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  • 04.01.2019 · IWW-Abrufnummer 206375

    Amtsgericht Wittlich: Beschluss vom 20.08.2018 – 313 OWi 114/18

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    AG Wittlich

    Beschluss vom 20.08.2018


    In dem Bußgeldverfahren gegen

    Verteidigerin: xxx

    wegen Ordnungswidrigkeit

    hat das Amtsgericht Wittlich durch den Richter … am 20.08.2018 beschlossen:

    1. Die Zentrale Bußgeldstelle beim Polizeipräsidium Rheinpfalz wird angewiesen, der Verteidigerin die folgenden Unterlagen vorzulegen:
    · die digitalen Falldaten im gerätespezifischen Format für die gesamte Messreihe,
    · die Statistikdatei zu der Messreihe,
    · Wartungs- und Instandsetzungsnachweise des Messgeräts seit der letzten Eichung,
    · Eichnachweise für das Messgerät seit der ersten Inbetriebnahme sowie
    · Die Baumusterprüfbescheinigung und Konformitätsbewertung des Messgeräts.

    2. Die Kosten des Antragsverfahrens sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

    Gründe:

    I.

    Durch Bußgeldbescheid vom 07.05.2018 verhängte die Zentrale Bußgeldstelle beim Polizeipräsidium Rheinpfalz gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h ein Bußgeld in Höhe von 70,00 €. Die Geschwindigkeitsmessung wurde ausweislich des Messprotokolls mit dem Messgerät Vitronic Poliscan FM 1, Seriennummer 775829 mit der Softwareversion 4.4.5 durchgeführt. Gegen den Bescheid legte der Betroffene über seine Verteidigerin Einspruch ein. Bereits mit Schreiben vom 08.03.2018 bestellte sich die Verteidigerin und beantragte Akteneinsicht, die ihr gewährt wurde. Mit Schreiben vom 13.04.2018 beantragte die Verteidigerin ihr u.a. die digitalen Falldatensätze der gesamten Messreihe inklusiver unverschlüsselter Rohmessdaten, die Statistikdatei mit Case-List, die Lebensakte des Messgeräts und die Baumusterprüfbescheinigung nebst Konformitätserklärung zum Messgeräts zu Verfügung zu stellen.

    Mit Schreiben vom 18.04.2018 gewährte die Verwaltungsbehörde in die weiteren angeforderten Unterlagen Akteneinsicht und verwies in Bezug auf die Baumusterprüfbescheinigung und die Konformitätserklärung auf die Stellungnahme der PTB vom 16.12.2018. Eine Lebensakte werde zu dem Messgerät nicht geführt. Eine Verpflichtung zur Führung der Lebensakte ergebe sich auch aus gesetzlichen Vorschriften nicht. Einzig § 31 MessEG gebe eine Verpflichtung zur Aufbewahrung von Instandsetzungs- und Reparaturnachweisen bis zur nächsten Eichung vor.

    Mit Schriftsatz vom 16.04.2018 beantragte die Verteidigerin gerichtliche Entscheidung in Bezug auf die Herausgabe der im Tenor näher beschriebenen Urkunden und Dateien. Der Antrag wurde ausführlich begründet.

    Die Verwaltungsbehörde leitete im Folgenden am 19.06.2018 den zuvor von der Verteidigerin gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 62 Abs. 1 OWiG an das Amtsgericht weiter. Im Begleitschreiben führte sie aus, dass die angeforderte Messreihe kein Aktenbestandteil sei. Auf diese werde der Tatvorwurf nicht gestützt. Eine Vorlagepflicht gegenüber der Verteidigung folge auch nicht aus dem Recht auf ein faires Verfahren. Vielmehr begegne die Überlassung der gesamten Messreihe datenschutzrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Daten der anderen Verkehrsteilnehmer. Diese haben, so die Verwaltungsbehörde, keinen direkten Bezug zur dem Betroffenen vorgeworfenen Tat. Es bestehe überdies auch nur die lediglich theoretische Möglichkeit, anhand der gesamten Messreihe Hinweise auf etwaige Fehlfunktionen des Messgeräts oder Fehler bei der Durchführung der Messung zu erhalten. Im Ergebnis sei daher eine Vorlage an den Verteidiger abzulehnen. Im Übrigen werde keine Lebensakte geführt. Er ergäbe sich hierzu auch keine gesetzliche Verpflichtung.

    II.

    Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.

    Der Antrag ist auch begründet.

    Bei dem Geschwindigkeitsmessverfahren Vitronic Poliscan FM 1 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren, bei dem die Physikalisch-Technische-Bundesanstalt (PTB) im Wege eines antizipierten Sachverständigengutachtens die grundsätzliche Zuverlässigkeit der Messung festgestellt hat. Der Betroffene muss daher, um Zweifel an der Richtigkeit der Messung zu begründen, im jeweiligen Verfahren konkrete Anhaltspunkte darlegen, die für die Unrichtigkeit der Messung sprechen. Eine pauschale Behauptung, mit der die Richtigkeit der Messung angezweifelt wird, genügt nicht. Ein solch dezidierter Vortrag ist dem Betroffenen jedoch nur dann möglich, wenn er oder sein Verteidiger Zugang zu den Messunterlagen hat. Die Verwaltungsbehörde hat ihnen daher bereits vor Erlass des Bußgeldbescheids Zugang zu Informationen zu gewähren, die für die Verteidigung von Bedeutung sein können. Dies folgt aus dem Recht auf Akteneinsicht und dem Recht auf ein faires Verfahren.

