führt, der Tatvorwurf der Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr 2 b StG8 mithin weiter im Raum steht und deshalb - im Falle der erneuten Verurteilung durch den nunmehr mit der Sache zu befassenden Tatrichter - auch eine Entziehung der Fahrerlaubnis grundsätzlich weiterhin in Betracht kommt.