Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 07.10.2015 · IWW-Abrufnummer 145496

    Kammergericht Berlin: Beschluss vom 24.08.2015 – 2 Ws 172/15

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Kammergericht Berlin

    Beschl. v. 24.08.2015

    Az.: 2 Ws 172/15 - 141 AR 365/15

    Tenor:

    Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 6. Juli 2015 aufgehoben.

    Die Sache wird zu neuer Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.
    Gründe

    I.

    Das Landgericht Berlin ordnete mit Urteil vom 18. Mai 1994 im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB an.

    Er hatte am 6. Januar 1993 in der wahnhaften Annahme, seine damalige Partnerin wolle ihn im Auftrag der Stasi vergiften, dieser in Tötungsabsicht mehr als dreißig Messerstiche beigebracht, wovon einige lebensgefährlich waren und bei der Geschädigten bleibende Schäden hinterließen. Nach den Feststellungen der sachverständig beratenen Strafkammer war die Einsichtsfähigkeit des Beschwerdeführers zum Tatzeitpunkt aufgrund eines akuten Ausbruchs einer chronisch schizophrenen Psychose aufgehoben im Sinne des § 20 StGB.

    Der Beschwerdeführer war seit dem 6. Januar 1993 zunächst gemäß § 126a StPO einstweilig in der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik untergebracht. Seit Rechtskraft des Urteils am 19. Juli 1994 wird die Unterbringung vollzogen.

    Seither ordnete die Strafvollstreckungskammer turnusmäßig, so auch mit Beschluss vom 23. Juni 2014, die Fortdauer der Unterbringung an.

    Zuletzt erstellte der Sachverständige Dr. med. H. am 26. Februar 2013 ein kriminalprognostisch-psychiatrisches Gutachten. Danach litt der Untergebrachte nach wie vor an einer paranoiden Schizophrenie mit Residualsymptomatik (ICD: F 20.05), die bereits Grundlage der Anordnung der Unterbringung im Ausgangsurteil war. Ein Heilungserfolg sei nicht eingetreten und die Gefährlichkeit des Untergebrachten unverändert hoch. Langfristig sei jedoch zu erwarten, dass die Dynamik im Zuge des Alterungsprozesses tendenziell weiter abnehmen werde, so dass der Sachverständige eine neuerliche Prüfung in den "nächsten Jahren" als sinnvoll bezeichnete.

    In ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 11. Mai 2015 haben die behandelnden Ärzte des Vollzugskrankenhauses zur Behandlungs- und Legalprognose des Untergebrachten u.a. folgendes ausgeführt:

    "Deutlicher in diesem, aber auch in den zurückliegenden Berichtszeiträumen hat Herr A. wiederholt - allerdings nach vorangegangenen Ablehnungen - um eine antipsychotische Behandlung gebeten, sobald die Prozessaktivität der Psychose über ein gewisses Maß hin zugenommen hatte. Somit kann von einer Intervalltherapie gesprochen werden, in deren Ergebnis zumindest die Exazerbation hochakuter Krankheitsepisoden in der jüngeren Vergangenheit mit hinreichender Zuverlässigkeit verhindert werden konnte. (...) In diesem Sinne darf die Behandlungsprognose dennoch vorsichtig positiv gewertet werden, da die Gefährlichkeit des Patienten, die Anlass zur Unterbringung im Maßregelvollzug gegeben hatte, in einer hochakuten Krankheitsphase zu Tage getreten war. Vor dem Hintergrund des langen und komplizierten Verlaufs bleibt die Behandlungsprognose aber weiterhin noch unsicher. (...) In Zusammenschau von Behandlungs- und Sozialprognose werten wir die Legalprognose gegenwärtig zwar nicht mehr als ungünstig, aber noch als unsicher. Zugleich möchten wir darauf verweisen, dass wir die Gefährlichkeit des Herrn A. als nicht mehr so hoch wie noch im Prognosegutachten aus dem Jahr 2013 dargestellt erachten; zum einen mit Verweis auf die zwischenzeitlich etablierte antipsychotische Intervalltherapie, zum anderen auf die entlang der zurückliegenden Jahre deutlich rückläufigen körperlichen Aggressivität des nun bereits 69-jährigen Patienten. So ist der letzte aggressive Durchbruch (...) nach Aktenlage im Februar 2003 zu verzeichnen gewesen, liegt also mehr als ein Jahrzehnt zurück."

    Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - erneut die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

    Vor der Entscheidung hatte die Strafvollstreckungskammer den Untergebrachten nicht durch den gesamten Spruchkörper angehört, sondern die Durchführung der mündlichen Anhörung dem Vorsitzenden als beauftragtem Richter übertragen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass dem persönlichen Eindruck sämtlicher an der Entscheidung beteiligter Richter trotz des Umstandes, dass die Kammer in seiner aktuellen Besetzung den Untergebrachten zuvor noch nicht angehört hatte, geringere Bedeutung zukomme, zumal angesichts des nach Aktenlage unveränderten psychischen Krankheitsbildes eine erneute Fortdauerentscheidung wahrscheinlich erscheine.

    II.

    Die gegen den Fortdauerbeschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Untergebrachten ist zulässig (§§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO), insbesondere rechtzeitig erhoben (§ 311 Abs. 2 StPO). Sie hat auch in der Sache (vorläufigen) Erfolg.

    1. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, da die gemäß § 463 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO vorgeschriebene mündliche Anhörung nicht durch den gesamten Spruchkörper durchgeführt worden ist. Die Einhaltung der Vorschriften über die mündliche Anhörung hat der Senat von Amts wegen zu prüfen (OLG München, Beschluss vom 7. Oktober 2014 - 1 Ws 703/14 - [[...]]; OLG Rostock NStZ 2002, 109; OLG Nürnberg StraFo 2008, 440; Senat StraFo 2014, 36-37).

    Die Strafvollstreckungskammer ist im Verfahren der "Erforderlichkeitsprüfung" (§ 67d Abs. 2 StGB; § 454 Abs. 1 Satz 1, § 463 Abs. 3 Satz 1 StPO) mit drei Richtern unter Einschluss des Vorsitzenden (§ 78b Abs. 1 Nr. 1 GVG) besetzt. Im Falle der Zuständigkeit eines Kollegialgerichts ist auch die mündliche Anhörung in der Regel durch alle zur Entscheidung berufenen Richter durchzuführen, sodass die Anhörung eines gemäß § 63 StGB Untergebrachten regelmäßig durch die Strafvollstreckungskammer in "Dreierbesetzung" durchzuführen ist. Der Zweck der Anhörung liegt nicht nur darin, dem Untergebrachten die Gelegenheit zu geben, sich vor der Entscheidung mündlich zu äußern. Sie soll dem zuständigen Gericht zudem einen unmittelbaren und aktuellen persönlichen Eindruck von dem Unterbrachten und auf diese Weise eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage verschaffen (vgl. BGHSt 28, 138; BGHR StPO § 454 Anhörung 1; OLG Nürnberg StV 2003, 683; Senat, Beschlüsse vom 4. Juni 2013 - 2 Ws 224/13 - [[...]] und 19. September 2012 - 2 Ws 269-270/12 - [[...]]; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 454 Rdn. 16). Vom Grundsatz der Anhörung in vollständiger Besetzung kann nur in Ausnahmefällen abgewichen werden, beispielsweise dann, wenn dem persönlichen Eindruck sämtlicher an der Entscheidung beteiligten Richter im Einzelfall eine eher untergeordnete Rolle zukommt und dieser ihnen auch aufgrund einer Anhörung durch eines der Mitglieder des Spruchkörpers als beauftragten Richter ausreichend vermittelt werden kann, wobei es auch auf die Bedeutung der Sache und die Schwierigkeit der zu treffenden Entscheidung ankommt (vgl. BGHSt 28, 138, 143; Senat StraFo 2014, 36-37 [KG Berlin 14.08.2013 - 2 Ws 395/13 - 141 AR 426/13]). Im Einzelnen ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten, ob insbesondere in den Fällen, in denen der Untergebrachte - wie vorliegend - von dem Spruchkörper in seiner aktuellen Besetzung zuvor noch nicht angehört wurde, die Anhörung stets in vollständiger Gerichtsbesetzung durchzuführen ist (so Hans. OLG Bremen StV 2015, 231-133; OLG München, Beschluss vom 7. Oktober 2014 - 1 Ws 703/14 - [[...]]; OLG Nürnberg, Beschluss vom 31. Januar 2013 - 2 Ws 17/13 - [[...]]; OLG Frankfurt NStZ-RR 2010, 188-189; a.A.: OLG Düsseldorf NStZ-RR 2015, 20-21; OLG Stuttgart NStZ-RR 2015, 230-231; Thür. OLG, Beschluss vom 26. Februar 2015 - 1 Ws 530/14 - [[...]]). Einer grundsätzlichen Entscheidung dieser Frage bedarf es vorliegend nicht. Denn jedenfalls in den Fällen, in denen die Kammer den Untergebrachten in seiner aktuellen Besetzung zuvor nicht angehört hat, sich zudem seit der letzten Anhörung die Sachlage wesentlich geändert hat und die prognostische Beurteilung schwierig und problembehaftet ist, scheidet eine Übertragung der mündlichen Anhörung auf den beauftragten Richter aus (Senat aaO.; Beschluss vom 1. Juli 2014 - 2 Ws 250-251/14 - [[...]]).