    Um diese Rechte effektiv gewähren zu können, ist es erforderlich, dem Betroffenen bzw. seinem Verteidiger Einsicht in die gesamte Messreihe zu gewähren, um mithilfe dieser Daten ggf. Fehlmessungen oder Fehlfunktionen des Messgeräts aufzeigen zu können, die Zweifel auch an der Messung der Betroffenen begründen könnten. Das Landgericht Trier hat in hierzu ausgeführt (Beschluss vom 14.09.2017 – 1 Qs 46/17):

    „Darüber hinaus kann nicht verlangt werden, dass bereits vor Einsicht in die Messserie konkrete Mängel vorgetragen werden, da sich bestimmte Fehlerquellen erst aus einem Vergleich der eigenen Falldatei mit den anderen im Messzeitraum durchgeführten Messungen ergeben können.

    Zudem können ggf. erst anhand der weiteren Falldaten der Messreihe Fehler aufgedeckt werden, die allen Messungen der Messserie anhaften, aber aus der konkreten Messung beim Betroffenen nicht ersichtlich sind. Ferner besteht die Möglichkeit, durch Aufzeigen mehrerer Fehlerquellen bei anderen Messungen die aus dem standardisierten Verfahren folgende Vermutung korrekter Messungen der gesamten Messserie zu erschüttern (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 16.12.2014, Az. 2 Ws 96/14).

    Der Verteidigerin sind daher die digitalen Falldatensätze inklusive unverschlüsselter Rohmessdaten der gesamten Messserie auf einem von ihr bereitgestellten Speichermedium zur Verfügung zu stellen.

    Datenschutzrechtfiche Bedenken bestehen insoweit nicht. Zwar sind bei Zurverfügungstellung der gesamten Messreihe auch die Persönlichkeitsrechte anderer Verkehrsteilnehmer betroffen. Dieser Eingriff ist jedoch hinzunehmen. Der Anspruch auf ein faires Verfahren ist insoweit höherrangig, zumal es sich um einen relativ geringfügigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Dritter handelt. Mit der Zurverfügungstellung der gesamten Messserie werden zwar Foto und Kennzeichen übermittelt, nicht aber die Fahrer- oder Halteranschrift Zudem besteht bei der Übermittlung an den Verteidiger als Organ der Rechtspflege grundsätzlich auch keine Gefahr der Weitergabe der Daten an Dritte (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 11.01.2017, Az. 1 Ws 348/16).“

    Dieser Rechtsauffassung schließt sich das Gericht vollumfänglich an.

    Weiter führt das Landgericht Trier in seiner o.g. Entscheidung wie folgt aus:

    „Zutreffend ist, dass die Verwaltungsbehörde nicht verpflichtet ist, eine sog. Lebensakte für das hier zum Einsatz gekommene Messgerät zu führen. Gibt es keine „Lebensakte“, kann sie selbstverständlich auch nicht eingesehen werden. Die Verwaltungsbehörde hat jedoch Nachweise über erfolgte Wartungen, Reparaturen und sonstige Eingriffe am Messgerät aufzubewahren (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 8. September 2016, Az. (2 Z) 53 Ss-OWi 43116 (163/16)). Dies folgt aus § § 31 Abs. 2 Nr. 4 MessEG: Wer ein Messgerät verwendet, hat sicherzustellen, dass Nachweise über erfolgte Wartungen, Reparaturen oder sonstige Eingriffe am Messgerät, einschließlich solcher durch elektronisch vorgenommene Maßnahmen, für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten nach Ablauf der nach § 41 Nummer 6 bestimmten Eichfrist, längstens für fünf Jahre, aufbewahrt werden.

    Werden dem Betroffenen solche Unterlagen nicht zugänglich gemacht, hat er keine Möglichkeit, konkrete Anhaltspunkte, für eine der Gültigkeit der Eichung entgegenstehende Reparatur oder einen sonstigen Eingriff in das Messgerät aufzufinden (Brandenburgisches Oberlandesgericht aaO; vgl. auch FD-StrafR 2012, 332318).“

    Auch insoweit schließt sich das Gericht der Rechtsauffassung des Landgerichts Trier an.

    In Bezug auf die Konformitätserklärung und die Baumusterprüfbescheinigung ist der Antrag begründet. Der in der Akte befindliche Eichschein nimmt auf die genannten Urkunden Bezug. Gem. § 37 Abs. 4 Satz 1 MessEG sind bei der Eichung u.a. die zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens geltenden wesentlichen Anforderungen des § 6 Abs. 2 MessEG zu Grunde zu legen. Als Nachweis, dass ein Messgerät diese Anforderungen erfüllt, ist die Konformitätserklärung sowie die nach § 30 Nr. 3 MessEG erfolgreich durchgeführte Konformitätsbewertung nachzuweisen. Auch die diesbezüglichen Nachweise sind der Verteidigerin in Form der genannten Urkunden zur Verfügung zu stellen.

    Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 465 Abs. 1 Satz 2, 467 StPO analog, § 46 Abs. 1 OWiG.