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  • 26.07.2013 · IWW-Abrufnummer 132370

    Amtsgericht Backnang: Verfügung vom 04.07.2013 – 2 BWL 117/12

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Im Vollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO dem Verurteilten ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sach- und Rechtslage schwierig oder sonst ersichtlich ist, dass sich der Betroffene nicht selbst verteidigen kann. Die Bestellung eines Verteidigers kommt auch schon im Verfahren mit dem Ziel des Widerrufs der Strafaussetzung nach § 56f StGB in Betracht

    Geschäftsnummer:
    2 BWL 117/12

    Amtsgericht Backnang

    Verfügung vom 04.07.2013

    in dem Bewährungsverfahren

    pp.

    Dem Verurteilten wird für das Verfahren über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung Rechtsanwalt G. zum Pflichtverteidiger bestellt.

    Gründe

    I.

    Gegen den Verurteilten wurde mit Urteil des Amtsgerichts Backnang vom 11.November 2010 wegen versuchter räuberischer Erpressung u.a. die Gesamtfrei-heitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt. Auf die hiergegen einge-legte Berufung des Verurteilten änderte das Landgericht Stuttgart die erstinstanzliche Entscheidung mit Urteil vom 18.Mai 2011 dahingehend ab, dass der Verurteilte zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit Bewährungsbeschluss vom selben Tage setzte das Landgericht Stuttgart die Bewährungszeit auf vier Jahre fest und unterstellte den Verurteilten der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers. Weiter erteilte das Landgericht Stuttgart dem Verurteilten die Weisung, "seine Lehrstelle nicht von sich aus aufzugeben, sondern seine Lehre bis zum vorgesehenen Ende durchzuführen und dies dem Amtsgericht Backnang halbjährlich nachzuweisen".

    II.

    Am 25.April 2013 erstattete die Bewährungshilfe dem Gericht über den aktuellen Bewährungsverlauf Bericht. In dem Bericht wird ausgeführt, dass die Bewährung derzeit unbefriedigend verlaufe. Der Verurteilte habe wegen des von seinem Arbeit-geber erhobenen Vorwurfs wiederholten unentschuldigten Fehlens sowie arbeitsvertragswidrigen Verhaltens seine Ausbildungsstelle verloren und darüber hinaus auf mehrere Nachrichten der Bewährungshelferin nicht reagiert und keinen Kontakt mehr gehalten.

    Diesen Bericht hat das Gericht der Staatsanwaltschaft Stuttgart zur Kenntnis ge-bracht und dabei darauf hingewiesen, dass in dem von der Bewährungshelferin dargestellten Verhalten des Verurteilten zwar ein Sich-Entziehen im Sinne des § 56f Abs.1 Nr.2 StGB zu sehen sein könnte, welches jedoch nicht zu einem Widerruf der Bewährung führen dürfte, da nach vorläufiger Einschätzung die Voraussetzungen des § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB, der die Besorgnis neuer Straftaten verlangt, nicht vorlägen. Diese Besorgnis dürfte sich mit dem Verlust der Lehrstelle und den Problemen im Kontakt mit der Bewährungshilfe nicht begründen lassen. Die in vorliegender Sache abgeurteilten Taten haben sich im Jahr 2008 bzw. 2009 ereignet, seither ist der Verurteilte nicht abermals strafrechtlich in Erscheinung getreten.

    Daraufhin wurde mit Verfügung vom 21.Mai 2013 zum Zwecke der Erörterung des Bewährungsverlaufs ein Anhörungstermin anberaumt. Im Anschluss hieran legitimierte sich der Verteidiger, der den Verurteilten seinerzeit im Erkenntnisverfahren vertreten hat, und beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Diesem Antrag ist die Staatsanwaltschaft Stuttgart entgegen getreten, es läge kein Grund für eine Bestellung vor. Mit gleichem Schreiben hat die Staatsanwaltschaft außerdem auf eine diesbezügliche Anfrage des Gerichts erklärt, sie erwäge die Stellung eines Widerrufsantrags, sollte es der Verurteilte nach dem Anhörungstermin "weiterhin nicht schaffen, sich an die Weisungen zu halten".

    III.

    Dem Verurteilten war entsprechend § 140 Abs.2 StPO Rechtsanwalt G. zum Pflicht-verteidiger zu bestellen. Im Vollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwen-dung des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO dem Verurteilten ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sach- und Rechtslage schwierig oder sonst ersichtlich ist, dass sich der Betroffene nicht selbst verteidigen kann. Die Bestellung eines Verteidigers kommt auch im Verfahren mit dem Ziel des Widerrufs der Strafaussetzung nach § 56f StGB in Betracht (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, Rn. 33a m.N.).

    Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft noch keinen Widerrufsantrag gestellt, sondern lediglich mitgeteilt hat, sie erwäge einen solchen, steht der Bestellung eines Verteidigers zum jetzigen Zeitpunkt nicht entgegen. Zwar wird im Vollstreckungsverfahren die Bestellung eines Verteidigers grundsätzlich nur dann in Betracht kommen, wenn eine konkrete Entscheidung des Gerichts in naher Zukunft bevorsteht (vgl. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rn. 2137), sodass die nicht mit einem konkreten Anlass verbundene bloße Möglichkeit einer Antragsstellung durch die StA alleine nicht für eine Beiordnung ausreicht. Dies bedeutet jedoch im vorliegenden Fall nicht, dass der Verurteilte bis zur Stellung eines Widerrufsantrags zuzuwarten hat. Die Stellung des Widerrufsantrags ist gerade nicht nur theoretisch möglich, sondern bereits in Aussicht gestellt; auch der aus Sicht der Staatsanwaltschaft möglicherweise zum Widerruf führende Grund, der Verstoß gegen Weisungen, hat diese bereits dargelegt. Es ist mithin bereits ein konkreter Vorwurf gegen den Verurteilten erhoben, gegen den sich dieser zur Wehr setzen muss; andernfalls besteht die - aufgrund der Benennung des Widerrufsgrundes und der Androhung eines entsprechenden Antrags bereits jetzt greifbare - Gefahr, dass er seine zweijährige Haftstrafe doch noch verbüßen muss.

    IV.

    Die Voraussetzungen für eine Verteidigerbestellung in entsprechender Anwendung des § 140 Abs.2 StPO liegen vor. Zwar ist, was das Gericht nicht verkannt hat, nach weiten Teilen der Rechtssprechung im Vollstreckungsverfahren im geringeren Maße als im Erkenntnisverfahren die Mitwirkung eines Verteidigers erforderlich. Die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage beurteilt sich nicht nach den Verhältnissen im Erkenntnisverfahren, da sich der Verurteilte nicht gegen einen Tatvorwurf verteidigen muss. Auch lässt sich die Rechtsprechung über die Notwendigkeit der Verteidigung wegen der Schwere der Tat nicht auf das Vollstreckungsverfahren übertragen, sodass eine Beiordnung allein aufgrund des Umstands, dass der Verurteilte im Widerrufsfall eine zweijährige Haftstrafe zu verbüßen hätte, nicht in Betracht kommt. Eine Gesamtbetrachtung der vorliegenden Einzelfallumstände ergibt jedoch gleichwohl, dass sich der Verurteilte gegen den von der Staatsanwaltschaft in Aussicht gestellten Widerrufsantrag nicht verteidigen kann. Vielmehr bedarf er des rechtskundigen Beistands eines Verteidigers, da eine in der Praxis schwierig zu beantwortende Frage zu prüfen ist:

    Die Staatsanwaltschaft hat angekündigt, sie erwäge einen Widerrufsantrag für den Fall, dass sich der Verurteilte weiterhin nicht an die ihm auferlegten Weisungen hält. Auf die in der Verfügung des Gerichts vom 30.April 2013 erteilten Hinweise, wonach ein etwaiger Weisungsverstoß wohl nicht zum Bewährungswiderruf führen würde, hat die Staatsanwaltschaft bislang nicht erwidert. Dies legt für das Gericht den Eindruck nahe, dass seitens der Staatsanwaltschaft der mögliche Widerrufsgrund bereits in dem Weisungsverstoß erblickt wird, jedenfalls ist zu den weiteren Voraussetzungen des § 56f Abs.1 Nr.2 StGB bislang nichts ausgeführt worden. Eine solche Auffassung ist nach Ansicht des Gerichts unzutreffend, sodass sich der Verurteilte hiergegen im Falle der Antragsstellung zur Wehr setzen muss. Allein der beharrliche und gröbliche Verstoß des Verurteilten gegen ihm erteilte Weisungen oder das beharrliche Sich-Entziehen der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers rechtfertigt nämlich schon nach dem Gesetzeswortlaut den Widerruf der Strafaussetzung nicht (BVerfG NStZ-RR 2007, 338; OLG Hamm Jurion Rs 2013, 35820), der Bewährungswiderruf ist keine Strafe für den Weisungsverstoß. Maßgeblich ist vielmehr, ob unter Berücksichtigung der gesamten Umstände der Verstoß zu der kriminellen Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten so in einer kausalen Beziehung steht, dass die Gefahr weiterer Straftaten besteht. Dies setzt eine erneute Prognosestellung voraus, welche auf konkreten und objektivierbaren Anhaltspunkten zu beruhen hat.

    Die - in der Praxis häufig Probleme bereitende (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 56f StGB, Rn. 11a) - Prüfung, ob diese Voraussetzungen für einen Bewährungs-widerruf vorliegen oder ob trotz der Verstöße eine Korrektur der ursprünglichen Prognose nicht angezeigt ist, ist dem Verurteilten alleine nicht möglich, er wird die einschlägige Rechtsprechung kaum kennen. Es war ihm daher in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Dies gebietet im Übrigen auch der Umstand, dass hinsichtlich der Wesiung, "seine Lehrstelle nicht von sich aus aufzugeben", im Verfahren geprüft werden muss, ob dem Verurteilten die Beendigung des Ausbildungsverhältnisses tatsächlich angelastet werden kann oder ob die arbeitgeberseitige Kündigung womöglich zu Unrecht erfolgt ist.

    Richter am Amtsgericht