    Die Sachlage hatte sich seit der letzten Anhörung wesentlich geändert. Nach Auskunft der den Untergebrachten behandelnden Ärzte konnte zwischenzeitlich eine antipsychotische Intervalltherapie etabliert werden. Diese habe zuletzt mit hinreichender Zuverlässigkeit die Exazerbation hochakuter Krankheitsepisoden verhindern können. Aus diesem Grund und unter Berücksichtigung der sich deutlich rückläufig entwickelnden körperlichen Aggressivität des Untergebrachten kamen die Ärzte in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 11. Mai 2015 zu dem Ergebnis, dass die Gefährlichkeit des Untergebrachten nicht mehr so hoch sei wie noch im Prognosegutachten aus dem Jahr 2013 dargestellt.

    Unter Berücksichtigung dieser Umstände vermag auch die durch die Kammer genannte Begründung der Übertragung nicht zu überzeugen. Die Kammer hat den Untergebrachten in seiner gegenwärtigen Besetzung zuvor nicht angehört. Die Richterin am Landgericht B. und der Richter am Landgericht C. waren an früheren Anhörungen des Untergebrachten nicht beteiligt. Bereits deshalb hätte sich die Kammer grundsätzlich vor einer ersten Befassung in geänderter Besetzung selbst einen unmittelbaren persönlichen Eindruck vom Untergebrachten verschaffen müssen. Dies gilt insbesondere auch angesichts der außerordentlich langen Dauer der Unterbringung von 22 Jahren, die gerade mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine eingehende Prüfung erfordert. Hinzu kommt eine geänderte prognostische Einschätzung der den Untergebrachten behandelnden Ärzte als auch der ausdrücklich erklärte Wunsch des Untergebrachten, sich im Anhörungstermin mündlich zu erklären. Hiernach kam dem persönlichen Eindruck sämtlicher an der Entscheidung beteiligten Richter keine von vornherein geringere Bedeutung zu. Der Verlauf der Anhörung wird zunächst abzuwarten sein. Erst danach wird über eine etwaige Fortdauer der Unterbringung entschieden werden können.

    2. Für die weitere Sachbehandlung weist der Senat darauf hin, dass auf Grund der langdauernden Unterbringung von mehr als 22 Jahren die von dem Untergebrachten noch ausgehende Gefahr zukünftiger rechtswidriger Taten nach Art und Grad der Wahrscheinlichkeit näher aufzuklären und in einer etwaigen Fortdauerentscheidung zu konkretisieren ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 21. April 2015 - 2 BvR 2462/13 - [[...]] und 26. August 2013 - 2 BvR 371/12 - [[...]]; zu den Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose vgl. ferner BGH NStZ-RR 2013, 545-547; NStZ-RR 2012, 337-338 [BGH 04.07.2012 - 4 StR 224/12]).

    3. Die fehlerhafte Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer kann durch den Senat als Beschwerdegericht nicht nachgeholt oder ersetzt werden und zwingt deshalb zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer (Senat StraFo 2014, 36-37 [KG Berlin 14.08.2013 - 2 Ws 395/13 - 141 AR 426/13]).

    4. In dieser Zwischenentscheidung ist über die Kosten und Auslagen nicht zu befinden. Wem sie aufzugeben sind, wird die Strafvollstreckungskammer entscheiden.